Alles im Ohr
- ️@derspiegel
- ️Sun Apr 25 1993
Als Bundesverteidigungsminister Volker Rühe vor zwölf Monaten auf die Bonner Hardthöhe wechselte, forderte der Christdemokrat für die Truppe »nicht nur neue Strukturen und anderes Material«, sondern vor allem billigeres. Begonnene Armeeprojekte sollten gestreckt oder verschoben werden.
Viel hat Rühe noch nicht erreicht. Beim superteuren Kampfflugzeug Jäger 90 mußte er nach anfänglichem Widerstand klein beigeben. Der Jet wird, zwar bescheidener ausgestattet, nun doch als »Eurofighter 2000« gebaut.
Auch ein aufwendiges Rüstungsprojekt nahe der dänischen Grenze geht seiner Fertigstellung entgegen, als hätte es Rühes Sparappell nie gegeben. Zwischen Bramstedtlund und Ladelund im Norden Schleswig-Holsteins werkeln die Militärs, unbeeindruckt vom Ende des Kalten Krieges und der Bonner Finanznot, an einer geheimnisvollen »Hochfrequenz-Kurzwellen Peil- und Empfangsanlage«.
Die strenggeheime Lauschstation, Deckname: »Kastagnette«, soll Ende nächsten Jahres fertig sein und alte Funk- und Fernmeldeabhöranlagen der Bundeswehr ersetzen. Rund 140 Millionen Mark hat die High-Tech-Anlage bereits jetzt verschlungen, mindestens 200 Millionen wird sie nach Schätzungen von Militärs insgesamt kosten.
Die Planung des Horchpostens, für den rund 100 Hektar Land aufgekauft wurden, währt bereits 15 Jahre und hat den Kalten Krieg spurlos überdauert. Antennen und Geräte, sagt Fregattenkapitän Erich Dams vom Flottenkommando in Glücksburg, seien »schon vor Jahren gekauft worden«. Inzwischen sei zudem »soviel Geld verbaut, daß jetzt zu stoppen nichts mehr bringt«.
Das will bei der Bundeswehr im Ernst auch niemand. Der Lauschposten an der dänischen Grenze soll der erste in einer ganzen Kette neuer hochmoderner Horch- und Peilstationen sein, die von der Bundeswehrführung in Norwegen, Spanien, Italien und der Türkei geplant sind. Mit ihrer Hilfe möchte der Führungsstab der Streitkräfte demnächst »von der Nordflanke bis zur irakischen Grenze alles im Ohr haben«, sagt ein hoher Offizier - wozu auch immer.
Die Technik in Nordfriesland wird vom Feinsten sein. Während die herkömmlichen Anlagen bislang auf eine bestimmte Richtung ausgerichtet oder - im Militärjargon - »eindeutig optimiert in die bisherige Bedrohungsrichtung« waren, nämlich gen Osten, kann das neue Gerät mittels einer riesigen Kreisantenne mit rund 450 Metern Durchmesser »Fernmeldefunkverkehr aus allen Himmelsrichtungen« auffangen.
Damit sei es möglich, »weltweit alle potentiellen Gegner« und »jede Art von Funkverkehr« auf Kurzwelle zu belauschen, sagt Dams stolz, sowohl Sprechfunk als auch Tast- und Fernschreibfunk. Aber wohl auch, so fürchten jedenfalls Kritiker bei Grünen und Alternativen, deutsche Soldaten »im weltweiten Uno-Einsatz zu positionieren«.
Über die Relation von Kosten und Nutzen gehen die Meinungen denn auch auseinander. Dams verteidigt die Lauschstation mit Hinweis auf seinen Minister. Die »Realität eines Einsatzes« der Bundeswehr, so Rühes Überzeugung, sei wegen der politischen Instabilität vor allem im Osten heute »näher als je zuvor«. Um eine mögliche sicherheitspolitische Krise zu bewältigen, folgert Dams, »braucht es besonders gute Aufklärung«.
Das bestreitet auch der SPD-Verteidigungsexperte Horst Jungmann nicht, wohl aber hält er ein »eigenes deutsches Aufklärungssystem«, erst recht »in Zeiten finanzieller Enge«, für »sehr fragwürdig«. Den CDU-Abgeordneten Peter Kurt Würzbach, ehemals Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, stört die Geheimniskrämerei. »In dieser Zeit verlange ich«, sagt der Unionspolitiker, daß derart teure Planungen »öffentlich und offensiv« betrieben werden.
Daran hat zumindest einer der Nutznießer keinerlei Interesse. Denn die Anlage im Schleswig-Holsteinischen soll auch von Zivilisten genutzt werden - vom Bundesnachrichtendienst. »Kastagnette« sei sogar »der BND-Objektname«, weiß der Weilheimer Friedensforscher und Ex-Berufsoffizier Erich Schmidt-Eenboom: Das Objekt werde im Computer in Pullach »mit BND-Dienststellennummern geführt«.