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Victor Klemperer Wohnhaus in Dresden D�lzschen - Einfamlienhaus im Dritten Reich

Architekt:
Bauingenieur Karl Pr�torius
Bauzeit: 1934
Adresse:
Am Kirschberg 19

Schlichtes, einfaches Einfamilienwohnhaus mit steinernen Sockel und Holzfassade, schmucklos. Satteldach mit Schiefer, Garten mit original vorhandenen Baumbestand, Garage und Veranda ebenfalls komplett erhalten. Die Garage, funktional und praktisch direkt unter der Veranda gelegen, ist vom Gartentor in einem kleinen Bogen rechtsseitig und tiefergelegen zu erreichen. Sie ist erst 1936 hinzu gekommen.
Eigenwillig ist die Dreieraufteilung der Fenster in der Vorderfassade, wobei das zweitlinke Fenster mit der Querstrebe bereits eine Änderung der Nachmieter sein kann. Ob die Seitenfenster Sprossen hatten müßte eine genauere kunsthistorische Forschung ergeben. An den Fenstern gibt es keine hölzernen Fensterläden, wie sonst oft üblich in dieser Zeit. Linksseitig befindet sich hinter Bäumen noch ein Anbau nach 1945. Urspr�nglich sah die Situation anders aus (u.a. gab es einen hohen Schornstein) Foto Dt. Fotothek 1934.

Der seit der Veröffentlichung seiner Tagebücher durch den Aufbau-Verlag weltweit bekannte Romanist und Sprachwissenschaftler Victor Klemperer hatte sich 1934 in nur drei Monaten unter äußerst beschränkten finanziellen Mitteln ein eigenes Wohnhaus im südlich gelegenen Vorort Dölzschen bauen lassen. Es ist sicher kein Bauwerk für die große Architekturgeschichte, aber ein wichtiges für die Kulturgeschichte Dresdens.
Der liberale, kulturell aufgeschlossene Professor an der TH Dresden und seine Ehefrau Eva wollten ursprünglich ein Haus mit Flachdach in der damaligen Mode des "Neuen Bauens" errichten lassen, aber die Nazi-Ideologie verhinderte die Gestaltungswünsche.

"Drollige Schwierigkeit"

Im Tagebuch 1933 - 1941 "Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten" heißt es im Juli bis Sept. 1934:

"Inzwischen war mit Pr�torius geplant und gerechnet worden. Ganz wird er mit dem jetzt zur Verf�gung stehenden Bargeld nicht auskommen; den Rest zahle ich in Monats. (...)
Es wird vorderhand der Mittelteil des Gesamthauses gebaut, immerhin ein in sich geschlossenes Häuschen mit drei großen Zimmern und sehr reichlichem 'Zubehör'. Eine drollige Schwierigkeit ergab sich: Die Bauvorschriften des Dritten Reiches verlangen 'deutsche' Häuser, und flache Dächer sind 'undeutsch'

. Zum Glück fand Eva rasch Freude an einem Giebel, und so wird das Haus also einen 'deutschen' Giebel bekommen (...).
Pr�torius telefonierte (...), der hinzugeforderte 'deutsche' Giebel vermehre die Kosten um 2300 M ... verzweifeltes Hin-und Herrechnen (...).
Die Holzmauern wuchsen in der letzten Woche nach langer Vorbereitung der einzelnen Balken sehr rasch hoch. Mein Eindruck wechselte täglich: Bald meinte ich, ein Hundebüdchen vor mir zu haben, bald sieht die Sache reputierlicher aus (...).
Das Mißtrauen der Leute gegen Holzhäuser, kein Geldgeber - ja, wenn es Steinbau wäre! -, ihr 'aufgesetzter' Dickkopf'"
am 04.09.34:
"Das Richtfest fand gestern statt."
am 09.10.34:
"An diesem Punkt, (1.10.34) Umzug ins eigene Haus."


Baumaterial Holz

Die Entscheidung für den Baustoff Holz hatte nicht nur ästhetische Gründe, sondern auch finanzielle, denn Holz war billiger als ein massiver Steinbau.
Heute wird zuweilen die Verwendung von Holz im Bauen nach der Zeit um 1933 mit Blut- und Boden-Ideologien in Verbindung gebracht. Doch am Wohnhaus Klemperers sieht man, daß das Baumaterial Holz durchaus ein Werkstoff guter Modernität sein kann.

Klemperer - Propaganda und LTI

Der bekennende Protestant Klemperer und Sohn eines Rabbiners (1881-1960) war wegen der NS-Rassengesetze 1935 auf Betreiben von Mutschmann von der Technischen Hochschule Dresden entlassen worden und musste 1940 in ein �Judenhaus� in Strehlen umziehen. Nur mit Gl�ck �berlebte er die Nazizeit und erhielt 1945 sein Haus zur�ck. Bekannt wurde er vor allem durch seine Tageb�cher und das Buch �LTI�, welches sich mit der Sprache des Dritten Reiches befasste.

Denkzeichen

Eine Gedenkstele wurde 2014 innerhalb des Projektes "Denkzeichen" gegen�ber Klemperers ehemaligem Wohnhaus angebracht (Foto). Initiator war: die Gesellschaft f�r Christlich-J�dische Zusammenarbeit Dresdene.V. Unterst�tzung fand die Initiative durch die Landeshauptstadt Dresden sowie Spenden vieler B�rgerinnen und B�rger.
Infos zu den Denkzeichen, die Auskunft geben sollen an Orten, wo j�dische Menschen in der NS-Zeit verfolgt wurden.

Mehr Informationen auf:
www.gedenkplaetze.info

Wohnhaus Victor Klemperer - Mai 2004 - mit originalem Baumbestand aus der Entstehungszeit 1934Wohnhaus Victor Klemperer mit Original Garage und Terrasse
Garage unter der TerrasseSeitenansicht des Wohnhauses
Fotos: Thomas Kantschew 2004, Vergrößerungen der Fotos

Victor Klemperer - Porträt nach 1945
Den Terror des NS-Systems überlebt. Hier Prof. Klemperer in einer Aufnahme nach 1945, Andere Aufnahme um 1930

Holzwohnh�user um 1930

Klemperers Wohnhaus aus Holz ist in dieser Zeit keine Ausnahme. Auch der jüdische Professor Albert Einstein aus Berlin ließ sich z.B., 1929 in Caputh vom jungen Konrad Wachsmann, ein Einfamilienhaus aus diesem Naturmaterial bauen. Möglicherweise hat der Architekt des Klemperer-wohnhauses in Dresden - Prätorius - die Arbeiten von Konrad Wachsmann zum modernen Holzbau gekannt, wie z.B. das heute als Standardwerk geltende "Holzhausbau. Technik und Gestaltung" von 1930. Darinnen heißt es u.a.
"Aus der amerikanischen Methode der Verwendung nur statisch notwendiger Holzdimensionen in Verbindung mit deutschen Qualit�tsanspr�chen entstanden neue Bauweisen, die bei gr��erer Leichtigkeit der Konstruktion nicht an Festigkeit und Dauerhaftigkeit einb��ten." Die Richtigkeit dieser Aussage beweist eben auch das Klempererhaus, das auch nach fast 90 Jahren Nutzung (und Pflege) noch in bestem Zustand ist. Allerdings war es keine Fertigteilhaus, sondern ein individuell entworfenes Haus.
Das Buch von Wachsmann wurde 1933 vom NS-Staat verboten, obwohl im Dritten Reich weiterhin jede Menge Holzhäuser (und Baracken) aus Holz gebaut wurden.
Der Grund war a), daß Wachsmann auch Jude war und b) dieses Buch reichlich Beispiele von Holzhäusern enthielt, die mißliebigen Personen gehörten, wie z.B. eben Einstein, Annette Kolb, Ren� Schickele, Ernst May, Scharoun oder Poelzig.

Wachsmann studierte von 1920 bis 1924 in Berlin an der Kunstgewerbeschule und in Dresden an der Kunstakademie bei Heinrich Tessenow. Er ist u.a. mit experimentellen Holzbauten in Niesky (Niederschlesien/ jetzt Sachsen) bekannt geworden, wo er von 1926-1929 als Chefarchitekt der damals gr��ten europ�ischen Holzbaufirma Christoph & Unmack AG tätig war und 1925 ein industriell vorgefertigtes Holzbausystem f�r Einfamilienh�user entwickelt hatte. Wachsmanns moderne Interpretationen von Holzhäusern weisen Zusammenh�nge mit der in der Oberlausitz traditionell vorhandenen Blockbauweise (Schrotholzh�user, Umgebindeh�user) auf.

Das Konrad-Wachsmann-Haus in Niesky:
https://wachsmannhaus-niesky.de

www.museum.niesky.de (Holzhausbau) - ein spezieller
Holzhauspfad führt entlang zu den wichtigsten Holzbauten.

Das Einsteinhaus in Caputh

Einstein und Wachsmann in Caputh


Einsteinhaus in Caputh, bei Potsdam, 1929


Holzhaus in Niesky von Konrad Wachsmann (Haus f�r ein Vorstandsmitglied der  Firma Chrstoph Unmack AG) von 1927, Foto: April 2024 T.Kantschew, Vergr��erung

  Holzwohnh�user in Hellerau 1935

Eine interessante zeitliche Parallele ist die Holzhaussiedlung mit Musterhäusern der Deutschen Werkstätten "Am Sonnenhang" in der Gartenstadt Dresden-Hellerau.
Sie wurden 1935 von den Architekten Wilhelm Kreis, Eugen Schwemmle, Oswin Hempel, Wilhelm Jost, Adelbert Niemeyer und Erich Loebell errichtet. Anlass war das 25-j�hrige Bestehen der Gartenstadt, zu dem die DWH die Ausstellung �Kleinhaus und Kleinwohnung� konzipierten. Gezeigt wurde, dass durch maschinelle Vorfertigung auch mit wenig Geld gut gestaltete Eigenheime gebaut werden konnten.

Text: Thomas Kantschew 2004 (und sp�tere Erg�nzungen)

 
Holzh�user "Am Sonnenhang" Foto: 2024 T.Kantschew, Vergr��erung