„Ich muss flexibel sein“
Dieser Tage läuft Spike Lees neuer Film Inside Man mit Jodie Foster, Clive Owen und Denzel Washington in den Hauptrollen in den Kinos an. Zeitgleich erscheint im Berliner Bertz+Fischer Verlag mit „Spike Lee“ das erste deutschsprachige Buch über sein Oeuvre.
Lee, der mit bürgerlichem Namen Shelton Lee heißt, wurde am 20. März 1957 in Atlanta, Georgia, geboren und gilt als Ikone des neuen schwarzen amerikanischen Kinos. Den weltweiten Durchbruch schaffte er 1989 mit dem kontroversiellen Streifen „Do the Right Thing“, der das Thema Alltagsrassismus in den USA mit einer revolutionären Ästhetik behandelte. Schon zuvor hatte Lee als Filmstudent mit Werken wie „Joe’s Bed-Stuy Barbershop: We Cut Heads“ und „She’s Gotta Have It“ für Aufsehen gesorgt.
Bis heute hat der Sohn eines Jazzmusikers und einer Lehrerin bei 38 Filmen Regie geführt und 32 (mit)produziert, unter anderem „Malcolm X“ und „25th Hour“: Für einen schwarzen Filmemacher in den USA ein einzigartiges Gesamtwerk.
Mister Lee, dieser Tage kommt Ihr Thriller „Inside Man“ in die Kinos. Wovon handelt der Film?
Er handelt vom perfekten Bankraub. Und von persönlicher Verantwortung. „Inside Man“ wird meine vierte Zusammenarbeit mit Denzel Washington gewesen sein. Darüber bin ich sehr glücklich.
Persönliche Verantwortung ist ein Motiv, das sich durch fast alle Ihrer Filme zieht, ob in „Do the Right Thing“, „We Cut Heads“, „25th Hour“, „Sucker Free City“ oder „She Hate Me“. Warum ist das Ihr Thema?
Die Frage der Verantwortung muss jeder Künstler für sich entscheiden. Ich selbst empfinde als afroamerikanischer Filmemacher große Verantwortung. Aber mir geht es nicht darum, Themen zu platzieren, sondern Geschichten zu erzählen. Das ist das Beste, was ein Regisseur machen kann.
Aber Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten, dass Ihre Filme keine politische Dimension hätten.
Ich habe immer versucht, mich weiterzuentwickeln. Ich denke heute mehr nach, bevor ich handle.
Sind Sie vorsichtiger geworden?
Ich denke mir nicht: Spike, welche Kontroverse kannst du jetzt aufreißen? Die Filme, die ich gemacht habe, bestehen aus Geschichten, die mich interessieren. That’s it.
Die Rezeption Ihrer Filme …
Darum kümmere ich mich nicht.
Aber Sie können sich doch nicht einer öffentlichen Rezeption entziehen!?
Das sehe ich nicht so.
Trotzdem scheint es, als würden Ihnen Kritikermeinungen und das öffentliche Echo auf Ihre Filme nicht egal sein. Wenn ein neuer Film anläuft, sind bestimmte Reaktionen vorprogrammiert. Das Ganze hat eher den Charakter eines Spiels …
Ein Spiel? Meinen Sie? Die Kritiker kritisieren zumeist nicht meine Filme, sondern mich. Sie bedienen Bilder, die sie selbst geschaffen haben: Spike Lee als bizarre Person. Das ist ziemlich frustrierend, weil sich die Leute dann nicht mehr für die Filme interessieren.
Vielleicht, weil Ihre Filme nicht nur Geschichten erzählen, sondern immer auch prononcierte Kommentare liefern.
Ja, weil man sich ständig auf Filme wie „Jungle Fever“ und „Do the Right Thing“ bezieht. Darin geht es um Rassismus, und das ist sicherlich eines der wichtigsten Themen in den USA. Aber es ist nicht das einzige Thema und auch nicht mein einziges Thema.
Aber Sie haben doch sicher bestimmte Thesen, bestimmte Vorstellungen im Kopf, wenn Sie anfangen zu schreiben …
Wie gesagt, mir geht es um Geschichten. Wenn mir ein gutes Buch unterkommt, dann verfilme ich es. Aber nicht, weil ich nicht mehr selbst schreiben würde. Ich habe eine ganze Menge an Drehbüchern und Treatments in der Schublade.
Sie sind sehr vielseitig. Sie haben etwa auch Musikclips für Eros Ramazzotti und Luciano Pavarotti gedreht …
Ich habe kein Video für Eros Ramazzotti gemacht, sondern Regie bei einer seiner Shows geführt. Ich arbeite gerne mit Künstlern, und sie gerne mit mir. Ich habe viele Musikclips gemacht. Ich sehe mich als Filmemacher – das heißt nicht, dass man nur Spielfilme dreht. Ich habe Dokumentarfilme gemacht, ich besitze meine eigene Werbeagentur. Das sind alles verschiedene Ausprägungen von Kino – egal ob es dabei um einen Dreißig-Sekunden-Spot für Nike oder um einen Dreieinhalb-Stunden-Kinofilm wie „Malcolm X“ geht.
Ist Eros Ramazzotti in den USA bekannt?
Nein. Aber man hat mir ein Band mit einem Song geschickt, der mir gefallen hat. Ich habe in Italien eine große Anhängerschaft.
Wie wichtig ist Europa für Sie?
Sehr wichtig. In Europa hat alles angefangen. „She’s Gotta Have It“ wurde dort zuerst rezipiert.
Wie sehr sind Sie vom europäischen Kino beeinflusst? Der Stil von „We Cut Heads“, Ihrer Abschlussarbeit an der Filmakademie, weist Züge des italienischen Neorealismus auf. Und im Büro Ihrer Produktionsfirma 40 Acres & A Mule hängt ein Poster von Vittorio de Sicas „Fahrraddieben“ …
Ich glaube, mehr Einflüsse sind bei „She’s Gotta Have It“ zu erkennen. Ich denke dabei an den Schnitt, an Jump Cuts, an „Außer Atem“, an Jean-Luc Godard. Die Werke des Neorealismus sind tolle Filme. Aber meine Filme bestehen aus unterschiedlichen Stilen. Es gibt Szenen, die man naturalistisch, und andere, die man impressionistisch oder expressionistisch nennen würde. Das geht Hand in Hand. Wir hatten nie eine Scheu davor, Stile zu vermischen.
Im ersten deutschsprachigen Buch über Sie, das dieser Tage erscheint, hat Sheril D. Antonio ein Kapitel mit dem Titel „From Self-Empowerment to Assimilation“ verfasst. In der deutschen Sprache ist das Wort „Assimilation“ bis auf wenige Ausnahmen negativ besetzt. Wie sehen Sie die im Titel angesprochene Entwicklung?
Als Afroamerikaner ist das Teil unserer Erfahrung. Wir mussten uns assimilieren. Es kommt aber darauf an, wie sehr man sich assimiliert, um nicht seinen Geist, seine Seele zu verlieren. Wie William Edward Burghardt DuBois sagt: Wir sind ehemalige Sklaven aus Afrika. Amerika war ursprünglich nicht unser Land. DuBois hat den Begriff der Dualität geprägt, wonach wir Afrikaner und Amerikaner sind.
Folgt die Entwicklung Ihrer Arbeit dieser Bewegung „From Self-Empowerment to Assimilation“?
Ich weiß nicht, ob ich diese Frage beantworten kann. Aber eigentlich ist es ganz einfach. Wir haben uns immer all jener Mittel bedient, die wir brauchten, um dort hinzukommen, wo wir hinwollten: in der Lage zu sein, Spielfilme zu machen, Leuten vor oder hinter der Kamera Arbeit zu geben.
Wie hat sich die Situation in den vergangenen zwanzig Jahren, also seit Sie Ihren ersten Spielfilm gedreht haben, verändert?
Ich bin glücklich verheiratet und habe zwei Kinder. Das macht einen großen Unterschied.
Haben sich in der Filmindustrie ähnlich große Veränderungen eingestellt?
Im Sinn von Kontinuität, ja. Wir haben in den vergangenen zwanzig Jahren jedes Jahr einen Film fertig gestellt. Das ist und war nicht leicht. Es wurde zunehmend schwerer, Projekte durchzubekommen. Die Filme, die die Studios gerne mit Afroamerikanern machen würden, sind nicht die meinen.
Die Rollen, die Afroamerikanern heute angeboten werden, sind vielfältiger geworden. Andererseits wurde schwarze Populärkultur heftig kommerzialisiert, in ihren Facetten und in ihren emanzipatorischen Ansprüchen ärmer. Überspitzt gefragt: Regiert statt Public Enemy heute der Gangsta-Rap von 50 Cent?
Ich habe keine Antwort darauf. Was wir versuchen, ist, interessante Geschichten durch interessante Zugänge zu erzählen. Das klingt vielleicht simpel, aber so ist es. Und es wurde eindeutig schwerer, Filme zu realisieren. Ich weiß nicht, ob ein Studio heute noch einen Film wie „Do the Right Thing“ produzieren würde.
Wäre ein Film wie „Do the Right Thing“ heute ein Thema?
Ich bin mir nicht sicher. Das Klima hat sich stark verändert. Wir haben heute ein viel konservativeres Klima.
Inwiefern? Haben sich nicht trotz eines unbestreitbaren konservativen Backlashs auch Zugänge geöffnet?
Überhaupt nicht.
Vielleicht finden Entwicklungen ja zeitgleich statt. Auf einer repräsentativen Ebene wie der letzten Oscar-Verleihung waren viele Afroamerikaner zu sehen.
Ja, aber das hat doch nichts mit Filmthemen zu tun.
Womit dann?
Im Film entwickeln sich die Dinge ja zum Besseren. Das kann man nicht leugnen. Man braucht sich nur anzusehen, wie viele Afroamerikaner für Oscars nominiert wurden. Es gibt Fortschritte, kein Zweifel.
Welcher Art sind diese Fortschritte, wenn Sie zugleich sagen, dass Sie Filme wie „Do the Right Thing“ heute vielleicht nicht mehr machen könnten?
Das ist sehr simpel. Hollywood ist stärker daran interessiert, Schwarze als Schauspieler zu engagieren. Aber wir bewegen uns hier auf Treibsand, denn zugleich wurden die Themen und Rollen für Afroamerikaner nicht verbreitert. Da ist man dann schnell wieder bei HipHop oder Ähnlichem, also bei ethnischen Zuschreibungen, und zugleich bei der Ausbeutung schwarzer Erfahrungen.
Würden Sie es als Schritt vorwärts bezeichnen, dass heutzutage Regisseure wie Antoine Fuqua oder F. Gary Gray große Hollywoodfilme machen, ohne dass es dabei zum Thema wird, dass sie Afroamerikaner sind?
Ich glaube, die große Mehrheit des Publikums hat gar nicht registriert, dass mit F. Gary Gray der Regisseur von „The Italian Job“ ein Afroamerikaner ist. Das Gleiche gilt für „Training Day“ oder „King Arthur“ von Antoine Fuqua. Das ist sicher ein Fortschritt.
Dass Hollywood Afroamerikaner aber immer noch gerne in bestimmte Rollen – zum Beispiel in Komödien wie „Barber Shop“ oder „Soul Plane“ – steckt, sieht diese Mehrheit nicht.
Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle dabei, Hollywood ein Stück weit für Afroamerikaner geöffnet zu haben?
Wir waren Rolemodels, schwarze Jugendliche, die plötzlich Filmregisseure werden wollten. Wir haben tatsächlich etwas losgetreten. Leuten wie Ernest Dickerson oder Barry Brown ging es vor allem darum, Filme zu machen, die wir selbst sehen wollten. Aber das waren wir nicht allein. Das waren schon Gründerpersönlichkeiten wie Oscar Micheaux, Gordon Parks, Ossie Davis, Melvin van Peebles, Michael Schultz. Dann kamen „She’s Gotta Have It“ und Robert Townsends „Hollywood Shuffle“, die das so genannte New Black Cinema eingeleitet haben. Danach folgten Leute wie John Singleton und die Brüder Hughes.
Enttäuscht es Sie, was in den Neunzigern folgte: eine neue Art von „Neighbourhood“-Film, wenn auch mit größerer Beteiligung von Afroamerikanern als in den Siebzigern?
Auf gewisse Art war das sicher enttäuschend. Es war Singletons „Boyz N the Hood“, der dieses neue Genre aufbrachte. Hollywood hat sich sofort darauf gestürzt und produziert solche Filme ohne inhaltliche oder formale Weiterentwicklung bis heute weiter. Der beste Film der letzten Jahre kommt aus Brasilien. „City of God“ stellt für mich eine direkte Verbindung her zu „Boyz N the Hood“ und „Mean Streets“. Da wurde ein Thema intelligent weitergedacht.
Eine Frage, die immer wieder diskutiert wird – unter Afroamerikanern vielleicht mehr als unter Weißen –, ist, was Black Cinema heute eigentlich ausmacht.
Ich verstehe, dass Sie diese Frage stellen müssen. Black Cinema existiert, kein Zweifel. Wenn Sie mich allerdings fragen, welche Kriterien dabei zu erfüllen sind, kann ich Ihnen das nicht sagen. Das ist nicht meine Aufgabe. Wir wollten uns damals vorarbeiten, wollten es Afroamerikanern ermöglichen, einen Fuß in die Industrie zu bekommen. Wir wollten ein Publikum erreichen, unser Publikum. Wir wollten zumindest den Break-even erreichen, um weitere Filme zu machen. Unsere Arbeit ist noch nicht fertig.
Warum ist es Ihnen so wichtig, mindestens einen Film pro Jahr fertig zu stellen?
Als ich anfing, gab es viele unabhängige schwarze Filmemacher, die einen sehr guten Film fertig gestellt hatten und dann vier, fünf Jahre warten mussten, bis sie den nächsten machen konnten. Nichts für mich. Abgesehen davon wusste ich: Je mehr Filme ich drehen kann, umso mehr Erfahrungen bringt mir das. Umso besser kann ich werden und umso mehr Schauspieler und Filmschaffende kann ich kennen lernen.
Ich habe mich immer als jemanden gesehen, der den einen Fuß im Independent-Bereich hat, den anderen in den Türen der Studios. Das ist bis heute meine Vorstellung davon, wie ich Filme machen möchte. Und das hat bis jetzt auch funktioniert. Ich muss flexibel sein. Das ist auf eine andere Art schwierig, weil ich nicht bereit bin, Abstriche zu machen.
Ihren Filmen wird stets ein gerüttelt Maß an Didaktik unterstellt. Wollen Sie Ihre Zuschauer bilden?
Bildung ist mir sehr wichtig. Ich habe das Morehouse College in Atlanta, Georgia, besucht, wie zuvor mein Vater und davor mein Großvater. Meine Mutter und meine Großmutter waren Lehrerinnen, auch einige Onkel und Tanten hatten diesen Beruf. Unsere Familie hat eine lange Tradition in Bildungsinstitutionen. Ich selbst bin seit ein paar Jahren Artistic Director an der Film School der New York University.
Aber Menschen durch Ihre Filme Bildung zu vermitteln, ist doch etwas anderes.
Ich würde nicht sagen, dass ich sie bilde oder erziehe. Ich möchte, dass die Leute anfangen, nachzudenken – dass sie einen Dialog initiieren.
Haben Sie eine Botschaft?
Das kann man so nicht sagen. Meine Filme sind ganz unterschiedlich. Es hängt immer davon ab, was Menschen in Filmen sehen wollen oder können. Die Filmtheorie dazu interessiert mich aber nicht.
Der Filmjournalist und Autor Gunnar Landsgesell ist gemeinsam mit Andreas Ungerböck Herausgeber des Bandes „Spike Lee“, der in der Reihe Film 14 des Verlags Bertz+Fischer erschienen und ab sofort im gut sortierten Buchhandel erhältlich ist.