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Stand: 20.01.2019, 13:32 Uhr

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Auf dem Weg zum nächsten Oscar: Cate Blanchett als melancholische  Jasmine (mit Peter Sarsgaard als Dwight).

Auf dem Weg zum nächsten Oscar: Cate Blanchett als melancholische Jasmine (mit Peter Sarsgaard als Dwight). © dpa

Woody Allen hat mit „Blue Jasmine“ für die unfehlbare Cate Blanchett einen großartigen Blues geschrieben. Allen hat in seinem Spätwerk alle Fesseln abgelegt und zeigt sich als einer der letzten Großmeister des amerikanischen Films.

Woody Allen ist ein alter Jazzer. Und wie seine New-Orleans-Band klingen auch seine Filme meistens lustig, aber manchmal traurig. Dies aber ist sein erster echter Blues. Dabei wiegt er uns zeitweilig sogar im Glauben, einer Komödie zuzusehen, so messerscharf-ironisch zeichnet er seine von Cate Blanchett gespielte tragische Heldin Jasmine: Als Exfrau eines New Yorker Finanzjongleurs, der für seine kriminellen Tricks eine lange Haftstrafe verbüßt, ist sie im bescheidenen Apartment ihrer Schwester in San Francisco eingezogen – und geht dort allen auf den Geist: Als frisch verarmte Neureiche von ungebrochener Überheblichkeit findet sie noch lange nicht herunter von ihrem hohen Ross – und der alten Verachtung für so genannte „loser“ wie den etwas aufrichtigen, aber grundehrlichen Mechaniker-Freund ihrer von Sally Hawkins gespielten Schwester.

Dabei hätte das Paar allen Grund, Jasmine zum Teufel zu schicken – immerhin verlor es seinen einzigen Besitz, einen Lottogewinn von 200.000 Dollar, in der Konkursmasse des kriminellen Finanzmagnaten. Um hinter aller Falschheit, die Jasmine umweht wie der Rest eines teuren Parfüms – sogar ihren ursprünglichen Vornamen Jeanette hat sie geändert –, etwas Liebenswertes zu entdecken, müssen wir sie schon mit den Augen ihrer liebevollen Schwester sehen: Einmal mehr spielt Sally Hawkins eine Variation der Rolle der „Happy-Go-Lucky“-Poppy aus Mike Leighs Komödie. Offensichtlich gehört auch Woody Allen zu den Bewunderern des großen englischen Regisseurs.

Allens wunderbare Regie

Die neidlose Liebe dieser kleinen Schwester zur offensichtlich lange bevorzugten Jasmine ist das emotionale Rückgrat dieses meisterhaft geschriebenen Films. Der 77-jährige Allen schöpft hier wieder einmal aus dem Fundus seines reichen Werks und gibt eine kleine Reprise zu einem seiner schönsten Filme, „Hannah und ihre Schwestern.“

Nach einer Serie erhellender Rückblenden aus Jasmines Eheleben an der Seite des von Alec Baldwin angemessen schmierig verkörperten Society-Löwen, blicken wir hinter die Fassade – und alles ändert sich. Nun ist „Blue Jasmine“ plötzlich trauriger als jeder Song, den W.C. Handy, der Komponist des von Woody Allen so gern gespielten „St. Louis Blues“, je zu Papier brachte. Denn letztlich liegt doch auch im traurigsten Blues immerhin noch jenes aufbauende Moment, dass man auch über das größte Leid auf Erden wenigstens noch singen kann. Jasmine indes würde gerne singen, doch sie weiß nicht wie. Ihr fehlen die Worte, als sie zur letzten Szene plötzlich der sonst für die Figuren unhörbaren Filmmusik gewahr wird: „Ist das nicht ‚Blue Moon‘?“, fragt sie sich da. „Wie ging noch mal der Text? Den kannte ich doch mal.“

Nein, sie kann nicht einmal singen. Sie kann gar nichts. Alles hat sie auf das Luxusleben an der Seite eines schwerreichen Ernährers gesetzt, ihr Studium und alle eigene Ambitionen aufgegeben. Nun brabbelt sie mit verheulten Augen zu sich selbst – eine kleine Macke, die man ihr immer wieder vorgehalten hat –, während die Töne dieses Song-Klassikers ihr verwundetes Herz umwehen. Eine Szene aus einem der schönsten Jazz-Filme kommt einem da in den Sinn: In Bertrand Taverniers „Round Midnight“ wusste auch Saxophon-Legende Dexter Gordon plötzlich nicht mehr weiter und hatte den Text vergessen. So ist das im Jazz: Auch der Instrumentalist braucht in Gedanken Worte, um die ganze Stimmung eines Liedes einzufangen. Erst dann wird ein komplettes Bild daraus, so wie in Woody Allens wunderbarer Regie alle Ebenen zusammenwirken.

Das Pokerspiel um einen neuen reichen Bräutigam, einen ehrgeizigen Politiker (Peter Sarsgaard) hat Jasmine also verloren, ebenso wie die Eselsgeduld ihrer herzensguten Schwester. Jetzt allerdings kann es nur noch aufwärts gehen. Nur, dass uns der gnadenlos einsetzende Schwarzfilm des Abspanns nicht verraten möchte, wie. Was haben wir sie verachtet und belächelt in diesem Film, und nun wünschen wir ihr alles Glück der Erde.

Alle Fesseln abgelegt

Pardon, jetzt haben wir sogar den Schluss verraten, ein Fauxpas in jeder Filmkritik. Doch diese Szene lässt sich nicht verschweigen, dafür ist sie einfach viel zu groß: Bruchlos reiht sie sich ein in die Liste der besten Filmenden, die Woody Allen in seinem Werk immer wieder gelungen sind, von „Mach’s noch einmal Sam“ bis zu „Manhattan“. Es ist, natürlich auch dank der unfehlbaren Cate Blanchett, eine Szene für die Ewigkeit. Überraschungen, die lohnen, diesen Film zu sehen, gibt es noch genug.

Immer wieder hat Woody Allen in seiner Karriere zwischen den Komödien auch ernste Filme gedreht, manchmal auch tiefschwarze, so düster, dass es schon wieder lustig wurde. Wie bei „Cassandras Traum“, seinem modernen Film noir um zwei Brüder, die aus finanziellen Nöten beschließen, ihren Onkel zu ermorden. Schon hier, am Vorabend der Finanzkrise von 2007, diagnostizierte Allen einen Werteverlust in der amerikanischen Oberschicht. Diesmal allerdings gehört sein Herz jenen, die die Unmoral unverschuldet im Schlepptau mit hinunter zieht. Marilyn Monroes frivole Frage „Wie angelt man sich einen Millionär“ wird zum verzweifelten Stoßseufzer einer Frau, der ihre Emanzipation noch bevorsteht. Und die sich dann wundert, dass sie mit Männern nicht mehr Glück hat als die New-Orleans-Sängerin Lizzie Miles, deren Version von „A Good Man Is Hard To Find“ das musikalische Leitmotiv beisteuert.

Woody Allen hat in seinem Spätwerk alle Fesseln abgelegt. Hemmungslos konstruiert er zufällige Begegnungen zwischen den Figuren, um die Handlung weiterzuspinnen. Das verleiht „Blue Jasmine“ eine Geradlinigkeit, die an die frühe Tonfilmzeit erinnert, als Hollywood noch kaum unter der späteren Filmzensur zu leiden hatte. Als „Pre-Code-Movies“ werden diese Filme heute von Liebhabern verehrt, schonungslos prangern sie unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise soziale Ungerechtigkeiten an und erzählen vielfach vom Überlebenswillen starker Frauen.

Schön, dass nach dem Stummfilm – wiederbelebt durch den Oscar-Gewinner „The Artist“ – nun auch das „Pre-Code-Movie“ wieder aufersteht. Und sei es nur als geniale Fingerübung eines der letzten Großmeister des amerikanischen Films. Der nächste ist bereits abgedreht und verspricht wieder Romantik. Der Titel: „Magic in the Moonlight.“

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