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A Gschicht über d’Lieb / Salzgeber

Fernab von jedem Heimatkitsch

Wie entstand die Idee zum Film, was war Ihr Ausgangpunkt – und wie hat sich der Stoff bzw. die Geschichte bis zum Dreh verändert?
Der Grundgedanke war, einen Liebesfilm zu machen, doch bloß keine Schnulze oder eine der üblichen Coming-of-Age-Geschichten. Basis und Grundrecht jeder menschlichen Existenz ist die Liebe. Aber leider setzten und setzen gesellschaftliche, sexuelle und moralische Regeln diesem Grundrecht Schranken. Ich bin aber der Meinung, dass, solange Liebe von allen Beteiligten gleich empfunden und nicht in Anhängigkeiten oder gar Gewalt ausgeübt wird, doch in erster Linie Sache der Liebenden ist. Wie kann ich den Zuschauer da heranführen, wenn es sich aber um ein Tabu­thema handelt? Ich suchte einen Grundkonflikt, der selbst in unserer eher aufgeklärten Gesellschaftsform noch immer ein Tabu ist. Idee war, den Zuschauer dazu zu bringen, sein Urteil selbst zu hinterfragen: Kann es nicht doch sein? Der Film soll kein Plädoyer für Inzest sein, sondern für das Recht, lieben zu dürfen, wen man will. Mit dieser Prämisse ging ich die Geschichte an.
Es gibt vielerlei Arten von Liebe in A GSCHICHT ÜBER D’LIEB. Nicht nur die wahre Liebe zwischen Gregor und Maria, sondern auch die versteckte Liebe Werners, die verschmähte Liebe Annas, die ausgehandelte Liebe Thomas´, die ausnützende Liebe Hannes´, die naive Liebe des Dirndls. Jede davon verflechtet die Dorfbewohner miteinander, ist Grundlage ihres Handelns. Die Geschichte in ein kleines Dorf zu verlegen, erschien mir als probates Mittel, unsere Gesellschaft auf ein begreifbares Maß zu verkleinern. Aus anonymer Masse wurden Personen. Ein kleiner Kosmos, der den gleichen Zwängen unterworfen ist, die die Gesellschaft an sich vorgibt. Nur dass hier die Zwänge Gesichter haben.
Die Fünfziger Jahre empfinde ich als eine sehr spannende Zeit, da dort große gesellschaftliche Umbrüche ihre Wurzeln haben. Jahrhundertelang sind die meisten Menschen nie aus ihrem direkten Umfeld herausgekommen, Rollenverteilungen waren klar festgelegt und wurden auch nie hinterfragt. Es gab zwei Strömungen, die einander entgegengesetzt liefen: Status quo und Tradition um jedem Preis auf der einen, der Wunsch nach Veränderung und Entwicklung auf der anderen Seite. Dies war in ländlichen Gebieten noch wesentlich ausgeprägter und zieht sich zum Teil bis in die Jetztzeit hinein. Und dieses Prinzip ist nicht lokal anzusehen.
Als mein Drehbuch auf der Berlinale den von der MFG finanzierten Thomas Strittmatter Preis erhielt, war auch klar, dass ich den Film in Baden Württemberg spielen lassen konnte – jenem Bundesland, in dem ich seit meinem zwölften Lebensjahr beheimatet bin, und das mir deswegen auch persönlich sehr nah ist.

Ihr Film hat viele Elemente eines klassischen Heimatfilms – die Landidylle, die eng verschworene Dorfgemeinschaft, die Kernfamilie als unzerstörbare Einheit, ein von Traditionen geprägtes Leben. Nach und nach zerbröckelt diese heile Welt aber.  Wollten Sie ganz bewusst einen „anderen“, ehrlicheren Heimatfilm machen?
Ich sehe diesen Film nicht als Heimatfilm, sondern als Liebesfilm. Der Begriff Heimatfilm ist zu sehr durch die filmischen Ausprägungen der Nachkriegszeit und seiner Sehnsucht nach Heile-Welt-Romantik festgelegt, die oftmals in Kitsch endete. Etwas, von dem ich mich klar abgrenzen möchte. Ich hatte nicht den Anspruch, ein Genre wiederzubeleben, das nur oberflächlich zu passen scheint. Zwar mag sich dieses Genre aufdrängen, doch im ersten Moment, in dem die Zuschauer mit den Figuren den Hof betreten, merken sie, welch zwischenmenschliche Beziehungen und Spannungen dort herrschen. Von Romantik oder gar Idylle ist nichts zu spüren, trotz der schönen Landschaft und der pitoresken Ansicht. Die Enge, die Unmöglichkeit eines Ausweges, die Verhaftung in angestammte Rollenbilder ist stets vorhanden. Das gilt nicht nur für den Hof, das gilt für das ganze Dorf. Das Leben ist hart. Ein Bauer ist ein Bauer, eine Magd eine Magd, und der Hofhund auch kein Streichelviech! Klare einfache Regeln. Wer sich daran hält, kann gut leben. Dass Maria dem Hund Zärtlichkeiten zukommen lässt, macht sie schon zu etwas Besonderem. Es ist das sich Nicht-unterordnen-wollen, das Aufbegehren gegen starre Traditionen, das Maria und Gregor sich abheben lässt. Ein Bauer gehört auf den Hof, eine Frau schafft das nicht alleine. Es ist das Prinzip des Vaters, das seine Kinder sich nicht zu eigen machen wollen. Gregor schreit am Ende des Films: „Warum habt ihr uns nicht einfach in Ruhe gelassen?“ Alles wäre gut gewesen. Doch man lässt sie nicht in Ruhe, jeder einzelne zerrt an ihnen und möchte sie in die Richtung bringen, die er für das Richtige hält. Wie schon gesagt, dienen das Dorf und seine Bewohner nur als verkleinertes Abbild der Gesellschaft der 50er Jahre und ihrer Strukturen, die sich teilweise bis in die Jetztzeit fortgeschrieben haben. Es geht hier um Gesellschaftskritik, nicht Heimatkitsch.

Mit Merlin Rose und Svenja Jung spielen zwei der aufregendsten Nachwuchsdarsteller Deutschlands die Hauptrollen. Wie sind Sie auf die beiden aufmerksam geworden und wie war die Arbeit mit den beiden?
In enger Zusammenarbeit mit unserer Casterin Belinda Geissler haben wir im Vorfeld Unmengen Material gesichtet. Das Problem war, eine junge Frau zu finden, die einerseits eine moderne und starke Persönlichkeit und andererseits glaubhaft eine ihrer Heimat verbundene Bäuerin darstellen kann. Es gab einige interessante junge Frauen, doch viele wirkten für mich zu urban. Svenja Jung kristallisierte sich dann ganz klar als Favoritin heraus. Restlos überzeugt war ich aber erst, als wir sie zum Casting für die männlichen Rollen heranzogen. Es war im höchsten Grade beglückend zu sehen, wie sie mit den potentiellen Gregors, Werners und Hannes die Castingszenen absolvierte. Selbst am Ende des anstrengenden Castingmarathons war sie unfassbar präsent. Als letzter Kandidat des Castings erschien Merlin Rose. Der Zauber zwischen Beiden, die Ähnlichkeit, die Bruder und Schwester glaubhaft machte, und ihr Zusammenspiel war umwerfend. Und unsere Hauptbesetzung war gefunden. Svenja und Merlin hatten ihre Rollen so sehr verinnerlicht, dass sie die beiden Bacherbauernkinder einfach lebten. Wir mussten es nur noch mit der Kamera einfangen. Dass wir im Casting noch die wunderbaren Talente Lucas Englander und Rafael Gareisen für die Rollen Werner und Hannes fanden, war sehr erfreulich. Fanny Krausz war mir aus früheren Dreharbeiten bekannt. Als die Zusagen von Eleonore Weissgerber, Thomas Sarbacher, Walter Kreye und Ludwig Blochberger eintrafen, war das Kernensemble komplett. Einige Kleinstrollen wurden zum Teil auch mit Laien besetzt.

Sie haben in und um Schwäbisch Hall gedreht. Wie haben Sie den richtigen Drehort gefunden? Und was war Ihnen dabei wichtig?
Es war wirklich ein großes Problem, ein passendes Dorf zu finden. Wichtig war uns ein homogenes Dorf, das einerseits nicht museal perfekt restauriert, sondern belebt wirkt und anderserseits nicht mit modernen Errungenschaften wie Asphaltstraßen und Sat-Schüsseln beglückt wurde. Eigentlich ist sowas nicht zu finden. Auch die Rücksprachen mit Location-Profis erbrachten keine brauchbaren Ergebnisse. Doch ohne Glück geht es bei keinem Filmprojekt voran. Bei einem Telefonat mit meinen Eltern, die in der Nähe Schwäbisch Halls wohnen, erwähnte ich das Problem. Am folgenden Tag präsentierte mir mein Vater den Link zum Hohenloher Freiluftmuseum Wackershofen. Der erste Weg nach Sichtung des Bildmateriales im Internet war der zum Flughafen. Mein Rundgang dort erweckte den Eindruck, das Museumsdorf sei meinem Drehbuch nach aufgestellt worden, so perfekt war es geeignet. Alle im Buch aufscheinenden Motive waren vorhanden bis hin zum kleinsten Detail. Und dank der Museumsleitung konnten wir tatsächlich dort fast unseren gesamten Film drehen.

Ihr Film wirkt in Bezug auf die Lebens- und Arbeitsrealität im Dorf sehr realistisch. Und es wird Dialekt gesprochen. Wie haben Sie die DarstellerInnen vorbereitet?
Es gab hier zwei große Herausforderungen: zum einen die Sprache, zum anderen die bäuerlichen Handhabungen und Fertigkeiten. Die Figuren und die dörfliche Gemeinschaft in klarem Hochdeutsch reden zu lassen, wäre albern gewesen. Einerseits war uns eine rurale sprachliche Glaubwürdigkeit wichtig, andererseits musste der Dialekt auch für ein breiteres Publikum verständlich sein. Familie und Dorfgemeinschaft mussten zudem als glaubhafter abgeschlossener Kosmos erscheinen, in dem nicht jeder einen anderen Dialekt spricht.
Das war eine echte Herausforderung, zumal nahezu unser gesamter Cast aus Berlinern bestand. In Zusammenarbeit mit der Dialekt-Trainerin Anne Weinknecht analysierten wir erst einmal die Dialekte im näheren und weiteren Umfeld. Daraus entwickelten wir eine Art Kunstdialekt, der aber stark auf den realen Dialekten fußte und trotzdem auch für Nicht-Lokale verständlich war. Anne Weinknecht „übersetzte“ das Buch in diesen Dialekt und stellte das Buch sowohl in Lautschrift als auch in gesprochener Form ins Internet, so dass unsere Schauspieler jederzeit darauf zugreifen konnten. Diese Übungsmöglichkeit wurde durch Einzelcoachings ergänzt, teils live, teils telefonisch. Vor Drehbeginn hielten wir noch Gruppenlesungen mit dem gesamten Cast ab. Zudem hatten alle untereinander ausgemacht, auch in ihrer drehfreien Zeit im Dialekt zu bleiben. Wie erfolgreich das war, zeigte sich eines Abends nach Drehschluss, als die anderen Gäste in einem von uns besuchten Restaurant es einfach nicht glauben wollten, dass unsere Schauspieler nahezu vollständig aus Berlin statt aus der umliegenden Gegend kommen. Sie konnten den gesprochenen Dialekt örtlich nicht genau zuordnen, hielten ihn aber für absolut echt.
Was die bäuerlichen Fähigkeiten angeht, zeigten sich die Schwäbisch Haller als äußerst hilfsbereit. Unser Cast wurde von den Bauern in der Umgebung mit offenen Armen empfangen und, soweit notwendig, vom Traktorfahren bis zum Entmisten perfekt unterwiesen. Dass Merlin Rose dann gleich an seinem ersten Tag für eine Szene als Geburtshelfer bei einer Kälbergeburt zum Einsatz kam, war sicher einer seiner stärksten Eindrücke bei den Dreharbeiten.

Auch visuell wirkt der Film sehr erdig und rustikal. Wie haben Sie das visuelle Konzept des Films entwickelt?
Da wir das Glück eines sehr spannenden Casts hatten, verzichtete ich auf jede Art selbstverliebter Kameraarbeit und konzentrierte mich ganz auf die Möglichkeit, den Figuren in die Augen schauen zu können. Wir wollten klare und angemessene Bilder, die die Arbeit des Schauspielers in den Mittelpunkt stellen und ihn nicht zur Staffage eines optischen Effektes werden lassen. Kamerafahrten wollten wir nur, wenn es den Zuschauer in die jeweilige Szene führt. Und Landschaftsaufnahmen verwendeten wir nur dann, wenn sie den Geschichtsablauf unterstützten.
Das Prinzip haben wir auch im auditiven Bereich angewendet. Wir wollten wenige bis keine akustischen Effekte zur Spannungssteigerung. Dies gilt auch für die Musik. Ich halte wenig davon, den Zuschauer mit bombastischer Beschallung vorzuschreiben, was er zu fühlen hat. Das Miterleben mit den Figuren ist um so vieles feiner, wenn man den Zuschauer dicht an die Figuren heranführt. Deswegen gibt es nur wenige Musikeinsätze. Um dennoch einen besonderen Akzent zu setzen, haben mein Komponist Bob Gutdeutsch und ich als Leitinstrument ein altes und heute unbekanntes Instrument herangezogen: die Drehleier.