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Sterben ohne Gott | Kritik

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  • ️Wed Mar 12 2025

Moritz Terwestens Dokumentation möchte mithilfe von Experteninterviews über das Sterben nachdenken. Allzu ergiebig ist Sterben ohne Gott, der sich darauf beschränkt, wohlbekannte Formen des Dokumentarischen zu kopieren, aber nicht

Der Sozialpsychologe Sheldon Solomon sitzt in einem leeren Klassenzimmer an einen viel zu kleinen Pult und hangelt sich mit einem Sprechrhythmus, der ständig zu wankeln scheint, aber niemals fällt, durch die Geschichte der Menschheitsbegriffe: Homo sapiens, Homo faber, Homo aestheticus, bis er bei Homo mortalis landet. Für ihn differenziert sich der Mensch dadurch, dass er sich schon früh seiner eigenen Sterblichkeit bewusst wird. Der Mensch als „breathing piece of defecating meat“, wie Solomon in einem schönen, pessimistischen Bild festhält, muss sich dem eigenen Tode stellen. Regisseur Moritz Terwesten differenziert richtig zwischen Sterbens- und Todesangst, wobei erstere für ihn unser heutiges Leben zeichnet. Der Philosoph Franz Josef Wetz leugnet dies und verweist auf eine strategische Verleugnungstaktik, die glückt, weil Menschen sich nicht vom Tod tangiert fühlen. Der Film fühlt sich in diesen Momenten etwas gegenwartslos an: Als ob wir durch unsere Leben nicht schon so an den Tod gewöhnt wären, dass es vielmehr eine Abstumpfung, eine Übersättigung am Tod gibt.

Keine religiösen Perspektiven

Wetz führt dann etwas abrupt zu Religionen über, die „ein kühnes Versprechen an Unsterblichkeit geben“ und „den Übergang zum Tod als ein Sprungbrett“ erfahrbar machen. Der Physiker Lawrence Krauss kreist dies später noch auf die „Fundamentalisten“ ein, aber so richtig weiß Terwesten nicht, von welchen Religionen und Glaubenssystemen er sprechen will und flüchtet sich ins Banale: „Wenn man Menschen was von Gott, von Religion und so weiter erzählt und sie danach testet, danach befragt, hat das keinen Einfluss auf ihre Religiösität, aber wenn man Menschen erzählt und aufzeigt, dass sie bald sterben müssen, dann glauben sie viel eher, dass es ein höheres Wesen gibt.“ Damit ist so gut wie nichts, aber für Sterben Ohne Gott schon alles zu der religiösen Dimension des Todes gesagt.

Der Film – unterteilt in fünf Akte, die sich weder voneinander abgrenzen, noch wirklich aufeinander aufbauen, sondern einfach drei, vier Themen aufgreifen und vage durchmischen – will vor allem in derartige Sachverhalte einführen und einige Grundpositionen zum Themenkomplex Tod und Sterben nachzeichnen. Dies gelingt zwar; aber wenn man nur mit Rationalisten spricht, bekommt man eben auch nur rationalistische Positionen zu hören, was die Argumentation schnell repetitiv werden lässt. Es fehlt das Gespräch mit Theologen und Priestern, es fehlen allgemein religiöse Perspektiven.

Emotionale Direktheit

Sterben Ohne Gott wird da am dringlichsten, wo er sich künstlerischen Strategien der Todesumgehung widmet. Für Terwesten ist dies neben der Religion die zweite Strategie, wie der Mensch mit dem Tode umgeht: Man erschafft entweder sich selbst neu, indem man Kinder bekommt oder ein Werk, das das eigene Ableben überdauert. Wetz widerspricht dieser These wiederholt, aber Krauss plustert sich, darauf angesprochen, in seiner Selbstsicherheit auf, dass sein Werk ihn überleben wird. Für den Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt ist die Todesumgehung nur dann gelungen, wenn dem Tod, der uns mit der „Nichtigkeit des Getanen“ konfrontiert, auch noch eine ästhetische Dimension hinzugefügt wird.

Die emotional ergiebigsten Interviews geben der Filmemacher Jörg Buttergereit und der Bestatter Eric Wrede. Buttgereit, weil er in einem Pool von Medientrainierten mit seinem Berliner Dialekt und emotionaler Direktheit einfach sehr ehrlich rüberkommt. Zwar muss auch er die üblichen Anekdoten auspacken: Wer noch nicht wusste, dass Tom Savinis Special-Effects-Arbeiten für Filme wie Dawn of the Dead oder Maniac durch seine Zeit in Vietnam geprägt wurden, wird es hier erfahren. Aber wenn er beispielsweise Foucaults Gedanken darüber aufgreift, wie der Tod heutzutage isoliert und weggesperrt wird, dann in indirekter Manier: Er erzählt, wie er seine Mutter im Krankenhaus besuchte. Später sagt er einfach frei heraus, dass er lieber Filme gemacht hätte als Kinder, weil er schon mit so viel Tod konfrontiert war und sich nicht täglich mit der Angst davor beschäftigen wollte, dass auch noch seine Kinder vor ihm sterben könnten.

Am Ende siegt der Humanismus

Wrede wiederum sitzt in einer Kirche, hat die Beine übereinandergeschlagen und hört zu. Er darf den Praktiker spielen, weil er viel über das Bestatten geschrieben und gesprochen hat. Er hält fest, dass die Rolle des Bestatters als Todesspezialist auch eine Entwicklung der Marktwirtschaft ist. Was früher der Priester in Personalunion war, hat sich nun in Bestatter, Seelsorger und Grabredner gespalten. Kapitalismus lagert aus, anonymisiert, schafft neue Begriffe für alte Arbeit. Am Ende siegt aber der Humanismus: „Ich komm auch eher aus einem humanistischen, sehr atheistischen Background. Das Erste, was ich abgelegt habe, ist Sachen zu bewerten … solange da niemand Drittes manipuliert wird mit und solange sich die Geldmacherei in Grenzen hält, was leider immer damit einhergeht – who am I to judge“

Geurteilt wird generell wenig, was ein Problem ist. Man unterhält sich meistens mit sich selbst und lässt interviewgeprüfte Experten ihre bereits bekannten Positionen wiedergeben. Wenn Terwesten selbst vor der Kamera sitzt, formuliert er fast schon tautologisch geschlossen, hält zum Beispiel fest, dass es „erstmal eine interessante Beobachtung [ist], dass die meisten Filme etwas mit Gewalt oder Tod zu tun haben“, was zwar stimmen mag, aber weder sonderlich interessant ist, noch wirklich weiterführt, solange man Gewalt und Tod nicht präziser definiert.

Allgemein sind Tonfall und Wortwahl bewusst oberflächlich gehalten. Wolfgang M. Schmitt darf einfach über Minuten hinweg die banalsten Worthülsen aneinanderhängen („Boulevardmedien“, „der populäre Kriminalroman“, „massenmedial“, „hin und wieder Beispiele von Menschen, die trauern oder an der Trauer zerbrechen“), ohne diese konkretisieren oder historisch verorten zu müssen. Nicht, dass wir jetzt wieder anfangen sollten, wie Horkheimer zu schreiben, aber etwas mehr Präzision, Diskursschärfe, Sprachlust wäre schön.

Warum nicht einmal nachdenken lassen

Dokumentarfilme in Deutschland zu machen, heißt in erster Linie einen Markt zu bespielen, der sich selbst erhält. Der Dokumentarfilm ist dem deutschen Staat Kulturgut. Programmslots werden für ihn reserviert, Fördergelder bereitgestellt. Die ausgewählten Sujets sind zeitlos bis wahllos. Meist bestehen die Filme aus einer Reihe von Experteninterviews und durchschneiden diese mit Zweitaufnahmen oder Stock Footage. In ihrer Struktur ähneln sie entweder einen Reisetagebuch oder verwandeln den Film in ein Buch und unterteilen ihn in Kapitel.

Das ist an sich nicht verwerflich und wie Terwesten selbst in einem sehr sympathischen Interview festhält, ein guter Weg, ein Bein in die Industrie zu bekommen. Dass sich an der Qualität dieser Filme wenig ändert, wenn man ihre tradierte Form einfach nur 1:1 kopiert, ist nicht Terwestens Problem, hat mehr mit Sehgewohnheiten, nicht zuletzt mit meinen eigenen, zu tun. Auch diese Filme haben ihr Publikum, das sich deren Rhythmus zu eigen gemacht hat und gewisse Strukturen antizipiert. In Sterben Ohne Gott wird jeglicher Argumentationsfluss jedoch entweder durch eine Verbildlichung des Gesagten oder von aufdringlichen Animationen durchbrochen. All dies soll gerechtfertigt werden durch das Mandat, dass man den Stoff für ein breites Publikum aufarbeitet, vedaulich gestalten muss; als ob man ein breites Publikum nicht einfach mal nachdenken lassen kann, zum Beispiel über die eigene Vergänglichkeit.

Trailer zu „Sterben ohne Gott“


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