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»Der blasse Eberhard muß weg«

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  • ️Sun Oct 27 1991

Eberhard Diepgen, 49, steckte seiner Regierung ein ehrgeiziges Ziel. Berlin, verkündete der Regierende Bürgermeister, wolle er zu einer »europäischen Metropole ersten Ranges« ausbauen, »die international hohe Attraktivität ausstrahlt«.

Da hat er noch viel zu tun. Seit Berlin zu Hauptstadt und Regierungssitz erkoren worden ist, versinkt die Metropole in Provinzialität - als gelte es, Bonn nachzueifern.

Unmut über den kleinkarierten Regierungsstil des Diepgen-Senats macht sich in der schwarz-roten Berliner Koalition ebenso breit wie in der Bevölkerung. In der Stadt, erkannte SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt, 42, »herrscht eine relativ schlechte Stimmung«. Manfred Preuss, 39, Fraktionsvize der CDU, klagt: »Die Große Koalition schafft noch nicht, wozu sie eigentlich gedacht und stark genug ist.«

Diepgens Kabinett macht seit Wochen Negativschlagzeilen. Der Senat, bemängelte die Berliner Zeitung, zeige sich »als eine Ansammlung zögerlicher Politiker, die teils schwach, teils inkompetent den Grenzen West-Berlins verhaftet sind«. Und die Morgenpost moserte schon, die Stadt brauche keinen »dahindümpelnden Senat«, sondern eine Regierung, die »Aufbruchstimmung, Dynamik und Vision vermittelt«.

Doch die Stadtregierung reibt sich an Kleinkram auf: Züge eines Glaubenskrieges nahm die monatelange Diskussion an, ob das monumentale Lenin-Denkmal geschleift werden soll (SPIEGEL 41/1991). Während Schienen und Straßen zwischen den Stadthälften und ihrem Umland vielerorts noch immer an Prellböcken und in Sackgassen enden, eröffnete die Verkehrsverwaltung eine nervende Diskussion um die Beseitigung von Tempo-30-Zonen und Busspuren.

Und mit einer Detailfreude, die sonst nur auf Landratsämtern zu finden ist, widmeten sich gleich mehrere Regierungsressorts der Frage, ob die Durchfahrt durchs Brandenburger Tor für Busse und Taxis freigegeben werden solle. Selbst ein enger Mitarbeiter Diepgens warnte: »Wir müssen aufpassen, daß der Senat nicht zur Lachnummer wird.«

Manchem Betroffenen ist eher zum Heulen. Das Sozialgefälle von West nach Ost muß schnellstens abgebaut, die Arbeitslosenquote von 14 Prozent in Ost-Berlin gesenkt, die Wohnungsnot gelindert, der drohende Verkehrskollaps abgewendet, die explodierende Gewaltkriminalität eingedämmt werden. Doch kaum irgendwo kann der Senat Fortschritte vorweisen.

Der Umbau der Stadt zum Regierungssitz, die Kandidatur um die Olympischen Spiele im Jahr 2000, die Verteilung der Bauflächen an Investoren - solch große Aufgaben werden durch Affären und Pannen behindert. Oder sie enden in kleinlichem Hickhack wie zum Beispiel die Planung des Potsdamer Platzes (SPIEGEL 43/1991), die ein Sprecher des Investors Daimler-Benz mit dem Spottwort »Posemuckel« kommentierte.

So etwas sitzt. Und Regierungschef Diepgen steht selber allzuoft im Mittelpunkt der Kritik. Weil er die Olympia-Bewerbung Berlins zur Chefsache gemacht hatte, fielen auch das dilettantische Werbekonzept sowie der schmähliche Abgang des Olympia-Geschäftsführers und Diepgen-Günstlings Lutz Grüttke auf den Regierenden Bürgermeister zurück.

Schon forderte der Wilmersdorfer CDU-Kreisverband, parteiintern »Sowjetisch-Wilmersdorf« genannt, den Bürgermeister auf, den Landesvorsitz der Partei abzugeben. Die Fronde gegen Diepgen führt der Abgeordnete Jürgen Adler an, der bündig verlangte: »Der blasse Eberhard muß weg.«

Diepgen galt schon in seiner ersten Amtszeit (1984 bis 1989) als politisches Bleichgesicht; nun aber, meint Adler, habe der Bürgermeister seinen »Leistungszenit überschritten«. Der Opponent charakterisiert seinen Parteifreund als einen »Mann, der sich in allen Bereichen vorsichtig bis zur Ängstlichkeit ums Detail kümmert« - der Bürgermeister agiert mehr als Oberbuchhalter denn als Vorstandsvorsitzender des Unternehmens Berlin.

Schnell und gern macht sich Diepgen populistische Positionen zu eigen, ohne dann jedoch weiterreichende Konzepte anzubieten. So weiß er die große Mehrheit der Berliner hinter sich, wenn er den Abriß des »Palasts der Republik« fordert. Was an dessen Stelle entstehen soll, läßt Diepgen allerdings offen: Der Platz könne ja einstweilen leer bleiben.

Uwe Lehmann-Brauns, 53, stellvertretender CDU-Fraktionschef, sieht darin die schlechteste Lösung: »Dann zieht es dort wie Hechtsuppe.«

Beim Regierungspartner SPD regen sich schon Trennungsgelüste. Diepgens Vorgänger Walter Momper, 46, vermißt »politische Führung«; der Regierende Bürgermeister »müßte die Ziele der Entwicklung Berlins deutlicher als bisher definieren«, mäkelte der Landeschef der Sozialdemokraten.

Mompers Parteifreunde gehen härter zur Sache: Charlottenburger Genossen diskutierten einen Antrag an den Landesvorstand, die Koalition aufzukündigen, weil »fundamentale Probleme der Stadt« vom Senat »nicht oder nur unzureichend angepackt« würden.

Besonders hilflos agiert der Verkehrssenator Herwig Haase. Der Christdemokrat, beklagte der Bündnis-90-Abgeordnete Michael Cramer, »zementiert die Spaltung der Stadt bis ins nächste Jahrtausend, da ihm noch immer ein schlüssiges Verkehrskonzept fehlt«.

Haase stellt lieber die Autofahrer-Lobby zufrieden, indem er eigenhändig Verbotsschilder an der Havelchaussee entfernt. »Haases Bekanntheitsgrad«, lästerte die Berliner Zeitung, habe »zunächst nahe Null gelegen«, sei aber »wegen der beständigen Kritik an seiner Arbeit stark gestiegen«.

Auch wenn die SPD Haase für ein »verkehrspolitisches Fossil« (Momper) hält, mußte sie aus Koalitionsräson vorige Woche gegen einen Mißtrauensantrag stimmen, den das Bündnis 90 eingebracht hatte. Solche Zumutungen schlagen nun aufs Koalitionsklima.

Haase ist die Sollbruchstelle, beileibe aber nicht der einzige Schwachpunkt der Stadtregierung. Dem Diepgen-Senat mangelt es an Profil und Kompetenz. Denn statt Promis von auswärts zu holen, die in früheren Notzeiten allemal dem Ruf in die Frontstadt gefolgt waren, hat der CDU-Landesvorsitzende Diepgen vor allem verdiente Parteifunktionäre aus den Bezirken in lukrative Senatsämter befördert.

Um alle Begehrlichkeiten zu befriedigen, vergrößerte der Stadtchef den Senat zudem um 2 auf 15 Ressorts und schuf, zu den vorhandenen 18, weitere 6 Staatssekretärsposten.

Der FDP-Abgeordnete Axel Kammholz, von Beruf Leitender Regierungsdirektor im Bundeskartellamt, sieht in der Vergrößerung des Senats und dem Zuschnitt einiger Ressorts einen »entscheidenden Fehler« Diepgens.

Mancher Senator geriet gar in ein für ihn falsches Ressort. So mußte der hemdsärmelige Mittelständler Elmar Pieroth, der als Wirtschaftsressortleiter reüssiert hatte, die ungeliebten Finanzen übernehmen, weil die SPD die Wirtschaftsverwaltung für sich reklamierte und mit dem Theologen Norbert Meisner besetzte, der in Mompers rot-grünem Kabinett für den Etat zuständig war.

Eher kontraproduktiv ist die von Diepgen beibehaltene Trennung der Ressorts für Bauen und Stadtentwicklung, wie sie 1981 vollzogen worden war. Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) und Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) zählen zwar zu den Aktivposten des Senats, sind aber Profilneurotiker, die sich gegenseitig oft mit Lust blockieren.

Bisweilen macht sich die Berliner Verwaltung zu ihrer eigenen Karikatur. Im Juni hatte die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus einen Antrag an die Stadtregierung gestellt, sie solle ein »Konzept zur schnelleren und wirksameren Umsetzung von Senatsbeschlüssen« unterbreiten. Der Antrag wurde bis heute nicht beantwortet.

Die oppositionellen Liberalen, selber keine Energiebolzen, sorgten unlängst für ein Novum im deutschen Parlamentarismus, »um Druck auf den Senat« zu machen (Parteichefin Carola von Braun): Senatsverwaltungen, die erforderliche Vorlagen nicht termingerecht abliefern, müssen ein Bußgeld zahlen. Aus ihrem Etat werden, für jeden Säumnisfall, 150 000 Mark gestrichen.

Die schwerfällige, über vier Frontstadt-Jahrzehnte gemästete West-Berliner Bürokratie erdrückt jede Initiative. Die Sozialdemokraten hatten durchgesetzt, daß die östlichen Bezirke, weil die Zeit drängt, private Planungsbüros in Anspruch nehmen dürfen. Der Aufbau sollte nicht durch Behördenleerlauf gebremst werden. Nun geht alles noch langsamer.

Bevor die Ostbezirke private Planer beauftragen dürfen, müssen sie zuerst ihre Nachbarbezirke im Osten fragen, ob die Planungskapazitäten frei haben. Ist dies nicht der Fall, müssen sie sich bei den Westbezirken erkundigen. Und wenn alle Anfragen negativ beschieden sind, müssen sie beim Finanzsenator einen Antrag auf Genehmigung stellen. Das Verfahren dauert allemal vier Wochen.

Zwar hält sich der Senat viel darauf zugute, daß er 3 Milliarden Mark im laufenden Haushalt eingespart hat, obschon 14 Milliarden Mark allein für den Ostteil der Stadt ausgegeben werden müssen. Aber die Summe fiel vor allem deshalb so eindrucksvoll aus, weil die Berliner bislang mit einem zur Hälfte von Bundeszuschüssen aufgeblähten 26-Milliarden-Etat wirtschaften konnten.

Der Senat, kritisiert der ehemalige FDP-Finanzsenator Günter Rexrodt, 50, jetzt Vorstandsmitglied der Treuhand, vermittle den »Eindruck, es wird nur diskutiert und begutachtet«. Entscheidungen ließen zu lange auf sich warten. »Wo«, fragt Rexrodt, »sind die Baukräne im Osten der Stadt?«

Seit Monaten tagt das »Stadtforum«, erörtert ebenso langatmig wie unverbindlich Architektenpläne. Nach diesem Vorbild richtet Verkehrssenator Haase nun auch noch eine »Verkehrswerkstatt« ein, wo sich Experten voraussichtlich auf Jahre hinaus mit klugen Vorträgen anöden. Das Fuhrgewerbe jedoch drängelt: »Wir brauchen keine Bedenkenträger, sondern Entscheidungen.«

Als sei nichts Dringenderes zu tun, ließ der Verkehrssenator zudem etliche U-Bahn-Stationen umbenennen, die Namen sozialistischer Säulenheiliger trugen. So heißt der Bahnhof »Marchlewskistraße« künftig »Weberwiese«. Die Staus in der Stadt wurden dadurch nicht kürzer.

Es wurde nur alles ein wenig komplizierter. In den soeben neu aufgelegten Streckenplänen der Verkehrsbetriebe sind die Bahnhöfe noch unter ihren alten Namen verzeichnet - zu überraschend kam der Coup des Senators. Einige Stationen präsentierten sich zudem tagelang namenlos: Die alten Bezeichnungen waren lediglich überklebt worden.

Gezänk auch rund um das Wahrzeichen Berlins, das Brandenburger Tor: Nachdem der Senat, auf Antrag des Bausenators Nagel, endlich beschlossen hatte, zum Tag der Einheit am 3. Oktober die Tor-Durchfahrt für Busse und Taxen frei zu geben, wurden an der Otto-Grotewohl-Straße, an der Kreuzung Pariser Platz und Unter den Linden, Ampeln installiert - mit langen Grünphasen für den Ost-West-Verkehr.

Dabei blieb es, auch als die Öffnung des Tors nach heftigen Protesten zunächst mal storniert wurde. Berliner Blätter mutmaßten, der dadurch provozierte Stau in Nord-Süd-Richtung sei »Nagels Rache«.

Genervt und trotzig reagierten Hassemer und Nagel auf die harsche Kritik an dem von einer Senatsjury prämiierten Bebauungsvorschlag für den Potsdamer Platz. Den Daimler-Sprecher Matthias Kleinert erinnerte das Modell an »Berliner Mietskasernen oder die Stalinallee«. Gemeinsam mit den anderen Bauherren in Berlins Mitte - Sony, Asea Brown Boveri, Hertie - ließ der Stuttgarter Konzern einen Gegenentwurf fertigen.

Christdemokrat Hassemer, der erst noch getönt hatte, er »knicke nicht um«, muß erkennen, daß seine Parteifreunde auf das Investorenmodell umschwenken, und setzt sich vorsichtig von dem Wettbewerbssieger ab. SPD-Mann Nagel hingegen, der im Momper-Senat mit darauf hingewirkt hatte, das Filetgrundstück für einen Schleuderpreis an Daimler zu verscherbeln, schmollt nun, seinetwegen könnten die Investoren auch wegbleiben.

Aufgeschreckt durch die öffentliche Kritik am Senat und mit ängstlichem Blick auf die Bezirkswahlen im nächsten Mai rechnen sich die Koalitionspartner nun gegenseitig ihre Sünden vor. Der CDU-Landesausschuß mahnte vorige Woche Sicherheitsgesetze, verschärften Strafvollzug und beschleunigten Wohnungsbau an - lauter »Kettengerassel aus den Hinterbänken«, wie die SPD fand.

Die Sozialdemokraten wiederum wollen die CDU im November öffentlich vorführen, weil die sich weigert, das aufgeblähte Abgeordnetenhaus (derzeit 241 Sitze) entsprechend der Koalitionsvereinbarung zu verkleinern.

Der Bürgermeister versprach derweil, auf seine Weise Imagepflege zu betreiben. Er wolle seine Blässe übertünchen, witzelte der angegriffene Diepgen: »Ich kann mir ja Karotincreme ins Gesicht schmieren, um Farbe zu kriegen.« o