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Stalingrad: »Wendepunkt des Krieges«

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  • ️Sun Jan 30 1983

So ist die Schlacht um die Stadt, die Stalins Namen trägt, auch ein persönlicher Kampf. Hitler will Stalin besiegen, Stalin Rußland verteidigen.

Hitler zerstritt sich während dieser Monate auf immer mit seinen Generalen. Den Chef des Generalstabs seines Heeres, Franz Halder, setzte er ab, ebenso den O. B. der Heeresgruppe A, Feldmarschall List.

Diese Heeresgruppe übernahm Hitler selbst, wie Stalin am 30. November die Operationen um Stalingrad selbst übernehmen wird. Mit dem Chef seines Wehrmachtführungsstabes, Alfred Jodl, aß er nicht mehr zu Mittag, sondern allein mit seinem Hund Blondie.

Die sowjetischen Militärs hatten Stalin beigebracht, daß man sich weitere Kesselniederlagen a la Kursk und Wjasma und Charkow nicht leisten könne.

Sehr wohl gebe es die Parole »Hinter uns ist kein Land«. Aber sie dürfe nicht von militärisch unbedarften Polit-Kommissaren befohlen werden. Die Parole müsse vielmehr heißen: »Keinen Schritt zurück« - es sei denn, auf Befehl der verantwortlichen Armeeführer.

So setzten sich die Russen zwischen dem 28. Juni 1942, dem Beginn des deutschen Vorstoßes zum Kaukasus, und dem 13. Juli an der Don-Front halbwegs geordnet ab.

Hitler, in seiner Überzeugung von den »für immer geschwächten Russen« nicht zu beirren, befiehlt am 23. Juli 1942 die Operation, nun nicht mehr nur gegen den Kaukasus, sondern auch gegen Stalingrad.

Hier passiert aufgrund der Befehle eines hypertrophen Laien schon der entscheidende Fehler. Die in Richtung Kaukasus vorstoßende Heeresgruppe A hat die größeren Entfernungen zu überwinden. Der für die 6. Armee bestimmte Treibstoff wird also zum Kaukasus umgeleitet. Das Gros der 6. Armee des Generals der Panzertruppen, Paulus, bleibt in der Don-Steppe nordwestlich Kalatsch 17 Tage lang liegen, mangels Treibstoff. Die Einnahme von Stalingrad aus der Bewegung heraus ist nun nicht mehr möglich. Es begann, was der deutsche »erbindungsoffizier zu den Rumänen Hans Doerr plastisch beschreibt« » Aus der Weite der Steppe sickerte der Krieg ein in die » » durchfurchten Berghänge der Wolga mit ihren Schluchten, » » Waldstücken und Balkas, in den porösen, unterhöhlten, » » zerschnittenen, von Eisen, Beton und Stein überbauten Stadt- » » und Fabrikbereich von Stalingrad. Der Kilometer als » » Maßeinheit wich dem Meter, die Generalstabskarte dem » » Stadtplan. Um jedes Haus, jede Fabrikhalle, um Wassertürme, » » Bahneinschnitte, Mauern, Keller und schließlich um jeden » » Trümmerhaufen tobte ein Kampf, wie man ihn in dieser » » Konzentration selbst in den Materialschlachten des ersten » » Weltkrieges kaum erlebt hatte. Entfernungen gab es nicht, nur » » Nähe] Trotz wiederholter Masseneinsätze von Luftwaffe und » » Artillerie konnten die Fesseln des Nahkampfes nicht gesprengt » » werden. Der Russe, dem Deutschen in bezug auf Ausnutzung des » » Geländes und Tarnung überlegen und erfahren im Barrikaden- » » und Häuserkampf, saß fest. »

Aber Hitler, nach Art eines trotzigen Kindes, wollte, laut Stalin, »zwei Hasen auf einmal«. So ließ er seinen Führungsgehilfen Alfred Jodl verkünden, das »Schicksal des Kaukasus werde bei Stalingrad entschieden«, nach Lage der Kräfte ein irrationaler Befehl. Da allenfalls das eine nach dem anderen erreicht werden konnte, wurde keines von beiden erreicht. Das Scheitern beider Angriffsoperationen stand etwa zum gleichen Zeitpunkt fest, Anfang bis Mitte November.

Hitler aber, über die russischen Eisenbahnlinien von und nach und neben Stalingrad nicht richtig informiert, berauschte sich nun an diesem Angriffspunkt. Am 23. August erreichte die 6. Armee die Wolga nördlich von Stalingrad. Hyazinth Graf von Strachwitz, der mit seiner Fernpatrouille im Jahr 1914 S.42 Paris am nächsten gekommen war, erblickte als erster die Wolga. Die Spitzen der 4. Panzerarmee des Generalobersten Hoth drangen am 4. September in die südlichen Vororte der Stadt ein.

Dies genau war der Zeitpunkt, wo die beiden kriegführenden Parteien noch nicht ganz sicher sein konnten: die Alliierten, ob sie den Krieg gewinnen, Hitler und die Japaner, ob sie ihn wenigstens auf Remis stellen konnten. Rommel befand sich im Rückzug auf Tripolis, eben jener Rommel, zu dem Halder Ende April 1941 den Generalleutnant Paulus geschickt hatte, weil der »... vielleicht noch als einziger die Möglichkeit hat, diesen verrückt gewordenen Soldaten durch seinen persönlichen Einspruch abzufangen«. Paulus urteilt nach zweieinhalb Wochen beim Afrikakorps: »Rommel ist der Sache nicht gewachsen.«

Paulus, im Gegensatz zu Rommel ein verantwortungsbewußter Generalstäbler, erklärt am 29. Juli 1942 auf seinem Gefechtsstand dem Adjutanten Hitlers, Generalmajor Schmundt: »Die Armee ist für den Angriff auf Stalingrad zu schwach.« Am nächsten Tag, dem 30. Juli, gibt der Volkskommissar für Verteidigung, J. W. Stalin, seinen Befehl Nr. 227 heraus, mit der Losung »Keinen Schritt zurück«. Der wichtige Knotenpunkt Rostow ist den Russen gerade verlorengegangen, fünfzig Stunden Häuserkampf.

Hitler aber schwächt die Heeresgruppe A, die bis an den Kaukasus vorstoßen soll, um die Heeresgruppe B zu stärken, wo die Hilfe zu spät kommt. Der Krieg ist entschieden, obwohl die beiden Vorkämpfer Hitler und Stalin das noch nicht wissen.

Da Paulus meldet, sein Angriff »versande«, schlagen der Führergehilfe Jodl und der neue Generalstabschef des Heeres Zeitzler ihrem Führer vor, die Einnahme der Stadt »zurückzustellen«. Zwar lehnt Hitler ab, aber er äußert erstmals die Befürchtung, Stalin könne vielleicht den Angriff der Roten Armee des Jahres 1918 wiederholen und aus dem Raum von Serafimowitsch über den Don in Richtung Kaukasus vorstoßen.

Ein Krieg, der verlorengehen soll, muß irgendwann verloren werden, egal, wie, wo und wodurch. Bei Stalingrad jedoch hätte es nicht sein müssen. Jetzt war noch eine Gelegenheit. Statt dessen gibt Hitler am 19. August den Befehl: »Die Stadt soll bis zum 25. August genommen werden.«

Ganz mit Recht sagte er, wenn er die Stadt verlasse, werde er nie wieder zurückkommen. So hätten in der Vergangenheit alle militärischen Hasardeure argumentieren können. Auch Karl XII. kam nie wieder nach Poltawa und Napoleon nie wieder nach Moskau.

Die Frage war eben nicht, ob Hitler es sich angesichts der Fehlschläge vor Moskau und Leningrad erlauben konnte, Stalingrad rechtzeitig wieder zu räumen. Die Frage war, ob er es sich erlauben mußte. Und Tatsache war: Er hätte müssen.

Zeitzler wurde beschieden, seine Bedenken seien »die typischen Halbheiten, die er, Hitler, vom Heere kenne«. Die Generale muckten nicht, sie schluckten. Die völlige Inbesitznahme Stalingrads wurde von Hitler als die wichtigste Aufgabe der Heeresgruppe B (Generaloberst von Weichs) bezeichnet. Weichs nun wiederum hielt sie für unmöglich.

Was im Kreml passiert ist, weiß man nicht genau. Stalin wollte die Stadt halten um jeden Preis. Seine Generale Schukow und Wassilewski hingegen scheinen ihm einen großangelegten Zangenangriff überzeugend vorgeschlagen zu haben. Der Plan wurde selbst vor Armee-Befehlshabern fast bis zuletzt geheimgehalten. Die höchsten Mitwisser bis hin zu Stalin bekamen Tarnnamen.

Einzig der »Höchste« (Schukow) lüftete das Geheimnis ein wenig, als er am 7. November, neun Tage vor Beginn der Zangenoffensive, öffentlich verkündete: »Bald wird es einen Festtag in unseren Straßen geben.«

Die sorgfältige Vorbereitung läßt sich mit Pearl Harbor vergleichen. Man legte zur Tarnung Attrappenbrücken über den Don, baute Attrappenflugplätze mit Sperrholzflugzeugen und Sperrholz-Flakgeschützen. Sperrholzpanzer wurden »bereitgestellt«. S.43

Schwäche und Stärke des Planes lagen darin, daß die 62. russische Armee, bekannt geworden später unter General Tschuikow, als Köder dienen, daß sie ohne hinlängliche Zuführung von Reserven einen möglichst großen Teil der Stadt halten mußte, ohne sich einkreisen oder sonstwie zerschlagen zu lassen, angelehnt nur an die Wolga, »hinter uns kein Land«. Tschuikow hielt, als die Stadt von den Russen eingeschlossen wurde, nur noch maximal ein Zehntel des früheren Stalingrad - und auch nicht in einem Stück.

Tschuikow kann sich nur dank des Steilufers auf der westlichen Wolga-Seite in Stalingrad halten, seine Truppen stehen so nicht unter direktem Beschuß. Sein letzter Gefechtsstand ist in das Steilufer hineingehauen, ebenso sein Verbandsplatz. Der längste seiner drei Brückenköpfe reicht über acht Kilometer, an der dicksten Stelle zwei Kilometer breit, an den Flanken nur wenige hundert Meter.

Er ist eingekeilt zwischen der Fabrik »Roter Oktober« links, von der er ein Stückchen hält, und der Fabrik »Barrikaden« rechts, aus der er ebenfalls noch nicht restlos vertrieben ist. Wer immer sich ohne Erlaubnis der Wolga nähert, wird erschossen. Der Kriegskorrespondent Walter Kerr: »Merkwürdig, daß es solchen Durst gab, während die Wolga nur 20 - 30 Meter entfernt floß.« Vielleicht war sie nicht trinkbar. Victor Nekrassow beschreibt sie uns als eine Öllache.

Kerr: »Die Maschinensäle bildeten einen unentwirrbaren Haufen zerschmetterter Maschinerie, erkalteter Kessel, farbigen Mülls und verbogener Träger. Dieser Landstreifen war überhaupt der größte Müllberg der Gegend.« Solange Stalin diesen Müllberg hielt, band er die Sechste Deutsche Armee.

Auf der Wolga zeigt sich Anfang November das erste Treibeis, das jeglichen Nachschub über den Fluß zum Erliegen bringt. Es ergibt sich die ebenso normale S.46 wie absurde Situation, daß Tschuikows Restarmee seit dem 11. November, dem Beginn der letzten Paulus-Offensive, in Gefahr schwebt, erdrückt zu werden, in eben jener Woche, die Schukow und Wassilewski noch brauchen, um ihre Großoffensive vom 19. und 20. November vorzubereiten. Am 12. November gibt der Chef der Abteilung »Fremde Heere Ost«, Oberst Reinhard Gehlen, folgende Beurteilung der Feindlage: »... baldige Angriffsmöglichkeiten zeichnen sich nicht ab ... Für weitergehende Operationen dürften die vorhandenen Kräfte zu schwach sein ...«

Am 19. November, früh um 5.50 Uhr, beginnt die sowjetische Großoffensive am Don. Am Abend sind die Stalingrader Fabriken Dserschinski und Barrikady völlig in deutscher Hand, dem Hauptbrückenkopf der Russen droht unmittelbar das Ende: Da bricht Paulus, alarmiert von den Nachrichten an der Don-Front, jegliche Angriffshandlung gegen die 62. Armee des Generals Tschuikow ab.

Hitler befindet sich auf Urlaub in Berchtesgaden. Er lehnt die telephonischen Vorschläge Zeitzlers, die 6. Armee, weil von der Einschließung bedroht, zurückzunehmen, rundweg ab.

Schließlich hat er am 8. November im Münchner Löwenbräukeller vor seinen »alten Kämpfern« versichert, Stalingrad sei so gut wie erobert. Am Abend des 22. November - Stalingrad ist bereits abgeschnitten - bricht Hitler seinen Urlaub ab und fährt mit dem Zuge nach Leipzig, um nach Rastenburg in die »Wolfsschanze« zu fliegen. Der Sonderzug braucht allein bis Leipzig 18 Stunden. Er hält alle zwei bis drei Stunden, damit Hitler am Telephon mit dem Generalstabschef seines Heeres sprechen kann.

Am 23. November, 18.45 Uhr, trifft im Führerhauptquartier »Wolfsschanze« von dem O. B. der Heeresgruppe B, Generaloberst von Weichs, die Meldung ein, in Übereinstimmung mit General Paulus halte er die Zurücknahme der 6. Armee für notwendig. Dies die »ntscheidende Passage: Die Versorgung der 20 Divisionen umfassend"n » Armee auf dem Luftwege ist nicht möglich. Mit dem verfügbaren » » Lufttransportraum kann - entsprechendes Wetter vorausgesetzt » » - täglich nur ein Zehntel des wirklichen Tagesbedarfes in den » » Kessel zugeflogen werden. »

Alle zu erwartenden Verluste seien nicht so kostspielig wie das - nach Lage der Dinge - »unvermeidliche Aushungern der Armee im Kessel«.

An dieser verantwortlichen Lagebeurteilung wird sich nichts mehr ändern. Hitler hatte aber schon anderweitig entschieden, nämlich am 21. November: »Generalfeldmarschall von Manstein hat eine beiderseits Stalingrad neu zu schaffende Heeresgruppe Don sofort zu übernehmen.«

Weichs war er also los. Den eingeschlossenen General der Panzertruppen, Paulus, der sich in der Beförderungsliste benachteiligt glaubt, wird er eine Woche später zum Generalobersten machen. Die »Tagesparole des Reichspressechefs« vom 24. November »nthält den bezeichnenden Satz: Aus gegebenem Anlaß wird die » » Weisung in Erinnerung gebracht, über die neuen » » Winteruniformen für unsere Soldaten an der Ostfront nicht zu » » berichten. »

Es war nicht so, daß die verantwortlichen Führer der Luftwaffe vor Ort keine Bedenken geltend gemacht hätten, ganz im Gegenteil. Generaloberst von Richthofen, O. B. der Luftflotte 4, und Generalleutnant S.47 Fiebig, Kommandierender General des VIII. Fliegerkorps, hatten mit allem Nachdruck vor der Illusion gewarnt, die 6. Armee könne aus der Luft versorgt werden.

Das Stichwort für Paulus und dessen Chef des Stabes, Generalmajor Schmidt, für Schmidt vor allem, hatte Hitler geliefert: »Vorübergehende Einschließung.« Daraus wurde bei Paulus und Schmidt: »Zeitlich begrenzte Luftversorgung.«

Schmidt scheint, anders als Paulus, den Durchbruch nach Südwesten nicht für die einzige Möglichkeit gehalten zu haben. Er galt als Befürworter des »Einigelns«. Als Fiebig ihn am 22. November warnte, beendete Schmidt das Gespräch mit den Worten: »Soeben tritt Generaloberst Hoth herein« (der Stalingrad später entsetzen sollte, Operation »Wintergewitter«, aber nicht konnte). Fiebig rief ein zweites Mal an und sagte: »Wir wissen doch beide, daß dies eine Katastrophe wird, und müssen wir nicht auch das letzte tun, sie zu verhindern? Die rennen doch offenen Auges ins Unglück.« Beleidigt brach Schmidt das Gespräch ab: »Herr General, wir verstehen auch etwas von Führung.« Eine Woche später schrieb Schmidt in einem »rivatbrief an den Major Nicolaus v. Below: Hier riet (am 23. » » November) alles zum sofortigen Abmarsch, um zum » » Vernichtungsschlag gegen den südlichen Gegner genügend Kraft » » zu kriegen. In Unkenntnis der Möglichkeiten, uns überhaupt » » entsetzen und versorgen zu können, und allein auf uns » » gestellt, wäre dies am 23. 11. auch das Richtige gewesen ... » » Gottseidank hat Paulus im felsenfesten Vertrauen, daß der » » Führer uns doch noch funken würde, gewartet. »

Schmidt war ein führergläubiger General. Als der Kommandierende General des LI. Armee-Korps, General der Artillerie von Seydlitz, seinem Oberbefahlshaber Paulus unter dem 25. November den unverzüglichen Ausbruch nach Südwesten als zwingend darstellte, auch ohne Genehmigung von höherer Stelle, merkte der Chef des Stabes, Schmidt, an: »Wir haben uns nicht den Kopf des Führers zu zerbrechen und Gen. v. Seydlitz nicht den des O.B.«

An diesem Tag hatte Seydlitz schon eine eigenmächtige Rückzugsbewegung vollzogen, die man in der »Wolfsschanze« Paulus zur Last legte. Hitler unterstellt an eben diesem 25. November seinem General Seydlitz per »Sonderauftrag« die Nord- und Ostfront des Kessels unmittelbar. Die Armee protestiert, die Heeresgruppe protestiert.

Paulus selbst fuhr zu Seydlitz und übergab ihm auf dessen Gefechtsstand den Originalfunkspruch mit dem Bemerken, nun könne Seydlitz ja auf eigene Faust ausbrechen, die Armee wäre dann möglicherweise gezwungen, ihm zu folgen. Seydlitz kapitulierte: Gegen einen »direkten Befehl des Führers« könne er nicht handeln. Hinfort zankten die beiden sich nicht.

Es tritt auf der große Stratege Generalfeldmarschall Erich von Manstein, der operative Kopf des Heeres, von der Eroberung der Festung Sewastopol immer noch ein wenig geblendet. Er übernimmt seine neue »Heeresgruppe Don« de facto am 26. November, de jure am 22. November.

Seinem Führer meldet er, der Stellungnahme seines Vorgängers von Weichs und der Heeresgruppe B, die immer noch den Ausbruch verlangen, könne er sich vorerst nicht anschließen, »solange noch Aussicht für ausreichende Versorgung, wenigstens mit panzerbrechender Munition, Inf.-Mun. und Betriebsstoff besteht«. Manstein wußte oder hätte wissen müssen, daß diese Aussicht keinesfalls bestand.

Der eingeschlossenen Armee funkt er: »Wir werden alles tun, Sie herauszuhauen.« Paulus antwortet: »Habe Befehl zum Halten jetziger Wolga- und Nordfront erneut gegeben.« Das Schicksal der 6. Armee war besiegelt.

Hätte Paulus, kein Hitler-Fanatiker, auf eigene Faust ausbrechen können oder sollen? Angesichts der Haltung Mansteins und seines eigenen Chefs des Stabes war das riskant. Manstein hätte ihn schwerlich gedeckt, wie Weichs das möglicherweise über sich gebracht hätte. Er riskierte, alles in Unordnung zu bringen und gleichwohl abgesetzt oder erschossen zu werden. Manstein wie der Chef des Stabes der 6. Armee glaubten immer noch an »Hitlers guten Stern« (Schmidt).

Auf die Hilfe der Heeresgruppe wie der Luftflotte 4 war Paulus angewiesen. Sie hätten sich schwerlich in ein Komplott mit ihm eingelassen. Ohnehin konnte er nur noch einen Teil seiner Leute und seines Materials durchbringen. Jedenfalls hätte nur ein ungewöhnlich populärer Truppenführer, populär wie Rommel etwa, mit ungewöhnlich starkem Charakter, anders als Rommel etwa, den Ausbruch gegen Hitlers und Mansteins Befehl wagen können.

Wie Kehrig richtig bemerkt, glaubten Manstein und seine Gehilfen »ihre Führung der des Gegners überlegen«, ein Irrtum, wie inzwischen feststeht. So kehrte der Schwarze Peter wieder zurück nach Berchtesgaden, wo Hitler den Generalstabschef der Luftwaffe, Generaloberst Jeschonnek, zweimal empfangen hatte, am 21. und am 22. November. Jeschonnek galt, im Gegensatz zum Reichsmarschall, als ein abwägender Mann. Er war auch ein gewissenhafter Mann, denn er brachte sich wenige Monate nach dem Fall von Stalingrad um.

Am 23. November nachmittags stand die Einrichtung einer Luftbrücke fest, nachdem unter Görings Vorsitz diskutiert worden war. Der Reichsmarschall hatte 500 Tonnen als Tagesleistung gefordert. Seine Offiziere hatten 350 Tonnen für möglich gehalten - eine Leistung, die an keinem Tag erreicht wurde und die nicht genügt hätte.

Die Verpflegung der vor Frost zitternden Truppen wurde schon am ersten Tag der Luftbrücke drastisch gekürzt, Brot von 750 auf 300 g. Anweisungen zum Kochen von Pferdefleisch ergingen. An die 50 000 Pferde waren nicht in den »Pferdeversorgungspark« abgeführt, sondern im Kessel zurückgeblieben, von denen der Führer mit Recht bemerkte, man könne das eine Pferd nicht von dem anderen auffressen lassen (wie er selbst das mit seinesgleichen wohl versucht hätte).

Man scheint auch nur an eine zeitlich begrenzte Improvisation gedacht zu haben. S.49 Daß die Flugplätze nahe Stalingrad überrannt und demgemäß die Leistungen auf die Hälfte absinken würden, oder gar auf ein Viertel, scheint niemand in Rechnung gestellt zu haben.

Am 25. November, einen Tag nach Mansteins markigem »Wir hauen Sie raus«, stritt sich Göring mit dem Stabschef des Heeres, Zeitzler, in Anwesenheit Hitlers. Der Reichsmarschall »verbürgte« sich für die Versorgung der 6. Armee: ganz der alte, wie Hitler später befriedigt feststellte. Tagesdurchschnitt im November: 95 Tonnen. Die Verantwortung liegt demnach bei Hitler, Göring, Manstein, in dieser Reihenfolge.

Wie die Sowjets während ihrer Operationen die moderne Kriegführung lernten, so die deutschen Infanteristen und Pioniere in Stalingrad den Kampf um Häuser und Fabriken. Ihre Verluste waren entsprechend hoch. Handgranaten, Flammenwerfer, improvisierte Brandsätze und Brandflaschen jeder Sorte kamen in Gebrauch.

Die Deutschen kämpften in Stalingrad so erbittert, weil sie immer noch auf Entsatz hofften und weil sie nicht in russische Gefangenschaft kommen wollten. Noch Mitte Januar robbten sich deutsche Soldaten mit Benzinflaschen an russische Panzer heran, weil ein Armeebefehl jedem den sofortigen Ausflug versprochen hatte, der allein einen russischen Panzer erledigt hatte.

Ulbricht, später DDR-Chef, agitierte über Lautsprecher. In einem Flugblatt des Dichters Johannes R. Becher, später Kulturminister der »DR, hieß es: Er dachte lang darüber nach. Im Traum zu ihm das » » Flugblatt sprach: »Kein Leid wird dir geschehen.« Das » » Flugblatt nahm ihn bei der Hand. »Ich kenn mich aus in diesem » » Land, Ich weiß, wohin wir gehen.« »

»Gute Behandlung« wurde garantiert, war aber nicht zu erwarten. So »childert Walter Kerr den Häuserkampf: Der Kampf von Haus zu Haus« » war nun zur Regel statt zur Ausnahme geworden. Es gab Fälle, » » wo in einer Wohnung Sowjets die Küche besetzt hielten, » » Deutsche das Wohnzimmer - oder die Deutschen das Parterre und » » den ersten Stock und die Sowjets den zweiten und dritten » Stock.

» Einmal stürmten die Sowjets und nahmen die im Parterre » » gelegene Einrichtung einer Druckerei ein. Der Feind zog sich » » auf den ersten Stock zurück. Als die Sowjets dorthin » » nachstießen, gingen die Deutschen auf das Parterre zurück, » » und der Kampf hielt an. Wie alte Männer und Frauen dies alles » » überlebten, wird niemand recht verstehen. »

Der deutsche Pionieroberst Selle notierte: »Die Kinder jammerten und schrien nach Brot.« Tschuikow, mit den Jahren beleibt und Marschall, »agte: Die Deutschen zogen es vor, bei Tag zu kämpfen und nachts »u » schlafen. Wir brachten sie dazu, nachts zu kämpfen. Sie zogen » » es vor, in den Straßen zu kämpfen. Wir hielten die Straßen » » leer. Sie versuchten, uns ins Freie zu treiben und dann aus » » der Luft zu treffen. Wir gingen so dicht an sie heran, daß » » sie ihre eigenen Truppen trafen. »

Was die Sowjets leisteten, konnten sich die Deutschen nur mit »Verrücktheit«, »Starrsinn«, »Selbstvernichtung« erklären. »Arbeiter umklammerten noch im Tod das Steuer abgeschossener Panzer«, so Oberst Adam, Adjutant der Armeeführung. Studentinnen, die ein S.52 Flakgeschütz bedient hatten, gingen mit trotzigen Mienen in die Gefangenschaft.

Den Deutschen machten die Keller und Verbindungswege unter den zerstörten Fabriken zu schaffen, noch mehr die unterirdischen Kanalisationsanlagen. Diese liefen auf das von Tschuikow gehaltene Wolgaufer zu, so daß jederzeit ausgewählte russische Nahkämpfer im Rücken der Deutschen auftauchen konnten. Der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge schildert in seiner »talingrad-»Schlachtbeschreibung« eine deutsche Aktion: » » Obergefreiter M. wurde eingesetzt, aus Oberfranken, er war » » ein Spezialist: Zur Bekämpfung der Kanalisation, also in den » » Kanalschächten, in der gesamten Straßenlänge. Da haben uns » » die Russen dadurch schwer zu schaffen gemacht, daß sie in den » » Kellern, in den Kanalisationsschächten verbarrikadiert waren, » » und da starteten wir. Den Zeitpunkt kann ich Ihnen allerdings » » nicht nennen, es war so um die Mitte des November. Der Mann » » hat mit seinem Flammenwerfergerät eine ganze Straßenzeile in » der Kanalisation saubergemacht.

F.

Wie soll ich mir das vorstellen?

A.

» Er ist eingestiegen; er bekam Feuerschutz, anständigen » Feuerschutz und stieg -

F.

Machte einen Gullydeckel auf -

A.

» - freilich und stieg ein und säuberte dann den ganzen » » Kanalstrang durch. Sie können das nur allein machen, und zwar » » tragen sie ja das Flüssigkeitsgerät auf dem Buckel und den » » Flammenwerfer als solchen, das Gerät, vor sich her. Genau wie » » ein Feuerwehrmann, der mit einem Strahlrohr im Einsatz ist. »

Ein deutscher Offizier hat dem Kluge geschildert, wie ein russischer »anzer samt Besatzung vernichtet wurde: Erwähnenswert wäre, daß d"r » Russe etwa ab 7. Januar seine Angriffstaktik änderte. Während » » bis dahin die russischen Panzer mit der Infanterie vor » » unseren Stellungen aufgehalten wurden, änderten die Russen » » von diesem Datum ab ihre Taktik derart, daß sie nur mehr » » einzelne Widerstandsnester durch Panzer niederkämpften. Das » » ging so vor sich: Die russischen Panzer fuhren (12. 1.) aus » » ihrer Deckung raus, auf einen deutschen Stützpunkt zu und » » drehten etwa 30, 40 m vor dem Stützpunkt bei, schossen mit » » ihrer Kanone einige Schuß in dieses deutsche Widerstandsnest. » » Die begleitende Infanterie nahm es dann mit Handgranaten » mühelos ein ...

» Ich sah diese Kampfart der Russen in meinem Scherenfernrohr » » tagelang unmittelbar vor mir und konnte mir ausrechnen, wann » » unser Loch dran ist. Als ich diese Kampfart der Russen meinem » » Regimentskommandeur meldete, schickte der mir den Leutnant » » unserer Panzerabwehr, der Divisions-Panzerabwehr, zu meinem » » Beobachtungsstand. Der Leutnant war tagelang bei mir, und an » » dem Tag, an dem ich wußte, morgen kommen wir dran, ist er in » » der Frühe nicht mehr gekommen. Er ging jeden Abend nach » rückwärts zu seinen Leuten.

» Der russische Panzer kam in der Frühe bei Hellwerden aus der » » Deckung heraus auf unser Loch zugefahren. Er drehte etwa » » 40-50 m vor unserem Loch uns die Breitseite zu. Nun habe ich » » meinen Leuten gesagt, es ist aus, denn wir kriegen jetzt ein » » paar Schuß rein. Wir haben uns praktisch zusammengekauert in » » unserem vielleicht knapp 1,70 m tiefen Loch. Der erste Schuß, » » den ich höre, hat mir irgendwie eigenartig geklungen. Jetzt » » bin ich wieder an mein Scherenfernrohr gegangen und sehe raus » » und sehe den Panzer brennen. Da hat sich folgendes ergeben: » » Dieser Leutnant von der Panzerabwehr, der die ganzen Tage bei » » mir war, hat am Hinterhang die Szene beobachtet und hat mit » » seiner kleinen lächerlichen Reichswehr-Panzerabwehr, ich » » glaube 3,7 cm, Glück gehabt, daß er diesen Panzer in die » » Auspuffschlitze getroffen hat. Glück deshalb, weil der Panzer » » beigedreht hatte. Die Russen, also die Besatzung, waren » » sieben Mann, und die haben der Reihe nach als erstes die » » Turmluke geöffnet. Das erste, was rauskam, war eine » » Maschinenpistole, dann kam ein Kopf und so fort. Ich habe » » mein Maschinengewehr, das ich in meiner Stellung hatte, » » bedient. Er war weg. Dann wurde das Turmluk wieder geöffnet, » » der Tote wurde rausgeschmissen, und als nächstes kam eine » » Maschinenpistole, und der nächste Russe ist sofort wieder » » beschossen worden. »

Viele deutsche Batterien hatten zu diesem Zeitpunkt nur fünf Schuß am Tag frei: S.53 » Jeglicher weiterer Einsatz mußte beim Regiment zunächst » » gemeldet werden, wie die Gefechtslage ist, was los ist, wie » » die Munitionslage der Batterie ist, also meiner Batterie, und » » dann genehmigte der Regimentskommandeur vielleicht 1, 2, 3 » » Schuß, je nach Situation. »

Ein General und ein Major, beide Panzerfachleute, wurden zur Division des Generalleutnants Pfeffer befohlen, der 297. »nfanteriedivision. Schilderung: Der Divisionskommandeur war ein » » schon älterer Herr. Ich kann mich entsinnen, daß er nachher » » im Generalslager seinen 60. oder 70. Geburtstag feierte. Er » » hatte einen drahtigen jungen Oberstleutnant. Wir kamen in dem » » Bunker an, und es drehte sich um eine Höhe 211. Als wir dort » » waren, wurden wir freudig empfangen, und der General sagte » » sofort: »Wieviel Panzer bringen Sie mit?« Wir meldeten ihm, » » daß wir keine mitbrächten, aber wir wären dazu da, um ihm für » » den Panzereinsatz seiner Gefechtsfahrzeuge zu helfen, worauf » » er sagte: »Also die zwei Sturmgeschütze, die ich besitze, die » » kann ich selber noch richtig einsetzen.« Wir saßen eigentlich » » beschäftigungslos zwei Stunden in seinem Bunker. Man erlebte, » » wie diese zwei Leute mit einem Telefon, mit dem » » Bataillonskommandeur, der irgendwo draußen in der Steppe lag » » und nur Katastrophenmeldungen durchgab, nun mit den Resten » » der Division operierten. Das, womit sie operierten, waren » » keineswegs Bataillone oder Regimenter, sondern das waren zwei » » Gruppen, ein halber Zug, eine Pak, ein Sturmgeschütz - und » » können Sie vielleicht mit einigen Leuten noch ... und so. Man » » muß aber diesem Oberstleutnant W., den ich noch heute in » » Erinnerung habe, eine ungeheure Wendigkeit und eine Ruhe » » bescheinigen. »

»innen zweier Stunden fand der Zusammenbruch einer Division statt:« » Dieses Ganze wurde gekrönt durch die Ankunft eines » » Reservebataillons. Und zwar erschien ein Oberleutnant mit 150 » » Mann von irgendeinem Dorf. Der Oberleutnant kam also an und » » meldete sich mit 100 oder 150 Mann zur Stelle, um die » » Katastrophe, die sich dort anbahnte, in geringer Form » » aufzuhalten. Daraufhin wurde er freudig begrüßt, und der » » General sagte, ja sofort, jetzt kommen Sie her, jetzt zeige » » ich Ihnen das. Und da sagte er, was ist denn mit Ihnen, Sie » » schwanken ja so? Worauf der Oberleutnant sagte, ja, ich habe » » 39 Fieber und außerdem einen Durchschuß irgendwo. Ja, sind » » Ihre Leute draußen? Ja, die Leute sind soweit, auch leichte » » Erfrierungen, und krank sind sie auch ein bißchen. Vor allen » » Dingen wäre ich dankbar, wenn wir was zu essen bekämen, denn » » seit zwei Tagen haben wir nur 200 g Brot gegessen. »

Die Not machte erfinderisch. Hier eine Szene nach dem 15. Januar »943: Wir hatten beispielsweise noch einen ganzen Stapel » » Tellerminen gefunden. Den dazugehörigen Feldwebel, der von » » den Pionieren war und mit diesen Dingern umgehen konnte, » » hatten wir nicht. Da haben wir drei Stunden telefoniert, bis » » wir ihn irgendwo in der Nordriegelstellung gefunden hatten. »

Aber auch die Russen dachten sich einiges aus. Als die Wolga noch nicht fest zugefroren war, zwischen dem 8. und dem 12. Januar, schoben sich Soldaten bäuchlings über das (zu) dünne Eis und zogen kleine Schlitten hinter sich her. Über Unterfeldwebel W. G. Saizew, passionierter Jäger aus Sibirien, der angeblich in dem Mitglied des Kriegsrates N. S. Chruschtschow

( Erwähnungen Stalins wie Chruschtschows ) ( in den Veröffentlichungen von ) ( sowjetischer Seite sind davon abhängig, ) ( ob Stalin schon tot respektive ) ( Chruschtschow noch im Amt war. Auch die ) ( Darstellung ihrer Rollen wechselt. ) ( Chruschtschow scheint sich allerdings ) ( in Stalingrad aufgehalten zu haben. )

»einen energischen Förderer« (Piekalkiewicz) fand: Auf seinen » » Vorschlag werden in jedem Regiment Scharfschützengruppen » » gebildet: Die Kommandeure teilen die deutschen » » Verteidigungsabschnitte vor ihren Russische Flak-Gasse vor » » Stalingrad: Wo blieb der »Eiserne«? Versorgungsflugzeug in » » Gumrak: »Unvermeidliches Aushungern« Linien in kleine » » Sektoren und setzen auf sie je zwei Scharfschützen an. Die » » Scharfschützen richten sich dort 3 bis 4 Feuerstellungen ein, » » die sie je nach der Lage wechseln. Die besten von ihnen » » dürfen sich sogar ihren Beobachtungssektor und das Schußfeld » » selbst aussuchen. »

Die 62. Armee unter dem Befehl des Generals Tschuikow konnte bis zuletzt nicht wissen, daß sie als Köder ausgelegt war. Tschuikow, in seinen Memoiren, bringt das Bild von jenem Mann, der einen Bären gefangen hatte: »Als man ihm zurief, bring ihn her, mußte er antworten: Der Bär läßt mich nicht.« Dies genau war die Lage der 62. Armee zwischen dem 12. September, der Ernennung Tschuikows zum Armeebefehlshaber, und dem 20. November (Einschließung der Sechsten Armee von Norden und Süden her).

Der 14. und der 15. Oktober scheinen für die 62. Armee die kritischsten Tage gewesen zu sein. Aus Tschuikows Kriegstagebuch, »5. Oktober 1942: 12.20 Uhr: Ein Funkspruch einer Einheit des 416« » Regiments aus dem sechseckigen Häuserblock: »Sind » » eingekreist, Patronen und Wasser vorhanden, sterben, ehe wir » uns ergeben]«

» 12.30 Uhr: Sturzkampfbomber greifen den Gefechtsstand des » » Generals Scheludew an. General Scheludew befindet sich ohne » » Nachrichtenverbindung in einem eingestürzten Unterstand. » » Übernehmen die Verbindung zu den Truppenteilen dieser » Division.

» 13.10 Uhr: 2 Unterstände im Armeegefechtsstand eingestürzt. » » Ein Offizier steckt mit den Beinen in den Erdmassen, können » ihn nicht ausgraben.

» 13.20 Uhr: Haben (durch ein Rohr) Luft in den Unterstand von » » General Scheludew gepumpt. »

Die Deutschen setzten Stukas, Artillerie und Granatwerfer in einem solchen S.57 Ausmaß ein, daß die Sicht trotz hellen Sonnenscheins nur noch 100 Meter betrug. 3500 Verwundete wurden in der Nacht vom 14. auf den 15. über die Wolga auf das linke Ufer gebracht. Tschujkow: »Diese Zahl blieb einmalig in Stalingrad.«

Tschuikows vierter Befehlsstand ab 5. Oktober lag in der Nähe der Traktorenfabrik »Barrikaden«, zu nahe bei den Öltanks. Als deutsche Bomber die Tanks in Brand setzten, war Tschuikow, so schreibt er selbst, aus dem Unterstand gestürzt, »geblendet und verwirrt«. Erst der energische Befehl seines Untergebenen Krylow, vor ihm Befehlshaber der Armee, jetzt Chef seines Armeestabes, wirkte auf ihn wie ein »Hurra« beim Angriff. Krylow rief: »Niemand verläßt seinen Platz]«, und Tschuikow kehrte in seinen unversehrten Unterstand zurück. Mehrere Tage mußte der Armeestab ohne Schlaf, wie Wagners Walküre vom Feuer umgeben, in den Unterständen weiterarbeiten.

Solange Packeis die Wolga nicht unpassierbar machte, bis Anfang November, wurden Tschuikow Elite-Garden zugeführt, mehrmals Sibirjaken, die sich mit Dolchen und Finnmessern ihren Weg bahnten: »Sie warfen den Gegner im Nahkampf wie ein Bund Stroh über den Rücken«, schreibt Tschuikow.

Es kam aber auch Ersatz, den der Stalinpreisträger Viktor Nekrassow, selbst Leutnant bei der Division Batjuk im Raum um den bis zuletzt »nd am härtesten umkämpften Mamai-Hügel, so beschreibt: Manchmal » » war es mit diesen Verstärkungen wirklich traurig. Sie » » brachten - unter großen Schwierigkeiten - sagen wir zwanzig » » neue Soldaten über den Fluß: entweder alte Leute von 50 oder » » 55 oder junge Burschen von 18 oder 19. Da standen sie, » » zitternd vor Kälte und Angst. Man gab ihnen warme Kleidung » » und nahm sie dann mit in die Hauptkampflinie. Aber ehe diese » » Neuankömmlinge nach vorn gelangten, waren von den zwanzig » » fünf oder zehn schon getötet; ... aber unter denen, die die » » Stellungen erreichten, gab es welche, die sehr schnell » » wunderbare Soldaten wurden. »

Tschuikow hatte weder Pferde noch Autos. Sein Nachschub mußte von Hand und auf dem Rücken befördert werden. Nekrassow schätzt die Truppenstärke westlich der Wolga Ende Oktober auf alles in allem 20 000 Mann, auch nach russischen Gliederungen keine Armee mehr, nur noch ein Armeekorps.

Gerettet wurde Tschuikow, bei aller Todessturheit seiner Leute, letztlich durch die starke Artillerie auf dem anderen Wolgaufer, mindestens 250 Geschütze, deren vorgeschobene Beobachter in Tschuikows Streifen hockten. Der gejagte Bär hielt seinen Jäger fest.

»Wir haben das Kriegspotential der Sowjet-Union nicht richtig eingeschätzt«, wird Goebbels am 18. Februar 1943 in seiner berühmten »Wollt ihr den totalen Krieg«-Rede sagen. Hitler mußte seine Gegner immer wieder »unterschätzen«; sonst hätte er seinen Krieg gar nicht erst anfangen dürfen; beenden konnte er ihn demgemäß auch nicht.

Die 6. Armee wurde nicht »ganz bewußt geopfert«, wie der Fachmann Kehrig neulich noch in einem Fernsehkommentar behauptete, jedenfalls nicht am 23. November 1942, zu jenem Zeitpunkt also, als nennenswerte Teile noch hätten ausbrechen können. Bewußt geopfert wurde sie, als ihre Ausbruchschance dahin war. Bis zum 20. Januar etwa band sie noch feindliche Kräfte.

Hitler geriet, als er von der Gefangennahme seines Paulus hörte, außer Fassung. Von ihm hatte er erwartet, was er selbst zu geben bereit war: daß der sich nämlich »mit der letzten Patrone« totschoß.

Hitler hatte da seine eigene Erfahrung, auf die er mehrmals zu sprechen kam: daß nämlich eine »stolze schöne Frau«, nur weil sie »ein paar beleidigende Worte hört, hinausgeht, sich einsperrt und sich sofort totschießt«.

Diese stolze schöne Frau soll eine Sekretärin des Reichsmarschalls Hermann Göring gewesen sein, die Ende 1942 nach einem ungerechtfertigten Vorwurf ihres Chefs Selbstmord begangen haben soll. Man habe ihr, so heißt es unverbürgt, ob dieser heroischen Einstellung sogar ein Staatsbegräbnis bereitet. Es scheint aber so, als ob Hitler mit dieser Geschichte auch den »Eisernen« habe treffen wollen, jenen Hermann Göring, dessen Flugzeuge Stalingrad ja nicht hinlänglich versorgt hatten.

Entgegen der Befürchtung Hitlers wird Paulus nicht zwei Tage später, sondern nach anderthalb Jahren, nach dem 20. Juli 1944 nämlich, im Moskauer Rundfunk sprechen und dem sowjetisch gesteuerten »Nationalkomitee Freies Deutschland« beitreten. Er starb 1957 in der DDR den Strohtod. Anders als der eingebunkerte Hitler hat er das Leben wohl nicht ausschließlich für eine »Trübsal« gehalten, aus der man sich befreien müsse, wenn einen nicht »die Pflicht in diesem Elendstal zurückhält«.

Hitler war ein Pflichtmensch besonderen Ausmaßes. Bevor nicht das ganze Elendstal in Flammen stand, mochte er nicht zu seiner letzten Patrone greifen. Von rund 91 000 Stalingrad-Deutschen kamen 6000 aus der Gefangenschaft wieder nach Hause. Von 22 Generalsoffizieren, den Generalfeldmarschall Paulus eingeschlossen, kehrten 18 zurück.

S.40Die Stadt hieß bis 1925 Zarizyn, Stadt der Zarin, und heißt seitihrer Entstalinisierung im Jahre 1961 Wolgograd. Stalingrad hieß siezwischendurch, weil Stalin hier 1918 als Kriegskommissar gegen dieweißrussischen Truppen des Generals Krasnow gekämpft hatte.*S.53Erwähnungen Stalins wie Chruschtschows in den Veröffentlichungen vonsowjetischer Seite sind davon abhängig, ob Stalin schon totrespektive Chruschtschow noch im Amt war. Auch die Darstellung ihrerRollen wechselt. Chruschtschow scheint sich allerdings in Stalingradaufgehalten zu haben.*