Törn in den Tod | NZZ
- ️Ronald Schenkel
- ️Wed May 24 2017
Der Segler Donald Crowhurst am 27. Juni 1968 kurz vor dem Start des Rennens im Hafen von Teignmouth. (Bild: Eric Tall / Hulton Archive)
Vor fast 50 Jahren wollte der Engländer Donald Crowhurst mit einer Segeljacht die Welt umrunden, um in die Geschichte einzugehen. Doch die Fahrt endet im Wahnsinn. Was hat den Sonderling getrieben?
Es ist der 10. Juli 1969. Der Frachter «Picardy» sichtet ein einsames Segelboot, das scheinbar steuerlos mitten auf dem Atlantik treibt. Der Kapitän lässt ein paar Männer zur Kontrolle auf den zwölf Meter langen Trimaran übersetzen. An Bord ist keine Menschenseele. In der Kabine riecht es muffig. Ein alter, schmutziger Schlafsack liegt in der Koje. Geschirr mit Essensresten stapelt sich in der Spüle. Funkempfänger stehen auf dem Kabinentisch. Kabel und Elektroteile liegen verstreut herum. Doch die Seeleute finden auch säuberlich gestapelt drei Logbücher. Sie werden das Rätsel lösen und eine Geschichte von Hybris, Betrug und Verzweiflung preisgeben; die Geschichte der letzten Fahrt des Donald Crowhurst.
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Der charmante Crowhurst betrachtet sich selbst als genialen Erfinder.
Sie beginnt, als am 28. Mai 1967 ein anderer Segler von einer epischen Reise zurückkehrt. England feiert Francis Chichester, der allein auf seinem Zweimaster «Gipsy Moth IV» die Welt umrundet hat – mit nur einem Zwischenstopp in Australien. Chichesters Ankunft wird auch von Donald Crowhurst aufmerksam verfolgt. Der Sohn eines Kolonialbeamten ist zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alt, verheiratet mit seiner Frau Clare, Vater von vier Kindern. Er besitzt ein Geschäft für elektronische Navigationsgeräte. Aber das will nicht richtig in Fahrt kommen. Crowhurst ist fasziniert von Mathematik, betrachtet sich selbst als genialen Erfinder. Intelligenz hält er für die Kardinaltugend der Zeit, die im grossen Spiel des Lebens auch ausgespielt werden darf gegenüber anderen Menschen. Gleichzeitig ist Crowhurst charmant, liebenswürdig und überrascht seine Freunde und seine Familie immer wieder mit kuriosen Einfällen.
Der Plan
Und nun will er über Chichester hinauswachsen. Der Plan: eine Fahrt um den Globus, jedoch ohne Zwischenstopp. Das würde auch sein Elektronikgeschäft beflügeln, so ein Nebengedanke. Doch Crowhurst ist mit der Idee nicht allein. 1968 bereiten sich mehrere Segler auf diese Reise vor, obwohl keiner weiss, ob ein Segelboot das überhaupt aushält, erst recht ein Mensch. Um an den publizistischen Erfolg des Sponsorings von Chichester anzuschliessen, schreibt die «Sunday Times» schliesslich ein Rennen aus. Zwei Preise werden ausgelobt: die Golden-Globe-Trophäe für den Ersten, der es schafft, und eine Summe von 5000 Pfund für die schnellste Reise – damals eine Riesensumme. Zwei Preise sind nötig, weil die Segler zu unterschiedlichen Zeiten und aus verschiedenen Häfen auslaufen werden. Als letztmöglicher Starttermin gilt jedoch der 31. Oktober, um noch im südlichen Sommer das stürmische Kap Hoorn zu passieren.
Der Vertrag enthält indes eine heimtückische Klausel
Erfahrene Seeleute wie der Franzose Bernard Moitessier oder Robin Knox-Johnston, der spätere Gewinner beider Preise, brechen auf, aber auch Abenteurer oder Marineoffiziere wie Nigel Tetley. Insgesamt neun Segler wollen das Abenteuer bestehen. Crowhurst gilt als der Mystery-Man. Niemand in der Segelszene hat je von ihm gehört. Es gelingt ihm, einen Freund zu überreden, sein Boot zu sponsern. Der Vertrag enthält indes eine heimtückische Klausel: Crowhurst verpflichtet sich, das Boot zurückzukaufen, müsste er vorzeitig aus dem Rennen ausscheiden. Das würde unweigerlich den Ruin der Familie bedeuten.
Crowhurst will mit einem revolutionär neuen Bootstyp gewinnen, einem Trimaran. Anders als die heutigen Mehrrumpf-Rennmaschinen aus Karbon wird Crowhursts Boot in aller Eile aus Sperrholz zusammengezimmert. Und auf einer Probefahrt stellt sich heraus, dass die Jacht den Erwartungen in keiner Weise entspricht, zum Beispiel viel zu langsam ist. Die «Teignmouth Electron», wie Clare Crowhurst das Boot tauft, ist eine Enttäuschung.
Der Abschied
Crowhurst zögert seinen Start auf den letztmöglichen Termin hinaus. Am Vorabend des Aufbruchs, am 30. Oktober, rudern er und Clare allein hinaus zur Jacht, die vor dem südenglischen Badeort Teignmouth an einer Boje hängt. Kisten mit Material stapeln sich auf dem Deck, lose Kabel führen ins Leere. Die zwei machen Ordnung, so gut es geht. Von den elektronischen Geräten, mit denen Crowhurst sein Boot sicherer und schneller machen wollte, ist nichts vollendet. Um zwei Uhr nachts kehrt das Paar ins Hotel zurück. Im Bett gesteht Donald seiner Frau unter Tränen: «Darling, ich bin sehr enttäuscht vom Boot. Es ist nicht richtig. Und ich bin nicht vorbereitet. Wenn ich aufbreche, wirst du verrückt vor Sorge sein.»
«Aufzugeben hiesse, eine Menge Leute zu enttäuschen.»
Donald Crowhurst
Clare antwortet mit einer Gegenfrage: «Wenn du jetzt aufgibst, wirst du dann für den Rest deines Lebens unglücklich sein?» Bis heute bereitet ihr dieser Satz Schuldgefühle. Hat ihr Mann sie darum gebeten, ihm einen Grund fürs Aufgeben zu liefern, der ihn sein Gesicht wahren lässt?
Aus den Logbüchern entnimmt man, wie rasch er sich darüber klarwurde, dass es sein Boot nicht einmal bis nach Australien schaffen würde. Nicht nur ist es viel zu langsam. Es droht auch auseinanderzubrechen. Die stürmische See der südlichen Breiten mit ihren meterhohen Wellen würde es kaum überstehen. Doch schreibt er an gleicher Stelle: «Aufzugeben hiesse, eine Menge Leute zu enttäuschen.»
Der Betrug
Anstatt sie zu enttäuschen, greift er zu einer List. Crowhurst beschliesst, im Atlantik auszuharren, bis die anderen Segler auf ihrem Weg über das Kap der Guten Hoffnung, Australien und Neuseeland um Kap Hoorn in den Atlantik zurückkehrten. Dann würde er sich ihnen anschliessen, bedacht darauf, nicht die Spitze zu übernehmen. Würde er als Sieger einlaufen, würden seine Logbücher einer peinlichen Prüfung unterzogen. Ohne Sieg entginge er dem, würde aber immer noch genug Ruhm ernten für ein erfolgreiches Marketing.
Die Teilnehmer des Golden-Globe-Rennens segelten in eine heute kaum vorstellbare Einsamkeit.
Bei den heutigen Hochseeregatten werden die Schiffspositionen über Satellit verfolgt, keiner ist unauffindbar. Damals konnte man in den Weiten des Atlantiks untertauchen, sofern man sich von den Schifffahrtsrouten fernhielt. Das tat Crowhurst. Die Teilnehmer des Golden-Globe-Rennens segelten zudem in eine Einsamkeit, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Kommunikation, wenn überhaupt, war auf weite Distanz nur mit Morsefunk möglich. In dürren Codes über Gemütszustände zu sprechen, war schlicht unmöglich. Doch genau das wird für Crowhurst immer drängender. Nach beinahe sechs Monaten auf See versucht er über eine Station in Buenos Aires eine Telefonverbindung mit Clare herzustellen. Vergeblich.
Aber die «Teignmouth Electron» kommt nie an.
Am 21. April setzt er schliesslich ein Morsetelegramm ab, mit dem er sich im Rennen zurückmeldet. Erst am 4. Mai aber beginnt er, ernsthaft nach Norden zu segeln. Der Gewinner der Golden-Globe-Trophäe, Robin Knox-Johnston, ist zu diesem Zeitpunkt bereits wieder in England. Fünf andere Teilnehmer haben aufgegeben. Vor Crowhurst kämpft nur noch Nigel Tetley um den 5000-Pfund-Preis. Tetley segelt ebenfalls einen Trimaran. Auch sein Schiff ist in schlimmem Zustand. Doch der ehemalige Offizier der Royal Navy glaubt, den Preis auf sicher zu haben, als er um Kap Hoorn in den Atlantik zurückkehrt. Nun taucht wie aus dem Nichts der Mystery-Man auf und ist ihm auf den Fersen. Tetley verliert. In einem Sturm bricht seine «Victress» auseinander. Er überlebt, scheidet jedoch 1200 Meilen vor dem Ziel aus. Crowhurst kann nun nur noch gewinnen. Zu Hause bereitet man jetzt die Heimkehr des Seehelden vor, arrangiert Medientermine und den Empfang durch ein Mitglied des Königshauses. Aber die «Teignmouth Electron» kommt nie an.
Das Ende
Eines der Logbücher, die die Männer der «Picardy» sicherstellen, enthält ein 25 000 Wörter umfassendes Manuskript. Es ist mit «Philosophie» betitelt. Es offenbart die Paranoia, die vom Segler Besitz ergriffen hat, und seine Verzweiflung. In einer Art Überhöhung seiner Existenz hin zu einem geistigen Wesen sucht Crowhurst einen Ausweg aus dem Dilemma.
Der letzte Eintrag datiert vom 1. Juli 1969. Crowhurst gesteht seinen Betrug, spricht aber von einem Spiel, das sein Gott mit ihm gespielt habe, ohne dass Crowhurst die Regeln gekannt habe. Nun sind sie ihm offenbart. Das Spiel muss enden. «Es ist zu Ende», schreibt er zuletzt, «es ist die Gnade.» Alles deutet darauf hin, dass er kurz darauf mit dem Bordchronometer und dem fingierten Logbuch, das nach seiner Rückkehr als Beweis hätte dienen sollen, über Bord gesprungen ist. Clare Crowhurst bezweifelt den Selbstmord bis heute.