Bekannter Aktivist aus Hongkong flüchtet nach Deutschland – jetzt studiert er in Göttingen
- ️Fri Apr 17 2020
Stand: 17.04.2020, 06:16 Uhr
Aktivist Ray Wong ist der erste anerkannte politische Geflüchtete aus Hongkong in Deutschland. Das sorgte für Spannungen mit China. Jetzt studiert er in Göttingen.
- Unabhängigkeits-Aktivist Ray Wong aus Hongkong bekam Asyl in Deutschland
- In Göttingen studiert er nun Politik und Philosophie
- In Hongkong gründete Ray Wong zusammen mit anderen Aktivisten Hongkong Indigenous
Hongkong/Göttingen - In der Nacht des Neujahrsfests am 8. Februar 2016 bleiben dem 22-jährigen Ray Wong zehn Minuten, um zu überlegen, wie lange er ins Gefängnis muss. Was ihn sein Aktivismus kosten wird.
Die Einsatzkräfte der Polizei in Hongkong haben den traditionellen Lunar New Year Market gestürmt und wollen Streetfood-Stände ohne Lizenz räumen. Sie kündigen Festnahmen und Repressionen an. Und doch weicht die Menschenmenge nicht zurück.
Proteste in Hongkong: „Ich sah wie Polizisten ein Mädchen auf den Boden schubsten“
Die Situation eskaliert. „Ich sah wie Polizisten ein Mädchen, vielleicht 14, 15 Jahre alt, auf den Boden schubsten, andere trampelten über sie“. Er wird wütend über diese Brutalität. In diesen Minuten beschließt Wong mit Mitstreitern eine Linie vor der Polizei zu bilden und sich verhaften zu lassen. Damit die anderen entkommen können.
„Ich rechnete mit vier bis sechs Monaten Gefängnis und ich war bereit, diese Konsequenz zu tragen“ sagt er rückblickend. Kurz darauf ist er ohnmächtig - eine Ladung Pfefferspray im Gesicht. „Meine Freunde haben mich festgehalten und weggetragen, damit ich nicht auf dem Boden liege“, berichtet er. Erst mehr als zehn Minuten später kommt er wieder zu Bewusstsein. Diese Nacht bekommt später den Namen Mong Kok Proteste.
Ray Wong ist in Hongkong bekannt - Zwischen Wut und Bewunderung
Wenn Ray Wong heute, vier Jahre später, in seiner ruhigen Art davon erzählt, klingt es, als berichte er von einem anderen Leben. Er sitzt in einem kleinen gemütlichen Göttinger Café und bestellt einen grünen Tee. Das Bild des Straßenkämpfers scheint in dieser beschaulichen und sicheren Umgebung sehr weit weg zu sein.
Doch in Hongkong kennen viele seinen Namen, haben ihn oft in den Zeitungen gelesen, er löst Wut aus – aber auch Bewunderung. Ihm ist wichtig, dass Menschen außerhalb Chinas und Hongkongs seine Geschichte hören. Als „Separatist“, wie ihn pekingtreue Medien bezeichnen. Als junger Mensch, der Demokratie will und seine Heimat liebt, nennt Ray Wong es.
Von Hongkong nach Göttingen: Aktivist Ray Wong gründete Hongkong Indigenous
Zu diesem Zeitpunkt seiner Geschichte ist Ray Wong bereits ein bekannter Unabhängigkeits-Aktivist. Nach der Regenschirm-Revolution gründete Wong die Gruppe Hongkong Indigenous. Als er mit anderen Aktivisten in jener Februarnacht auf die Polizisten zustürmt, liegt ein Jahr voller Proteste hinter ihm. Zehn Tage später wird er in der Wohnung eines Freundes verhaftet.
Ein langer Weg beginnt, der ihn von der Millionenmetropole Hongkong bis in die niedersächsische Studierendenstadt Göttingen führt. Mit seinen 26 Jahren ist Ray Wong heute eines der bekanntesten Gesichter der Demokratiebewegung in Hongkong – und der erste anerkannte politische Geflüchtete in Deutschland. Seit dem November 2017 war Wong nicht mehr zuhause. Würde er zurückkehren, müsste er sehr wahrscheinlich ins Gefängnis. So wie sein ehemaliger Mitstreiter Edward Leung – verurteilt zu sechs Jahren Haft. Ray Wong ist frei und hat doch verloren.
Ray Wongs politisches Erwachen: Die Regenbogen-Revolution
Ray Wong kommt am 15. September 1993 in Hongkong zur Welt. Seine Familie beschreibt er als „normale Mittelklasse-Familie.“ In den Ferien ist Wong oft in Haiphong und Guangzhou, da beide Elternteile aus China stammen. Er beginnt ein Studium zum Innenarchitekten. Im Juni 2012 verabschiedet die Regierung eine Bildungsreform, die die kommunistische Partei Chinas propagiert. Zwar wird diese teilweise verhindert – doch heute lernen Kinder in Hongkong in den Grundschulen Mandarin anstatt Kantonesisch, der traditionellen Sprache Hongkongs.
Ray Wong beginnt sich für Politik zu interessieren. Da ist er gerade 18 Jahre alt. „Zu diesem Zeitpunkt realisierte ich, dass sich Hongkong in Richtung China entwickelt“, sagt er. Sein politisches Erwachen. „Vor der Regenbogen-Revolution dachte ich nicht darüber nach, Aktivist zu werden.“, sagt Wong. Die Revolution hat das verändert.
Von Hongkong nach Göttingen: Gegen die Kommunistische Partei Chinas
Er findet keine Bewegung, mit der er sich identifiziert. Selbst pan-demokratische Organisationen in Hongkong bezeichnen sich als chinesisch. „Aber wir jungen Menschen sind Hongkonger“, sagt Wong. „Die chinesische Regierung zwingt uns, ihre Identität zu übernehmen. Und damit die Annahmen der Kommunistischen Partei Chinas.“ Die KPC ist die in China herrschende Einheitspartei, aufgebaut nach sowjetischem Vorbild – mit gigantischem Propagandaapparat und Totalüberwachung. Ray Wong hat Angst seinen freien Willen zu verlieren.
Seine Stimme ist kontrolliert, während er all das erzählt, beinahe zu leise. Er denkt nach, manchmal einige Sekunden, seine Antworten sind mit Bedacht gewählt. In dem vollbesetzten Café mit dem Stimmengewirr, in das sich ab und zu Babylaute und das Zischen und Klappern der Kaffeemaschine mischen, ist er fast nicht zu hören. Manchmal nehmen seine Worte an Intensität zu. Teilweise an Bitterkeit, diese rohe Form der Bitterkeit, die in einem sprießt, wenn etwas verloren gegangen ist, ohne dass man es genau benennen kann. Manchmal, selten, reichen Worte nicht aus.
Eine Frau mit einem Kinderwagen möchte an ihm vorbei. Ray Wong unterbricht seine Erzählung sofort, springt auf und rückt seinen Stuhl zur Seite. Ein wachsamer Mensch, der seine Umgebung genau wahrnimmt. Er setzt sich wieder, schiebt seine schwarze Hornbrille zurecht, nimmt einen Schluck Tee.
Gründung von Hongkong Indigenous: Gemeinsam für Freiheit und Demokratie
Der Januar 2015 ist die Geburtsstunde von Hongkong Indigenous. Eine lokalistische Gruppe, die sich dem chinesischen Einfluss entgegenstellt und die Identität Hongkongs bewähren möchte. Ray Wong und seine Mitstreiter organisieren aufsehenerregende Protest. Sie wollen ein vom autoritären China unabhängiges Hongkong. Sie wollen Freiheit. Sie wollen Demokratie.
Ein Ziel, für das Ray Wong bereit ist, ins Gefängnis zu gehen – und schlussendlich seine Heimat zu verlassen. „Für meine Eltern war politisches Engagement damals mit etwas Dreckigem verbunden. Sie meinten, wir haben chinesisches Blut und müssen auf die Regierung hören“, sagt er. Nach den Mong Kok Protesten wird seine Mutter bedroht. „Sie begann mehr Nachrichten über China zu lesen und kam zu der gleichen Überzeugung wie ich.“
Auf einem der Fotos von damals sieht man ihn in einem blauen T-Shirt, die Ärmel hochgerollt, in der Hand ein Mikrofon – er sieht nicht aus wie das Stereotyp eines Anführers, eher wie einer, der es sein muss. Die Haare sind an den Seiten kurz und oben länger, so wie es viele heute tragen. Auf einem anderen Bild spricht er in ein Megafon. Seine Mimik wirkt entschlossen. Hinter ihm ist eine Menschenmasse zu sehen, die ihm folgt. „Die direkte Bedeutung von Hongkong Indigenous ist, wir stehen in der ersten Reihe und kämpfen für Demokratie“, sagt Ray Wong.
Von Hongkong nach Göttingen: Gewalt auszuschließen ist naiv
Anders als die Organisatoren der Regenschirm-Revolution sieht Hongkong Indigenous Gewalt als teilweise notwendiges Mittel an, um Wandel zu bringen. Angesichts von Polizeibrutalität sei es naiv davon auszugehen ohne auszukommen, sagt Ray Wong – wenn es darum gehe, sich und andere zu schützen. Die Bewegung geht zunächst gegen chinesische Schmuggler in den Grenzgebieten vor. In Hongkong sind die Steuern auf Produkte niedriger und die Waren in besserer Qualität als in China. Schmuggler würden bis zu fünf Mal am Tag über die Grenzen kommen und sich mit Produkten wie Milchpulver eindecken, sagt Ray Wong.
Die Anwohner klagen über leer gekaufte Geschäfte und gestiegene Preise. 2015 reicht es ihnen. Wong beschreibt die Demonstration wie folgt: „Ich konnte die aufgestaute Wut jedes einzelnen Teilnehmers spüren, bereit, sich zu wehren.“ Nach einer Reihe von Protesten ändert die 30 Kilometer entfernte chinesische Stadt Shenzen Ende April die Visa- Bestimmungen. Künftig dürfen die Bewohner nur noch einmal die Woche nach Hongkong reisen. „Die chinesische Regierung würde niemals zugeben, das Aktivismus funktioniert. Aber alle wussten, dass die Proteste gewirkt haben“, sagt Wong. Ein Erfolg für Hongkong Indigenous.
Von Hongkong nach Göttingen: Hongkong Indigenous kandidiert für Legislativrat
Doch eigentlich wollte Ray Wong nie Politiker oder Aktivist sein. Er plant in sein normales Leben zurückzukehren und sein Studium zu beenden. Dann taucht Edward Leung auf. „Er besaß die Charakteristik eines charismatischen Politikers“, beschreibt Wong ihn. Er sieht das Potential von Edward Leung und entschließt sich, an seiner Seite weiterzukämpfen. Die Aktivisten stellen Edward Leung für Hongkong Indigenous zur nächsten Wahl des Legislativrats (Legco) auf, die gesetzgebende Versammlung der Sonderverwaltungszone Hongkong.
Dann ereignet sich jene einschneidende Nacht im Februar 2016, in der die Hongkonger Polizei den Lunar New Year Market stürmt. Ray Wong und Edward Leung sowie weitere Mitglieder von Hongkong Indigenous werden im Anschluss daran verhaftet – angeklagt, sich an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligt zu haben. In Hongkong kann das zehn Jahre Gefängnis bedeuten. Doch durch die Ereignisse bekommt Hongkong Indigenous national und international viel Aufmerksamkeit.
Von Hongkong nach Göttingen: Ein ganz normaler Student
Ray Wong unterbricht seine Geschichte für einen Moment, er ist müde. Gestern Abend war er mit Freunden in einer beliebten linken Göttinger Kneipe. Kurz klingt er wie ein normaler Göttinger Student. Seit dem Wintersemester 2019/2020 ist Ray Wong für Politikwissenschaften und Philosophie eingeschrieben. „Philosophie hat mich schon immer interessiert und ich will auch in Zukunft politisch aktiv sein“, sagt er. Die Prüfungen stehen an, er muss sich eigentlich vorbereiten. In Integrationskursen hat er Deutsch gelernt, doch auf einer ihm bis vor kurzem fremden Sprache zu studieren, ist anstrengend.
Das Ergebnis der Vorwahl im Februar 2016 ist überwältigend für Hongkong Indigenous. Edward Leung bekommt 15 Prozent der Stimmen. Plötzlich erscheint es realistisch, dass Hongkong Indigenous mindestens zwei Plätze im Parlament im September 2016 gewinnen könnte. Zahlreiche hoffnungsvolle junge Menschen strömen in die Partei. Nach seiner Verhaftung kommt Ray Wong auf Kaution frei - doch eine Gefängnisstrafe ist wahrscheinlich. „Bis zum Sommer liefen die Wahlvorbereitungen gut“, sagt Wong. Bis die Hongkonger Regierung etwas Neues einführt: Die Kandidaten müssen versichern, dass sie die Grundgesetze Hongkongs achten und schützen. Es verschafft der Regierung die Möglichkeit zu entscheiden, wer kandidieren darf – und wer nicht. Edward Leung und Hongkong Indigenous dürfen nicht.
Von Hongkong nach Göttingen: Ins Gefängnis oder Flucht?
Eine bittere Niederlage. Aufgeben ist für Ray Wong jedoch keine Option. „Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits einen zu hohen Preis bezahlt“, sagt Wong. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Für Januar 2018 ist Ray Wongs und Edward Leungs Verhandlung geplant. Wong ist klar, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt: „Unser Leben, unsere Freiheit waren limitiert“. Sie wollen sicherstellen, dass die Partei nach ihrer Inhaftierung weiterbesteht. Hongkong Indigenous entscheidet sich, eine ebenfalls lokalistische, aber moderatere Partei namens Youngspiration zu unterstützen.
Mit der Abmachung, dass einer der erfolgreichen Kandidaten mit Hongkong Indigenous kooperiert – ein Deal, den die andere Partei bricht. Jetzt ist für Hongkong Indigenous klar, dass sie innerhalb des politischen Systems nichts verändern können. Demonstranten der Mong Kok Proteste und andere Aktivisten werden zu Gefängnisstrafen verurteilt. „Wir konnten nicht an den Wahlen teilnehmen und wir verloren die Unterstützung vieler Menschen“, sagt Ray Wong.
Er bekommt Depressionen, trennt sich von seiner langjährigen Freundin, hat kein Geld mehr. Seine Eltern sind in großer Sorge um ihn. „Ich hatte mich als Privatperson komplett verloren. Als Politiker und Aktivist gab es für meine Gefühle keinen Platz “, beschreibt Wong diesen Zustand heute.
Von Hongkong nach Göttingen: Das Großstadt-Feeling von Berlin
In seinem jetzigen Leben hat sich dieser Zustand beinahe verflüchtigt. „Meine Position ist nicht mehr so entscheidend wie damals. Ich habe immer noch Verantwortung, aber die Intensität ist anders.“, sagt er. Trotz aller Schwierigkeiten fühlt er sich wohl in Deutschland. „Göttingen ist für mich perfekt zum Studieren. Es gibt nicht so viel Ablenkung“, sagt er über die 120.000-Einwohner-Stadt. Wenn er das Großstadtleben vermisst, er, der sein ganzes Leben in einer Stadt mit fast acht Millionen Menschen verbracht hat, fährt er nach Berlin. Vor ein paar Monaten ist er von einer WG in eine kleine Einzimmerwohnung am Göttinger Stadtrand gezogen.
„Der Plan war nach den Mong Kok Protesten, dass Edward nach Europa flieht und ich ins Gefängnis gehe“, sagt Wong. Er traut ihm mehr Überzeugungskraft auf dem internationalen Parkett zu. Einer der beiden soll ihre Geschichte nach draußen tragen und die Aufmerksamkeit auf die Missstände in Hongkong lenken. Der andere die Konsequenzen ihres Handelns tragen. „Im Kampf für die Demokratie waren wir bereit, ins Gefängnis zu gehen oder sogar zu sterben“, sagt Wong. Doch es kommt anders. Edward Leung will in Hongkong bleiben und sich für die Idee opfern.
: Polizei greift Journalisten an
Von Hongkong nach Göttingen: Flucht nach Deutschland - Ray Wong ist jetzt Geflüchteter
Am Jahrestag der Regenschirm-Revolution im September 2017 wird Wong für einen Protest nach London eingeladen. Im Anschluss reist er nach Deutschland, um sich mit „The World Uyghur Congress“ und der NGO „Gesellschaft für bedrohte Völker“ zu vernetzen. Er erfährt, wie es ist, ein Geflüchteter in Deutschland zu sein.
Ray Wong kehrt nach Hongkong zurück – und entscheidet sich, nach Deutschland zu flüchten. „Hongkong mit dem Bewusstsein zu verlassen vielleicht nie wieder zurückzukehren, war eine sehr schwere Entscheidung, vielleicht sogar schwerer, als ins Gefängnis zu gehen“, sagt Wong. Seine Flucht bedeutet das Ende von Hongkong Indigenous, weil keiner die Nachfolge übernehmen will. Zu eng ist die Partei mit ihm und Edward Leung verbunden.
Nachdem der Plan gefasst ist, geht alles schnell. Innerhalb von zehn Tagen bereitet Ray Wong seine Abreise vor. Er geht wandern, um sich von der Hongkonger Landschaft zu verabschieden, trifft Freunde und zum letzten Mal die Familie. Da die Behörden seinen Pass haben, legt Wong eine Einladung zu einem Kongress der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ vor und bekommt die Erlaubnis, auszureisen.
Von Hongkong nach Göttingen: Zusammen mit Alan Li Tung-sing
In Berlin kommt er am 8. November 2017 zusammen mit dem Hongkonger Aktivisten Alan Li Tung-sing an und beantragt Asyl in Deutschland. Die zwei Männer sind jetzt Geflüchtete. Beide werden in eine Flüchtlingsunterkunft im niedersächsischen Bad Fallingbostel geschickt. Die Lebensumstände dort empfindet Ray Wong als bedrückend. Viele Menschen, die Räume sind dreckig und verschiedene Kulturen treffen auf engstem Raum aufeinander.
Er ist niedergeschlagen. Die Hongkonger Medien berichten negativ über seine Abwesenheit vor Gericht. Hongkong Indigenous wird als radikale faschistische Gruppe dargestellt. „Die Polizei sagte, sie würde mich verfolgen“, berichtet Wong. Er ist in Sorge um seine Familie. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, das allein durchzustehen“, sagt Wong über seinen Begleiter Alan Li Tung-sing.
Wong und Tung-sing erhalten Asyl in Deutschland und China ist verärgert Anfang Januar 2018 müssen sie in ein Flüchtlingslager nach Osnabrück umziehen. Im April werden sie weiter nach Göttingen geschickt. In diesem Camp leben Ray Wong und Alan Li Tung-sing über vier Monate. Sie teilen sich ein Zimmer mit acht bis zehn Geflüchteten. Im Mai 2018 erhält Ray Wong den Aufenthaltsstatus in Deutschland.
Von Hongkong nach Göttingen: "Flüchtlingsschutz" gewährt
Danach geht er an die Öffentlichkeit und gibt Interviews. Bis zu diesem Zeitpunkt galt sein Status als unbekannt. Niemand wusste, dass er sich in Deutschland aufhält. Seine Bekanntmachung sorgt für Aufsehen in Hongkong, beherrscht die Titelseiten der Medien des Landes. Und sorgt für Anspannung zwischen Deutschland, Hongkong und China.
So berichtete die Deutsche Welle, dass ein Sprecher des Außenministeriums in Hongkong Deutschland aufforderte, die Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in Hongkong zu respektieren, mit dem Hinweis, dass dies allein interne Angelegenheiten Chinas seien. Der Tagesspiegel schrieb über „schwere Verärgerung in Peking“.
Die deutsche Regierung äußerte sich damals nicht konkret, sondern gab bekannt, dass Antragstellern aus Hongkong der „Flüchtlingsschutz“ gewährt wurde. Wie die Tagesschau berichtete, bestellte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam den deutschen Konsul ein, um ihrer Verärgerung Ausdruck zu verleihen. Ein Mitglied des Legislativrats schrieb in einem Brief in der South China Morning Post: “German asylum for Ray Wong and Alan Li is an attack on Hongkong’s justice system”.
Von Hongkong nach Göttingen: Proteste 2019 forderten viele Opfer
Die gewaltigen Proteste gegen das geplante Auslieferungsgesetz nach China und für mehr Demokratie in Hongkong 2019 erlebt Ray Wong aus der Ferne in Göttingen. „Ich blieb in meinem Zimmer, schaute Live-Mitschnitte und Nachrichten. Ich wollte nichts essen, mich nicht bewegen. Ich war enttäuscht von mir selbst, weil ich nichts tun konnte“, sagt er. Für ihn ist es in dieser Zeit fast unmöglich raus zu gehen und Freunde zu treffen. Er fühlt sich wie in einem Paralleluniversum. Auf der einen Seite die jungen Menschen in Hongkong, die für ihre Zukunft und Freiheit kämpfen. Und dann die Teenager und Studierenden in Göttingen, die darüber sprechen, wohin sie reisen möchten und welche Filme auf Netflix laufen.
„Ich verstehe das, aber ich konnte mich auf nichts konzentrieren, außer auf die Ereignisse in Hongkong“, sagt Wong. Wäre das Gesetz verabschiedet worden, wäre das Grundprinzip „ein Land, zwei Systeme“ für Hongkong Geschichte gewesen, sagt er. Dass es verhindert wurde, beschreibt Ray Wong jedoch nicht als Erfolg. „Wir haben dafür viel zu viel opfern müssen“, sagt er mit Hinweis auf die zahlreichen Inhaftierungen, zwei Todesfälle und die Menschen, die wie er aus Hongkong fliehen mussten. Das Corona-Virus führt 2019/2020 zu einer Unterbrechung der Massenproteste, die sich längst zu einer Demokratiebewegung entwickelt haben.
Von Hongkong nach Göttingen: Proteste verlagern sich auf die Ökonomie
Statt Straßenschlachten würden sich die Proteste nun auf einen wirtschaftlichen Widerstand gegen Chinas Einfluss auf Hongkong verlagern, sagt Wong. „Menschen, die an die Demokratie glauben, gehen in Läden, Restaurants und Unternehmen von Leuten, die ebenfalls eine demokratische Überzeugung haben. So dass unser Geld nicht die pro-chinesische Seite unterstützt“, erklärt er. Es gibt „yellow economy“, also demokratiefreundliche und „blue economy“, pekingfreundliche Wirtschaft.
Doch: „Um für die Freiheit in Hongkong zu kämpfen, muss man sich als politischer Aktivist auf Menschenrechtsverletzungen im gesamten chinesischen Gebiet konzentrieren, nicht nur auf Hongkong“, sagt er. Ray Wong trägt seinen Teil zu den Unabhängigkeitskämpfen in Hongkong bei, indem er in den USA, Europa und Großbritannien auf die politische Situation aufmerksam macht. Er arbeitet für die NGO, die ihm damals geholfen hat, die „Gesellschaft für bedrohte Völker“. Alles ist so, wie Edward Leung und er es geplant haben. Einer im Gefängnis, der Andere nach Europa geflüchtet, ohne Aussicht auf Rückkehr – eine andere Form der Bestrafung. Doch Ray Wong glaubt daran, dass die Kommunistische Partei Chinas eines Tages kollabieren wird. „Dann wird sich alles verändern. Und ich kann nach Hongkong zurückkehren“, sagt Wong.
Von Hongkong nach Göttingen: Hintergrund - Die Regenschirm-Bewegung und die Proteste 2019/2020
2014 kommt es in Hongkong zu einer Reihe von Demonstrationen gegen einen im Nationalen Volkskongress in Peking erarbeiteten Beschluss. Zwar sollten 2017 erstmals alle Hongkonger ihren Regierungschef wählen dürfen. Ein chinesisches Wahlgremium wählt jedoch die Kandidaten zur Wahl des Hongkonger Regierungschefs vorab aus.
De facto stellt China damit sicher, dass der chinesische Regierungschef pekingtreu ist. Zahlreiche Menschen in Hongkong gehen daraufhin für freie Wahlen des Regierungschefs und des Parlaments auf die Straßen. Der Name Regenschirm-Bewegung geht auf die Regenschirme zurück, die die Demonstranten zum Schutz vor dem Pfefferspray der Polizei bei sich hatten.
Von Hongkong nach Göttingen: Vorreiter der aktuellen Proteste
Die Regenschirm-Bewegung gilt als Vorreiter der aktuellen Proteste in 2019 und 2020. Hunderttausende protestieren gegen die Hongkonger Regierung, die kommunistische Führung durch China und deren wachsenden Einfluss auf Hongkong. Auslöser war das umstrittene Gesetz zur Auslieferung an China, das im September 2019 zurückgezogen wurde. Für die Hongkonger stand dieses Gesetz symbolisch für den zunehmenden Einfluss Pekings auf die Sonderverwaltungszone Hongkong. Dadurch wäre es der Kommunistischen Partei China möglich gewesen, Aktivisten vor chinesischen Gerichten zu verurteilen. Die Proteste entwickelten sich zu einer breiten Demokratiebewegung.
Nach den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei, fordert die Bewegung eine Untersuchung der Polizeigewalt in Hongkong und nach wie vor freie Wahlen, Demokratie und Selbstbestimmung. Die chinatreue Regierungschefin Carrie Lam lehnt weitere Zugeständnisse ab. Die Ausbreitung des Corona-Virus unterbrach die Massenproteste auf den Straßen. Diese verlagern sich derzeit auf den Boykott chinatreuer Geschäfte, Unternehmen und Restaurants.
Hongkong: Auch an Weihnachten gab es Kämpfe mit der Polizei
Gegen im Ausland lebende Aktivisten hat die Hongkonger Polizei einen Haftbefehl ausgesprochen. Warum genau, ist unklar. Für die Familien der Betroffenen hat das drastische Auswirkungen.
Ende des vergangenen Jahres kam es in Hongkong zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Auch an Weihnachten kämpften die Aktivisten für mehr Demokratie.*
Die Proteste gingen im neuen Jahr weiter. In Hongkong kämpften die Aktivisten* weiter für ihre Überzeugungen, auch weiterhin mit Gewalt. Nachdem Ende Mai das neue Sicherheitsgesetz in China* auf den Weg gebracht wurde, befürchten Protestler den Verlust der Autonomierechte in Hongkong.
Jahrelang hat er für Freiheit in Hongkong gekämpft. Vor wenigen Tagen ist der Aktivist Nathan Law aus Hongkong geflohen – aus Angst vor der Verhaftung durch chinesische Sicherheitsbehörden.
Video: Hongkong - Aktivisten kämpfen gegen Polizei
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