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Rondo Mafioso

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  • ️Sun Apr 07 1991

Der Ibis fühlt sich, weiß das Sprichwort, in der Mitte am sichersten. Das quotensüchtige Fernsehen richtet sich seit Jahren - dem risikoscheuen Vogel nicht unähnlich - in einer Position ein, wo sich ohne allzu große künstlerische Anstrengungen die meisten Zuschauer gewinnen lassen: als Nachhut des Kinofilms.

Der Schwarzwald-Doktor Brinkmann beerbte den Ärzte- und Heimatfilm. Das Fernweh des Abenteuerkinos verscherbelten Wolfgang Rademanns ZDF-Traumschiffer an die Beschränktheit des Kleinbildkamera-Touristen; Sascha Hehn, die geleckte Kleinstbürgerversion eines Errol Flynn.

Auch die Euro-Serie »Allein gegen die Mafia«, die mit fünf neuen Folgen die Frühlingszeit im ZDF belebt*, hält erkennbar großen Sicherheitsabstand zu den Kino-Filmen über die ehrenwerte Gesellschaft. Die moralischen Zweischneidigkeiten eines Francis Coppola, der seinen Paten in verwirrendem Wechsel mal als brutalen Bandenchef und dann wieder als fürsorgliches Familienoberhaupt zeigt, sind dieser europäischen Erfolgsproduktion ebenso fremd _(* Von diesem Sonntag an jeweils um 20.15 ) _(Uhr. ) wie die ironische Attitüde von Andrew Bergmans Mafia-Parodie »Freshman«.

»Allein gegen die Mafia« - wie alle erfolgreichen Trivialprodukte mit höchstem Raffinement gemacht - beglaubigt ungebrochen die Fabel vom ewigen Kampf der wenigen Aufrechten gegen die Welt der Verbrecher. Zwar löste Luigi Perelli als Regisseur Damiano Damiani ab, und der 46jährige Vittorio Mezzogiorno nimmt in der neuen Staffel die nach dem Ableben des Commissario Cattani (Michele Placido) vakante Stelle des Helden an der Seite der Richterin Silvia Conti (Patricia Millardet) ein, doch der Eindruck des Ewig-Gleichen bleibt bestehen: ein Reigen von eleganten Palästen, knatternden Showdowns, müden Mafia-Greisen, bäuerischen Killervisagen und schöngesichtigem Edelmut mit Träne im Knopfloch.

Diese Welt des synthetischen Mythos schaltet systematisch das Denken aus. Schon der französische Philosoph Roland Barthes hat beschrieben, wie das funktioniert: Der Mythos verwandele Geschichte in Natur, verbreite »euphorische« Klarheit, so daß Verhältnisse und Dinge den Eindruck machen, als »bedeuteten sie von ganz allein«.

Genau nach diesem Prinzip arbeitet »Allein gegen die Mafia«. Die Paläste der schuftigen Chefs werden so ins Bild gesetzt, daß der Modergeruch der Morbidezza gleichsam aus dem Bildschirm zu quillen scheint. Weiblicher Edelmut entweicht der wehenden Haarmähne, als sei Charakter eine Funktion der Frisur. Und die Schlechtigkeit, suggerieren die Bilder, entsteigt schlecht sitzenden Anzügen oder übertriebener Eleganz. Tano Carridi (Remo Girone), schurkisches Finanzgenie, sieht mit seinem schwarzen Pomadehaar und seiner Leichenbitter-Miene wie ein Vampir aus, dem der Zahnarzt das Gebiß gerichtet hat.

Das euphorische Gefühl, man durchschaue das Spiel, weil man die optischen Signets deuten kann, schafft auch die Präsentation der Mafia-Geschäfte: Meist rattern Zahlenkolonnen über die Mattscheiben der Computer und raunen Stimmen etwas von Kontobewegungen.

Wer sich dennoch, trotz mythenseligen Hochdrucks der Bilder und der hohlen Lakonie der Dialoge ("Es gibt im Leben kein Zurück"), noch ein paar Gedanken um Handlungslogik und gar soziale Hintergründe des Mafia-Unwesens macht, dem vernebelt die Musik Ennio Morricones endgültig das Gehirn. Morricone hat bei Richard Wagner etwas von der Technik der Leitmotive übernommen, eine Art Basic-Bayreuth.

Ein pochendes Streicher-Staccato kündet dem Zuseher: Achtung Spannung. Düstere Passacaglia-Arpeggien: Hochspannung. Die tiefe Baß-Fermate dräut: Achtung, ein Bösewicht. Schlagen die Moll-Akkorde in lichtes Dur um, wird''s echt menschlich rein. Und wenn dann noch ein Chor jubiliert, ist der Himmel nicht weit.

Zwei Obsessionen hat auch die neue Mafia-Serie beibehalten: Die Vorliebe für gehobenen Wahnsinn und das Faible für klösterliches Ambiente. Der fiese Bankier, der seiner gerechten Strafe entgeht, weil er den Unzurechnungsfähigen markiert und der geschlossenen Anstalt entweicht, zeigt trotz dieser Verstellung eine deutliche Tendenz, meschugge zu werden: Mit irrem Lächeln faltet er Papiervögelchen, gelegentlich greift er sich verwirrt an den Kopf, mafiöse Demenz.

Bei so viel verbrecherischer Schlechtigkeit darf auch diesmal das Heilige nicht fehlen. Schon der alte Commissario Cattani verkroch sich müde vom Polizeidienst bei den Mönchen. Diesmal spürt Polizist Davide Licata einen Kronzeugen in der Klosterzelle auf, der dort in Zerknirschtheit über seiner kriminellen Vergangenheit schmachtet.

Närrisch, heilig, aber auch gut italienisch geht es in der Serie zu. Mannbarkeitsrituale fehlen auch diesmal nicht: böse, wenn sich ein Sohn in den Sessel seines ermordeten Mafia-Vaters setzt und der Ungeist über ihn kommt, gute, wenn sich Licata über seinen lange vermißten Filius in gottväterlicher Gebärde beugt.

So treibt das Spiel dahin, fast zwei Stunden pro Folge, und zieht mit Morricones Musik den Zuschauer unmerklich in seinen Bann. Eine Serienoper, die fast ohne Worte auskommt, nur aus Bildern mit Musik bestehen könnte, als Rondo Mafioso. o

* Von diesem Sonntag an jeweils um 20.15 Uhr.