web.archive.org

M A K o n l i n e

DAS SPIEL DER MÄCHTIGEN. Heidulf Gerngross archistriert Franz West's Nageltower. Mit Hofstetter Kurt und Angelo Roventa

In der für das MAK entwickelten Ausstellung „Das Spiel der Mächtigen“ ist eine Skulptur von Franz West, einem der international bedeutendsten österreichischen Künstler mit Hang zur Hinterfragung gesellschaftlicher Normen und performativ-situationsgebundener künstlerischer Produktion, Gegenstand einer kaleidoskopartig angelegten Untersuchung. Ausstellungsinitiator Heidulf Gerngross beschreibt sich in seiner Herangehensweise und Arbeitsmethode als „Archistrator“; mit der Analogie zum Orchester oder zum Dirigenten erfasst er den trans diszi plinären Ansatz in Kommunikation und Kooperation als integralen Bestandteil von Architektur im kulturellen Diskurs.

In der Schau archistriert Gerngross, indem er die Potenziale unterschiedlicher Protagonisten zu einer losen Gruppe zusammenfasst und ein Szenario gestaltet, das die autonome Struktur des Kunstwerks im Sinne eines gemeinschaftlichen Gedankens temporär erweitert. Neben eigenen Arbeiten, die mit dem Motiv des Turms spielen, zeigt Gerngross als Impulsgeber eine Vielzahl von Beiträgen verschiedener Künstler und Architekten als „Anmerkungen“ zur Skulptur „Der Nagel“ (2003) von Franz West. Diese Skulptur, die Gerngross als

werden und als soziales Mobile im Sinne einer Übertragung des Networking-Gedankens auf die Idee des Bauwerks; dabei fasst er den Begriff „Bauwerk“ als Projekt mit Werkcharakter auf, frei von Kategorisierung und Wertung hinsichtlich des Mediums. In seiner konzeptuell geprägten Praxis verortet Gerngross das Feld der Architektur im unmittelbaren Kontext von bildender Kunst, Musik und Literatur. Seit den 1960er Jahren entwickelt er Architektur als universelles Lebensmodell und setzt sich in seinen künstlerischen Arbeiten mit dem Wechselverhältnis von Ästhetik und Ethik auseinander. Zwischen 1968 und 1978 konzipierte er mit dem „Volksbuch“ den weltweit ersten Computerroman, wofür Gerngross das „Raum alphabet“, ein autonomes architektonisches System, erfand. Um 1995 definierte er den „Archiquanten (Architekturteilchen zur Proportionierung architektonischen Machens)“, eine neue geometrische Figur.

In seiner Architekturauffassung verbindet Gerngross Städtebau, Architektur und Design, wobei er sich mit seinen Arbeiten oftmals auch außerhalb des architektonischen Rahmens positioniert. Zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge und ausgeführte Projekte


Ausstellungsansichten "DAS SPIEL DER MÄCHTIGEN. Heidulf Gerngross archistriert Franz West's Nageltower.
Mit Hofstetter Kurt und Angelo Roventa" MAK-Ausstellungshalle. Linkes Bild: Hofstetter Kurt, Peter Noever,
Heidulf Gerngross

essenzielle Form betrachtet, gibt ihm die Möglichkeit, seine Idee des Entstehungsprozesses von Architektur sicht bar zu machen. So wird Franz West zum „genialen Form geber“. Der Künstler und Mathematiker Hofstetter Kurt findet mit der dynamischen und asym metri schen Form „Elementarwelle“ (2008/2009) eine Struktur, die in Folge von Gerngross als Fassadengeometrie angewandt wird; Architekt Angelo Roventas Installation „Elastisches Wohnen“ (2009) zum Thema „zeiträum liches Wohnen“ fungiert als komprimierter Wohnraum aus variablen Elementen und Möbeln, während Milan Mijalkovic von Wests Objekt zu einer ikonografisch aufgeladenen Architektur in spiriert wird. Heimo Zobernig untersucht mit der präzisen Negativform „Der Nagel“ programmatisch die Thematik des erweiterten Skulpturenbegriffs und formuliert damit ein diskursives Statement. Gerngross’ vielschichtige Interpretation der Begriffe Autorenschaft und Autorität im „Spiel der Mächtigen“ spiegelt auch die Toleranz und Sensibilität für Unterschiede wider. Der Raum bleibt offen für Heterogenität und Pluralität, wobei die Unvereinbarkeit der Mög lichkeiten als kreatives Potenzial begriffen wird. Mit seinem – räumlich gedachten – Gesamtkonzept schafft Gerngross ein offenes ästhetisches System, das Kunst und Kultur alsprozess haften und authentischen Akt versteht mit der Auflage des Selbstdesigns.

Heidulf Gerngross zählt zu den unkonventionellsten Protagonisten der Wiener Szene. Er kann als Architekt mit Neigung zum „Gesamtkunstwerk“ beschrieben

wie das Printmedium ST/A/R – Städteplanung / Architektur / Religion, das er als erweiterten architektonischen Raum begreift, zeigen dies ebenso wie sein Beitrag „Casa Privata“ bei der Architektur Biennale 2002 in Venedig.

Heidulf Gerngross wurde 1939 in Kötschach/Kärnten geboren. Er studierte Architektur an den Technischen Universitäten Wien und Graz sowie Urban Design an der University of California, Los Angeles. Zu seinen wichtigsten Initiativen zählen die Gründung des Architekturbüros Gerngross-Richter (1976, mit Helmut Richter), die Gründung des Büros Gerngross (1988), die Gründung des Büros Gerngross ST/A/D (1992, mit Robert Schwan) und die Gründung der Gerngross-Werkstatt Wien (1997). Er realisierte u. a. die erste Wiener Loftsiedlung (1996–1997) und die Friedrich-Kiesler-Schule in Wien (1996–1998). 2008 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Architektur. Seit 2003 ist er der Heraus geber des Printmediums ST/A/R – Städteplanung, Architektur, Religion. Zudem nahm Gerngross an zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen teil: steirischer herbst (1979, mit VALIE EXPORT und Helmut Richter); Ars Electronica (1980); „liquid künstlerhaus“, Künstlerhaus Wien (2001); „Heidulf Gerngross. Architekturperformance“, MUMOK Wien (2001); „A Design Now: Contemporary Design in Austria“, Austrian Cultural Forum New York (2003); „Franz West im Gespräch mit Heidulf Gerngross“, Kunsthaus Bregenz (2004); „Die Enzyklopädie der wahren Werte“, forum experimentelle architektur, Künstlerhaus Wien (2005).



„DAS SPIEL DER MÄCHTIGEN. Heidulf Gerngross archistriert Franz West’s Nageltower. Mit Hofstetter Kurt und Angelo Roventa“ entstand in Kooperation mit Rieder Smart Elements, Vasko+Partner Ingenieure und der Werkstatt Wien – Spiegelfeld Architektur Management. Dank gilt auch dem Rumänischen Kulturinstitut, Wien, für seine freundliche Unterstützung.
Ausstellung: Heidulf Gerngross, Peter Noever
Kuratorin: Bärbel Vischer
Ausstellungsorganisation:Sabrina Handler

Dauer der Ausstellung: 2.12.2009–10.1.2010
MAK-Ausstellungshalle


[zurück]