»Nee, meine Herren, det is nischt«
- ️@derspiegel
- ️Sun May 10 1987
Eine ziviltechnische Katastrophe, die in die Geschichte eingeht. Aber anders als bei Titanic, Challenger oder Tschernobyl hat das Rätselraten, wie das Unmögliche habe geschehen können, bis heute nicht aufgehört.
Für Göring ist die Sache allerdings gleich klar. Noch Jahre später ist er felsenfest davon überzeugt, das Luftschiff sei einem »verbrecherischen Anschlag« zum Opfer gefallen. Ein anarchistischer Racheakt zwei Wochen nach der Bombardierung Guernicas, ein jüdisches Komplott, eine meuchlerische Tat des DZR-Konkurrenten »Pan American Airways« - denkbar sei vieles, doch, so der tobende Luftfahrtminister: »Wir haben den Hund nicht.«
Auch die für das Landemanöver verantwortlichen Personen schieben die Schuld auf den potentiellen Saboteur. Charles Rosendahl, Platzkommandant in Lakehurst, tippt auf eine Zeitbombe an _(Berliner Schutzpolizisten beim ) _(Heranziehen der »Graf Zeppelin« an den ) _(Ankermast in Staaken bei Berlin. )
Bord, » Hindenburg«-Kommandant Max Pruss erinnert sich später, eine »verdächtige Gestalt« unter den Passagieren gesehen zu haben. Albert Sammt, der das Schiff während des Landeanflugs steuert, glaubt hingegen an Beschuß von außen. Seiner Meinung nach hätten wütende »Farmer, die rings um das Flugfeld in den Wäldern ihre Eierfarmen betrieben«, mit Luftgewehren geballert, weil das drohende Himmelsgebilde »ihr Federvieh verrückt« gemacht habe, so daß die Tiere »tagelang keine Eier mehr legten«.
Immensen Auftrieb bekam die Sabotagetheorie durch ein Buch des Amerikaners Adolph August Hoehling, das 1962 erschien. Hoehling nimmt den 25jährigen Zellenpfleger Erich Spehl in die engere Wahl seiner Zeitbombenkandidaten. Dieser überzeugte Katholik, so Hoehling, habe, möglicherweise angestiftet durch seine »linksradikale Freundin«, das »Symbol der deutschen Aggressivität« zum Bersten gebracht. Die als Drahtzieherin verdächtigte »Linksradikale«, mittlerweile Rentnerin in Langen bei Frankfurt, nahm zu der späten Beschuldigung Stellung, bezeichnete sie als »Skandal und Verleumdung« und sah darin einen »stillen Racheakt derjenigen, die die Affäre um das Luftschiff vertuschen wollten«.
Was die Gerüchteküche aber mehr angeheizt und selbst bei neutralen Fachleuten den Glauben an eine bloß elektrostatische Ursache erschüttert hat, ist die Tatsache, daß der Untersuchungsausschuß selbst kein Interesse an einem spektakulären Forschungsergebnis zu haben schien. Weder die Reichskanzlei noch amerikanische Politiker hielten eine Belastung diplomatischer Beziehungen für wünschenswert.
Dabei nahmen sich die letzten Stunden der »Hindenburg« merkwürdig genug aus. Nachdem das Luftschiff mit zehnstündiger Verspätung über New York auftaucht, dreht es nach Süden ab und nähert sich dem 100 Kilometer entfernten Landemast. Der Wetterbericht, den die Bodenstation von Lakehurst durchgibt, mahnt zu Vorsicht. Ein Gewitter treibe von Westen heran und werde bald die Küste erreichen. Als das Schiff gegen 15 Uhr über der Marinestation auftaucht, ist der Wind böig aufgefrischt, das Gewitter in unmittelbarem Anmarsch. Weil beim Landemanöver Gas abgeblasen wird, das sich mit der Luft zum leicht entzündlichen Knallgas verbindet, wirft Pruss eine Botschaft ab: »Reiten den Sturm ab.«
Nach einer Slalomfahrt vor der Küste erhält der Bordfunker um 17.22 Uhr die Meldung von Rosendahl: »Empfehle Landung jetzt.« Erneut wird Kurs auf Lakehurst genommen. Als die ungeduldigen Passagiere gegen 18.04 Uhr die südliche Umzäunung des Flugplatzes sehen, beträgt die Wolkenhöhe 600 bis 900 Meter, es fällt leichter Nieselregen, ein Nachgewitter braut sich zusammen. Der Esslinger Professor Kleinheins geht davon aus, daß Eckener in dieser Situation »nie gelandet wäre«, der Wachhabende Kapitän Sammt aber beginnt mit dem Anflug.
Doch kaum ist er im großen Bogen über die Station gekreuzt, um den Zeppelin in Gegenwindposition zu bringen, zeigt sich, daß das Schiff schwer hecklastig ist. Beim Drosseln der Motoren sackt es hinten durch. Sammt reagiert sofort und läßt dreimal Gas aus den vorderen Zellen abblasen. Zusätzlich werden sechs Besatzungsmitglieder an die vorderste Bugspitze beordert. Sie sollen das nötige Gewicht in die fliegende Waagschale werfen. Doch der Balanceakt zeitigt keine Wirkung. Die Situation spitzt sich zu, als plötzlich der Wind umschlägt und die »Hindenburg« vier Schiffslängen vor dem Ankermast eine Kurve auf engstem Radius fahren muß. Gleichzeitig klatschen 1,1 Tonnen Wasserballast aus den hinteren Wasserhosen aufs Flugfeld, erst 300, dann noch einmal 300, dann 500 Kilo. Die Motoren gehen auf »Rückwärts Marsch«. Der havarierende Riese steht 60 Meter hoch in der Luft. Die Landetaue fallen. Es ist 18.21 Uhr.
Kurz danach will der Zeuge R. H. Ward ein Flattern der Außenhaut am Schiffsheck gesehen haben. Die beiden Hanfseile hat die Haltemannschaft schon in den Händen. Der große Stander, das Haupthalteseil, ist mit einer Seilwinde gerade zehn Meter herausgelassen, da züngelt am First über Zelle 4 ein Flämmchen. Sekunden danach explodieren 190000 Kubikmeter Wasserstoff.
Voraussetzung für eine elektrostatische Brandursache ist das Vorhandensein eines leicht entzündlichen Wasserstoff-Luft-Gemisches im Schiffsinneren. Wodurch aber konnte ein Leck in Zelle 4 entstehen? Eckener hält vor dem Ausschuß folgende These für die wahrscheinlichste: Während das Schiff die extrem enge Schlußkurve fährt, reißt ein Seil der Drahtverspannung - die danebenliegende Gashülle wird wie mit einem Peitschenhieb aufgeschlitzt. Das ausströmende Gas sammelt sich unter der Außenhaut und bildet das explosive Knallgas.
Der weitere Verlauf kann dann in der Versuchsstation Gräfelfing mit einiger Plausibilität im Modell nachgestellt werden. _(In der Montagehalle in Friedrichshafen. )
Infolge des hohen Potentialgefälles der gewittrigen Atmosphäre fließt nach Erdung des Schiffes die elektrostatische Energie vom Aluminiumgerippe schneller ab als von der Baumwollhülle. Die Spannungsdifferenz erzeugt einen Funken, der von der Hülle aufs Metall überspringt. Die Gasgurke detoniert.
Aber eben dieser Spanndraht-Theorie Eckeners, die alles Weitere zur Folge hat, können drei gewichtige Argumente entgegengehalten werden: *___Teile der Seilverspannung waren schon häufiger ____gerissen, ohne daß dies negative Auswirkung auf eine ____Traggaszelle hatte. *___Die schwere Detonation beim Brand der »Hindenburg« ____setzt eine große Menge Knallgas voraus. Das Leck muß ____also ungewöhnlich groß gewesen sein. *___Schon vor der engen Kurve hat sich das Schiff als ____schwer hecklastig erwiesen, was gleichfalls auf ein ____schon vorher aufgetretenes Leck deutet.
Der Frage, ob das Schiff nicht vielleicht schon wesentlich früher ein Zellenleck hatte, wurde jedoch in dem Bericht der unbegrenzten Möglichkeiten nicht weiter nachgegangen. Sie führte unweigerlich wieder zu dem Hühnerzüchter oder einem anderen Gewehrschützen, der dem Zeppelin schon lange vor dem Landeanflug ein Loch ins Gedärm geschossen haben könnte. Irrwitzige Spekulation? Mitnichten. Kleine Militärblimps wurden in den 50er und 60er Jahren häufig zur Zielscheibe unbekannter Heckenschützen.
Der transatlantische Zeppelin-Verkehr wird durch die Katastrophe von Lakehurst zwar vorerst gestoppt, aber Göring beantwortet die Panne »deutscher Ingenieurskunst« mit einem trotzigen »Jetzt erst recht«. Er läßt dem unbequemen Eckener freie Hand bei dem Versuch, das Helium-Monopol der Amerikaner zu knacken.
Bis dahin hatten sich die USA geweigert, das unbrennbare Edelgas aus Amarillo, Texas, irgendeinem anderen Land zur Verfügung zu stellen. Nun, nach dem Unglück, nutzt Eckener geschickt die Schuldgefühle amerikanischer Politiker und bittet um Änderung des »Helium control an«. Bereits am 25. Mai des Jahres 1937 leitet Roosevelt einen Kaufantrag für das Edelgas an die Militärausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus weiter. Begleitet wird das Schreiben von der Empfehlung, die Ausfuhr des Gases »für die Verwendung im kommerziellen Luftverkehr zwischen den Vereinigten Staaten und anderen Ländern« zu genehmigen. In einem Gespräch unter vier Augen hatte Freimaurer Eckener dem Präsidenten und Logenbruder das Ehrenwort abgenommen sich für sein Anliegen einzusetzen.
Am 1. September hebt der Kongreß den »Control an« auf und ermöglicht Heliumlieferungen ans Ausland mit der Sondergenehmigung des Innenministers. Der fast fertiggestellte LZ 130 wird im Winter auf das neue Edelgas umgerüstet, und nachdem die Amarillo-Quelle verstaatlicht ist, sind am 17. Februar 1938 die technischen Voraussetzungen für den Deal geschaffen. Sofort wird ein Hapag-Dampfer mit Tausenden von Gasflaschen nach Galveston geschickt.
Doch dann, am 1. März 1938, stoppt Hitler das Vorhaben durch seinen Einmarsch in Österreich. Schon am Tag danach verabschiedet der Kongreß in Washington ein Gesetz, »the sale of helium gas to the German Reich shall be prohibited«. Das Schiff in Texas fährt ohne Ladung wieder nach Hause.
Erneute Konsultationen bei Roosevelt und US-Innenminister Ickes schließen sich an, doch diesmal erwirkt Eckener nichts außer leeren Versprechungen. Es gäbe nur eine einzige Möglichkeit, bedeutet ihm ein anonymer Telephonanrufer: »Besuchen Sie den Oberrabbiner von New York, dann kriegen Sie, was Sie wollen.« Der Besucher vom Bodensee lehnt ab. Begründung: Man würde ihn »nach der Rückkehr nach Deutschland totschlagen«. Das Geschäft mit Amerika ist gescheitert.
Das Reichsluftfahrtministerium verfolgt eine andere Strategie, um das Projekt noch zu retten. Die Idee: Gewinnung von unbrennbarem Traggas aus deutschen Erdgasquellen. Überschwenglich wird der DZR berichtet (Januar 1939), man habe bei Bentheim an der holländischen Grenze »eine starke Erdgasquelle mit ausbeutwürdigem Zusatz von Helium erschlossen«. Gleichzeitig geht an die Firma »Lindes Eismaschinen AG« der Auftrag zur Errichtung von zwei Heliumgewinnungsanlagen im Gesamtvolumen von 540000 Reichsmark.
Die Autarkiepläne mit Hilfe des Eismaschinenherstellers werden dann in der Tat noch vor Kriegsbeginn angegangen, doch Görings Geduld mit den geldschluckenden und militärisch nutzlosen Zeppelinen ist am Ende. Die gewünschte Propaganda ist zufriedenstellend beendet,
der »Gigant am Himmel« hat ausgedient.
Am 1. März 1940 stattet er dem Weltflughafen für Luftschiffe einen Besuch ab. Kommentar: »Nee, meine Herren, det is nischt«, oder wie es später im Protokoll heißt: »Aus den Worten Görings muß geschlossen werden, daß Kriegsgründe die Abwrackung erforderlich machen.«
Zwei Wochen später werden LZ 127 und LZ 130 demontiert und der Rohstoffverwertung zugeführt.
Doch der Fliegergeneral will die Erinnerung an das »völkerverständigende Verkehrsmittel« für immer auslöschen. Am 6. Mai, dem dritten Jahrestag von Lakehurst, rollt auf Görings Geheiß ein Sprengkommando auf den Flugplatz und fegt die beiden fertiggestellten Stahlhangars in die Luft. Als Entschädigung für die konfiszierten Luftschiffe erhält die DZR als Eignerin 6,175 Millionen Mark - exakt die Summe, die Eckener vor 1933 der Reichsregierung als zinsloses Darlehen abgebettelt hatte. Man ist quitt.
Links: Plakat;unten: beim Aussteigen aus der »Hindenburg« in New York 1936.Berliner Schutzpolizisten beim Heranziehen der »Graf Zeppelin« anden Ankermast in Staaken bei Berlin.In der Montagehalle in Friedrichshafen.