Am 7. Januar 1945 fielen Bomben
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Viele Acherner, die sich an den 7. Januar 1945 erinnern, waren damals noch Kinder. Es war ein heller, kalter Wintertag. Über der schneebedeckten Stadt wölbte sich ein strahlend blauer Himmel. Gegen 12.30 Uhr, Zeit zum Mittagessen, heulten die Sirenen auf: zuerst Voralarm, dann Vollalarm. Bombergeschwader flogen am Firmament wie große Schwärme silberner Vögel. Das sonore Geräusch ihrer Motoren ließ die Luft zittern.
Dergleichen hatten die Acherner schon oft gesehen und gehört. Frau Flaig beugte sich aus dem Fenster und rief den im Mederschen Hof spielenden Buben zu. »Ihr braucht keine Angst zu haben. Sie fliegen wieder weiter.« Wenige Minuten später war sie tot. Schreckensrufe wurden laut: »Sie setzen Rauchzeichen!« In das so abgesteckte Areal würden Bomben fallen, in die Stadt Achern. Die Menschen ließen das Essen stehen und stürzten in die Schutzräume. Letzte deutsche Offensive Es besteht kein Zweifel, dass der nun über Achern hereinbrechende Bombenhagel in Zusammenhang stand mit der zwei Tage zuvor, am 5. Januar 1945, begonnenen letzten Offensive deutscher Truppen. Sie setzten zwischen Freistett und Gambsheim über den Rhein und bildeten in erbitterten, verlustreichen Kämpfen auf der Elsässer Seite einen Brückenkopf. Der Bahnhof Achern und die Straße zum Rhein spielten eine für den Nachschub wichtige Rolle. In der Jahnhalle befand sich ein Munitionsdepot. Horst Brombacher hat über die Vorgeschichte des Angriffs auf Achern schon vor Jahren einen wichtigen Vortrag gehalten. Das Kriegstagebuch der 8. US-Luftflotte nannte »Eisenbahnanlagen« und den »Verschiebebahnhof« in Achern als Angriffsziele. Dass viele Bomben in Wohnviertel fielen, dürfte den alliierten Strategen kein Kopfzerbrechen bereitet haben. Im Kosovokrieg sprach man verharmlosend von »Kollateralschäden«. Die gab es in reichem Maße auch in Achern. Furchtbares Städtchen Wenige Wochen später, am 17. Februar 1945, schrieb Conrad Kayser an eine ihm befreundete Familie, dass seine beiden Schwestern Helene und Elisabeth aus der Viertel um Viertel in Trümmer sinkenden Stadt Frankfurt zu ihm geflohen seien. Im Blick auf Achern sagte er: »Das alte Städtchen größtenteils zerstört, unter furchtbaren Begleiterscheinungen, wie man sie von den schweren Angriffen auf unsere Großstädte her nur kennt.« Am 7. Januar 1945 waren insgesamt 1046 Bomber und 674 Jäger der 8. US-Luftflotte über Deutschland im Einsatz. Von einer Luftabwehr konnte keine Rede mehr sein. 304 Bomber des Typs B-24-Liberator starteten am frühen Morgen von englischen Basen aus in Richtung Südwestdeutschland, begleitet von 94 Mustang-Langstreckenjägern. Auf das Ziel Achern waren 31 Bomber angesetzt. Sie warfen 115,3 Tonnen Bomben. Feuerwehrkommandant Koch zählte rückblickend etwa 350 Sprengbomben und mehr als 3000 Brandbomben. In wenigen Minuten standen große Teile der Stadt in Flammen. 108 Gebäude mit 160 Wohnungen wurden total zerstört. 69 Häuser mit 79 Wohnungen wurden schwer beschädigt. 315 Gebäude mit 568 Wohnungen wurden leicht beschädigt. Nur 164 Gebäude von insgesamt 656 erlitten leichte Schäden oder blieben ganz unbeschädigt, das war genau ein Viertel. Oder anders herum: Der Angriff am 7. Januar 1945 traf drei Viertel der Stadt. Schlimmer als die Verluste an Häusern waren die an Menschen. In den Büchern des Standesamtes Achern sind die Namen von 67 Toten verzeichnet. Ein nicht mehr auffindbarer (oder noch nicht aufgefundener) »amtlicher Bericht« sagte: »Am 7. Januar wurde Achern mit einem Bombenteppich belegt und der südliche und mittlere Teil der Stadt in einen Trümmerhaufen verwandelt. 75 Menschen fanden darunter den Tod«. Die Zahlen scheinen auf den ersten Blick nicht groß zu sein. Aber sie bergen in sich die Schicksale von Menschen und Familien. Tagelang nach dem Angriff saß ein Bub auf den Trümmern des Mederschen Anwesens. Unter ihnen lag seine Mutter. Die benachbarte Bäckersfrau Eicher sagte: »Jetzt ist er wieder da.« Ohne Strom operiert Die vielen zum Teil schwer Verwundeten hat niemand gezählt. Professor Franke und die Ordensschwestern haben bis tief in die Nacht hinein operiert, ohne Strom, bei Kerzenlicht. In der »Friedrichshöhe«, im Sasbacher »Prinzen«, im Ottenhöfener »Wagen« wurden noch in der Nacht Notkrankenhäuser eingerichtet. Den seelischen Wunden, den Traumata, die ungezählte Menschen lebenslang davon trugen, hat man lange Jahre hindurch – eigentlich bis heute – keine Beachtung geschenkt. Wer über jene Zeit urteilen will, wird sich mit Akten und Zahlen befassen. Wer aber versuchen will, jene Zeit zu verstehen, muss Menschen hören. Das Urteilen bedarf der Distanz, das Verstehen bedarf der Nähe. Wer sowohl urteilen als auch verstehen will, wandert auf einem schmalen Grat. Alles hat seine Zeit Einige Menschen, die das Jahr 1945 erlebten und erlitten, kommen in meinem Buch »Krieg und Friede« zu Wort. Dessen Titel habe ich nicht bei Leo Tolstoi abgestaubt. Ich entnahm ihn der Luther-Übersetzung des 3. Kapitels im Buch des Predigers Salomo (»Kohelet«): »Alles hat seine Zeit und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden und sterben, suchen und verlieren, lieben und hassen, Streit und Friede«. Das Wort »Streit« ersetzte ich durch das härtere Wort »Krieg«. – »Alles hat seine Zeit: Krieg und Friede«. Friede und Freiheit, deren wir uns erfreuen, haben einen ungeheueren Preis gekostet. Daran erinnert uns der 7. Januar 2004. Den Preis haben nicht die Nachgeborenen bezahlt, sondern die Menschen, die damals lebten und starben.