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Party in der Kirche | NZZ

  • ️Mon May 21 2012

«Common Ground» lautet der Titel der von David Chipperfield kuratierten 13. Architekturbiennale Venedig, die Ende August eröffnet wird. Auch mehrere Schweizer Architekten hat der Brite eingeladen. Jürgen Tietz sprach mit David Chipperfield über die Biennale und die Bedeutung des architektonischen Dialogs.

Meister der Museumsarchitektur – David Chipperfield, Generalkommissar der diesjährigen Architekturbiennale Venedig, im Neuen Museum Berlin. (Bild: Thorsten Futh / LAIF)

Meister der Museumsarchitektur – David Chipperfield, Generalkommissar der diesjährigen Architekturbiennale Venedig, im Neuen Museum Berlin. (Bild: Thorsten Futh / LAIF)

Herr Chipperfield, anlässlich der Präsentation Ihres Projekts für die Architekturbiennale Venedig haben Sie in Berlin und im Kunsthaus Zürich darauf hingewiesen, dass die von Ihnen kuratierte Ausstellung eine Provokation darstellt. Worin besteht sie?

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Der Titel «Common Ground» ist eine Provokation für meine Architektenkollegen. Sie sollen auf der Architekturbiennale Venedig nicht nur ihre Arbeiten präsentieren, sondern sie in Beziehung zu jenen Grundfragen setzen, die uns alle angehen. Architekten stehen bei jedem Projekt unter einem enormen Druck. Deshalb unterschätzen sie gelegentlich, wie viele Gemeinsamkeiten uns verbinden. Die Gesellschaft nimmt den Wettstreit unter den Architekten wahr, aber sie gewinnt dadurch noch kein positives Bild von der Architektur selbst. Ich glaube, dass die meisten meiner Kollegen – und ganz sicher die, die an der Architekturbiennale teilnehmen – sich mit gemeinsamen Themen befassen, die über die eigene Position hinausgehen.

Inwieweit hat Ihre eigene Architekturpraxis Ihre Themensetzung für die Biennale beeinflusst?

Ich bin geprägt durch meine angelsächsischen Erfahrungen, aus denen heraus ich nur das Missverhältnis zwischen der architektonischen Praxis und der Gesellschaft beklagen kann. In England gibt es leider keine gute Diskussion über Baukultur. In meiner Position als britischer Architekt bin ich zwar sehr privilegiert, doch andererseits fühle ich mich auch als ein Opfer der Entwicklung, dass die Architektur in England immer mehr an Unabhängigkeit einbüsst. Das Urteil eines Architekten sollte respektiert werden. Doch stattdessen wird der Architekt nur noch als eine Art Berater wahrgenommen, als Dekorateur. Deshalb wird auch die Architektur immer dekorativer. Dabei bin ich mir absolut sicher, dass man den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Gebäude sogar riechen kann. Doch wenn man einem Entwickler oder einem Projektmanager zu erklären versucht, warum man sich für dieses oder jenes Detail oder Material entschieden hat, dann geben am Ende nur die Kosten den Ausschlag. Insofern besitzt der Mangel an architektonischem Wissen und an Gesprächskultur hinsichtlich Architektur einen grundlegenden Einfluss auf die Qualität von Architektur.

Haben Sie diese Erfahrung auch in der Schweiz gemacht?

Manchmal höre ich, dass sich meine Schweizer Kollegen beklagen. Da kann ich nur sagen, dass es dafür keinen Grund gibt. Verglichen mit dem Rest der Welt, leben sie in einem Paradies. Die Schweiz ist einer der letzten Orte auf der Welt, an denen architektonische Werte noch geschätzt werden.

Was sind die Gründe dafür?

Vielleicht liegt die Ursache in der Schweizer Kultur begründet, und natürlich gibt es hier auch den notwendigen wirtschaftlichen Hintergrund. Letztlich finden sich in der Schweiz all jene Dinge, mit denen wir uns bei der diesjährigen Architekturbiennale beschäftigen wollen: Die Schweizer Architekten sind so gut, weil es hier ein gutes Ausbildungssystem gibt. In der Gesellschaft wird die Arbeit der Architekten geschätzt, und auch das Handwerk erfährt eine hohe Wertschätzung. Nicht zu vergessen ist auch, dass es Orte für einen geistigen Austausch über Architektur gibt. Durch das alles entsteht jener «common ground» für gute Architektur. Natürlich gibt es auch heftige Auseinandersetzungen, doch es herrscht ein Einvernehmen darüber, dass das alles wichtige Themen sind.

Muss der Dialog zwischen Architekten, Investoren und der Öffentlichkeit verbessert werden, um dieses Einvernehmen auch andernorts zurückzugewinnen?

Unbedingt. Wir Architekten sind auf diesen Dialog angewiesen. Wir können nicht losgelöst von diesem Kontext arbeiten. Wir benötigen Investoren und Entscheidungsträger genauso, wie wir Ideen benötigen. Wir sind nicht autonom, sondern arbeiten wie Makler, die zwischen den unterschiedlichen Positionen vermitteln. Insofern sind wir davon abhängig, welches gesellschaftliche Klima um uns herum herrscht.

Welche Bedeutung kommt dieser Dialogkultur zu?

Ich denke, dass es keine schlechte Übung für Architekten ist, die eigenen Ideen zu verteidigen. Architekten sollten immer wieder erklären, warum sie etwas tun. Die wichtigste berufliche Erfahrung in meinem Leben war der Bau des Neuen Museums in Berlin – und das war ein Projekt in absolutem Dialog – unbarmherzig, manchmal grausam, manchmal anstrengend. Dennoch bin ich mir ganz sicher, dass dieser Dialog ein entscheidender Teil des Projektes war. Die Tatsache, dass ich meine Position artikulieren musste und sie mit anderen diskutieren konnte, die daran interessiert waren, brachte mich weiter. Wenn man aus einer solchen Diskussion herauskommt, dann kann man natürlich alles verwerfen, was man gehört hat. Oder aber man geht am Abend nach Hause und denkt darüber nach, ob an dem Gesagten nicht doch etwas dran ist, dass einem bei seinem Projekt weiterhilft.

Die Qualität der Debatte bestimmt die Qualität der Architektur mit.

Ich denke ja. Wenn aber die Debatte ausser Kontrolle gerät, dann ist das schlecht. Aber eine gute Debatte ist sehr hilfreich.

Ist eine so grosse Ausstellung wie die Architekturbiennale Venedig überhaupt noch zeitgemäss oder hilfreich, um zur Baukultur beizutragen?

An der diesjährigen Architekturbiennale beunruhigt mich gelegentlich, dass ich mit ihr eine sehr spezifische Absicht verfolge. Ich hoffe, dass die Besucher dadurch nicht eingeschüchtert werden. Was ist die Architekturbiennale? Ist sie ein Festival, bei dem sich alle amüsieren und sagen: Architektur ist wunderbar? Oder gleicht sie eher dem Gang in die Kirche, bei der alle sagen: Oh, er hat ja recht, aber es ist langweilig. Ich denke, die Architekturbiennale muss beides sein, Kirche und Festival. Ich habe zur Party in die Kirche eingeladen.

Meinen Sie, dass sich in Venedig am Ende alle — Investoren, Architekten und Nutzer — auf einem «common ground» wiederfinden werden?

Ich wünsche mir, dass die Ausstellung sowohl für das Fachpublikum als auch für die Laien interessant ist und sie sagen: «Ich bin wirklich beeindruckt. Ich hätte nicht erwartet, dass Architekten so intensiv über das nachdenken, was sie machen.» Das ist mein Ziel, das ist der «common ground». Ich wünsche mir, dass die Öffentlichkeit mit uns auf diesem gemeinsamen Grund zusammenkommt, auf dem wir ehrlich zeigen, was die Themen sind, die uns interessieren — von unserem professionellen wie auch von unserem persönlichen Standpunkt aus.

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