(Fast) sechs Monate mit Gabor Steingart: Fazit - Indiskretion Ehrensache
- ️Thomas Knüwer
- ️Tue May 26 2020
Sechs Monate wollte ich Gabor Steingarts „Morning Briefing“ hinterherrecherchieren. Ich habe nur vier Monate durchgehalten. Mehr zum Hintergrund finden Sie hier. Das Folgende ist das Fazit des Projektes.
Vielleicht gibt es kein besseres Bild für jenes „Medienunternehmen“, das Gabor Steingart aufzieht, als dieses:

Dies ist www.mediapioneer.com (nicht verlinkt aufgrund des Leistungsschutzrechtes), die Homepage des Mutterschiffs von Steingarts Aktivitäten. Seit Wochen wird das unter der Tafel liegende Video nicht abgespielt – es scheint niemand zu interessieren.
Worte von der Gewalt eines Erdbebens – und dahinter ein technischer Fehler. So vieles scheint, einmal angestoßen, nicht mehr interessant beim Medienunternehmen Media Pioneer, dessen Hauptseite The Pioneer heißt, die auf dem Schiff „Media Pioneer“ teilentstehen soll. Freunde sauberer Markenführung kichern hysterisch. So vieles scheint mit Enthusiasmus ange- aber nicht durchdacht. So vieles fällt unter „Style over Substance“.
In den vergangenen vier Wochen habe ich damit gerungen, meinen ja nirgends angekündigten Neujahrsvorsatz einfach still zu beerdigen. Einerseits, weil auch andere – zum Beispiel Übermedien – immer kritischer gegenüber Steingart werden.
Andererseits, weil es ja gut für den Journalismus ist, wenn neue Anbieter entstehen, neue Herangehensweisen, gern auch mit einem Schuss Durchgeknalltheit wie Steingarts Idee von der schwimmenden Redaktion.
Und schließlich arbeiten bei Media Pioneer ein paar Leute, die ich menschlich wie fachlich sehr schätze.
Aber.
Das, was ich in über die Monate las, ist irrwitzig weit vom eigenen Anspruch entfernt, der sich in diesen Worten manifestiert:

Journalismus ist, nehmen wir die simpelste Definition bei Wikipedia, „die periodische publizistische Arbeit von Journalisten bei der Presse, in Online–Medien oder im Rundfunk mit dem Ziel, Öffentlichkeit herzustellen und die Öffentlichkeit mit gesellschaftlich relevanten Informationen zu versorgen.“
Nach dieser mechanistischen Definition wäre vieles Journalismus, was schon der mittelmäßig Medienkundige dort nicht einordnen würde, von den frei erfundenen Geschichten Klatschblättern wie „Bunte“ oder „Aktuelle“ über Romanvorabdrucke in der „FAZ“ bis hin zu Pressemitteilungen in Onlineportalen.
Journalismus braucht immer eine ethische und operative Beurteilung. So fordert der Pressekodex unter anderem:
- Achtung vor der Wahrheit,
- die Wahrung der Menschenwürde,
- die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit,
- Prüfung der veröffentlichten Information auf Wahrheitsgehalt,
- Richtigstellung falsch veröffentlichter Informationen,
- Achtung vor der Ehre dargestellter Menschen
und noch vieles mehr.
Für mich persönlich zählt auch noch die Unvoreingenommenheit beim Herangehen an ein Thema und eine gewisse Grundkenntnis der Sujets dazu, über die man berichtet.
Eher selten bewegt sich das „Morning Briefing“ in diesem ethisch-operativen Rahmen.
- Wahrheit ist natürlich immer ein problematisches Wort, doch behauptet Steingart regelmäßig Zusammenhänge und Sachlagen, die auf nachweislich falschen, falsch wiedergegebenen oder bestenfalls gefühlten Informationen ohne Quellenlage beruhen.
- Das mit der Menschenwürde und der Ehre ist so eine Sache, wenn man politische Amtsträger oder Personen der Öffentlichkeit in Fotomontagen zu Witzfiguren macht. Und wenn man ihnen kategorisch jedwedes, humanes Motiv für ihr Handeln abspricht.
- Ob irgendjemand Steingarts Texte auf Wahrheitsgehalt überprüft? Es wirkt nicht so.
- Richtigstellungen gibt es nicht.
Wenn sie meine Beurteilung nicht teilen, gönnen Sie sich selbst mal das Vergnügen der Nachverfolgung. Das erfordert nicht mal so fürchterlich viel Aufwand. Denn es gibt das, was das „Manager Magazin“ wahrscheinlich so benennen würde:
Die Methode Steingart
1. Nur Fakten einblenden, die eine These stützen
Wenn Steingart zeigen will, dass Aktie A der Aktie B zu bevorzugen ist, sucht er sich den richtigen Zeitraum heraus. Der kann aus den vergangenen fünf Wochen bestehen, genauso aber aus den vergangenen sieben Jahren.
Ähnlich geht es bei Studien. 45% der Menschen sagen, Aktie A ist besser als Aktie B – also kann man das so schreiben. Der Kontext, dass nämlich 55% Freunde von Aktie B sind, wird ausgeblendet.
2. Behauptungsjournalismus galore
Gabor Steingart, den manche für den schlechtesten Chefredakteur in der Geschichte des „Handelsblatts“ halten, unterstützt den Medienwandel.
Merken Sie, was ich getan habe? Ich habe dies vor einiger Zeit mal Behauptungsjournalismus genannt. Ich kenne niemand, der Steingart für den schlechtesten Chefredakteur in der Geschichte des „Handelsblatts“ hält. Doch das ist egal, denn ich brauchte keine Quelle nennen. „Manche“, „viele“ und ähnliche Quantifizierungen ersetzen im Behauptungsjournalismus Fakten und Quellen durch herbeifantasierte Zustimmer. Früher wäre es kaum möglich gewesen, ohne konkretere Quellen etwas Derartiges zu schreiben, doch die Zeiten sind lang vorbei.
Steingart und andere Adepten des Behauptungsjournalismus stellen Person oder Institutionen mit diesem Instrument in das Licht, das ihren Thesen hilft. Damit ist der Behauptungsjournalismus der schüchterne Cousin des Framing.
3. Niemals an das Gute im Menschen glauben
Wenn Angela Merkel in die Spree springt, um ein ertrinkendes Pudel-Welpen eines Waisenkindes zu retten, wird Steingart ihr vorwerfen, dies nur aus PR-Gründen zu tun. Für einen Gabor Steingart gibt es nichts Gutes im Menschen, jeder ist getrieben von sinisteren Motiven, meist haben diese mit Macht zu tun.
So lassen sich Geschichten aufbauen und immer wieder neu erzählen. Denn wo alle nur um die Macht ringen, kämpfen und meucheln, da kann nie Ruhe sein und nie jemand dauerhaft die Rolle des Guten übernehmen. In der Welt des Gabor S. wird der Krieg nie enden – aber er wird sehr wortbildschief erzählt werden.
4. Hasse die Medien – aber bediene Dich ihrer
Über Medien herziehen ist eines der wiederkehrenden Themen im „Morning Briefing“. Fast scheint es auch, dass dies das einzige Thema ist, bei dem sich die Ausrichtung nie ändert: Klassische Medienhäuser übernehmen nur die Rolle des verdienten Prügelknaben.
Das hindert Steingart keinesfalls, sich bei ihnen zu bedienen, es muss gar das Wort schmarotzen erlaubt sein. Denn ständig zitiert Steingart aus klassischen Medienhäusern, bevorzug krallt er sich Zitate aus Interviews. Doch erwähnt er nur äußerst selten, wer sich die Mühe gemacht hat, das jeweilige Interview zu führen. Praktisch ausgeschlossen ist, dass er auf dieses Medium auch noch verlinkt.
5. Erschwere die Recherche
Eine der größten Errungenschaften des digitalen Zeitalters ist der Hyperlink. Seit er existiert, kann jedermann sich schlau darüber machen, was tatsächlich in einer reportierten Quelle zu finden ist.
Also, theoretisch.
Tatsächlich tun sich Verlage seit Anbeginn ihrer Web-Aktivitäten extrem schwer damit, auf andere Seiten zu verlinken. Selbst Medienmarken, die in diesem Punkt Fortschritte gemacht hatten (talking about you, „Spiegel“), haben dies wieder zurückgefahren.
Steingarts Verlinkungen sind erratisch und selten. Wer ihm einigen Monate folgt, bei dem entsteht aber schon der Verdacht, dass Leser nicht mitbekommen sollen, wenn eine Studie besonders verdreht dargestellt wird, oder eine Divergenz besteht zwischen den donnernden Thesen, mit denen sie wiedergeben wird, und ihrer realen Datenlage.
6. Korrigiere Dich niemals
Fehler gibt es reichlich im Morning Briefing. Und es ist nicht so, dass Steingart nicht darauf hingewiesen wird, beispielsweise via Twitter. Trotzdem gab es in vier Monaten, wenn ich das richtig sehe, keine einzige Korrektur.
Ohnehin gibt es auch keine Debatte mit dem Leser. Steingart ignoriert seine Kunden einfach weg. Sogar auf Twitter gab es in den vergangenen vier Wochen nur zweimal eine Reaktion seinerseits auf Anmerkungen von Lesern.
Einmal antwortete er einer Leserin, deren Account eher wie ein Fake wirkt:
Ich dachte zunächst ich habe da was falsch geöffnet, aber wir haben heute Mittwoch und nicht Karfreitag. Ihr präsentiert uns heute leider die Karfreitag Ausgabe eures Podcast´s.
— Ina T.G. (@InaTG1) April 15, 2020
Das andere Mal korrigierte ihn das Bundesjustizministerium. Steingart gestand seine Fehldarstellung natürlich nicht ein, hätte aber gern ein „ausgeruhtes“ Interview, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sein Morning Briefing dies wohl nicht war:
Lieber @GaborSteingart, das ist nicht richtig. Natürlich werden die Verantwortlichen, die Straftaten begehen, von Gerichten zur Verantwortung gezogen. Das zeigen viele Prozesse. An individueller Verantwortlichkeit ändert sich nichts.
— BM der Justiz und für Verbraucherschutz (@BMJV_Bund) April 30, 2020
7. Habe keine Meinung – tu nur so
Jeden Tag kritisiert Steingart viel und deutlich. Doch nur in den seltensten Fällen bietet er Optionen, seien sie aus seinem Hirn entsprungen oder aus dem von jemand Kundigem. Ein Beispiel vom 23. April, es geht um Rettungsmaßnahmen für die Corona-geschüttelte Bankenwirtschaft. Der Abschnitt endet so:

Was Steingart nie tun würde: Selbst zu fordern, diese Unterstützung einzustellen. Denn damit hätte er eine Meinung.
Meinung gehört zum Journalismus dazu, ebenso eine Haltung. Steingart hat fast nie eine Meinung, immer aber eine lautstarke Haltung. Sie lautet: „Alle Scheiße, außer Papa.“
Steingart und das Kuscheln mit den Rechten
Mit jener „Ich weiß nicht, was ich will, aber nie das, was andere wollen“-Haltung passt Steingart bestens in das Lager der unzufriedenen Wutbürger. Er kokettiert mit diesem rechten Rand, flechtet immer wieder Sprachelemente aus der braunen Buchstabensuppe ein, fördert zwischen den Zeilen die These des Empörungsmobs, dass es „den Mächtigen“ nur um ihre Macht geht, nicht das Wohl der Bürger und ohne das Wort „Lügenpresse“ zu verwenden, signalisiert er doch Sympathie für jene, die es brüllen.
Vertreter von The Media Pioneer betonen gern, dass ja alle Seiten zu Wort kämen und auch eine Marina Weisband, jeder rechten Haltung vehement abgeneigt, mit Chefredakteur Michael Bröcker einen Podcast unter dem Pioneer-Logo moderiert.
Das stimmt. Doch welcher Verfechter einer liberalen Demokratie würde solche Texte schreiben wie Steingart? Würde derart irrational auf Journalisten eindreschen? Würde ohne Fakten Machtmotive behaupten, die einen Sachverhalt sehr nah an eine Verschwörungserzählung rücken?
Auch Roland Tichy hat seine Seite einst als konservatives Medium gestartet, um dann die Böschung auf der Beifahrerseite runterzurutschen und sich im Morast festzufahren.
So weit ist Steingarts „Morning Briefing“ nicht. Noch nicht.
Wer aber mit Menschen aus dem Journalismus über Steingart spricht, hört immer häufiger Bedenken, wie lange das so bleiben wird.
Ich wundere mich schon länger, wer alles bei diesem Projekt mitmacht! Vielleicht wacht der/die eine oder andere KollegeIn ja noch auf!
— Ulrich Deppendorf (@DeppendorfU) April 28, 2020
Auch ich sehe eine problematische Entwicklung. Denn Tichys Weg war verbunden der steigenden Zahl rechtsnational erscheinender Claqueure in den Kommentaren unter seinen Werken. Gemeinsam schaukelten sich Autor und Jubelpersergermanen immer weiter hoch.
Kann das auch bei The Media Steinpioneer passieren?
Noch hat das Steingarts Schaluppe ihre finale Ausbaustufe nicht erreicht. Erst jetzt dürfen Menschen das Projekt mit ihrem Geld unterstützten, es sind saftige Abopreise, die aufgerufen werden – ohne eigentlich zu sagen, was die Zahlenden so bekommen.
Ein Wort aber macht Sorgen: Die Pioneer-Clubberer sollen „exklusiven Zugang“ erhalten.
Bisher haben Leser faktisch keinen solchen Zugang. Sie könnten auf Newsletter antworten, was aber in der Mediennutzung ungewöhnlich ist – und ohnehin werden sie nur selten dazu aufgefordert. Unter den Social Media-Präsenzen kündigt sich aber an, welche Community sich Steingart zusammenschreibt.
Hier Reaktionen auf seine jüngste Spekulation über einen Untersuchungsausschuss (für den er exakt gar keinen Beleg hat), der ein mögliches Fehlverhalten der Bundesregierung in Sachen Corona untersuchen könne:


Oder hier Kommentare zum Start des Schiffs auf LinkedIn:


Steingart unterstützt die Weltsicht solcher Kommentatoren fast jeden Tag. Er ist ein Brandstifter für die Biedermeier, immer geht alles schief, ist alles falsch, steht entweder eine Titanic vor der Tür oder Gevatter Tod.
Und so beschreibt Steingart die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen:

Er erweckt nicht den Eindruck, selbst bei einer Demo gewesen zu sein. Auch ist dies nicht von einem seiner durchaus zahlreichen Redaktionsmitglieder bekannt. Und wenn doch, hat niemand mit den Demonstranten gesprochen, sondern sie nur angeguckt:

Und dann zitiert er Aufschriften wie „Freiheit. Demokratie. Grundgesetz“ und nimm solche Pappschilder als Beweis, dass dort eine substantielle Menge vernünftiger Menschen zugegen war:

„Schwer zu glauben.“
Das reicht einem Gabor Steingart. Der eigene Glaube definiert die Grenze des Denkens.
In der Endphase dieser Neujahrsvorsatzumsetzung las ich, weil der Roman schon lang auf der Bucket List stand, „Mephisto“ von Klaus Mann. Mann beschreibt den Aufstieg des Schauspielers Hendrik Höfgen in den Jahren 1926 bis 1936. Dieser Höfgen ist ein Menschenfänger, der mit seinem Charme manche Schwäche überdeckt. Er ist ein brillanter „Mephisto“, versagt aber beim „Hamlet“. Zu Beginn ist er ein Salonkommunist, doch der Hunger nach Macht, Einfluss und Anerkennung sorgen für seinen Aufstieg in der Nazi-Diktatur. Er selbst redet sich ein, kein Nazi zu sein, indem er mit Einzeltaten, zum Beispiel der Rettung eines kommunistischen Ex-Kollegen aus dem KZ, sein Gewissen beruhigt. Am Ende weint er in den Schoß seiner Mutter, dass er nicht verstehe, was die Menschen wollten: „Weshalb sind sie so hart? Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler!«
Manns „Mephisto“ ist (bis auf die Sprache) sehr gut gealtert und eine empfehlenswerte Lektüre, gerade in diesen Zeiten. Wenn ich nun an das Buch zurückdenke, verwischt mein imaginiertes Bild von Hendrik Höfgen. Ich sehe nicht mehr das schmale Gesicht und die blonden Haare von Gustaf Gründgens, dessen Karriere im Dritten Reich das Vorbild für Mann war. Nein, es schieben graumelierte, einst dunkle Haare ins Bild, ein leicht gebräuntes Gesicht, eine Brille, die den unvorteilhaften Eindruck erweckt, ihr Träger würde sie immer auf der Nasenspitze tragen, und ein spöttisches Lächeln, das doch irgendwie tollpatschig wirkt.
Aber dies ist sicher nur ein Zufall, weil ich genau dieses Buch zu genau dieser Zeit zur Lektüre wählte.
Entscheidender ist ja die Frage:
Ist das eigentlich Journalismus?
In vier Monaten „Morning Briefing“ entdeckte ich wenig, was der engeren, operativen Definition des Pressekodex gerecht werden würde.
Kopfschüttelnd las ich eine Passage, in der Steingart sich die Worte seines Lehr-Herren Prof. Ferdinand Simoneit bei einer seiner Medienkritiken zurecht legt. Gerichtet an „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann (ebenfalls ein Simoneit-Schüler) schreibt er:

Nun war Simoneit auch mein Lehr-Herr und ich ahne, was er zum „Morning Briefing“ gesagt hätte:
„Gabor.“
Eine Pause wäre gefolgt.
„So einen…“
Nun hätte er ein weiches „Sch“ für eine Zehntelsekunde gedehnt, ein „ei“ so ausgesprochen als würde es „ai“ geschrieben und dann geendet mit einem scharf gezischten und verlängerten „sss“.
„Scheiß will doch keiner lesen.“
Selbst wenn Steingarts Claim, zur Erinnerung, hier ist er nochmals:

Selbst wenn dieser Claim also kein Versprechen, sondern ein irgendwann zu erreichendes Ziel sein soll, so ist Steingart heute immens weit davon entfernt.
Märchen, sagt Wikipedia, „sind Prosatexte, die von wundersamen Begebenheiten erzählen…“
Und weiter:
„Charakteristisch für Märchen ist unter anderem das Erscheinen phantastischer Elemente in Form von sprechenden und wie Menschen handelnden Tieren, von Zaubereien mit Hilfe von Hexen oder Zauberern, von Riesen und Zwergen, Geistern und Fabeltieren (Einhorn, Drache usw.); gleichzeitig tragen viele Märchen sozialrealistische oder sozialutopische Züge und sagen viel über die gesellschaftlichen Bedingungen, z. B. über Herrschaft und Knechtschaft, Armut und Hunger oder auch Familienstrukturen zur Zeit ihrer Entstehung, Umformung oder schriftlichen Fixierung aus.“
Diese Definition gab mir zu denken.
Denn bei Steingart passiert all dies ständig. Sturmvögel werden zum Boten eines Orkans (obwohl Sturmvögel in der Realität dies nicht sind – das ist nur ein weiteres entglittenes Wortbild), Olaf Scholz wird zum Supermann, Angela Merkel schmiedet dunkle Pläne, ein Virus greift die Machtarchitektur an – klassischer Stoff von Mythen. Und Märchen.
Ja, genau, das ist es letztlich, was Gabor Steingart jeden Morgen in seinen Apple tippt. Mythische Märchen, eine nicht enden wollende Schlacht um Troja mit Achilles gegen Hektor, mit Agamemnon und Paris.
Es wäre ein okayischer Schlussgag, deshalb so zu enden, dass Gabor Steingart einfach die Begriffe „Journalismus“ und „Märchen“ bei seinem Werbeslogan aus Schusseligkeit vertauscht hat, wie er so vieles unscharf und verschusselt-vertauscht darstellt.
Allein: Nach vier Monaten Steingart-Lektüre kann ich nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass dies genau so passiert sein könnte.