Geladene Pistole
- ️@derspiegel
- ️Sun Jul 02 1989
Eric Molobi mahnt den Gast zur Eile: »Schnell, schnell, wir müssen zurück.« Doch Norbert Blüm streichelt in Soweto begeistert krause Kinderköpfe und fragt verschreckte Bewohner einer Zwei-Zimmer-Hütte: »Was gibt's denn hier zu essen?«
Dann hastet er zurück zur Wagenkolonne. Höchste Zeit. Molobi, sein Führer, gehört zu jenen Südafrikanern, die die Gefängnisse im Apartheidstaat nur unter Auflagen verlassen dürfen. Schlag 18 Uhr muß er sich täglich auf der Polizeiwache zeigen. Danach ist Nachtruhe verordnet, Ausgehverbot.
Blüm ist sofort solidarisch. Vor der Polizeiwache erklärt er: »Ich geh' mit rein.« Doch Bonns Botschafter am Kap, Immo Stabreit, hält ihn zurück: »Sie schaden ihm nur.« Blüm ist irritiert: »Schade ich wirklich?« Molobi lächelt: »Bleiben Sie nur hier.«
Noch lange grübelte Norbert Blüm an diesem Abend, ob er nicht eine Chance verpaßt hat, dem Apartheidregime gleich nach der Ankunft zu zeigen, wer sich ab sofort um Menschenrechtsverletzungen im Burenland kümmert.
Dieses Gefühl überkam den Arbeitsminister noch häufig während seiner Vier-Tage-Tour in Südafrika. Blüm wollte erkunden, »was die deutsche Regierung tun kann, die Apartheid schnell und friedlich zu beseitigen«; er wollte »mit Schwarz und Weiß« reden und gegen Rassenschranken demonstrieren.
Aber so einfach ist das gar nicht, wenn man Arbeitsminister im Kabinett Kohl ist. Blüm versicherte schwarzen Kirchen- und Gewerkschaftsführern, auf ihrer Seite zu sein, er prangerte Folter und Todesstrafe an und überreichte Bittschriften mit langen Namenslisten von Verhafteten, Verbannten und vom Tode Bedrohten. Blüms Engagement ist ehrlich, aber seine politische Kompetenz gleich Null. Die Fakten im deutschsüdafrikanischen Verhältnis legen andere fest.
Der Handel mit Südafrika wächst seit Jahren mit zweistelligen Raten, Waffen- und Nukleargeschäfte inklusive. Bundesdeutsche Banken haben den Buren über 1,3 Milliarden Mark geliehen. Und der Minister Blüm darf keinen Wirtschaftssanktionen das Wort reden, Kanzler Kohl ist dagegen, er sorgt sich um die Platin-, Mangan-, Chrom- und Vanadium-Lieferungen.
Der kleine Norbert durfte öffentlich wettern, hatte aber Order, die trauten Beziehungen nicht ernstlich zu stören. Botschafter Stabreit achtete darauf, daß der Menschenrechtskämpfer an der Leine blieb.
Warum fuhr Blüm, obwohl er dies wußte? Die überall kritisierte Gesundheitsreform hinter und den aussichtslosen Wahlkampf um die Macht an Rhein und Ruhr vor sich, wollte Blüm sich wohl endlich einer Altlast entledigen. Nach seiner spektakulären Chile-Tour 1987, wo er Diktator Augusto Pinochet massiv angegangen war, hatte er großspurig einen Demonstrationstrip nach Südafrika angekündigt.
Von Franz Josef Strauß bedrängt, verbot Kohl die Tour. Nun, nach zwei Jahren, durfte Blüm seine Ankündigung wahr machen. Der Zeitpunkt war denkbar schlecht. Am 6. September sind Parlamentswahlen am Kap. Dann soll auf den sturen Pieter Willem Botha der Konservative Frederik W. de Klerk folgen.
»Der kriegt 'ne Chance und 'ne Frist«, so Blüm, »der hat mir zugesagt, die weiße Vorherrschaft muß beseitigt werden.«
Viele Schwarze in Südafrika trauen de Klerks Versprechen nicht. Sie kennen das Spiel. Auch Botha war einst durch die Welt gereist und hatte das Ende der Rassengesetze versprochen. De Klerk ist seit Jahren Mitglied eines Kabinetts, das die Unterdrückung und Diskriminierung der schwarzen Mehrheit im Lande verfeinert, aber nicht abgeschafft hat. In Bussen und auf Parkbänken wird noch immer nach Rassen getrennt, und schwarzen Kindern wird eine vernünftige Schulbildung vorenthalten.
Neuerdings dürfen Schwarze und Weiße sogar heiraten - aber nicht zusammen wohnen. Der »Group Areas Act« trennt die Wohnreviere nach Hautfarben. Die Kinder aus diesen Ehen gelten als Neuzucht - »farbig«. Ihre Kindergärten und Schulen liegen weder im Viertel der Mutter noch des Vaters, sondern im »Farbigen-Gebiet«.
Blüm ist stets aufs neue empört, wenn ihm die phantasievollen Polizeistaat-Methoden geschildert werden. Aber bewegen kann er nichts, wie er beim Besuch des Noch-Staatschefs Botha erkennen muß.
Der Burenführer schreit sofort los, als der deutsche Gast in die Begrüßung einflicht, er wolle über Apartheid reden:
BOTHA: Zwei Tage sind Sie da, und Sie wollen über Apartheid reden, davon wissen Sie nichts.
BLÜM: Da brauche ich gar nicht herzufahren, das habe ich schon daheim gewußt, daß Apartheid falsch ist. Es gibt überhaupt keinen Grund, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu unterscheiden.
BOTHA: Sie sind unhöflich.
BLÜM: Apartheid ist ein Faustschlag ins Gesicht Gottes . . . Herr Präsident, lassen Sie Nelson Mandela frei. Wenn Sie ihn nicht freilassen, werden Ihre Nachfolger das tun müssen. Sie haben sich entschlossen, aus dem Amt zu scheiden. Sie könnten mit einer großen Geste der Versöhnung Ihre Amtszeit beenden.
BOTHA: Was geht Sie das an, wo liegt da Ihre Zuständigkeit?
BLÜM: Wo es um Menschenrechte geht, gibt's keine Grenzen der Zuständigkeit.
BOTHA: Es ist grob unfair, mit solchen Sachen bei einem Höflichkeitsbesuch anzufangen.
Der Staatschef wendet sich an Blüm-Begleiter Stabreit: Der Botschafter müsse doch wissen, daß es grob und unverschämt sei, ihn mit Dingen zu belästigen, für die, wenn überhaupt, das Justizressort zuständig sei. Das Getue um diesen Mandela sei er leid. Der habe sich doch ganz alleine seine Dauerhaft zuzuschreiben, weil er einfach nicht die Bedingungen für eine Haftverschonung akzeptiere.
BLÜM: Ich möchte Nelson Mandela sehen.
BOTHA: Ausgerechnet. Da wollen so viele hin. Das will der gar nicht.
BLÜM: Ich kann Ihnen versichern, er will mich gerne sehen.
BOTHA: Das geht nicht.
Blüm darf weder zu Mandela noch die Liste mit den Namen von 78 zum Tode Verurteilten übergeben. Als Botha erneut schreit, bellt Blüm zurück: »Sie haben Apartheid im Kopf.«
Präsidentenhelfer beenden den lautstarken Dialog. Auf dem Weg zur Tür setzt Botha - »genauso wie damals der Pinochet in Chile« - noch einmal nach:
BOTHA: Wir haben keine KZ. In diesem Land gibt's keine Konzentrationslager. Es gibt andere, die hatten KZ, und die kommen jetzt und reden von Menschenrechten.
BLÜM: Genau das ist der Grund, warum ich mich für Menschenrechte einsetze. Das ist meine Form von Wiedergutmachung, daß wir uns überall in der Welt dafür einsetzen, daß so was nicht mehr passiert.
Blüm ist betroffen, er schluckt, als er vor die Tür tritt. Doch nach einer Weile fängt er sich wieder: Dem habe er's aber gegeben.
Mehr deutsche Hilfe für schwarze Bildungsprogramme müßte her, sinniert der Minister am Abend. Mit Visa-Entzug könnten die Südafrikaner abgestraft werden, wenn sie Oppositionelle nicht ausreisen ließen. Und sogar »die Drohung mit Wirtschaftssanktionen« will er aufrechterhalten: »Die Pistole muß schußbereit bleiben.«
Das ging wohl etwas zu weit. Denn gleich nach dieser Blüm-Aussage diktierte der Pressesprecher der Deutschen Botschaft lokalen Reportern die offizielle Version in die Blöcke: Die Bundesrepublik denke in dieser Frage »wie die britische« - Sanktionen seien »kontraproduktiv«.