Patentgesetz von Venedig
Patentgesetz von Venedig
Im Gesetz(1) vom 19. März 1474
heisst es:
Unter uns leben große und geniale Männer, die fähig
sind, sinnreiche Vorrichtungen zu erfinden und zu
entdecken; und mehr solcher Männer kommen in Anbetracht
der Größe und Kraft unserer Stadt täglich von überall
her zu uns. Wenn nun Vorsorge getroffen würde, dass
andere, die die von diesen Männern entdeckten
Vorrichtungen und Werke sehen, sie nicht bauen können
und dem Erfinder seine Ehre nehmen, dann würden mehr
Männer ihre Talente anwenden, würden entdecken und
Vorrichtungen bauen, die sehr nützlich und vorteilhaft
für unser Gemeinwesen sind.
Es wird daher Kraft der gesetzmäßigen Macht und Gewalt
dieses Rates zum Gesetz erklärt, dass jeder, der in
dieser Stadt irgendeine neue und erfinderische
Vorrichtung bauen sollte, die bisher in unserem
Gemeinwesen noch nicht hergestellt worden ist, dem Provveditori di Comun hiervon Mitteilung machen
soll, wenn die Erfindung so zur Vervollkommnung gebracht
ist, dass sie benutzt und betrieben werden kann. Es ist
jedem Dritten in irgend einem unserer Gebiete und Städte
für die Dauer von 10 Jahren verboten, ohne die
Zustimmung und Lizenz des Urhebers eine weitere
Vorrichtung zu bauen, die mit besagter Vorrichtung
übereinstimmt oder ihr ähnlich ist, und, wenn sie
jedoch jemand unter Verletzung dieses Gesetzes baut, so
soll der vorgenannte Urheber und Erfinder berechtigt
sein, ihn vor einen Magistrat dieser Stadt zu laden,
durch den der Verletzer gezwungen werden soll, ihm 100
Dukaten zu zahlen; und die Vorrichtung soll sofort
zerstört werden.
Es steht jedoch in der Macht und dem Ermessen der
Regierung, jede dieser Vorrichtungen und Geräte für
ihre Tätigkeiten zu nehmen und zu gebrauchen unter der
Bedingung jedoch, dass nur der Urheber sie betreiben
soll.
Sinn und Zweck des venezianischen Gesetzes ist nicht nur die Förderung des allgemeinen Wohles, sondern auch die Wahrung der Erfinderehre. Zuständig für das Patentwesen in der auf 1474 folgenden Zeit war nicht, wie man aus dem Wortlaut des Gesetzes schließen könnte, das Provveditori di Comun, sondern der Senat. Der Senat übertrug jedoch die Prüfung der Gesuche je nach ihrem Gegenstand einem der Magistrate; Erfindungen, die eine hydraulische Vorrichtung betrafen -wie die meisten damals- wurden z. B. dem Savi sopra le acque (Wasserausschuss) übergeben.
Die Bedeutung dieses im Jahr 1474 erlassenen Gesetzes würde man überschätzen, wenn man in ihm wie in einen modernen Patentgesetz eine objektive Rechtsnorm sehen würde, auf Grund derer die zuständige Behörde jedem ein Patent erteilen muss, der die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt. Denn das vor dem Erlass des Gesetzes geübte Gewohnheitsrecht blieb auch später für die Handhabung des Patentrechts entscheidend. In den Patentgesuchen wird nicht auf das Gesetz von 1474 Bezug genommen, und die Patente werden auch nach 1474 als Privilegien oder Bewilligungen bezeichnet, d. h. die Patente werden als Vergünstigung angesehen. Als Beispiel für einen Antrag, das Gesuch von Galileo Galilei aus dem Jahr 1594. Bemerkenswert ist, dass er sich nicht auf das bereits über hundert Jahre alte Gesetz, sondern auf Gewohnheitsrecht beruft: (Übersetzung(2) von Dr.-Ing Theobald aus dem Jahr 1928)
Ich, Galileo Galilei habe ein Werk erfunden, um
Wasser zu heben und Ländereien zu bewässern, und zwar
sehr leicht, mit wenig Unkosten und großem Vorteil,
derart, daß bei einem Antrieb durch nur ein Pferd
zwanzig Wasserläufe, die sich an ihm befinden,
vollkommen ununterbrochen springen werden.
Da es mir aber nicht zusagt, daß jene Erfindung, die
mein Eigentum ist und von mir mit großer Mühe und viel
Kosten zustande gebracht wurde, Gemeingut eines jeden
beliebigen wird, so bitte ich ehrerbietig, Ew.
Durchlaucht möchten mich gnädigst mit der Gunst
bedenken, die Eure Huld in ähnlichen Fällen jedem
Künstler in irgendeinem Handwerk verleiht, nämlich:
daß außer meiner Person oder meinen Erben oder solchen,
die von mir oder von ihnen ein Recht dazu erhalten, es
niemandem gestattet sei, besagtes mein neues Werk
anzufertigen, noch es anfertigen zu lassen, noch es, wenn
angefertigt, zu gebrauchen, noch es in abgeänderter Form
zu anderen Zweck mit Wasser oder einem anderen Stoff zu
gebrauchen, auf einen Zeitraum von vierzig Jahren, oder
wieviel Ew. Durchlaucht gefallen mögen, bei
irgendwelcher Euch genehm dünkenen Geldstrafe für den
Verletzungsfall, von der ich einen Teil erhalte.
Wonach ich noch eifriger auf neue Erfindungen zum
allgemeinen Wohl bedacht bin und Euch mich untertänig
empfehle.
Sein Antrag erhält keine Angaben, wie die Erfindung
beschaffen ist. Die drei Prüfer sagen in ihrem Bescheid
unter Eid aus, dass das sie das Bauwerk weder in kleiner
noch in großer Ausführung gesehen haben, und bei ihrer
Empfehlung gehen sie davon aus, dass das Bauwerk so
ausfallen werde, wie er es in seinem Antrag behauptete.
Als Schutzdauer gewährt wurden ihm nur 20 Jahre, auch
blieben die Änderungen und die Anwendung zu einem
anderen Zweck unerwähnt. Als Strafe wurde der Verlust
des nachgemachten Werkes und eine Buße von 300 Dukaten
angeordnet, von der ein Drittel dem Ankläger zufallen
sollte, ein Drittel dem Magistrat, und ein Drittel der
Arsenalkasse.
Der Bittsteller habe jedoch das Werk innerhalb eines
Jahres auszuführen; es dürfe auch nicht schon von
anderen erfunden oder dargelegt sein, auch dürfe daran
nicht schon anderen ein Privileg erteilt sein;
andernfalls sei diese Konzesion zu behandeln, als wenn
sie nie gewährt worden währe. Galilei hat seine
Vorrichtung in den Gärten der Familie Contarini(3)
mit Erfolg angewendet.
Bei den venezianischen Patenten hat es sich nicht um
Einzelfälle gehandelt. Mandich hat 109 Patente für technische
Erfindungen mit Erteilungsdatum, Patentinhaber und
Gegenstand für die Zeit von 1475 bis 1549 ermittelt.(4) Eine Tabelle habe ich hier: Venezianische Patente von 1475-1549
Hier nochmal der Text (5) des Gesetzes von 1474. (Die Übersetzung bei Zulehner weicht etwas ab von der bei Berkenfeld)
MCCCCLXXIIII die XVIIII Martij.
El Sono in questa
Cita, et anche ala zornada per la grandeza et bonta soa
concorre homeni da diuerse banda, et accutissimi Ingegni,
apti ad excogitar
et trouar varij Ingegnosi atrificij. Et sel fosse
prouisto, che le opere et artificij
trouade da loro, altri viste che le hauesseno, non
podesseno farle, et tuor lhonor
suo, simel homeni excercitariano lingegno, troueriano, et
fariano dele chosse,
che sariano de non picola talita et beneficio al stado
nostro. Pero L andara parte
Che per autorita de questo Conseio, chadaun che fara in
questa cita algunouo
et ingegnosco artificio, non facto perauanti nel dominio
nostro, Reducto chel sara a
perfection, Siche el se possi vsar et exercitar, sia
tegnudo darlo in nota al officio
di nostri Prouededori de Comun. Siando prohibito a
chadaun altro in alguna terra
e luogo nostro, far algun altro artificio, ad Imagine et
similtudine de quello, senza
consentimento et licentia del auctor, fino ad anni X. Et
tamen se algun el fesse,
L auctor et Inuentor predicto, hibia liberta poderlo
citar achadaun officio de
questa cita, dal qual officio, el dicto, che hauesse
cotrafacto, sia astreto apagarli
ducati Cento, et l'artificio, subito sia desfacto. Siando
pero in liberta de la nostra Signoria
ad ogni suo piaxer, tour et vsar ne i suo bisogni chadaun
di dicti artificij, et
Instrumenti, Cum questa pero condition, che altri cha i
auctori non li possi exercitar.
de parte 116
de non 10 -------non sinceri 3.
In dieser Stadt gibt es und kommen auch dank ihrer Größe und Bedeutung nur zeitweilig aus verschiedenen Orten Personen mit scharfsinnigem Geist, die imstande sind, verschiedene erfinderische Vorrichtungen auszudenken und zu erfinden. Wäre es überdies (weiters) vorgesehen, daß andere, welche die von ihnen (jenen) erfundenen Werke und Vorrichtungen gesehen hätten, diese Werke nicht ausführen (dürften) können, so würden die Personen ihren Geist anstrengen (schärfen) und Dinge erfinden und ausführen, die für unseren Staat von nicht geringer Nützlichkeit und Wohltat wären. Daher wird das Gesetz beantragt, daß jeder, zufolge der Autorität unseres Konsiliums, der in dieser Stadt irgendeine neue und erfinderische in unserem Verwaltungsbereich früher noch nicht ausgeführte Vorrichtung schafft, dieselbe, sobald sie soweit vervollständigt ist und daher benützt und ausgeführt werden kann, dem dafür vorgesehenen Amte unserer Gemeinde zur Kenntnis bringen könne (solle). Es sei sodann jedem anderen (gleichgültig wo) in unserem Gebiete verboten, bis zu einem Zeitraum von zehn Jahren ohne Zustimmung und Lizenz des Autors irgendeine andere Vorrichtung von derselben oder ähnlichen Form (Art) auszuführen. Sollte sie aber trotzdem jemand ausführen, so soll der Erfinder und genannte Autor die Freiheit haben, denselben vor irgendein Amt dieser Stadt zu laden, welches denjenigen, welcher eine solche Vorrichtung ausgeführt hat, veranlassen wird ihm hundert Dukaten zu bezahlen und die Vorrichtung sofort zu vernichten. Es sei weiters unserem Senat nach eigenem Ermessen die Freiheit überlassen, jede dieser (so geschützten) Erfindungen und Instrumente für ihren Bedarf zu nehmen und zu benützen, jedoch unter der Bedingung, daß sie niemand anderer als der Erfinder herstellen darf.
Dafür: 116
Dagegen: 10
Unsicher: 3
(1) Text aus: Erich
Berkenfeld, "Das älteste Patentgesetz der Welt", GRUR
1949, Nr. 5, Seite 139-142
Beim Provveditori di Comun handelt es sich um eine im Jahr 1312
entstandene Behörde, die für Straßen und andere öffentliche
Plätze zu sorgen hatte. Fußnote bei Berkenfeld, Seite 140
(2) Theobald,
"Galilei als Patentanmelder", GRUR 1928, Seite 726-730
Ausführlich mit Fotos des Patentgesuches und der Urkunde in:
Theobald, Ein Venezianisches Patent Galileo Galileis, Beiträge
zur Geschichte der Technik und Industrie, Jahrbuch des Vereins
deutscher Ingenieure, Bd. 17, Berlin 1927, Seite 24-29
(3)
Contarini, venezianisches Patriziergeschlecht, eine der
ältesten und vornehmsten Familien, aus der acht Dogen
hervorgingen, u. a. Domenico Contarini, Doge 1042-70, der Grado
für Venedig gewann und den Bau der Markuskirche veranlaßte.
aus Brockhaus, 19. Aufl.
(4) Giulio Mandich, Venetian
Patents (1450-1550), Journal of the Patent
Office Society (JPOS),
1948,
März, Seite 166-224
(5) Bild, Original Text und
deutsche Übersetzung entnommen aus:
Zur Geschichte des Patentrechtes, von Vors. Rat des Patentamtes
Hofrat Dipl. Ing. Josef Zulehner
in: 60 Jahre Österreichisches Patentamt 1899 - 1959, Verlag des
Österreichischen Patentamtes, Wien, 1959, Seite 193-198