Alzheimer-Demenz: Die Forschung steht unter Druck – Deutsches Ärzteblatt
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- ️Thu Feb 27 2025
105 Jahre nach Erstbeschreibung der Alzheimer-Erkrankung stehen viele Forschungsansätze auf dem Prüfstand – die Tiermodelle, die Hypothesen zur Krankheitsentstehung und auch die Therapieansätze.

Ernüchterung ist eingekehrt in der Alzheimer-Forschung, die sich seit etwa 25 Jahren mit den molekularen Grundlagen dieser Form der Demenz und den daraus abzuleitenden Therapiestrategien befasst. Weder kann der schleichende Verlust der Hirnfunktionen dauerhaft gestoppt werden, noch gibt es Klarheit über den Pathomechanismus. Natürlich gab es Fortschritte – kleine oder große, das kommt auf die Sichtweise und Interessenlage an –, aber dennoch stehen 105 Jahre nach Erstbeschreibung der Krankheit durch Alois Alzheimer viele Forschungswerkzeuge auf dem Prüfstand – die Tiermodelle, die Hypothesen zur Krankheitsentstehung und auch die Therapieansätze.
„Das Wissen um die – wenn auch sehr begrenzten – Therapiemöglichkeiten demenzieller Erkrankungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Es stehen heute eine Reihe nichtmedikamentöser Behandlungsformen und neu entwickelter Arzneimittel zur Verfügung, die das Fortschreiten kognitiver Störungen verzögern und dem Verlust an Alltagskompetenz entgegenwirken. Der große Durchbruch bei der Demenzbehandlung mit der Möglichkeit, den fortschreitenden degenerativen Prozess aufzuhalten, ist jedoch noch nicht gelungen“.
Amyloid-Hypothese wird zunehmend hinterfragt
Dieses Zitat aus der Gesundheitsberichterstattung (1) des Jahres 2005 trifft ebenso auf die Situation im Jahr 2011 zu, und auch die Feststellung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) aus dem Jahr 2009, wonach Alzheimer-Patienten nur von wenigen Therapien nachweislich profitieren können, bleibt vorerst gültig. Die Hoffnung auf neue Wirkstoffe, wie die Gamma-Sekretase-Inhibitoren, hat sich als trügerisch erwiesen: Eine große Phase-III-Studie mit Semagacestat, einem der aussichtsreichsten Kandidaten aus dieser Wirkstoffklasse, musste mangels Effektivität abgebrochen werden (4).
Die Substanz verhinderte zwar die Anhäufung von Amyloid-Plaques im Gehirn, steigerte aber nicht die geistigen Fähigkeiten der Probanden. Die klassische Therapiehypothese, wonach sich durch Abbau der Amyloide die Krankheit bessern sollte, wird zunehmend hinterfragt. Dennoch werden Medikamente gegen Beta-Amyloide mit Nachdruck weiterentwickelt, darunter mehrere Antikörper.
Derzeit stehen den Alzheimer-Patienten vier synthetisch hergestellte Wirkstoffe zur Verfügung: Die drei Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Rivastigmin und Galantamin sowie der NMDA-Antagonist Memantine. Sie können den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit verzögern und die Symptomatik etwas lindern. Auch Ginkgo biloba (vom IQWiG wurde Tebonin® geprüft) kann bei ausreichender Dosierung dazu beitragen, die Alltagsfähigkeiten zu verbessern.
Zusammen mit den nichtmedikamentösen Maßnahmen gibt es für die 1,3 Millionen Demenzkranken in Deutschland somit zwar eine ganze eine Reihe von Hilfsangeboten – die aber weder einzeln noch in der Summe eine effektive Demenztherapie ergeben. Die etwa 25 000 Forscher, die sich weltweit mit Fragen der Demenz befassen, stehen zunehmend unter Druck. Alle 20 Jahre verdoppelt sich der Anteil der Demenzkranken in der Bevölkerung, warnen die Autoren im Welt-Alzheimer-Bericht 2011 (5).
Schon jetzt seien 36 Millionen Menschen demenzkrank, heißt es dort, für das Jahr 2030 sei von 66 Millionen Betroffenen auszugehen. Die Angaben sind vage, weil von Land zu Land unterschiedliche Alzheimer-Diagnosekriterien zugrunde gelegt werden. Werden künftig Frühdiagnosen mit Hilfe von Biomarkern und Bildgebung früher als bisher gestellt, dürfte die Zahl der Patienten noch schneller ansteigen – und Kosten in Höhe des Bruttoinlandsproduktes einer mittelgroßen Volkswirtschaft verursachen.
Verfrühte Euphorie für eine Alzheimer-Impfung
Da die Erfolge der medikamentösen Therapie bisher dürftig sind, wird mit Hochdruck an einer Alzheimer-Impfung gearbeitet. Auch dieser Weg ist holprig: Bereits vor mehr als zehn Jahren wurde das Konzept einer aktiven Immunisierung entwickelt, bei der dem Patienten Fragmente der Alzheimer-Plaques zur Antikörper-Bildung injiziert werden, es wurde dann aber wegen schwerer Nebenwirkungen (Enzephalitis) relativ rasch wieder aufgegeben.
Um das Problem der Autoimmunität zu umgehen, setzten Wissenschaftler fortan auf die passive Immunisierung mit Antikörpern, die die Alzheimer-Plaques angreifen. Zurzeit laufen international 40 klinische Studien mit mehr als zehn verschiedenen Antikörpern und insgesamt mehr als 10 000 Patienten. Andere Impfstoff-Kandidaten werden noch im Mausmodell geprüft.
Parallel dazu wird weiter an einer aktiven Immunisierung geforscht. So hat Ende 2010 eine europäische Phase-II-Studie mit dem Impfstoff AD02 (Affiris AG, Wien) begonnen, an der 420 Probanden mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz teilnehmen sollen. Der Impfstoff besteht aus einem „kurzen“ Peptid-Antigen, das keine T-Zell-Antwort auslöst und das Risiko einer humoralen Autoimmunität reduziert. Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit werden Ende 2012 erwartet, sofern es mit der Rekrutierung der Probanden klappt.
Denn Menschen mit dem gesuchten Profil, besonders dem Frühstadium von Alzheimer, sind schwer zu finden, da sich kaum jemand auf eine beginnende Demenz untersuchen lässt. Und selbst wenn alles nach Plan läuft – vermutlich werden noch fünf bis sieben Jahre vergehen, bis die Vakzine anwendungsreif ist. Auch gibt es Zweifel, ob die Stimulierung der körpereigenen Abwehr zur Auflösung der Amyloid-Plaques der richtige Weg ist oder ob nicht beim Abtransport der „ruhenden“ Plaques mit beträchtlichen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Der künftige Stellenwert einer Immunisierung gegen Morbus Alzheimer ist daher kaum einzuschätzen.
Ohne Zweifel: Die bisherige Alzheimerforschung hat viel zum Verständnis der neuronalen und biochemischen Prozesse im Verlauf der Erkrankung beigetragen, jedoch relativ wenig zur Aufdeckung der grundlegenden Pathomechanismen. „Bei 99 Prozent der Alzheimerpatienten ist die Ursache für ihre Erkrankung unbekannt“, sagt etwa Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jens Pahnke von der Universität Rostock. Die sogenannte Beta-Amyloid-Kaskaden-Hypothese, wonach verklumpte Eiweißfragmente (Amyloide) den Neuronenabbau im Gehirn anstoßen, muss womöglich überarbeitet werden.
Auch ist nicht geklärt, welche Rolle das Tau-Protein bei der Krankheitsentstehung spielt. Dies mag erklären, warum die auf Amyloid und Tau fixierte pharmazeutische Forschung mit so herben Rückschlägen zu kämpfen hat – womöglich sind die genetischen und molekularbiologischen Zusammenhänge viel komplexer, als bisher angenommen. Zum Aufspüren bisher unbekannter, falsch interpretierter oder schlichtweg übersehener ätiologischer Faktoren könnten neue Tiermodelle nötig sein, deren Etablierung viel Zeit in Anspruch nehmen dürfte.
Fragen zum Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz sind ebenso von Relevanz wie die Untersuchungen zur intrazerebralen Zell-Zell-Kommunikation und zur mitochondrialen Energieversorgung der Hirnzellen (Interview).
Da wir in diesem Jahrzehnt kaum mit bahnbrechenden Erfolgen in der Therapie des Morbus Alzheimer rechnen können, richtet sich der bange Blick auf die Prävention – was wurde bisher unternommen, um (womöglich vermeidbare) Risikofaktoren zu identifizieren? Der Enthusiasmus in diesem Forschungsbereich hält sich in Grenzen, da der Hauptrisikofaktor für die Erkrankung nun einmal das höhere Lebensalter ist. Mit einer Prävalenz von 35 Prozent bei den über 90-Jährigen könnte es sich bei der Alzheimer-Demenz um einen normalen Alterungsprozess handeln, der bei manchen Menschen – aus bisher unbekannten Gründen – zu geistiger Verwirrung führt und bei anderen weitgehend symptomlos verläuft.
Eine häufig zitierte US-amerikanische Studie („Nonnen-Studie“) mit 678 Frauen im Alter von 75 bis 106 Jahren hatte gezeigt, dass die Menge an Amyloid-Plaques im Gehirn wenig Rückschlüsse auf die kognitive Leistungsfähigkeit zulässt (6). Etwa ein Drittel der Nonnen mit postmortal deutlich nachweisbarer Alzheimer-Neuropathologie wiesen zu Lebzeiten keine Demenzsymptome auf. Umgekehrt waren manche Nonnen dement, hatten aber keine krankhaften Ablagerungen im Gehirn. Studienautor Dr. David Snowdon von der Universität Kentucky vermutet auf Basis dieser Daten, dass insbesondere Schlaganfälle das Risiko für Alzheimer erhöhen und für die Entstehung einer Demenz mindestens ebenso entscheidend sind wie die zunehmende Plaquebildung.
Vorbeugen ist besser als das Warten auf Therapien
Zwei neue Studien stützen die These, dass sich das Risiko für Alzheimer-Demenz durch Modifikation des Lebensstils – und damit Absenkung des kardiovaskulären Risikos – senken lässt. So fand man in einer Metaanalyse von Daviglus M. et al. (7) drei Risikofaktoren für Alzheimer (Diabetes mellitus, Hyperlipidämie in der Lebensmitte, Nikotinkonsum) sowie fünf Faktoren, die das Erkrankungsrisiko statistisch senken (Mittelmeer-Diät, Folsäure-Substitution, geringer bis mäßiger Alkoholkonsum, kognitives Training, Bewegungsaktivität). Die Korrelationsstärke war jedoch durchweg gering.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Wissenschafter der Universität Kalifornien (8), die nach Durchsicht relevanter Studien sieben mögliche Risikofaktoren für Alzheimer-Demenz fanden: Diabetes, Bluthochdruck oder Adipositas in der Lebensmitte, Nikotinkonsum, Depression, kognitive oder körperliche Inaktivität sowie geringe Bildung. Allerdings lassen sich damit höchstens die Hälfte aller Alzheimer-Erkrankungen erklären, wie die Autoren einräumen.
Ein Team um Dr. Susanne Steinberg von der Universität Pennsylvania schlug einen anderen Weg ein: Sie beschrieben die Biografien von Menschen, die noch im hohen Alter geistig fit sind. Den Befragten gemeinsam war eine gewisse Zähigkeit, die sich in hohen Widerstandswerten gegen Stress, Angst, Depression und psychische Traumabelastung zeigte. Diese sogenannte Resilienz – bisher vorwiegend in Zusammenhang mit der Kindesentwicklung erforscht – könnte somit auch für die Weichenstellung im hohen Lebensalter noch eine Rolle spielen.
Dazu passt eine prospektive Longitudinal-Studie von Boyle et al., in der mehr als 900 geistig fitte, sich selbst versorgende Senioren regelmäßig nach ihrer Lebenseinstellung befragt wurden (10). Das Risiko für Alzheimer-Demenz war bei den Probanden, die einen Sinn im Leben sahen und Zukunftspläne hatten, um 52 Prozent (Hazard Ratio 0,48, p < 0,001) geringer als bei den Befragten mit eher negativen Erwartungen, wobei die Gruppen bezüglich Alter, Geschlecht und Bildung vergleichbar waren. Die Aufnahme etlicher Variablen wie Depressionsanamnese, Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes und Multimorbidität brachten die Hazard-Modell-Rechnung nicht ins Wanken – die Optimisten hatten signifikant bessere Chancen, geistig auf der Höhe zu bleiben.
Dr. med. vet. Beate Grübler
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0112
Interview
mit Prof. Dr. rer. nat. Walter E. Müller, Vizepräsident der Hirnliga e.V.

Die Verbesserung des zellulären Energiestoffwechsels als neue Strategie der Neuroprotektion bei Demenz
Herr Professor Müller, haben sich die Strategien zur Neuroprotektion in jüngster Zeit verändert?
Müller: Ja, weil die klinischen Daten praktisch aller Strategien, die in den letzten Jahren zur Therapie des M. Alzheimer entwickelt wurden, auf ganzer Breite enttäuschen. Von der Beta-Amyloid-Hypothese der Alzheimer-Demenz bleibt im Prinzip nur bestehen, dass Beta-Amyloid bereits ganz früh im Krankheitsverlauf kleine intrazelluläre Aggregate bildet. Dadurch werden die mitochondriale Funktion geschädigt, die zelluläre Energie – also das ATP – reduziert und die Funktion der Synapsen gestört. Das führt letztlich zur Degeneration der Neuronen. Als daraus sich ableitende Therapieansätze bieten sich Maßnahmen zum Schutz der Mitochondrien und zur Stimulierung der mitochondrialen Aktivität an.
Ist eine Neubildung von Nervenzellen auch im hohen Lebensalter möglich?
Müller: Die Ergebnisse aus Tiermodellen sind diesbezüglich widersprüchlich. Ob eine Stimulation der Neurogenese bei den typischen, sich im hohen Lebensalter befindlichen Patienten mit sporadischer Alzheimer-Demenz noch möglich ist, wurde unterschiedlich diskutiert. Dagegen spricht, dass die Neurogenese im Alter bei Mensch und Tier fast nicht mehr nachweisbar ist und vermutlich auch nicht mehr aktiviert werden kann.
Welche Rolle spielen der Fett- und der Energiestoffwechsel im Rahmen der Alzheimer-Erkrankung?
Müller: Eine Verbesserung des zellulären Energiestoffwechsels, der durch mitochondriale Dysfunktion eingeschränkt ist, scheint eine vielversprechende Interventionsstrategie zu sein. Auch haben mehrfach gesättigte Fettsäuren womöglich eine mitochondriale Schutzfunktion. Ganz neu sind Hinweise, wonach die Synthese von Isoprenoiden bei Alzheimer-Patienten gestört sein könnte. Isoprenoide sind Intermediärprodukte im Cholesterinstoffwechsel, könnten aber auch die Funktion von neuronalen Signalmolekülen haben und über zelluläre Proteine die synaptische Plastizität modulieren.
Gibt es neue Erklärungsansätze zum Verlauf der Alzheimer-Erkrankung auf zellulärer Ebene?
Müller: Ja, dabei steht auf neuronaler Ebene die Einschränkung der synaptischen Plastizität ganz im Vordergrund – also die Fähigkeit der Nervenzelle, sich an Veränderungen zu adaptieren. Behandlungsstrategien, die auf eine Besserung der synaptischen Plastizität abzielen, versprechen im Moment wahrscheinlich am ehesten Erfolg. Darüber hinaus scheint die Reduktion der intrazellulären neurofibrillären Bündel noch immer eine mögliche Strategie zu sein.
Braucht die Demenzforschung neue Tiermodelle?
Müller: Mit Sicherheit, denn die meisten Tiermodelle bilden die Einschränkung von synaptischer Plastizität und Neurodegeneration nur ungenügend ab. Hier hat man zu lange Tiermodelle akzeptiert, die zwar die Plaquebildung darstellen, aber die funktionell relevanten Veränderungen des Alzheimer-Patienten nicht zeigen.
Das Interview führte Dr. med. vet. Beate Grübler.