Was den Menschen von Hiroshima und Nagasaki Grauenhaftes widerfahren ist | Lebenshaus Schwäbische Alb
- ️Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.
Zeugnisse von Überlebenden der Atombombenabwürfe
Von Michael Schmid
“Durch einen grellen Lichtblitz, der den Himmel zerteilte, und einen Donnerschlag, der die Grundfesten der Erde erschütterte, wurde Hiroshima in einem einzigen Augenblick dem Erdboden gleichgemacht. Wo einst eine ganze Stadt gestanden hatte, stieg eine riesige Feuersäule gradlinig zum Himmel auf. Darunter versank die Erde in tiefe Finsternis. (…) bald herrschte eine einzige riesige Feuersbrunst, die von Augenblick zu Augenblick heftiger wurde. Da starker Sturm herrschte, begannen sich halbnackte und splitternackte Körper zu bewegen, dunkel gefleckt und blutüberströmt. Zu Gruppen zusammengeschlossen wankten sie, wie die Geister der Verstorbenen, davon … “
(Aus: Hiroshima and Nagasaki - The Physical, Medical and Social Effects of the Atomic Bombings, Tokio 1981)
Hibakusha, die überlebenden Atombombenopfer
Im August 1945 richteten das vernichtende Höllenfeuer und die Druckwellen der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki verheerende Zerstörungen an. Zigtausende Menschen fanden dadurch den sofortigen Tod. Wer sich in der Nähe des Epizentrums aufgehalten, aber die atomare Apokalypse zunächst überlebt hatte, blieb meist schwer verletzt und hilflos zurück, als Opfer von Verbrennungen und Verstrahlungen. Vor allem die radioaktive Strahlung der Atombomben verursachte ein nie gekanntes Leiden unter jenen Menschen, die nicht sofort tot waren.
Die völlig ungewöhnliche Situation, in der sich die überlebenden Opfer der Atombombenabwürfe befanden und heute noch befinden, hat eine besondere Bezeichnung für sie entstehen lassen: “Hibakusha”, was in etwa “Die Bombardierten” oder in direkter japanischer Übersetzung “explosionsgeschädigte Personen” bedeutet.
Hunderttausende Hibakusha litten an Verletzungen, sie litten auch an ihrer Heimatlosigkeit und waren und sind auf Jahrzehnte hin von schweren Erkrankungen und seelischen Schmerzen gezeichnet. Und die Kinder der Menschen, die der Strahlung ausgesetzt waren, erkranken oft an den Spätfolgen durch genetische Fehlentwicklungen.
Auch heute, 60 Jahre danach, gibt es noch Überlebende der atomaren Angriffe, die an den Verletzungen und Folgekrankheiten durch die Bombenexplosion leiden. Und noch heute sterben Atombombenopfer an Krankheiten wie Karzinomen, chronischen Leberschäden, Knochenmarksentzündungen, Blutkrankheiten?
Die Hibakusha haben nicht nur unmittelbar die Schrecken des atomaren Infernos erlebt und erlitten, sondern auch die nachfolgende Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben - aufgrund von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung und ihrem Sonderstatus als Hibakusha. Japanische Hibakusha waren lange Jahre sich selber überlassen. 1 Erst 1956 wurden medizinische Aufwendungen für Atombombenopfer als Ausgabe des japanischen Staates festgeschrieben. Wer bestimmte Kriterien erfüllte, konnte sich als Atombombenopfer anerkennen lassen. Heute bezahlt der japanische Staat bedürftigen Überlebeden je nach Schwere der Erkrankung 150 bis 550 Euro im Monat. Ein Betrag, mit dem sich in Japan die Unterhaltskosten nicht bestreiten lassen.
Noch schlechter ging es aber jenen über Jahrzehnte fast völlig in Vergessenheit geratenen und ausgegrenzten koreanischen Zwangsarbeitern, die ebenfalls Opfer der Atombomben wurden. Koreaner machten zum Zeitpunkt des Atombombenabwurfs vermutlich 10 % der Bevölkerung in Hiroshima aus. Diese koreanischen Hibakusha wurden als Opfer zweiter Klasse marginalisiert und stigmatisiert und erst in den 90er Jahren offiziell anerkannt. 2
Nicht alle Hibakusha haben sich stillschweigend mit ihrer Opferrolle abgefunden. Es ist eine Hibakusha-Bewegung entstanden, ein Zusammenschluss der überlebenden Strahlenopfer. Eine Bewegung der Ausgegrenzten und Geächteten. Eine Reihe Hibakusha haben ihr Leben dem Kampf gegen die Bombe gewidmet: “Nie wieder Opfer von Atombomben” ist das Motto des japanischen Verbandes der Atombombenopfer, Nihon Hidankyo . Auch in Korea haben sich Hibakusha zum Atombombenopferverband Association for the Korean Atomic Bomb Victims zusammengeschlossen.
Das Vermächtnis der Hibakusha
In seiner ersten Friedensdeklaration als Bürgermeister von Hiroshima hat Dr. Tadatoshi Akiba im August 1999 eindringlich auf das Vermächtnis der Hibakusha hingewiesen. Er nennt drei ihrer wesentlichen Beiträge:
“Der erste besteht darin, dass sie in der Lage waren, über ihre Höllenqualen und ihre Verzweiflung, welche die Bombardierungen verursacht hatte, hinwegzukommen und für das Leben zu optieren. Ich möchte junge Menschen daran erinnern, dass die heutigen älteren Hibakusha so jung waren wie sie jetzt selber sind, als ihre Familien, ihre Schulen und ihre Gemeinden in einem Blitz zerstört wurden. Sie schwebten auf einem von Leichen übersäten Meer von Trümmern und Zerstörung zwischen Tod und Leben. Unter diesen Umständen hätte keiner einen Vorwurf gegen sie erhoben, wenn sie den Tod gewählt hätten. Doch sie wählten das Leben. Wir sollten niemals den Willen und den Mut vergessen, der den Hibakusha ermöglichte, als menschliche Wesen weiterzuleben.
Ihre zweite Leistung besteht darin, dass sie tatsächlich einen dritten Einsatz von Atombomben verhindert haben. Wann immer ein Konflikt und ein Krieg ausbrechen, gibt es die, welche sich gegen den Einsatz von Nuklearwaffen aussprechen. Das war sogar im Kosovokrieg wahr. Gerade der Wille der Hibakusha, dass dieses Böse sich nicht wiederholen dürfe, hat die Entfesselung dieses Wahnsinns verhindert. Ihre Entschlossenheit, der Welt ihre Geschichte zu erzählen, mit großer Beredsamkeit ihre Überzeugung, dass der Gebrauch von Atomwaffen den Untergang der Menschheit bedeutet, zum Ausdruck zu bringen, und zu zeigen, dass der Gebrauch von Atomwaffen das äußerste Übel ist, haben zu diesem Ergebnis geführt. Wir verdanken ihnen unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder.
Ihr dritter großer Beitrag liegt darin, dass sie eine neue Weltsicht repräsentieren. Sie ist in das Mahnmal für die Atombombenopfer eingraviert und in der Japanischen Verfassung ausgesprochen. Sie haben den Pfad der Rache und der Feindschaft verworfen, weil er zur Auslöschung der Menschheit führt. Stattdessen haben sie nicht nur das Böse, das Japan als Nation verursacht hat, auf sich genommen, sondern auch das Übel des Krieges selbst. Sie haben sich auch dafür entschieden, “auf Gerechtigkeit und Vertrauen zu bauen” für alle Menschen in der Absicht, eine hoffnungsvolle Zukunft zu schaffen.” 3
Hibakusha berichten ihre schrecklichen Erlebnisse
Hibakusha, die angefangen haben, über die erlittenen Schrecken zu reden, versuchen in ihren Berichten das Unvorstellbare in Worte zu fassen. So entsteht ein wenn auch nur unvollkommenes Bild des Grauens. Die Weitergabe der Augenzeugenberichte der überlebenden Opfer des atomaren Infernos ist von besonderer Bedeutung. In einer Welt allemal, die weiter voll gestopft ist mit Atomwaffen - und das in einem Umfang und mit einer Zerstörungswirkung, gegenüber dem die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki nur primitivste Anfangsmodelle waren. Erst recht sind die Berichte in einer Welt wichtig, die nach Ansicht vieler Experten mehr den je seit Hiroshima und Nagasaki durch den Einsatz von Atomwaffen bedroht ist.
Zum internationalen Jahr des Friedens 1986 beschlossen “Hiroshima Peace Cultural Center” und NHK, die öffentliche Rundfunkanstalt von Japan, Berichte von 100 Hibakusha aufzuzeichnen. Einige sind im Internet unter Voice of Hibakusha nachzulesen.
Wir veröffentlichen hier einige davon ins Deutsche übersetzte Zeugenberichte von Hibakusha. Diese Texte mit den Aussagen von überlebenden Opfern der Atombombenabwürfe müss(t)en jedem Menschen zur Kenntnis gebracht werden. Es soll niemand sagen können, nicht gewusst zu haben, was den Menschen in Hiroshima und Nagasaki Grauenhaftes widerfahren ist.
- “Der längste Tag in meinem Leben” - Zeugenbericht von Hiroshi Sawachika
- “Ich hoffe wirklich, dass es nie wieder einen Atomkrieg geben wird” - Zeugenbericht von Yosaku Mikami
- “Die Atombombe diskriminiert nicht, sie tötet jeden” - Zeugenbericht von Isao Kita
- “Es sollte nie Krieg sein” - Zeugenbericht von Kinue Tomoyasu
- “Ich war ja noch ein Kind, als ich von der Atombombe getroffen wurde” - Zeugenbericht von Yoshitaka Kawamoto.
- “Hoffnung, dass solches Leiden nie von unseren Kindern und Enkeln erlitten werden muss” - Zeugenbericht von Yoshito Matsushige
- “Der Fluss war voll von toten Menschen und ich konnte die Wasseroberfläche überhaupt nicht mehr sehen” - Zeugenbericht von Akira Onogi
- “Ich fühlte, dass die Stadt Hiroshima auf einen Schlag verschwunden war” - Zeugenbericht von Akihiro Takahashi
- “Ich ging durch die Hölle auf Erden und was in Hiroshima passiert ist, darf nicht wiederholt werden” - Zeugenbericht von Toshiko Saeki
-
“Die Fingerspitzen der Toten fingen Feuer und das Feuer breitete sich über den ganzen Körper aus”
- Zeugenbericht von Akiko Takakura
—-
Sollte sich jemand in der Lage sehen und Interesse daran haben, weitere Augenzeugenberichte vom Englischen ins Deutsche zu übersetzen, dann freuen wir uns darüber und veröffentlichen auch diese Texte gerne im Internet. Die Berichte finden sich in englischer Übersetzung unter Voice of Hibakusha . Gerne veröffentlichen wir auch andere Zeugenberichte, wenn uns solche zur Verfügung gestellt werden.
Anmerkungen:
1 Vgl. Hiroshima und Nagasaki. Die Zerstörung der Städte und die Formen der Erinnerung in Japan . Von Wolfgang Schwentker
2 Vgl. “Wie Hunde und Schweine . Zehntausende der Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki waren Koreaner”. Von Rainer Werning.
3 1999 “Peace Declaration” von Tadatoshi Akiba, Bürgermeister von Hiroshima.
Weblinks: