In the Lost Lands | Kritik
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- ️Wed Mar 05 2025
Der Reiz der Substanzlosigkeit: Paul W.S. Andersons In the Lost Lands schöpft aus dem Fundus des Western- und Science-Fiction-Kinos und erschafft eine Gegenwelt, die sich in erster Linie aus Stimmung, Textur und Licht zusammensetzt.
„I refuse no one“ Gray Alys (Milla Jovovich) ist eine wandelnde Wunscherfüllungsmaschine. Doch sie, auf deren Gesicht rätselhafte Schriftzüge eigensinnige Linien bilden, übersetzt jeden Auftrag, der an sie herangetragen wird, in ihre eigene Sprache. Auf einem Thron unter einer Lichtkuppel hält sie Audienz. Eine junge Königin sucht sie dort auf. Deren Bitte: Verschaff mir die Fähigkeit, meine Gestalt zu wandeln und zum Werwolf zu werden. Gleich nach ihr schleicht ein junger Mann in Kutte zu Gray Alys. Sein Anliegen: Bitte mach, dass die Königin mit ihren Plänen keinen Erfolg hat. Gray Alys weist niemanden zurück und so nimmt sie beide Aufträge an.
Gray Alys selbst ist nicht jung, ihre Augen, die das Energiezentrum dieses Films sind – die den Film möglicherweise gar, einem Projektor gleich, erst hervorbringen – umspielen zarte Falten. Bis auf ihre beiden Auftraggeber ist auch sonst kaum jemand jung in Paul W.S. Andersons In the Lost Lands. Schon gar nicht Boyce (Dave Bautista), die zweite Hauptfigur des Films: ein mysteriöser Jäger, der sich Gray Alys auf deren Suche nach dem Geheimnis der Gestaltwandlung anschließt. Die gegerbte Haut des bulligen, brummigen Jägers kündet von einem bewegten Leben, ist gezeichnet von harten Kämpfen und unwirtlichen Witterungen.
Kurz durchatmen, bevor das nächste Höllenfeuer losbricht
Zeichen des Erhabenen (Gray Alys) und Zeichen des Profanen (Boyce) in einer Welt, die selbst weitgehend unlesbar bleibt, die aber gesättigt ist mit popkulturellen Mythen multipler Provenienz. In the Lost Lands basiert auf einer Kurzgeschichte des Bestsellerautors George R. R. Martin, weltberühmt für den Romanzyklus „A Song of Ice and Fire“ (bzw. dessen Serienadaption „Game of Thrones“) – an den In the Lost Lands freilich nur gelegentlich erinnert, am ehesten noch in den Szenen mit der jungen, intriganten Königin. Sobald Gray Alys und Boyce sich auf den Weg in die lebensgefährlichen verlorenen Lande machen, überschwemmen Texturen, Stimmungen und Lichter ganz anderer Tonalität den Bildraum. Zum einen operiert der Film in seinen Streifzügen durch menschenfeindlich ruinöse Endzeitpanoramen, in denen groteske Digitalmonster hinter verfallenen Betonpfeilern lauern, an jener Schnittstelle zwischen Science-Fiction und Horror, die bereits viele vorige Filme des Regisseurs erkundeten; zum anderen tritt diesmal ein visuelles Register hinzu, das im Werk Andersons bislang lediglich latent geblieben war: der Western.
Genauer gesagt: Ein audiovisuelles Register, denn immer wieder wehen in den komplex verwebten Soundtrack lakonische Gitarrenmelodien hinein, wie man sie insbesondere aus den italienischen Wildwest-Epen der 1960er und 1970er kennt. Besonders offensichtlich wird die Verbindung zu den Bilder- und Klangwelten des Westerns als die beiden Hauptfiguren einen Zwischenhalt in einer Art postapokalyptischem Frontier-Outpost einlegen und Boyce auf eine alte Gespielin trifft. Wenn die Geliebte ihr gleichfalls von vergangenen Abenteuern gezeichnetes Antlitz an Boyces behaarte, tätowierte Brust schmiegt, dann scheinen ihre Körper direkt, ohne Umweg über Gehirn und Sprache, miteinander zu kommunizieren. Ein kurzes, atmosphärisches Durchatmen, bevor das nächste Höllenfeuer losbricht.
Im Reich der B-Movie-Postmoderne
Denn Gray Alys und Boyce ist eine ebenfalls nicht mehr ganz junge Haudegin auf den Fersen, die einen monströsen Eisenbahnzug navigiert – auch das eine deutliche Western-Referenz, wobei die immer rasanter werdende, von Skelettattacken, psychokinetischen Shootouts und Drahtseil-Balanceakten über gähnenden Abgründen punktierte Hetzjagd sich gleichzeitig deutlich an George Millers Mad Max-Filmen orientiert. Zweifellos befinden wir uns, wenn wir die Lost Lands betreten, im Reich der B-Movie-Postmoderne; und doch bekommt man den Film nicht zu fassen, wenn man ihn nur als das Sammelsurium synthetischer Mythologeme beschreibt, das er selbstverständlich auch ist. Denn im Kern hat Anderson einen Film erschaffen, dem Stimmungs-, Licht- und Bewegungsmodulationen durchgehend wichtiger sind als erzählerische oder auch nur motivische Stringenz.
In the Lost Lands ist ein im durchaus strengen Sinne formal durchkomponierter Film und in mancher Hinsicht einer technologisch hochgerüsteten Opernaufführung näher als den zwar mit diversen isolierten Schauwerten ausgestatteten, aber in ihrer Gesamtheit filmisch beliebigen Franchise-Superheldenfilmen, die den Hollywood-Mainstream nach wie vor dominieren. Tatsächlich geht der für Andersons Verhältnisse teure Film schon auf filmtechnischer Ebene neue Wege (zu den technischen Details siehe unter anderem hier): als eine sogenannte “virtual production” entstand In the Lost Lands komplett im Studio, wobei Regisseur und Team zunächst die kompletten Bildhintergründe digital konstruierten – und zwar nicht als statische Bilderfolgen, sondern als dynamische Umgebungen, in denen sich die Schauspieler während des eigentlichen Drehs wie in einer tatsächlich vorhandenen Welt verhalten konnten.
Über allem liegt ein ursprungsloses Licht
Das Resultat ist eine ziemlich beispiellose Vermählung absoluter Künstlichkeit mit intuitiver Stimmigkeit, die sich vor allem in einer berückenden Lichtregie manifestiert. Licht ist in diesem Film nicht mehr dazu da, eine ihm selbst vorgängige Welt auszuleuchten, sondern wird zu einer sich oftmals ursprungslos in mehreren Schichten über die Einstellungen ausbreitenden Substanz eigenen Rechts. Wir bewegen uns mit dem Zweiergespann Gray Alys und Boyce einerseits durch eine Serie düsterer, halsbrecherischer Abenteuerspielplätze, andererseits und vor allem jedoch durch eine Folge audiovisueller Aggregatzustände, die sich jeweils durch ein eigenes, weitgehend monochromes Farbschema auszeichnen.
In the Lost Lands ist dennoch nicht die allerbeste Version seiner selbst. Das erwähnte Königsdrama, das nicht so recht zur doppelten Heldenreise der gezeichneten Körper Gray Alys’ und Boyces passen möchte, meldet sich zwar eher selten, aber immer noch deutlich zu oft zu Wort. Gegen Ende bricht im Königspalast gar eine Revolution aus, deren populistischen Furor man dem Film für keine Sekunde abkauft. Überhaupt zerrinnt einem der Plot, wenn man denn unbedingt den Versuch unternehmen möchte, nach ihm zu greifen, unter den Fingern. Und doch: Wer das Kino als eine Maschine schätzt, deren hehrste Aufgabe nicht in ihrer Abbildfunktion besteht, sondern in der visionären Erfindung einer Gegenrealität, deren ultimativer Reiz gerade in ihrer Substanzlosigkeit beruht – für den wird das Kinojahr 2025 wohl wenig Schöneres bereithalten als diesen Film.
Trailer zu „In the Lost Lands“
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