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Wahlkampf mit Preußen

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  • ️Sun Apr 15 1979

Nach dem Training tat Trainer Werner Biskup vom SC Preußen Münster etwas, wozu sich so direkt vor ihm noch kein Fußball-Lehrer hergegeben hatte: Er wusch schmutzige Wäsche. »Sechs Waschmaschinen voll habe ich gespült, von abends um sechs bis nachts um zehn.«

Noch größere Wäsche allerdings gab es im Vorstand des westfälischen Zweitligaklubs zu waschen, denn zum Jahresbeginn waren die Preußen mit mehr als drei Millionen Mark ins Debet geraten. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) deutete an, daß in der nächsten Saison kaum eine Chance bestünde, Münsters Spiel-Lizenz für die 2. Liga zu erneuern oder gar eine für die Bundesliga zu erteilen, falls Münster aufsteigt.

Schulden, auch in Millionenhöhe, gelten zwar im deutschen Berufsfußhall längst nicht mehr als besonderer Makel, eher »als Dummheit«, so DFB-Lizenzgeber Wilhelm Neudecker. Aber Preußens Fußballgloria hatte noch ein anderer Fall überschattet, den DFB-Ankläger Hans Kindermann nach dem »Bundesligaskandal mit den Meineiden« als das »schwärzeste Vergehen im deutschen Fußball« geißelte.

Vom Juli 1975 bis zum November 1977 verkauften Preußens Präsident Günter Wellerdieck und Schatzmeister Alfred Balkau Eintrittskarten im Wert von 215 000 Mark schwarz. Der DFB sperrte die Sportkameraden auf drei Jahre für jegliche Vorstandstätigkeit. Der Klub mußte 25 000 Mark Strafe zahlen.

Nach den Steuerhinterziehern betraten Wahlkämpfer die leere Vereinsbühne, denn 1980 stehen in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen an. Für die FDP bewarb sich der Wehrexperte und Bundestagsabgeordnete Jürgen Möllemann um das Präsidentenamt. Die CDU drängte ihren Sympathisanten Reinhold Schmelter, vormals Karnevalsprinz von Münster, an Preußens Spitze.

Bundespolitiker Möllemann empfahl den »sauberen Weg, und der führt über das Amtsgericht«. Möllemann plädierte für ein Vergleichsverfahren, das zwar den Gläubigern, vor allem Wellerdieck und Balkau, etwa zwei Millionen Mark Verluste bringen würde, aber dem Klub den noch kostspieligeren Konkurs erspart. Außerdem wollte keiner den 73 Jahre alten Preußenklub per Federstrich aus dem Vereinsregister verstoßen.

Schmelter lehnte schon den Vergleich als »fragwürdiges Unternehmen« ab und empfahl, den Klub aus »eigener Kraft gesunden zu lassen«. Auf einer Generalversammlung 1977 hatte Schatzmeister Balkau keine ordentliche Bilanz mehr vorgelegt; die Sitzung wurde vertagt. Inzwischen ging der FDP-Verteidigungsexperte Möllemann in seinem Heimatklub zum Angriff über und forderte, dem noch amtierenden Wellerdieck-und-Balkan-Vorstand keine Entlastung zu erteilen.

Möllemann verlor mit 190 gegen 198 Stimmen. Später stellte sich vor Gericht heraus, daß widerrechtlich auch Vorstandsbosse statt nur Mitglieder gegen »Gesundschrumpfer Möllemann«, so ein Klubmitglied, gestimmt hatten. Wieder mußte abgestimmt werden; für die mittlerweile vom DFB suspendierten Wellerdieck und Balkau waren neue Klubführer zu suchen.

Doch Möllemann, weiter auf einem gerichtlichen Vergleichsverfahren beharrend, verzichtete, Vergleichsgegner Schmelter aber kündigte Geldsammlungen in Münster an und forderte von der Stadt Münster eine Geldspritze in Höhe von 300 000 Mark, was seine CDU-Freunde, die über die Mehrheit im Stadtrat verfügen, auch zusagten. Einziger Tagungspunkt auf der geplanten Stadtratssitzung im Februar: Hilfe für Preußen Münster.

Doch nun überschlugen sich die Ereignisse. Aus Düsseldorf traf beim Stadtrat ein Fernschreiben vom Innenminister Burkhard Hirsch (FDP) ein, der Finanzzuschüsse untersagte, weil mit »öffentlichen Mitteln kein Profiklub unterstützt werden« dürfe. Für Schmelter und Münsters CDU war dies »pure Parteipolitik«, obwohl Hirsch nachweisen konnte, daß in NRW in ähnlichen Fällen ebenfalls Subventionen verweigert worden waren.

So krebsen auch der Wuppertaler SV und Rot-Weiß Lüdenscheid unsubventioniert weiter in der Konkurs-Zone herum. Der Bonner SC stieg in die Amateurliga ab, weil kein staatlicher Geldhahn mehr tröpfelte. Sogar im fernen Augsburg und in Hannover mußten die Ortsvereine, die noch Profifußball spielen, ebenso wie der FC St. Pauli in Hamburg, mit ihren Millionenschulden alleine leben. Gelegentlich kassieren Gerichtsvollzieher die Spieleinnahme.

Während der Schuldenstand der Fußball-Bundesliga (18 Klubs) mit derzeit knapp 30 Millionen Mark beziffert wird, zählten die 40 Vereine der zweiten Liga fast 35 Millionen Mark an Verpflichtungen zusammen.

DFB-Aufpasser Neudecker in München verweigerte auch Verbandshilfe für die Schuldenklubs, bedeutete aber den Finanzministern aller Bundesländer: »Wenn man das Theater genauso streng behandeln würde wie die Fußballklubs, gäbe es keine Theateraufführungen mehr.«

Von jeglicher Außenhilfe abgeschnitten, entschloß sich nun auch der Mann, der bei Preußen Münster angetreten war, den Klub vor einem gerichtlichen Vergleich zu bewahren, zu ebendiesem Schritt. Denn schon kurzfristig war erneut eine volle Million Mark aus kurzfristigen Verbindlichkeiten fällig.

Da 400 000 Mark Spenden der Bürger und 300 000 Mark an selbstschuldnerischen Bürgschaften bereits aufgetrieben worden waren, fehlten noch jene 300 000 Mark, die bestenfalls durch einen Rechtsstreit zwischen dem CDU-Stadtrat und dem SPD/FDP-gelenkten Land Nordrhein-Westfalen zu holen waren. »Bis dahin würde es keine Preußen mehr geben«, erklärte Schmelter und schaltete nun auf das Vergleichskonzept seines Widersachers Möllemann um.

Dazu war es notwendig, daß alle Gläubiger, die 80 Prozent der Gesamtforderung halten, dem Antrag zustimmten. Jedem Gläubiger stehen dann nur noch 35 Prozent seines Geldes zur Rückzahlung offen.

Hauptverlierer waren die ehemaligen Klubführer Wellerdieck und Balkau, die fast eine Million Mark investiert hatten, allerdings vertraglich schlau abgesichert: Sicherheiten beim Spielerverkauf. Obwohl Schmelter zwar die notwendige Mehrheit der Gläubiger für den Vergleich erwirkt hatte, präsentierten ihm Wellerdieck und Balkau den Abtretungsvertrag für Preußen-Spieler.

Sie forderten, bis zum Saisonende durchzuhalten, dann die Spieler zu verkaufen und in die Amateurliga abzusteigen. Schmelter: »Die Herren vom DFB nannten mich den Vorsitzenden einer Briefkastenfirma.«

Um nicht als »Totengräber von Preußen Münster« in die Vereinsgeschichte einzugehen, stellte Schmelter den Vergleichsantrag, sammelte auch die fehlenden 300 000 Mark und kam durch. Ganz Münster jubelte, ließ Schmelter hochleben, und »Bild« lichtete ihn in einem Gewand ab, wie es einst Napoleon trug.

Die Gläubiger Wellerdieck und Balkau mußten sich damit begnügen, von ihrer Million lediglich ein Drittel zu behalten. Christdemokrat Schmelter: »Ich halte diesen Verzicht für eine Buße, die in Anbetracht der Vorkommnisse in der Vergangenheit gerechtfertigt ist.« Gleichzeitig erhöhte der Klub die Eintrittspreise und bewog die Spieler vorübergehend zum 15prozentigen Gehaltsverzicht.

Doch befreit von Schulden und Gläubigern, erfüllt vom Gefühl, den Schuldenmachern die gerechte Strafe erteilt zu haben, schießen die Preußen auch weiterhin nicht schnell genug, um dem Dilemma ganz zu entweichen. So meldeten sich immer noch versprengte Kreditgeber, deren Forderungen in Form von kurzfristigen Wechseln in den Sog des Vergleichsverfahrens hineingekommen waren, obwohl genau das nicht geschehen sollte. Einer verlangte 300 000 Mark zurück, die er dem Klub beim Ankauf des Stürmers Elmar Jürgens vorgestreckt hatte.

Privatpersonen lassen dem Preußen-Klub nach der Radikal-Bereinigung der Finanzmisere keine Mark mehr zukommen, Trainer Biskup muß immer häufiger die Wäsche seiner Spieler selber waschen. Seinem Masseur, der den Spielern die Waden walkt, kann der Klub Reisen zu Auswärtsspielen ebensowenig bezahlen wie dem Zeugwart, der Trikots und Schuhe putzt, das Honorar.

»Ein hochverschuldeter Verein benötigt 25 Jahre, um ganz schuldenfrei zu sein«, meint Volker Schüler, Vizepräsident der mit 3,1 Millionen Mark ins Debet geratenen Kickers Offenbach. Von Preußen Münsters 20 Spielern haben erst sieben ihre Verträge für die nächste Saison verlängert. Mannschaftskapitän Rolf Grünther erklärte inzwischen seinen Vertrag für »rechtsungültig«.

Preußen-Kenner rechnen immer noch, daß der FDP-Politiker Möllemann der nächste Präsident werden wird, denn Schmelters derzeitige Vorstandskameraden treten einer nach dem anderen zurück.

Von einer Reise nach Saudi-Arabien brachte Möllemann die Kunde vom einzigen neuen Mäzen mit, der rund eine Million Mark für Münsters Fußballer spenden will: Scheich Feisal Ibn Fahd Ibn Abd el-Asis. Geforderte Gegenleistung: Preußen-Spiele in Saudi-Arabien und westfälisches Klub-Know-how für Wüstenvereine. ·