Hessen: Das Studiengebühren-Gesetz wackelt
- ️@derspiegel
- ️Mon Aug 20 2007
Die Gegner von allgemeinen Studiengebühren in Hessen haben gewichtigen Beistand erhalten - von Ute Sacksofsky, der Landesanwältin am Hessischen Staatsgerichtshof. Sacksofsky soll als "öffentliche Klägerin" beim Staatsgerichtshof über die Vereinbarkeit von Landesgesetzen mit der Landesverfassung wachen. Sie hat nach Informationen des SPIEGEL das umstrittene "Studienbeiträge"-Gesetz von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) in einer 33-seitigen Stellungnahme an das Gerichtspräsidium als verfassungswidrig bezeichnet.
Das Gesetz sieht vor, dass hessische Studenten vom Herbst an für jedes Semester 500 Euro Gebühren zahlen müssen. Studentenorganisationen, Gewerkschaften, SPD und Grüne hatten dagegen Klagen beim hessischen Verfassungsgericht eingereicht. Die Landesanwältin hält nicht nur die rot-grüne Klage für "zulässig und begründet", sondern hat darüber hinaus einen eigenen Antrag gestellt, "dieses Gesetz für nichtig zu erklären".
Hintergrund ist der Artikel 59 der hessischen Landesverfassung, der unentgeltlichen Unterricht an Hochschulen verlangt und "Schulgeld" nur dann zulässt, wenn es die wirtschaftliche Lage des Schülers oder seiner Eltern erlaubt. Diese Verfassungspassage gibt es nur in Hessen. Ob sie die Erhebung von Studiengebühren tatsächlich unterbindet oder ob das Land die Studenten trotzdem zur Kasse bitten darf, ist rechtlich noch nicht geklärt.
Studentenvertreter hatten mit einer "Verfassungsklage von unten" gegen das Gebührengesetz mobil gemacht und über 70.000 Unterschriften gesammelt, auch Sozialdemokraten und Grüne halten ihre Klage für chancenreich. Der Staatsgerichtshof wird darüber voraussichtlich erst 2008 entscheiden. "Die Zeichen stehen gut für uns. Hessen wird das erste Bundesland sein, in dem Studiengebühren zurückgenommen werden", sagte Mike Josef. Der Sprecher der Juso-Hochschulgruppen Hessen forderte die Landesregierung auf, die Einführung von Studiengebühren zurückzunehmen; außerdem sollen die Hochschulen bereits erhobene Gebühren zurückzahlen.
Boykottversuche mit mäßigen Chancen
Bisher hat die Landesregierung sich von ihrem Zeitplan nicht abbringen lassen; die Hochschulen treiben derzeit die Campusmaut zum Wintersemester ein. In Hessen hatte es vor allem im Sommer 2006 erbitterten Widerstand von Studenten gegeben, die unter anderem Bahngleise und Autobahnen blockierten. In Marburg wurde ein 23-jähriger Lehramtsstudent vor zwei Wochen zu einer Geldstrafe von 1800 Euro wegen der Blockade der Stadtautobahn verurteilt.
Zusätzlichen Druck versuchen die Asten derzeit durch einen Boykott von Studiengebühren zu entfachen und wollen die Studenten davon überzeugen, dass sie die 500 Euro auf ein Treuhandkonto statt direkt an die Hochschulen überweisen. Das Kalkül: Ist die Beteiligung hoch genug, werden Land und Hochschulen davor zurückschrecken, tausende oder zehntausende von Studenten zu exmatrikulieren.
In anderen Bundesländern ging die Rechnung allerdings nicht auf. So schafften es in Baden-Württemberg lediglich Studenten von drei kleineren Hochschulen in Karlsruhe, das "Quorum" (die Mindestbeteiligung) zu erreichen - zogen aber zurück, weil sie allein dastanden, als die Boykottversuche an den großen Universitäten des Landes gescheitert waren.
Die bundesweit einzige Hochschule, an der Studenten konsequent am Boykott festhielten, ist die Hochschule für bildende Künste in Hamburg - und dort erhielt gut die Hälfte der Kunststudenten prompt den Exmatrikulationsbescheid. Auch die Universität Hamburg hat soeben 1110 Studenten hinausgeworfen, die im Sommersemester die 500 Euro nicht überwiesen hatten. An einigen anderen Hochschulen scheiterten Boykottversuche kläglich.
In Hessen stehen die Boykott-Stichtage an den meisten Hochschulen noch bevor, erreicht werden müssen meist Quoren von 20 bis 25 Prozent der Studenten. Bisher ist die Beteiligung mau, wie die "Frankfurter Rundschau" berichtete: So machten in Marburg, wo heute der Stichtag ist, bis Freitag 500 Studenten mit, 4000 verlangt das Quorum. In Frankfurt sind bisher 200 Studenten dabei, bis zum 28. August müssen es 6000 Boykottler werden. Die meisten Gebühren-Rebellen überweisen das Geld allerdings erst sehr kurz vor Fristablauf auf das Treuhandkonto. An der Hochschule Darmstadt endete die Boykottfrist bereits am Freitag; das Ergebnis hatte der Asta bis Montagmittag noch nicht mitgeteilt.
Gießener Studenten wütend über Uni-Leitung
Dass es an den großen hessischen Universitäten mit dem Boykott klappt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Besonders verwirrend ist die Lage in Gießen: Dort hatte sich der Senat auf die Seite der Gebührengegner gestellt und die Rücknahme des Gebührengesetzes gefordert. Die Boykotteure sollten "mindestens bis zur Veröffentlichung der Entscheidung des Staatsgerichtshofs nicht exmatrikuliert werden", funkte der Senat ans Uni-Präsidium.
Der Asta wirft nun der Hochschulleitung vor, sie habe die Gebührenrebellen bürokratisch ausgetrickst: Die Gebührenbescheide werden nicht zum gleichen Termin für alle, sondern nach und nach in mehreren Tranchen verschickt. Die verschiedenen Zahlungsfristen durchkreuzten den Boykottplan der Studentenvertreter, denn nun können Einzelstudenten auch bei Erreichen des Quorums einzeln exmatrikuliert werden - die Studentenmasse bietet ihnen keinen Schutz mehr.
Der Asta hat darum den Boykott heute abgebrochen, forderte aber die Studenten auf, "alle verwaltungsjuristischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Gebühren zu verhindern oder zu verzögern". Die Uni-Leitung habe gezeigt, "auf wessen Seite sie steht", und sich als verlängerter Arm der Landesregierung erwiesen, so die Studentenvertreter. Das riecht nach neuem Ärger: "In den kommenden Wochen und Monaten werden wir zeigen, dass es ein Fehler war, die Studierenden so offen vor den Kopf zu stoßen", sagte Erkan Ertan vom Asta.
Die Hochschulleitung reagierte mit Unverständnis. Rückmeldung und Gebührenzahlung sind in Gießen entkoppelt. Um den Studenten entgegenzukommen, habe die Universität ein Anhörungsverfahren zwischengeschaltet, sagte Uni-Sprecherin Christel Lauterbach. Alle Studenten hätten die Gelegenheit erhalten, eine Gebührenbefreiung zu beantragen und in einer schriftlichen Stellungnahme zu begründen: "Wir wollen gerade vermeiden, dass Studierende zu Unrecht zahlen müssen. Denn wenn der Gebührenbescheid einmal versandt ist, müssen die Studierenden das Geld überweisen. Deshalb haben wir extra über 18.000 Anhörungsschreiben verschickt", so die Uni-Sprecherin über die "sehr studierendenfreundliche" Gießener Regelung.
Inzwischen treffen die ersten Stellungnahmen der Studenten ein und werden nach und nach bearbeitet. In den nächsten Wochen und Monaten werden dann die Gebührenbescheide verschickt - in mehreren Wellen. "Anders ist es leider nicht möglich", so Christel Lauterbach. Und Uni-Präsident Stefan Hormuth widerspricht dem Asta sehr deutlich: "Es geht nicht darum, dass wir den Boykott perfide unterlaufen wollen."