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Das Wunder von Andermatt

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  • ️Sun Sep 17 2006

Das ist doch verrückt, dachte Hansueli Kumli, als er zum ersten Mal von dem reichen Ägypter hörte und von dessen Plänen. Das ist übertrieben, dachte er, größenwahnsinnig, so etwas gehört nicht in unser Dorf.

Ein Ägypter, der Andermatt neu bauen wollte, den Ort umwandeln in ein luxuriöses Ferienresort: mit beheiztem Sandstrand mitten im Schnee, mit einem 18-Loch-Golfplatz, mit den exklusivsten Hotelketten der Welt - ein neues Dorf neben dem alten, 130 Fußballfelder groß, mitten in den Alpen.

Das kann doch nicht sein, sagte sich Kumli, was will so ein Ägypter bei uns?

Hansueli Kumli, 57, das Gesicht kantig, die Augen quellwasserblau, ist Gemeindepräsident von Andermatt, Kanton Uri, Schweiz. Sein Dorf liegt auf 1436 Metern über dem Meeresspiegel im Urserental, 1300 Einwohner, ein unbedeutender Flecken an der Straße, die sich hochwindet zum Gotthardpass. Gewaltig ragen die Berge zu allen Seiten empor.

Doch nun sitzt Kumli im Saal des Gemeinderats, er strahlt, es leuchtet aus seinem gegerbten Gesicht, er hat seine Meinung längst geändert. »Man kann nicht dagegen sein«, sagt er. Er ist jetzt begeistert von der Idee des Ägypters, begeistert wie das ganze Dorf. Er redet von Aufschwung, von Arbeitsplätzen. Er sagt, es sei wie im Märchen, tausendundeine Nacht, ein reicher Araber rettet ein Schweizer Dorf im Niedergang.

Nicht nur im kleinen Bergkanton Uri schauen jetzt alle gebannt auf Andermatt - das ganze Land verfolgt jede kleinste Wendung in dieser Geschichte, aus der sich so viel ablesen lässt: der Wüstensohn und die Bergler. Ein arabischer Milliardär, der touristische Entwicklungshilfe in einem der reichsten Länder der Welt leistet. Ein bisschen wie in Dürrenmatts »Besuch der alten Dame«, nur mit Happy End, jedenfalls bislang.

Ein Retter also, ein Mann namens Samih Sawiris, Sohn der reichsten Familie Ägyptens, mehr als fünf Milliarden Dollar schwer. Man nennt sie die Rockefellers von Ägypten.

Sawiris, 49, tauchte zum ersten Mal im Frühjahr 2005 in Andermatt auf, er kam mit dem Hubschrauber angeflogen. Ein ehemaliger Schweizer Botschafter in Kairo hatte ihm den Tipp gegeben, jetzt wollte er sich dieses Andermatt einmal ansehen. Er flog über das Tal und war begeistert: diese wilde Schönheit, diese unberührte Natur. Alles nur zwei Autostunden von Zürich, drei von Mailand.

Wen sie da vor sich hatten, wussten die Andermatter damals nicht so richtig. Sawiris, klein, ein Sonnyboy mit ergrauenden Locken, ließ sich in das oberste Stockwerk eines Hotels führen. Die Delegation der Gemeinde zeigte ihm von da oben ein Grundstück. Sawiris lachte. Das ist nichts für mich, sagte er: »Ich brauche mindestens eine Million Quadratmeter.«

Eine Million Quadratmeter. Den Andermattern stand der Mund offen. Das war das halbe Tal. Sawiris sagte, er wolle ein Resort bauen, wie es bisher keines gegeben habe in den Alpen. Andermatt werde so berühmt wie St. Moritz.

Die Leute schüttelten ungläubig den Kopf. Jahrzehntelang hatte die Armee die Andermatter ernährt. Hier oben lag bis zum Ende des Kalten Krieges das Zentrum der schweizerischen Landesverteidigung, die Berge sind ausgehöhlt, das Gotthardmassiv ist eine einzige Festung. Wenn der Feind gekommen wäre, hätten sich die Soldaten in den Alpen verkrochen, das Flachland hätten sie ihm überlassen, aber die Straßen, die Schienen, die Tunnel hätten sie verteidigt. Selbst die Schweizer Regierung wäre in einen Bunker irgendwo hier im Fels geflohen.

Inzwischen ist die Armee nach vielen Reformrunden zusammengeschrumpft, sie braucht keine Alpenfestung mehr, sie braucht Andermatt nicht mehr.

Hansueli Kumli, der Gemeindepräsident, ist auch der Mann, der für die Belüftung

der Festungsanlagen zuständig ist. Er ist einer der letzten Armeeangestellten hier oben. Immer weniger Soldaten leisten hier Dienst, sagt Kumli, vielleicht ist er hier bald allein mit seinen Bunkern und seinen Lüftungen, und dieses Gefühl, abgehängt zu werden von der Welt da draußen, kennt das ganze Dorf.

Die Jungen ziehen in die Städte und kommen nicht zurück. In einer Studie sagen Forscher voraus, Orte wie Andermatt würden in ein paar Jahrzehnten aufgegeben, sie würden zur »alpinen Brache«.

Und jetzt kam aus dem Nichts dieser Ägypter an und brachte die Lösung. Er würde fast das ganze riesige Gelände kaufen, das der Armee gehörte, wo die Trainingsanlagen für den Häuserkampf stehen, die Schießanlagen. Die Armee würde abziehen, die Touristen würden kommen, aus Asien, vom Golf, aus Amerika. Hunderte von Millionen würde er investieren.

Am Anfang waren die Leute skeptisch, was ist das für einer, hieß es auf den Straßen, ein Ölscheich? Ein Mohammedaner? Bringt er seinen Harem mit? Wird hier unsere Heimat verkauft?

Als sie erfuhren, dass Sawiris kein Muslim ist, sondern ein koptischer Christ, waren viele schon ein wenig beruhigt.

Im Dezember 2005 lernten sie ihn zum ersten Mal kennen, es gab eine große Versammlung in der Mehrzweckhalle von Andermatt. Das Dorf war fast vollständig erschienen, Sawiris saß oben auf dem Podium, trug Grau und Schwarz, war ungeheuer charmant, sprach fließend Deutsch, er hat in Berlin studiert.

Er sagte, dass er nur Gewinner wolle, dass er sein Personal aus Schweizern rekrutieren wolle und nicht aus Zuwanderern, er sagte, die Bauern könnten ihre Kühe auf dem Golfplatz weiden lassen, er sprach davon, sie zu Greenkeepern auszubilden.

Am Ende wurden die Andermatter gefragt, ob jemand dagegen sei, das Projekt voranzutreiben. Keiner meldete sich. Später strahlten sie in die Fernsehkamera, als ob sie im Lotto gewonnen hätten.

Dann ging alles sehr schnell. Die Armee war ohnehin froh, dass sie ihr Land so einfach loswerden konnte, die Regierung des Kantons Uri sicherte volle Unterstützung zu, ein eigenes Projektteam ist nur damit beschäftigt, Bewilligungen zu erteilen. Im Sommer 2007 will Sawiris mit dem Bauen anfangen, im Winter 2009 will er eröffnen.

Im Sommer kam Sawiris mit einem internationalen Resortplaner ins Dorf, Jean-Michel Gathy, einem Belgier, der in Malaysia lebt. Das war der Mann, der weiß, was Gäste wollen. Die Vertreter des Kantons und der Gemeinde kamen ins Hotel »Drei Könige und Post«, in dem schon Goethe abgestiegen war, und wollten sehen, was mit Andermatt passieren wird, wie es aussehen würde.

Groß und gebräunt stand der Resortexperte am Banketttisch, die Pläne lagen ausgebreitet vor ihm, er redete sich in einen Rausch, er deutete auf immer neue Stellen im Plan: »Ich denke immer noch, dieses Dorf ist der wunderbarste Traumort.« Aber erst muss er es umbauen, diese schreckliche Tankstelle, diese komische Bahnstation, alles muss weg, alles muss anders werden.

Kumli, sein Vize und der Gemeindeschreiber standen in ihren Windjacken am Ende des Tisches, sie lächelten scheu, sie machten große Augen, schwer zu sagen, was hier gerade geschieht. Der Resortplaner sagte: »Wir müssen eine Story erzählen. Im Hotelgeschäft geht es einzig und allein darum: eine Story zu erzählen.«

Die Herren von der Gemeinde staunten. Es wird achtstöckige Hotels im Chaletstil geben, bis zu 1600 Betten, Seilbahnen durchs Dorf. Das Resort wird auf einer gigantischen Betonplatte stehen, darunter ein riesiges Parkfeld und unterirdische Zufahrtswege, die gesamte Logistik, alle Anlieferungen, die Müllbeseitigung werden unter die Erde verlegt, nichts darf das idyllische Bild stören. Die führenden Hotelketten der Welt sind schon angefragt.

»Das wird eine Bombe«, murmelt Kumli, der Gemeindepräsident, »eine Riesenbombe. Das wird noch größer, als wir dachten.«

Es ist nicht so, dass es keine Probleme gibt. Mit den Bewilligungen, mit dem Umweltschutz. Es gibt Bauern, die ihr Land nicht verkaufen wollen.

Sawiris wird das alles lösen. Er hat jedem Bauern Berater versprochen. Jemanden, der mit ihm die Zukunftschancen seines Betriebs errechnet, der ihn unterstützt, der ihm hilft. Er trifft die Bauern immer wieder, und danach sagen alle, sie seien beeindruckt von seinem Charme, seine finanziellen Angebote seien sehr fair. Und der Druck auf die, die nicht wollen, wird schon noch zunehmen, munkelt man im Dorf.

Sawiris hat Andermatt erobert, die Menschen haben sich verliebt in sein Projekt. Eine wahre Ägypten-Begeisterung hat das Dorf gepackt, und Gouna, die künstliche Stadt, die Sawiris am Roten Meer hat erbauen lassen, erlebt einen Ansturm von Touristen aus dem Kanton Uri: Hier können sie sich anschauen, wie es bei ihnen vielleicht bald aussehen wird. In Gouna leben 10 000 Menschen, Kanäle schlängeln sich vorbei an Villen und Restaurants, es gibt ein eigenes Krankenhaus, eine eigene Brauerei, für die Kinder der Angestellten gibt es eine Schule. Gouna ist ein Resort, das eine Welt für sich sein möchte.

Hansueli Kumli, der Gemeindepräsident, der Mann, der die Bunker belüftet, war selbst noch nicht dort, aber er träumt sich dorthin, er träumt von Jobs für das ganze Dorf, er sagt: »Man weiß aus dem Urlaub, wie das ist, da braucht es nicht nur Tellerwäscher, da braucht es Manager, da braucht es Leute, die jeden Tag ein Blümlein aufs Bett legen.« MATHIEU VON ROHR