Deutsche Biographie - Lampert von Hersfeld
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Genealogie
Aus einer nicht unbegüterten, viell. sogar adeligen Fam., die vermutl. in Franken ansässig war.
Leben
An der Domschule zu Bamberg wurde L. zum Geistlichen erzogen. Die Schule stand unter der Leitung Annos, des nachmaligen Erzbischofs von Köln, dem L. zeit seines Lebens ein verehrungsvolles Andenken bewahrte. Zu seinen Studiengenossen dürfte auch Meinhard von Bamberg gehört haben. Von L.s fortdauernder Verbundenheit mit Bamberg legen die zahlreichen Nachrichten über Bamberger Ereignisse in seinen „Annalen“ ein beredtes Zeugnis ab. Am 15.3.1058 trat er, bekehrt durch den beispielhaften Lebenswandel des Abtes →Meginher († 1059), in das Kloster Hersfeld ein, um nicht – wie er selbst bekannte – auf Gottes Weg die Last weltlichen Besitzes schleppen zu müssen. Noch im Herbst desselben Jahres empfing er durch EB Liutpold von Mainz in Aschaffenburg die Priesterweihe. Von der religiösen Begeisterung angesteckt, welche noch vor Beginn der Kreuzzüge weite Kreise erfaßte, begab er sich unmittelbar darauf – ohne zuvor die Erlaubnis seines Abtes eingeholt zu haben – auf eine Pilgerfahrt nach Jerusalem, von der er erst übers Jahr (17.9.1059) zurückkehrte. In Hersfeld scheint L. eine Zeitlang die Klosterschule geleitet zu haben. Sowohl der Mönch Eckebert, der im|Auftrage des Hersfelder Abtes Hartwig eine Vita des hl. Haimerad von Hasungen schrieb, wie der anonyme Hersfelder Verfasser des „Liber de unitate ecclesiae conservanda“ dürften seine Schüler gewesen sein. 1071 unternahm L. eine Informationsreise nach Saalfeld und Siegburg, um die dort von Anno eingeführten neuen Gewohnheiten kennenzulernen. Bei aller Sympathie für die reformerischen Absichten des Kölner Erzbischofs sprach er sich jedoch für ein Festhalten an den altbewährten Grundsätzen des benediktinischen Mönchtums aus. Gegen Ende seines Lebens wirkte L. – wohl im Auftrage EB Siegfrieds von Mainz – bei der Umwandlung des Hasunger Stiftes in ein Kloster mit, dessen erster Abt er 1081 wurde. Noch vor dem Einzug der Hirsauer (1082), unter denen eine Hinwendung zu cluniazensischen Gewohnheiten erfolgte, scheint er hier gestorben zu sein.
In seinen Werken, der Lebensbeschreibung des Hersfelder Klostergründers Lul (1073), einer nur fragmentarisch überlieferten Geschichte des Klosters Hersfeld (1074/76) und vor allem in den „Annalen“ – ein weiteres zeitgeschichtliches Werk in Hexametern ist nicht erhalten –, verband er stilistische Meisterschaft mit einem ausgeprägten Sinn für dramatische Wirkung. Seine „Annalen“ stellen die wichtigste Quelle für die Geschichte →Heinrichs IV. bis zur Wahl des Gegenkönigs Rudolf im März 1077 und den beginnenden Investiturstreit dar. Das durch sie vermittelte negative Bild dieses Saliers, wie es insbesondere in der Darstellung der Ereignisse von Canossa zum Ausdruck kommt, hat das historische Bewußtsein der Nachwelt bis in unsere Tage geprägt. Dennoch war L. keineswegs ein Gregorianer. Seine Leitbilder entstammten vielmehr noch jener durch die Einheit von regnum und sacerdotium gekennzeichneten Epoche, die mit dem Tode Heinrichs III. zu Ende gegangen war. Seine antikönigliche Haltung, die einer die begrenzten Hersfelder Belange stets verallgemeinernden „mönchischen“ Betrachtungsweise entsprang, traf sich mit der der fürstlichen Opposition, als deren Sprachrohr er betrachtet werden darf. Die Tragweite der die Zeitgenossen bewegenden politischen und geistigen Auseinandersetzungen dagegen blieb außerhalb seines Gesichtskreises. Trotz dieser Einschränkungen ist L. nicht jener notorische Lügner gewesen, den die quellenkritische Forschung des 19. Jh. in ihm hat sehen wollen. Seine Zeitkritik, insbesondere seine Vorbehalte gegenüber der Person →Heinrichs IV., waren vielmehr bestimmt von der durchaus ernst zu nehmenden Sorge um den Bestand von Reich und Kirche.
Werke
Krit. Ed. d. erhaltenen Werke (Annales, Vita Lulli, Libellus de institutione Hersveldensis ecclesiae) v. O. Holder-Egger, Opera (MGH SS rer. Germ., 1894, Nachdr. 1956);
Editio princeps der Annalen u. d. T. Historiae Germanorum v. K. Kurrer, 1525;
Ausg. mit dt. Übers. v. A. Schmidt, erl. v.
W. D. Fritz, in: Ausgew. Qu. z. dt. Gesch. d. MA, Frhr. vom Stein-Gedächtnisausg. 13, 1957.
Literatur
ADB 17;
DW10, Abschn. 201/55;
L. v. Ranke, Zur Kritik fränk.-dt. Reichsannalisten: Über d. Ann. d. L. v. H., in: Abhh. d. Ak. Berlin, phil.-hist. Kl., 1854, S. 436-58, wieder in: ders., Sämtl. Werke 51/52, 1888, S. 125-49;
O. Holder-Egger, Über d. Vita Lulli u. ihren Verfasser, in: NA 9, 1884, S. 283-320;
ders., Stud. z. L. v. H., ebd. 19, 1894, S. 141-213, 369-430, 507-74;
Jbb. d. Dt. Gesch., Heinrich IV. u. Heinrich V., Bd. 1-2, bes. 2, S. 785 ff. mit d. Exkursen S. 791 ff. u. 857 ff.;
C. Erdmann, Stud. z. Brieflit. Dtld.s im 11. Jh., 1938, S. 113 ff.;
E. E. Stengel, L. v. H. d. erste Abt v. Hasungen, in: Festschr. f.
Th. Mayer II, 1955, S. 245-58, wieder in: ders., Abhh. u. Unterss. z. ma. Gesch., 1960, S. 342-59;
J. Semmler, L. v. H. u. Giselbert v. Hasungen, in: StMBO 67, 1956, S. 261-76;
T. Struve, L. v. H., Persönlichkeit u. Weltbild e. Gesch.schreibers am Beginn d. Investiturstreits, in: Hess. Jb. f. Landesgesch. 19, 1969, S. 1-123, 20, 1970, S. 32-142 (L);
ders., Zur Gesch. d. Hersfelder Klosterschule im MA, in: DA 27, 1971, S. 530-43;
U. Hoffmann, König, Adel u. Reich im Urteil fränk. u. dt. Historiker, Diss. Freiburg/Br. 1968, S. 110-61;
E. Müller-Mertens, Regnum Teutonicum, 1970, S. 225-55;
W. Eggert, Lampertus scriptor callidissimus, in: Jb. f. d. Gesch. d. Feudalismus 1, 1977, S. 89-120;
Manitius III;
Vf.-Lex. d. MA V;
Wattenbach-Holtzmann II, III.