Muß i denn
- ️@derspiegel
- ️Sun May 19 1991
Thomas Meinecke hat es gleich gekauft, dieses schwarze Trucker-Käppi mit der goldfarbenen Aufschrift »meineke«. Was eben noch für eine amerikanische Auspuffirma geworben hat, rundet jetzt das Erscheinungsbild einer deutschen Band ab, die in Richmond, der Hauptstadt des US-Staats Virginia, aufs alleramerikanischste ausstaffiert ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgeht: »FSK« aus München nehmen eine Platte auf.
Es ist ein weiter Weg von München, Oberbayern nach Richmond, Virginia - und die vier deutschen Künstler, ob mit oder ohne Trucker-Käppi, wirken auch ein wenig fehl am Platz. Es gibt hier zwar ein paar bunte Holzhäuser und einen Haardoktor, und für einen Dollar soviel Kaffee, wie man trinken kann, aber die Band muß auch auf vieles verzichten. Auf die Semiotikstudenten zum Beispiel, die den vier Künstlern immer gern auf die Schultern klopfen; auf die Vernissagen, wo man ihnen jederzeit die roten Teppiche ausrollt; und auf das Szenecafe, wo immer raunendes Geflüster einsetzt, sobald einer von ihnen in der Tür erscheint. Das Leben ist hart und anonym in dieser fremden Stadt am James River.
FSK (das Kürzel stand einmal für »Freiwillige Selbstkontrolle") sind freiwillig hier. Als echte und überzeugte Bundesrepublikaner, als Kinder der deutsch-amerikanischen Freundschaft, deren musikalische Sozialisation von deutschem Liedgut und angelsächsischem Pop bestimmt wurde, forschen FSK seit zehn Jahren auf beiden Seiten des Atlantiks den Wurzeln dieser Mischkultur hinterher.
FSK sind ein kleiner exklusiver Klub. Nie ging es ihnen um Geld oder einen guten Platz in den Hitparaden, immer nur ums musikalische Resultat - um Platten, auf denen verschiedene Musikkulturen miteinander verknüpft oder konfrontiert wurden: So sollten verborgene Strukturen offenbart und analysiert werden.
Die vier Künstler können sich diesen Luxus leisten; schließlich hat jeder einen ordentlichen Beruf gelernt: Bassistin Michaela Melian ist Malerin; Gitarrist und Jodler Wilfried Petzi verdient sein Geld als Fotograf und Hochschuldozent; Justin Hoffman, der ebenfalls Gitarre spielt, ist Kunstkritiker; Thomas Meinecke, der Sänger und Cornetist, legt beim Bayerischen Rundfunk Platten auf und hat einige Bücher bei Suhrkamp und Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht.
Bei Kennern gelten FSK als echte Errungenschaft. Diedrich Diederichsen, der Papst der deutschen Subkultur, hat einst ihr Treiben als »Popmusik für die deutsche Intelligenz« gewürdigt, und John Peel, der Star-Diskjockey der BBC, holte FSK viermal zu Live-Auftritten in seine Sendung - öfter als jede andere nichtbritische Gruppe.
Mit Ernst und Eifer hatten sich die FSK-Mitglieder auf das Projekt Richmond vorbereitet. Michaela Melian und Thomas Meinecke forschten in Louisiana und Texas nach böhmischen Tanzkapellen, nach den Geheimnissen amerikanischer Akkordeonspieler und nach Wild-West-Jodlern. Petzi und Meinecke zogen durch die Bierzelte des Oktoberfests, um im entfremdeten Bayern-Lärm der Blaskapellen Parallelen zur Musik _(* Meinecke, Lowery, Hoffmann, Petzi, ) _(Huggins, Melian. ) aus New Orleans und den Appalachen zu finden.
Ihre neuen Lieder sind Bastarde, Dokumente halbvergessener Verbindungen zwischen zwei Kontinenten, in denen mehrsprachig zum Tanz aufgefordert wird. Auf dem Cajun-Klassiker »Jole Blon« kauderwelscht es deutschfranzösisch-englisch im Dreivierteltakt. Und der Titel »I Wish I Could Sprechen Sie Deutsch« ist Programm geworden, ebenso wie die Textstelle »Yankee go home und nimm mich mit über den ganz großen Teich«.
Dieses sehnsuchtsvolle Zitat mag Thomas Meinecke nun durch ein »Ick bin all hier« ergänzen, nachdem David Lowery, ehemals Chef der College-Band »Camper van Beethoven«, als Produzent zugesagt hat und Musikverlag und Plattenfirma die Reisespesen für die Aufnahmen zur LP »Son of Kraut« übernommen haben.
Das Studio in Richmond ist ein ziemlich enger Kasten. Die Kabel hängen wirr aus den offenen Löchern in der Decke. An der Wand Kindergekrakel, daneben ein durchgesessenes Sofa und Papierkörbe voller alter Pappbecher.
Hinter dem Mischpult herrscht David Lowery. Er soll FSK bei der Produktion unterstützen, und er hat es nicht leicht dabei. Seine Aufgabe ist es, die Stärken der Band deutlich hörbar zu machen und die Schwächen verschwinden zu lassen. Das heißt, Lowery muß den Liebhaber-Aspekt herausarbeiten, die Metamusik als intellektuelles Unterfangen kenntlich machen - und trotzdem soll er soviel Swing in die Stücke zaubern, daß die auch in den Bauch und in die Beine gehen.
Natürlich gibt es Probleme dabei. Wilfried Petzi kann sehr schön singen, aber ebenso problemlos knödelt er manchmal einen halben Ton zu hoch oder zu tief, wenn er sich allzu heftig auf eine bestimmte Interpretation konzentriert. Thomas Meinecke hat sich zwar mit seinem Cornet halbwegs angefreundet, doch für wiederholtes Stakkato-Spiel reichen weder Technik noch Lippenmuskulatur. Und Justin Hoffmanns Gitarre entwickelt in der trockenen Studioluft unangenehme Eigenschaften: Das Ding verstimmt sich nach wenigen Sekunden.
Ins Schwärmen aber gerät Lowery, wenn Thomas Meinecke ein Blues-Solo spielt, das in amerikanischen Ohren ganz naiv klingt; oder wenn Michaela Melians strenger deutscher Akzent dem Propaganda-Song »Hitler Lives« den notwendigen Verfremdungseffekt verleiht. Und richtig begeistert ist der Produzent, wenn es FSK gelingt, ihre theoretischen Vorstellungen schillern und changieren zu lassen: Wenn sie Töne spielen, die innerhalb weniger Augenblicke Assoziationsketten freisetzen - irrlichternde Bindeglieder zwischen westafrikanischem Highlife und mexikanischer Mariachi-Tristesse, zwischen Memphis-Soul und New-Orleans-Sound.
Lowery liebt die Band: »Ob die vier nun ihre eigenen Songs spielen oder eine 40 Jahre alte GI-Schnulze; immer drängelt sich Europa seinen Weg frei durch Jahrzehnte amerikanischer Sozialisation.«
Quasi als Abschiedsgeschenk steuert Lowery einen eigenen Song bei, eine Country-Etüde mit transatlantischer Thematik: »When It Rains In Texas It Snows On The Rhine«, herzzerfetzend durchjodelt von Wilfried Petzi.
Nun wird dieser Jodler auch auf deutschsprachigen Bühnen aufgeführt. Im Handgepäck haben FSK drei Gitarren, eine Posaune, ein Cornet, eine Mandoline, eine Mini-Hammond-Orgel, die ein Suhrkamp-Vertreter billig abzugeben hatte, und außerdem natürlich viele neue Fundsachen aus Amerika. So mischen sich nun bayerische und texanische Tanzschritte, Walzerrhythmen mit Gitarrenlärm, der Blues mit dem Biergarten. Und ganz heimlich träumen FSK jetzt doch vom Sommerhit: »Wooden Heart«, ihre Version des Klassikers »Muß i denn . . .« hätte das Zeug dazu.
* Meinecke, Lowery, Hoffmann, Petzi, Huggins, Melian.