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Anklage für das Bundesstrafgericht unbegründet: Durchwegs Freisprüche im Crossair-Prozess

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  • ️Fri May 16 2008

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Mit vollumfänglichen Freisprüchen für alle sechs angeklagten Kadermitglieder der Crossair ist der Prozess vor Bundesstrafgericht im Zusammenhang mit dem Flugzeugunglück von Bassersdorf am Freitag zu Ende gegangen. Die Anklage sei unbegründet, befanden die Richter. Die Angeklagten reagierten erleichtert.

  • 16.5.2008, 13:26 Uhr

Crossair-Gründer Moritz Suter in Bellinzona.

Crossair-Gründer Moritz Suter in Bellinzona. (Bild: Reuters)

met. Bellinzona, 16. Mai

Das Flugzeugunglück bei Bassersdorf am 24. November 2001 hat keine strafrechtlichen Folgen. Das in Dreierbesetzung tagende Bundesstrafgericht in Bellinzona ist nach zwei Wochen dauernder Verhandlung und der Anhörung von 25 Zeugen zur Überzeugung gelangt, die in der Anklageschrift aufgeführten Handlungen beziehungsweise Unterlassungen der sechs Angeklagten, darunter Crossair-Gründer Moritz Suter und der ehemalige CEO André Dosé, stünden nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Absturz. Deshalb sprach das Gericht vollumfängliche Freisprüche von der Anklage der fahrlässigen Tötung in 24 Fällen aus. Die Kosten des Verfahrens gehen zulasten der Bundeskasse, und den sechs Freigesprochenen werden Entschädigungen zwischen 161 500 und 111 000 Franken – total rund 850 000 Franken – zugesprochen, der Löwenanteil für die Kosten der Verteidigung. Die Anklage hatte für Suter und Dosé Bewährungsstrafen von je zwei Jahren und für die vier weiteren Angeklagten von 18 beziehungsweise 12 Monaten gefordert.

Widerlegte Anklagepunkte

Gerichtspräsident Walter Wüthrich begründete den Urteilsspruch kurz mündlich; die schriftliche Version soll innert Wochen oder Monaten folgen. Es sei im Prozess nicht darum gegangen, das Unglück zu «saldieren», Rache zu üben oder nach von der Politik zu verantwortenden Fehlern zu suchen. Zu prüfen sei einzig gewesen, ob das in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft (BA), vertreten durch Staatsanwalt Carlo Buletti, genannte Fehlverhalten der sechs Angeklagten zutreffe. Das Ergebnis ist klar ausgefallen. Wüthrich sagte, das Crossair-interne Rapportwesen (über fliegerische Zwischenfälle) sei spätestens seit 1998 zweckmässig organisiert gewesen. Einschüchterungen zur Unterdrückung von Meldungen habe es, jedenfalls in rechtlich relevantem Umfang, nicht gegeben. Der Vorwurf der von Suter und Dosé angeblich gepflegten «Angstkultur» im Unternehmen sei nicht erwiesen. Das Gleiche gelte für den Vorwurf einer personell unterdotierten Flugsicherheits-Stabsstelle.

Keinen ursächlichen Zusammenhang mit dem Unglück von 2001 fand das Gericht auch im Vorwurf der «aggressiven Expansionspolitik» Suters. Die Crossair, das habe auch der Zeuge André Auer, damals Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (Bazl), bestätigt, sei zweckmässig organisiert gewesen. Die Sicherheitsempfehlungen des Bazl nach dem Absturz von Nassenwil seien im Unternehmen entgegen der Darstellung der BA unverzüglich umgesetzt worden. Auch bezüglich des Verhaltens und der Eignung des bei Bassersdorf ums Leben gekommenen Captains Hans-Ulrich Lutz kam das Gericht zu einer anderen Beurteilung als der Ankläger. Zwar treffe es zu, dass der Pilot 1991 einmal einen Checkflug nicht bestanden habe. Daraus aber eine «ewige Unfähigkeit zum Pilotieren» abzuleiten, gehe nicht an. Und nach der fehlgeschlagenen Umschulung auf den Jet MD-80 sei Lutz internationalen Standards gemäss auf die Saab 340 zurückgeschult worden, die er vor dem Unglück während fünf Jahren klaglos operiert habe.

Wüthrich bezeichnete die Anklage durchwegs als unbegründet. Einschränkend hätten sich im Weiteren die Verjährungsregeln ausgewirkt; was vor dem 16. Mai 2001 geschehen sei – und das betreffe zahlreiche Punkte der Anklage –, habe das Gericht deshalb nicht untersuchen müssen. Diplomatisch äusserte sich der Vorsitzende zur von den Verteidigern hart kritisierten Qualität der Anklageschrift: Angesichts des klaren materiellen Ergebnisses habe es sich erübrigt, zu prüfen, ob diese den gesetzlichen Anforderungen genüge.

«Unfälle passieren auch den Besten»

Moritz Suter zeigte sich nach dem Urteil erleichtert. Die Jahre seit Bassersdorf seien belastend gewesen. Er sei der Überzeugung, dass Lutz kein schlechter Pilot gewesen sei. Unfälle könnten auch den Besten unterlaufen. Für den Crossair-Gründer ist mit dem Urteil der Fall abgeschlossen; er sei kein «rachsüchtiger Mensch». Die Bundesanwaltschaft teilte am Abend schriftlich mit, sie sei sich von Anfang an bewusst gewesen, dass die Beurteilung des Falles schwierig sei. Sie nehme Kenntnis vom Urteil und werde sich nach «eingehender Analyse» der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden, ob sie dieses an das Bundesgericht weiterziehen werde. – Ein unschönes Detail war kurz vor der Urteilseröffnung bekannt geworden: Ein nebenamtlicher Untersuchungsleiter des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU), der an den Abklärungen zu Bassersdorf beteiligt war, betätigte sich vor dem Prozess entgegen den Vorschriften und Abmachungen auch als Gutachter zuhanden der Verteidigung. BFU-Chef Jean Overney hat das Vertragsverhältnis angesichts dieses Vertrauensbruchs vor rund zehn Tagen aufgelöst.

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