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Heimat zwischen Poesie und Schafen

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Stand: 03.11.2018, 03:49 Uhr

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Fürs Foto nimmt der Dichter und Landwirt Olaf Velte auch mal Platz inmitten seiner Schafe im Bizzenbachtal. Im Alltag geht es durchaus geschäftiger zu.

Fürs Foto nimmt der Dichter und Landwirt Olaf Velte auch mal Platz inmitten seiner Schafe im Bizzenbachtal. Im Alltag geht es durchaus geschäftiger zu. © Gerrit Mai

Was heißt es, auf dem Land und mit der Natur zu leben? In seinen Gedichten beschreibt Olaf Velte die landwirtschaftlichen Traditionen, in denen auch er lebt, und reflektiert deren Wandel zugleich sehr bewusst.

Hinter der Weide, auf der die Schafe von Olaf Velte grasen, ist die Welt zu Ende. Man sieht es nicht gleich, doch der Wald hinter dem Bizzenbachtal ist nur Tarnung. Ein breiter Weg führt in ihn hinein, doch nach wenigen Metern stößt der Spaziergänger auf einen hohen, unüberwindbaren Zaun. Er umspannt ein mehr als 250 Hektar riesiges Terrain, das heute zweitgrößte Munitionsdepot der Bundeswehr. Von 1949 bis 1997 war es das Militärareal der US-Besatzungsbehörden. Hier wuchs der 1960 geborene Olaf Velte auf, hier lebte der Dichter in der Zeit des Kalten Krieges. Lagerten hier Nuklearwaffen? In Wehrheim ist das ein hartnäckiges Gerücht, unausrottbar wie Gestrüpp.

Keiner beschwört das Alte wie Olaf Velte: Die Welt des Acker- und Viehbaus besingt er mit Wörtern, die man sonst nicht mehr hört. In seinen Versen lässt er die Vergangenheit wiedererstehen als eine alte Welt, die bis in die Gegenwart hinein wirkt. Mitunter scheint es in Veltes Gedichten fast, als sei alles, wie es immer war – und doch ist alles ganz anders. Nur was bedroht ist, muss bewahrt und bedichtet werden. Vielleicht hat das auch mit dem Idyll vor der Gefahr eines Atomkriegs zu tun. Schäfer-Idylle und Pershing-Raketen: Nichts mehr ist fraglos und unbedroht da. Doch im Gedicht wird die unbedrohte Erfahrung wieder wach, etwa in „Beginn“: „schon beim Beginn also / die letzten Dinge / wir schwätzen mein Vater und ich und / die Dorfgeschichte / schichten Heu in die Raufen, / fahren Schubkarren hin und her.

Und dann wird, wie nebenher, ein Schaf geboren, ist sichtbar was folgt / zwei reine weiße / Klauenspitzen / im Dunkel des winterlichen / Morgens / alles ist gut / zur Stunde im / zeitlosen Moment.“

Das weckt Wehmut, wirkt geradezu nostalgisch und ist doch zeitgenössisch und erlebt. Manchmal blitzt Gegenwärtiges auf in dieser zeitlosen Welt, hier blinkt eine Antenne, da rollt ein Reifen über Asphalt. Hier beschwört keiner raunend die Vergangenheit. Olaf Velte beherrscht die Kunst, in der Schwebe zu bleiben, auch im Gedichtband „Unterm Feldberg“, nach „Schindäcker rauhe Gärten“ und „Mit der Axt“ sein dritter, der im kleinen Stadtlichter-Verlag aus Unna erscheint.

Unterm Feldberg ist die Heimat von Velte: Auf den Höhenkamm des Taunus geht der Blick aus seinem Wohnzimmerfenster am Rand von Wehrheim. Dort hinten, zeigt er, lebten die Römer. Hier ist historisches Terrain.

Bei den Merinoschafen

Der Bergkamm ist auch eine Wettergrenze. Jenseits, auf der anderen Seite, geht alles nach Frankfurt zu, der schnelllebigen Stadt im Gegenwartstaumel. Hier aber, hinter den waldigen Hügeln, wiegt die Geschichte und wiegen die Geschichten noch schwer.

Nach der Schule zog es Olaf Velte auf die andere Taunusseite. Bei Brönner und Umschau in Frankfurt machte er eine Ausbildung zum Verlagskaufmann. Danach wollte er lieber nicht im Büro arbeiten, studierte Germanistik. Alles mit deutlicher Drift nach Wehrheim. Dort ist der Vater Landwirt. Bis heute noch, im Alter von 85, ist der ehrenamtliche Archivar der Gemeinde mehrmals pro Woche draußen bei den Merinoschafen. Ein bäuerlicher Betrieb, das geht auch in den 70ern nur, wenn die ganze Familie hilft. Die Arbeit auf dem Feld und bei den Tieren vertreibt Flausen, nährt aber auch die Sehnsucht nach Ausbruch.

Weit und eng zugleich ist die Welt zwischen dem Limeskamm und der Panzerstraße der US-Soldaten, die direkt auf die Autobahn führt. Amerika – ferne, nahe Welt: Dort gibt es eine Gegenkultur, gibt es Musik, Comics und Underground-Poeten, die Olaf Velte faszinieren. Schon als Schüler dichtet er, erste Lesungen mit Gleichgesinnten im örtlichen Schwimmbad, eine mit Hadayatullah Hübsch. Die ersten Texte erscheinen im Selbstdruck, die amerikanische Subkultur prägt Bilder und Motive. Doch irgendwann merkt Velte: Die Welt der Bars mit Waffen und Whiskey, und unter den Sitzen des 69er Ford ein Colt, ist nicht seine. Versteht: Er muss seine Heimat finden und seine eigene Sprache dafür. Nicht vom Highway ist von da an mehr die Rede, sondern von der Krume. Nicht vom Bourbon, sondern vom Apfelwein. Mit den US-Poeten verbindet ihn: Auch er steht irgendwie draußen. Selbst wenn er mittendrin wirkt, Schafe schert, Holz fällt oder anpackt bei Lämmergeburten.

Die jüngsten Gedichte sind skizzenhafter denn je. Oft ist es, als reiche es Velte, ein Bild leicht anzutippen, als wolle er es gar nicht mehr ausführen. Das mag auch daran liegen, dass Verleger Ralf Zühlke bei einem Besuch durch eine Manuskriptmappe stöbern durfte, in der mancher Text noch nicht ganz fertig war.

Noch 2013, in „Mit der Axt“, gab es Verse wie in Stein gemeißelt: „aus der Niveabüchse die blaue Wundersalbe nur / eine Messerspitze und immer den Muskel im / Blick jede Regung des niedergedrückten Körpers / immer spüren wie nah einer dran ist der / das Messer führt.“ Jetzt, in „Unterm Feldberg“, hört man auch andere Töne: „Unterm Feldberg / habe ich sterbende Männer / gesehen / holzfällende / liebeskranke / vom Licht zerfressene / Männer“. Assoziationen nur, Andeutungen. Die Texte seien „durchlässiger“ geworden, findet Velte. Mancher erzählt vielleicht von Schimären. Olaf Velte hat den Mut, das offenzulassen.

Vielleicht auch, weil er in mehr als vier Jahrzehnten des Schreibens die Pflöcke seiner Dichterbezüge tief in den heimischen Boden geschlagen hat: Grabbe zum Beispiel, Mörike und auch Wilhelm Raabe, denen wundersame Erzählungen gelten. In zwei Bänden gar ist Velte jüngst auf den Spuren des bäuerlichen Kauzes und Barockschriftstellers Christian Reuter gegangen, der den abenteuerlich-derben „Schellmuffsky“-Roman verfasste (Axel-Dielmann-Verlag). Fragt man Velte nach Vorbildern darüber hinaus, nennt er Johannes Bobrowski, Peter Huchel und Wulf Kirsten – allesamt deutsche Dichter, denen die Natur und die Landschaft, der sie entstammten, viel bedeuteten. Unter den fremdsprachigen ragen der Nobelpreisträger Seamus Heaney und Claude Simon heraus.

Alte Wörter, alte Welt

Die Ideen kämen oft tagsüber, ohne dass er allerdings Zeit hätte, das aufzuschreiben, sagt Velte. Das Schreiben dann „passiert abends“. 14 Bücher sind seit 1995 von ihm erschienen. Dass er gern mit altem Sprachmaterial arbeitet, wie er es formuliert, merkt man jedem seiner Gedichte an, aber auch seiner Art zu sprechen. Es erdet seine Lyrik, so, wie es ihn erdet, als Landwirt tätig zu sein, im Rahmen seines Dorfes, ohne dass er sich je „als geborener Landwirtssohn“ gefühlt hätte.

Wörter wie „Gemarkung“, „Flurschütz“ und „Höhenkamm“ gehen Olaf Velte wie selbstverständlich über die Lippen. Sie verleihen seinem Sprechen einen unzeitgemäßen Sound, der nicht rückwärtsgewandt wirkt, sondern erfrischend modern. Denn das Umgebensein von der Natur, wie es sich im Panorama der Taunuswälder darstellt oder im Blick, der über Felder schweift, das Leben in Familienstrukturen und mit den Jahreszeiten prägt uns bis heute, so modern und frei wir uns auch gebärden.

Velte bringt es zur Sprache und uns damit zur Besinnung: „Wie sie alt werden / die Bauern / verwachsen mit ihren / Traktoren“, heißt es in „Sterbende Stämme“. Und weiter: „fliegendes Haar grau / gefiedert / im Indianerherbst leicht / verletzt alleine jetzt verlassen / von Söhnen Töchtern / abseits / des sterbenden Stammes vor dem Rohrbach / schwindet das Licht / glimmende Feuer / über der Bruchkante“.

War es nicht immer so?

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