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Britisches Stahl-Werk

  • ️Karl Schwarz
  • ️Thu Dec 03 2020

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Mit einem Mach 2 bis 2.5 schnellen Versuchsflugzeug sollte die britische Luftfahrtindustrie die Grundlage für neue Jäger und Bomber legen. Die ganz aus Stahl gebaute Bristol 188 bot dafür ein interessantes Konzept. Ein Konzept, das an seinem Triebwerk scheiterte.

Die 1950er Jahre waren auch in Großbritannien von rapiden Fortschritten im Militärflugzeugbau geprägt. Eine ganze Reihe von Forschungsflugzeugen sollte in unbekannte Bereiche vorstoßen. Mach 2 war das neue Zauberwort, als sich das Ministry of Supply im Jahre 1952 mit Plänen für neue Überschalljäger befasste. Zur Grundlagenforschung wurde ein Versuchsflugzeug geplant, das für mindestens zehn Minuten mit Mach 2 bis Mach 2.5 fliegen sollte, um neue Erkenntnisse über die aerodynamischen Probleme und die Aufheizung der Zelle bei diesen Geschwindigkeiten zu gewinnen.

Aus sieben werden drei

Das Ministry of Supply gab im Dezember 1952 die entsprechende Spezifikation ER.134T heraus. Gleich sieben Firmen legten daraufhin ihre Entwürfe vor: Armstrong Whitworth die AW.166, Boulton Paul seine P.128, Bristol den Type 188, English Electric die P.6 (basierend auf dem Jägerprojekt P.1), Hawker die P.1096 und P.1097, Saunders-Roe die P.163 (mit Mischantrieb à la SR.53) sowie Vickers (Supermarine) den Type 553. Eine erste Überprüfung der eingereichten Vorschläge fand am 8 Juni 1953 statt. Dabei schafften es die AW.166, die T.188 und die P.6B in die Endauswahl – nicht von ungefähr, denn diese Konstruktionen hatten die vom Royal Aeronautical Establishment (RAE) favorisierte Auslegung mit schlankem Rumpf, dünnem Trapezflügel und Triebwerksgondeln etwa in der Flügelmitte.

Bristol erhält den Zuschlag

Nachdem eine Arbeitsgruppe die drei verbliebenen Firmen für Detailgespräche besucht hatte, fand am 28. August im Ministry of Supply eine zweite Sitzung zu dem Projekt statt. Favorit war dabei die AW.166. Weil Armstrong Whitworth aber mit der Javelin stark ausgelastet war, erhielt letztlich die Bristol Aeroplane Company mit ihrer 188 den Zuschlag, obwohl das Unternehmen noch nie zuvor ein Flugzeug mit Strahlantrieb gebaut hatte. Der Auftrag vom Dezember 1953 sah die Fertigung von drei Maschinen vor, wobei eine Zelle für die statischen Versuche vorgesehen war. Eine aktualisierte Spezifikation vom März 1954 (ER.134D) forderte nun eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 2.5.

Stahl ist Trumpf

Bristol setzte beim Type 188 weitgehend auf hochfesten Stahl. Dieser Werkstoff machte zu jener Zeit aber noch erhebliche Probleme bei der Verarbeitung, so dass zunächst ausgedehnte Grundlagenversuche notwendig waren. In enger Zusammenarbeit mit der Firth-Vickers Stainless Steels Ltd. wurden schließlich neue Halbzeuge, teils aus rostfreiem Stahl, teils aus Titan-stabilisiertem Chrom-Nickel-Stahl oder aus hochfestem, aber niedriglegiertem Stahl entwickelt.

Für integral versteifte Beplankungen sowie einfach gewölbte, dünne Hautbleche verwendete Bristol beim Type 188 vorwiegend rostfreien Stahl der Spezifikation FV.448, der ursprünglich für Strahltriebwerke entwickelt worden war und einen Chromgehalt von zwölf Prozent aufwies.

Da sich FV.448 nur schwer verarbeiten ließ wurde für doppelt gewölbte Blechteile der Chrom-Nickel-Stahl Firth-Vickers FDP mit 18 Prozent Chromgehalt, 9 Prozent Nickel und etwas Titan gewählt. Dieser wurde nach der Formgebung bei 450 bis 550 °C wärmebehandelt. Für Schmiedeteile kam zudem der hochfeste Stahl EN.40C und für die zahlreichen Verbindungsbolzen durchweg niedrig legierter Firth-Vickers-Stahl zum Einsatz.

Fräsen fürs Gewicht

Strukturell hoch beanspruchte Bauteile, wie das Mittelstück der Triebwerksgondeln, durch die die Kräfte der Außenflügel durchgeleitet werden mussten, entstanden aus FV.448-Schmiedeteilen, deren Gewicht anschließend durch Fräsbearbeitung deutlich reduziert wurde. Aus FV.448 entstand auch der Rumpfkiel, ein gefrästes, 8,2 Meter langes Winkelprofil. Zum Härten dieses reichlich sperrigen Werkstücks musste ein Tunnelofen mit elektrischen Heizspiralen in den Wänden gebaut werden, der mittels hydraulisch betätigter Halteklammern im Ofeninnern jegliches Verziehen verhinderte.

Für die Verbindung von dünnen Stahlblechen (0,3 bis 7,5 Millimeter) entwickelte Bristol Aircraft ein spezielles Schweißverfahren, bei dem die Naht unter einer Argon-Schutzatmosphäre zusammengefügt wird. Der Vorgang erfordert hohe Präzision, um kleinste Verformungen auszuschließen. Es dauerte daher einige Zeit, ihn für die praktische Anwendung zuzulassen. Unterstützt wurde Bristol dabei von Armstrong Whitworth Aircraft in Coventry, die im Unterauftrag das komplette Leitwerk, die äußeren Flügel, die Querruder und die Cockpithaube fertigten.

Die Triebwerke? Eine Notlösung

Parallel zu den Werkstoffuntersuchungen arbeitete das Entwicklungsteam unter Leitung von Dr. A. E. Russell, dem Chefingenieur von Bristol, und Chefdesigner Dr. W. J. Strang an der aerodynamischen Auslegung der T.188. Neben Windkanalversuchen verwendete man dafür auch Freiflugmodelle, die im walisischen Aberporth mit Raketen gestartet wurden.

1955 erhielt Avro den Auftrag für die Entwicklung eines futuristischen, hoch fliegenden Aufklärers und Schnellbombers, während Gloster einen überschallschnellen Nachfolger des Javelin-Jägers untersuchte. Zur Unterstützung dieser Projekte plante das Ministry of Supply den Bau von drei weiteren T.188. Die Flügelform lehnte sich daher an die Auslegung der Avro 730 an. Letzteres Programm fiel aber im April 1957 wie viele andere Flugzeuge dem großen Streichkonzert von Verteidigungsminister Duncan Sandys zum Opfer.

Die Bristol 188 überlebte erstaunlicherweise, musste sich aber ein neues Triebwerk suchen, da das ursprünglich geplante Armstrong Siddeley P.176 gestrichen worden war. Auch aerodynamisch gab es Änderungen, wie ein rechteckiges Flügelmittelstück und ein breiteres Seitenleitwerk. Das voll bewegliche Höhenleitwerk/Höhenruder verlegten die Ingenieure nach oben.

Ein Geheimnis wird gelüftet

Die Existenz der Bristol 188 wurde erstmals im Oktober 1958 offiziell bestätigt, ohne dass allerdings Details veröffentlicht wurden. Bis zur Fertigstellung des ersten Prototyps der T.188 sollte es immer noch über zweieinhalb Jahre dauern. Am 26. April 1961 war dann das Roll-out im Werk Filton, wo heute Teile für Airbus hergestellt werden. Enthüllt wurde ein beeindruckendes, ganz in Naturmetall glänzendes Flugzeug mit schlankem, gestrecktem Rumpf, kleinen, extrem dünnen Tragflächen und riesigen Triebwerksgondeln.

In ihnen waren de Havilland (später Bristol Siddeley) DGJ.10R Gyron Junior-Triebwerke installiert. Deren Verwendung hatte das Ministry of Supply vorgeschrieben, denn nach der Einstellung des Abfangjägers Saunders-Roe SR.177 waren etwa ein Dutzend der Aggregate verfügbar.

Flugtests mit den Turbojets waren ab 31. Januar 1961 mit einer bei Napier in Luton umgebauten Gloster Javelin durchgeführt worden. Das Gyron Junior sollte einen Schub von 44,4 kN ohne und von 62,2 kN mit Nachbrenner liefern. Letzterer war sehr fein regelbar.

Bei den Bodenversuchen in der Bristol 188 trat beim DGJ.10R allerdings vielfach ein "Pumpen" des Verdichters auf – und dies, obwohl man den Lufteinlauf mit einer Reihe von zusätzlichen Einlaufklappen sowie einer Reihe von Luftauslassklappen für den zu erwartenden weiten Einsatzbereich recht aufwändig gestaltet hatte. Auch der Nachbrenner verlangte zunächst einiges an Feintuning.

Jungfernflug mit Pannen

Angesichts der langwierigen Tests konnte Bristols Cheftestpilot Godfrey Auty erst im Februar 1962 mit Rollversuchen beginnen. Dann spielte auch noch das Wetter wochenlang nicht mit, so dass sich der Jungfernflug der T.188 mit der Kennung XF923 bis zum 14. April 1962 verzögerte. Auty war nach dem Start in Filton für etwa 25 Minuten in der Luft und landete anschließend in Boscombe Down, dem Flugtestzentrum der Streitkräfte (Aeroplane and Armament Experimental Establishment). Während des Flugs fiel zeitweise der Funk aus und es trat ein Leck in einer Hydraulikleitung auf.

In den nächsten Monaten wurde der Flugbereich der Bristol 188 schrittweise ausgedehnt, bis Mach 1 erreicht war. Dabei stellte sich heraus, dass die Probleme mit dem Verdichterpumpen (schlagartige Umkehrung des Luftflusses nach vorn in Folge von Strömungsablösungen an den Verdichterblättern) keineswegs gelöst waren und sich im Überschallbereich sogar verschlimmerten. Bis zum Auftritt auf der SBAC-Show im September in Farnborough kamen so nur 19 Flüge zusammen. Die Tests wurden anschließend bis Mitte November fortgesetzt. Über den Winter kehrte die XF923 dann nach Filton zurück.

Die zweite Type 188

Kleine Tragflächen mit nur vier Prozent Dicke und riesige Triebwerksgondeln kennzeichneten die T.188. Das erste Flugzeug hatte den Bremsschirm noch in einem seitlich am Heck montierten Behälter. Foto und Copyright: KL-Dokumentation

Unterdessen ging bei Bristol die zweite Type 188 der Fertigstellung entgegen. Die Maschine mit der Kennung XF926 startete am 29. April 1963 zum Jungfernflug, wobei wieder Godfrey Auty im Cockpit saß. Für den Flug hatte man die Triebwerke der ersten Maschine eingebaut.

Nach Angaben der British Aircraft Corporation, zu der Bristol inzwischen gehörte, war die Flugerprobung im niedrigen Geschwindigkeitsbereich zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. Was offiziell natürlich nicht gesagt wurde: Die Flugleistungen der T.188 blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Als Maximalgeschwindigkeit wurde gerade einmal Mach 1.88 erreicht, und diese konnte wegen des viel zu hohen Kraftstoffverbrauchs des Gyron Junior auch nur zwei Minuten gehalten werden. Zudem war die Maschine wegen des Verdichterpumpens bei hohen Geschwindigkeiten nur schwer zu beherrschen.

Von der Entwicklung überholt

Eine Lösung wäre sicher der Wechsel des Triebwerkstyps gewesen, was in den Spezifikationen als Möglichkeit auch gefordert wurde. Allerdings hatte die stürmische Entwicklung der Flugzeugtechnik die Bristol 188 inzwischen überholt. Die Prioritäten der Militärs waren längst nicht mehr überschallschnelle, hochfliegende Aufklärer oder Bomber, vielmehr ging man zum Tiefflugeinsatz über. Weitere Ausgaben waren somit nicht mehr zu rechtfertigen, zumal die T.188 bereits 20 Millionen Pfund verschlungen hatte und so das bis dahin bei weitem teuerste in Großbritannien durchgeführte Versuchsflugzeugprogramm war.

Am 12. Januar 1964 flog Bristol-Testpilot J. Williamson daher die XF926 zum letzten Mal. Insgesamt standen bei der Einstellung des Programms im Februar 1964 gerade einmal 78 Flüge mit 50 Flugstunden in den Logbüchern. In einer offiziellen Erklärung des Ministry of Aircraft hieß es dennoch, die T.188 habe "in bedeutendem Maße zu unserem Wissen beigetragen...". Aus heutiger Sicht bezieht sich das jedoch eher auf die sehr moderne Flugtestausrüstung, die viele Daten per Funk direkt zur Kontrollstation am Boden schickte. Nach dem Ende des Programms wurden die XF923 und die XF926 zunächst in Filton abgestellt. Im April 1966 schaffte man sie dann zum Proof and Experimental Establishment in Shoeburyness in Essex, wo sie für Beschussversuche zur Verfügung standen. Während die XF923 später in Foulness verschrottet wurde, ging die zweite T.188 im September 1972 nach RAF Cosford. Dort ist sie heute im Prototypenhangar des RAF Museums zu sehen.

Technische Daten

Bristol Type 188

Verwendung: Forschungsflugzeug
Antrieb: 2 x de Havilland (Bristol Siddeley) DGJ.10R Gyron Junior
Schub: 44 kN ohne und 62,2 kN mit Nachbrenner
Länge: 23,68 m
Höhe: 4,23 m
Spannweite: 10,69 m
Flügelfläche: 36,8 m2
Kraftstoff: 4550 l
Höchstgeschwindigkeit: Mach 1.88