Das bessere Leben | Kritik
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- ️Tue Mar 27 2012
Eine Frau verliert den Halt. Die intimen Geständnisse zweier Escorts zwingen eine erfolgreiche Journalistin zu einer ernüchternden Lebensbilanz.
Weiß. Annes Zimmerfarbe, dieser klinische Grundton, der ihre Wände so streng macht, ist auch die Farbe ihres Lebens. Während mit Weißtönen für gewöhnlich Sauberkeits- und Unschuldsvorstellungen assoziiert werden, ist hier das Reinheitsgebot längst einer gleißenden Starre gewichen: Irgendwie leblos ist ihr Pariser Apartment, fast mehr Ausstellungs- als Wohnraum, ein White Cube der Oberschicht, kalt und gediegen, nur mehr Schauplatz bürgerlich-bornierten Alltags und ehelicher Langeweile – eben längst nicht mehr unschuldig, sondern frigide.
Ihr Leben lang war Anne (Juliette Binoche), Protagonistin von Malgoska Szumowskas neuem Film Das bessere Leben (Elles), diesem Weißton verhaftet, in ihrem erfolgsverwöhnten Dasein hat er sie schützend umfangen wie gleichermaßen korsettiert, und nun stört sie dieses Weiß, die Kargheit der Wände, die ihre Kargheit ist. Über der Arbeit an einem Artikel für das Modemagazin Elle, für das sie zwei junge Frauen interviewt, die ihr Studium durch Prostitution finanzieren, erliegt sie schließlich ihrem eigenen Fragekomplex um Liebe, Sex und Selbstverwirklichung. Als sie ein Abendessen vorbereitet, vermengen sich schlaglichtartig die Erzählungen der Frauen mit Annes eigenen Lüsten und Sehnsüchten zu einer irritierenden Selbstanklage, hinter der sie ihre persönlichen Lebensverfehlungen erkennt.
Es ist dieser eine Tag, der die Grundfesten ihrer bürgerlichen Identität erschüttert. In bewusster Anlehnung an Virginia Woolfs experimentellen Roman Mrs. Dalloway (1925), dessen Handlung, wie schon Ulysses (1922) von James Joyce, nur einen einzigen Tag umfasst und in dem auch ein Abendessen eine Rolle spielt, haben die polnische Regisseurin Szumowska und ihre dänische Koautorin Tine Bryckel die Technik des Bewusstseinsstroms filmisch umzusetzen versucht. Rein ästhetisch betrachtet scheint dies die angemessene Verfahrensweise für einen Film, der sich ganz dem Innenleben seiner Protagonistin verschreibt. Mit kurzen, spröde hintereinander geschnittenen Szenen aus dem Leben der beiden Escorts Alicja (Joanna Kulig) und Charlotte (Anaïs Demoustier), die diese zumeist beim Sex mit Klienten zeigen, wird Annes eigene Lebenswirklichkeit zusehends von erregenden bis abstoßenden Fantasien überlagert; sie entziehen ihrer materiell gesättigten Existenz zusehends den emotionalen Boden.
Diesem Bauplan folgend, konzentriert der Film eine Vielzahl szenischer Versatzstücke rund um die Vorbereitungen des Abendessens, die mehr oder weniger explizit Annes eigenen Lebensentwurf hinterfragen. Gleichwohl tendiert Das bessere Leben dazu – wie so mancher Film, dessen Handlung einer Traumlogik folgt –, scheinbar beliebig viele Szenen oder szenische Fragmente oft ohne ersichtliche innere Notwendigkeit um einen Handlungsstrang zu schmieden. Daraus ergibt sich dann ein Film, der zwar als Psychogramm recht gut funktioniert – sofern man diese Szenen als eine Art Schichtengemenge versteht, durch das Annes Innenwelt erkundet werden kann –, aber beileibe nicht als die von den Autoren intendierte Studie um Geschlechterfragen, Käuflichkeit und Karriere.
Die allzu strenge Anbindung an eine Innenperspektive unterschlägt vieles: Nebenfiguren bleiben unterentwickelt, Problemlagen, die allzu weit vom Bannkreis der Protagonistin wegführen, werden zwar angerissen, doch nur selten expliziert. Fast jede Episode kommt irgendwo auf halber Strecke zum Erliegen, so als hätten sich die Filmemacher in dem Bemühen, die Ambiguität ihres Stoffes zu wahren, in immer seichteren Gebieten verloren. Wenn Charlotte lieber mit einem Kunden schläft als mit ihrem Freund, und wenn der sie dann zur Rede stellt und selbst Alicjas aus Polen angereiste Mutter Verdacht schöpft, sind eine Reihe interessanter Konfliktsituationen entstanden, die jedoch nicht weiter ausgebaut werden. Alles nur halbe Geschichten, die einer abrupt sich verlierenden Spur gleichen. Szumowska und Bryckel haben sie offenbar bewusst ins Leere laufen lassen, um sämtliche Fortschreibungs- und Deutungsversuche an den Zuschauer zu delegieren; sie wollten „offene“ Enden schaffen, die der Auslegung und Ergänzung seitens des Zuschauers – wie auch die eingangs zitierten Romane – so dringend bedürfen, doch es wurden Stümpfe daraus.
Zugegeben, das Spiel der Binoche ist hervorragend; allein ihr Gesicht trägt den über weite Strecken fahrig wirkenden, in nervösen Wackelbildern förmlich erzitternden Film, es spiegelt den Abscheu, die Überraschung, die Geilheit ihrer Reaktionen auf die Antworten der beiden Frauen durchaus eindrucksvoll wider, allerdings verlässt sich Szumowska etwas zu sehr auf die Präsenz der Hauptdarstellerin. Damit verspielt Das bessere Leben die Gelegenheit, die wesentlich an einem Einzelschicksal vorgeführten gesellschaftlichen Missstände auf zwischenmenschlicher Ebene zu diskutieren und damit in die Sphäre des Sozialen zurückzuführen. Dass gerade der Einsatz des Körpers als Tauschware doch eine grelle Metapher unserer Konsumgesellschaft ist, wird hier nicht weiter ausgeführt. Derlei psychosoziale Faktoren wie die materiellen Verheißungen und Zwänge einer Wohlstandsgesellschaft mit den Figuren in Zusammenhang zu bringen, hätte dem Film sicher gutgetan. Anne hat, was die beiden anderen nicht haben, und umgekehrt – das alte Gegensatzpaar: satter, altangesessener Wohlstand versus vogelwilde Autonomie. Um Geschlechterverhältnisse auf den Prüfstand zu stellen, ist das zu wenig. Zuletzt erscheinen im Kreuzungspunkt ihrer dreier Schicksale nur pure Lust und Triebbefriedigung, zwei entfernte Verwandte der Einsamkeit, als die Symptome ihres unterdrückten Freiheitswillens und gesellschaftlicher Fehlentwicklungen.
Annes Selbstbefragung nimmt indessen schon groteske Züge an, wenn sich die Gäste des Diners in einer regelrecht Buñuel’schen Apotheose in die Liebhaber Alicjas und Charlottes verwandeln, samt leiser Gitarrenzupfklänge, die ihr jenes ungreifbare, bessere Leben verheißen.
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