Schöne Zeit
- ️@derspiegel
- ️Sun Apr 12 1987
Im mittelhessischen Fernwald, wo am Montag letzter Woche die Elite der Hessen-CDU dem Wahlsieger Walter Wallmann huldigte, machten auch fünf Namenlose ihre Aufwartung.
»Wir sind«, stellten sie sich artig und voller Stolz vor, »die schwarzen Bürgermeister aus der hiesigen Region.« Wallmann korrigierte die Gratulanten: »Ihr seid keine schwarzen Bürgermeister, ihr seid hervorragende Bürgermeister.«
Mit der Ermunterung, von den verdatterten Provinzpolitikern nicht so recht begriffen, wollte der künftige Ministerpräsident klarstellen, wie es im Lande weitergehen soll.
Wallmann will den Eindruck vermeiden, Hessen werde nun im Schnellverfahren zu einem CDU-Staat umgekrempelt. Der Christdemokrat wird darauf achten, daß seine Änderungen nur wie kleine Korrekturen wirken.
Zum Vorbild hat sich Wallmann, 54, einen seit Jahren besonders erfolgreichen Politiker genommen: Walter Wallmann. So wie er als Oberbürgermeister von Frankfurt seine Position festigte,
weil er den sauberen, zuverlässigen Populisten mimte und zugleich liberale Traditionen der Stadt wahrte, will er auch in Wiesbaden bestehen. Wallmanns Perspektive für die Hessen-Regentschaft: Zehn Jahre wie in Frankfurt, »ich finde, das ist eine schöne Zeit«.
Überraschend wie sein Wahlerfolg 1977 in Frankfurt kam Wallmanns Triumph auch bei der Landtagswahl. Und jetzt wie damals hat er den Sieg weniger sich und seiner Partei zuzuschreiben als dem Tief des SPD-Gegners. So weit heruntergekommen waren die Sozis in Hessen noch nie.
Wallmanns Vorgänger, der schneidige Alfred Dregger, hatte den CDU-Anteil in vier Anläufen von 26,4 Prozent im Jahre 1966 auf zwischenzeitlich 47,3 Prozent gesteigert, ohne damit die Sozialdemokraten, die seit 1947 regierten, stürzen zu können. Wallmann genügten jetzt 42,1 Prozent (SPD: 40,2; Grüne: 9,4; FDP: 7,8; siehe Graphik Seite 30), das viertbeste Ergebnis in der Geschichte der Hessen-CDU.
Der künftige Koalitionspartner, das zeichnet sich ab, wird Wallmann das Regieren nicht erschweren. Zwar hatte FDP-Landesvorsitzender Wolfgang Gerhardt im Wahlkampf mit der kämpferischen Parole geworben, nur die Liberalen könnten verhindern, daß »Hessen schwarz angestrichen wird«. Schon am Freitag vergangener Woche jedoch, nach den ersten Koalitionsverhandlungen, stellten die Partner »eine Vielzahl politischer Gemeinsamkeiten« fest.
Ohne nennenswerten Widerstand der Liberalen kann die Union ihr Programm umsetzen, mit dem sie auf Stimmenfang gegangen war. In der Auseinandersetzung um die Schulpolitik, in Hessen seit den umstrittenen Rahmenrichtlinien wie ein Kulturkampf geführt, ist die FDP längst umgeschwenkt.
Jetzt sollen den Kindern, so der CDU-Schulplan, nicht länger die »sozialistischen Vorstellungen vom Einheitsmenschen« und »die antiautoritären und grünen Träumereien« eingepaukt werden. Statt dessen wollen die Christdemokraten wieder »Ehrfurcht und Nächstenliebe« fördern und auch an den Schulen »Kraftreserven für eine erfolgreiche Zukunft« schaffen.
Auf dem Weg zu »mehr Elternrecht« und »freier Schulwahl« (CDU-Parolen) soll die von SPD und Grünen durchgesetzte obligatorische Förderstufe beseitigt werden. Jetzt sind in Hessen alle Schüler verpflichtet, nach der Grundschulzeit zwei Jahre Förderstufe zu absolvieren. Künftig soll es diese Einrichtung nur noch dort geben, wo »die Eltern dies wünschen und die Schülerzahl ausreicht«.
Mit Eifer greifen die christliberalen Erneuerer wieder umweltgefährdende Projekte auf, die ihre rot-grünen Vorgänger als erledigt betrachtet hatten. Genüßlich berufen sie sich dabei auf Pläne des SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner, die dann »von den Grünen durchkreuzt wurden« (siehe Seite 40).
So forcieren die neuen Machthaber die in rot-grüner Regierungszeit überwundene Börnersche Betonpolitik. Den Straßenbau-Etat etwa, vom alten Kabinett zum Schluß halbiert, wird die liberalkonservative Koalition, so ihr Programm, »wieder auf die alte Höhe aufstocken«. Auf rund 330 Autobahnkilometer hat sich die neue Koalition bereits verständigt. Geplant ist eine Schnellstrecke von Westfalen nach Oberhessen, quer durch das Rothaargebirge.
Auch in der Abfallpolitik verfolgen Wallmanns Vollstrecker alte SPD-Projekte. Die Genossen hatten die Pläne vor Jahren fallengelassen., weil sie auf heftigen Widerstand von Bürgerinitiativen und Kommunen gestoßen waren und einen weiteren Zuwachs der Grünen befürchteten. Derlei Rücksicht will die CDU/FDP-Koalition im Lande nicht nehmen. CDU-Generalsekretär Manfred Kanther: »Für diese Regierung wird das Florians-Prinzip nicht gelten.«
Die Giftmüll-Deponie im südhessischen Mainhausen, derzeit vor Ort von einer schwarz-grünen Koalition blockiert und bislang 60 Millionen Mark teuer, soll »so schnell wie möglich« (Kanther) fertig werden. Und die Ölschiefergrube Messel bei Darmstadt, als Fundstätte von Versteinerungen aus dem Tertiär ein Naturdenkmal von Weltrang, soll nun doch mit Hausmüll aufgefüllt werden.
Die Sozialdemokraten im Landkreis Darmstadt-Dieburg haben gleich nach der Wahl ihren alten Lieblingsplan, Müll in Messel, wieder aufgegriffen und damit das örtliche Bündnis mit den Grünen platzen lassen - ein Trend, der sich nun landesweit abzeichnet. Rote Landräte und Bürgermeister lassen von dem grünen Partner ab, weil sie es mit den neuen Machthabern nicht verderben wollen. Sie schielen, wie im Fall Messel, auf die Staatsknete der Konservativen. _(Im Februar auf dem ) _(CDU-Landesparteitag in Körle bei Kassel. )
Auch in der Atom- und Energiepolitik kann sich Wallmann darauf berufen, lediglich alte SPD-Vorhaben zu vollziehen. Der scheidende »Plutoniumminister« (Grünen-Vorständler Rainer Trampert) sieht im nordhessischen Borken einen möglichen Standort für einen Hochtemperatur-Reaktor: »Das hat der Krollmann doch auch gesagt.«
Die umstrittene Teilerrichtungsgenehmigung für die Hanauer Plutoniumfabrik Alkem will Wallmann nun »unverzüglich« erteilen und die Verfassungsklage der alten Regierung gegen die Plutoniumwirtschaft »selbstverständlich sofort zurücknehmen«. Ob er damit das Verfahren aus der Welt schaffen kann, ist allerdings fraglich. Denn letzte Woche signalisierte die SPD-Bundestagsfraktion, aber auch der SPD-geführte Stadtstaat Hamburg, sie wollten notfalls als Kläger einspringen.
Zudem sind namhafte Verfassungskommentatoren der Ansicht, daß Wallmann das Normen-Kontrollverfahren gar nicht eigenmächtig kassieren dürfe. Er könne die Beendigung des Verfahrens, so die Rechtsmeinung, bei den Karlsruher Richtern nur anregen.
Zu den rot-grünen Errungenschaften, die eine Wallmann-Regierung wegräumen will, gehören auch *___der Ausländererlaß, der den Nachzug von Kindern nicht ____bis zum 16., wie bundesweit üblich, sondern bis zum 18. ____Lebensjahr gestattet; eine »Integration ausländischer ____Mitbürger« hält die CDU nur dann für möglich, wenn die ____Zahl der Fremden »sich nicht unabsehbar vermehrt«, *___die öffentliche Förderung der Frauenhäuser und ____Alternativbetriebe, denn deren Mitarbeiter, so ____Wallmann, »liegen in der sozialen Hängematte und ____genießen die Früchte der Arbeit anderer«, *___die Tempobegrenzungen auf Autobahnen, etwa zwischen ____Frankfurt und Wiesbaden, wo Tempo 100 laut Wallmann ____"aus politischen Gründen eingerichtet« worden ist.
Auch die Praxis der Schwangerschaftsabbrüche soll verändert werden. Daß »in Hessen 49000 Geburten rund 30000 Abtreibungen gegenüberstehen«, empfindet Generalsekretär Kanther, Vater von sechs Kindern, als »eine Schande«.
Schuld daran tragen nach CDU-Ansicht zum großen Teil die Beratungsstellen von »Pro Familia« mit »ihren Abtreibungskliniken«. Dafür, so Kanther, »werden wir kein Geld ausgeben«. Statt dessen will die Union, als Ergänzung zur Bundesstiftung »Mutter und Kind«, eine Landesstiftung »Familie hat Zukunft« mit zwölf Millionen Mark finanzieren.
Die Diskussion über Fördermittel für den Nachwuchs könnte sich zu einem Familienstreit in der jungen Regierungsehe auswachsen. Denn für die Liberalen, legt sich ihr designierter Fraktionschef Otto Wilke fest, gibt es bei Pro Familia »kein Zurück«.
Die Mannschaft, mit der Wallmann Hessen verändern will, hatte auch Ende letzter Woche noch keine endgültigen Konturen. Anders als Vorgänger Alfred Dregger, der zu Wahlen Schattenkabinette aufgeboten hatte, zog Wallmann lediglich mit einer Rumpftruppe in den Wahlkampf. Denn er hatte, wie er am Wahlabend bekannte, an einen Sieg »nicht geglaubt«.
Einen sicheren Platz im Kabinett hatten letzte Woche erst zwei Christdemokraten: Generalsekretär Kanther, 47, und Fraktionschef Gottfried Milde, 52. Der Jurist Kanther, rhetorisch hochbegabt und in der Hessen-CDU auch dafür da, im Stile Heiner Geißlers die scharfen Töne zu pflegen, bringt »mit halber Kraft mehr fertig als viele andere in Wiesbaden mit ganzem Einsatz« ("FAZ"). Er soll das Finanzressort bekommen .
Der Chefideologe der Hessen-Union mußte immer einspringen, wenn dem Fraktionschef Milde im Landtag die Rede durcheinandergeriet und selbst Parteifreunde kopfschüttelnd den Plenarsaal verließen. »Gottfried der Milde« (Joschka Fischer), einst Staatsanwalt in Darmstadt, will Justizminister werden.
Einen von zwei Kabinettsplätzen, die an die Liberalen fallen, hat FDP-Landeschef Wolfgang Gerhardt, 43, sicher, der auch stellvertretender Ministerpräsident werden soll. Der farblose Erziehungswissenschaftler war 1982 als Kompromiß-Kandidat an die Parteispitze gesetzt worden, als nach der Bonner Wende die FDP auch in Hessen auseinanderzubrechen drohte. Gerhardt darf sich ein Ressort nach Maß schneidern, voraussichtlich mit den Gebieten »Wissenschaft, Forschung und Zukunftstechnologie«.
Der Taktiker Wallmann holt auch eine »äußerst charmante Dame« ins Kabinett, die er noch kurz vor der Wahl aufgetrieben hatte, um mit ihr Bauern zu fangen: die Parteilose Irmgard Reichhardt, 51, Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes. Die politisch unerfahrene Bäuerin aus Mittelhessen, als Agrarministerin fest eingeplant, verblüffte mit einer einfachen Formel für die Lösung der komplizierten Strukturkrise auf dem Land: »Ich möchte eine gesunde, bäuerliche Landwirtschaft.«
Wallmann nutzt die Personalpolitik, um sich als Landesvater darzustellen, der über den Parteien steht. Schon als Frankfurter Oberbürgermeister hatte er geschickt drei SPD-Dezernenten im Magistrat gelassen und damit den politischen Richtungsstreit in die SPD verlagert. Nun, auf Landesebene, will er wichtige Positionen ebenso nicht durchweg mit CDU-Hardlinern besetzen.
Der progressive hessische Datenschutzbeauftragte Spiros Simitis etwa, permanenter Kritiker der Bonner Datenpraxis, soll demonstrativ sein Amt behalten. »Wir müssen uns«, weist FDP-Wilke den Weg, »auch unbequeme Leute leisten.«
[Grafiktext]
SPD-VERLUSTE NACH ALLEN SEITEN Wählerströme bei der Landtagswahl in Hessen 1987 laut Infas Die Zahlen in den Quadraten bezeichnen die Stimmenanteile 1987 in Prozent (in Klammern = Stimmenanteile 1983) Die Zahlen in den Pfeilen bezeichnen die Stimmengewinne und -Verluste gegenüber der Landtagswahl 1983 SPD 40,2 (46,2) Grüne 9,4 (5,9) FDP 7,8 (7,6) CDU 42,1 (39,4) Stimmenanteil bei den Erstwählern (18 bis 21 Jahre) Schraffierte Pfeile = Abwanderungen in das Lager der Nichtwähler
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Im Februar auf dem CDU-Landesparteitag in Körle bei Kassel.