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Der kleine General

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  • ️Tue Dec 10 1957

Organisierte Nachtabschüsse gelangen aber erst, nachdem Kammhuber, der am 10. Oktober 1940 zum Generalmajor befördert worden war, in einem alten Schloß bei Utrecht sein Hauptquartier aufgeschlagen und eine erste Nachtjagddivision aufgestellt hatte.

Die Division bestand aus einem Jagdgeschwader, einer Scheinwerferbrigade und einem Luftnachrichtenregiment. Die Flugzeug-Besatzungen wurden im Blindflug geschult, die Flugzeuge (Me 110) durch

den Einbau zusätzlicher Instrumente zu blindflugtauglichen Maschinen gemacht.

Kammhuber war sich bald darüber klar, daß die schwerfällige Anfangsform der »hellen Nachtjagd« nur ein Übergang sein konnte. Es hing dabei von der Geschicklichkeit der Scheinwerferbedienungen und vom Wetter ab, ob der feindliche Bomber zwei oder drei Minuten im Lichtbündel festgehalten werden konnte, und auch diese Zeit reichte nur in seltenen Fällen für den Jäger, sich in günstige Schußposition hinter das Feindflugzeug zu setzen. Josef Kammhuber sah sich nach anderen Möglichkeiten um. Er fand sie in der Hochfrequenztechnik.

Im Juli 1941 empfing der Führer Adolf Hitler den General Kammhuber: »Ich habe bisher keine Zeit gehabt, mich mit der Nachtjagd gründlich zu befassen. Offengestanden, ich verstehe nichts davon, betrachten Sie mich als Ihren Schüler.«

In einem anderthalbstündigen Vortrag entwickelte Josef Kammhuber vor Adolf Hitler seine Gedanken: Man müsse im großen Umfang Funkmeßgeräte - von den Engländern Radargeräte genannt - einsetzen und einen neuen Nachtjäger bauen. Hitler ermunterte den General: »Wenn Sie Schwierigkeiten mit dem Rüstungsminister Todt haben, wenden Sie sich an mich.«

Mit dieser Blankovollmacht setzte Kammhuber nun Druck hinter die deutsche Funkmeßentwicklung. In aller Eile wurden von deutschen Ingenieuren die sogenannten Würzburggeräte hergestellt, mit denen die anliegenden Feindmaschinen erkannt und geortet werden konnten. Bordsuchgeräte wurden in die Nachtjäger eingebaut, so daß die Flugzeugführer sich selbst an den Feind heranpirschen konnten, sobald sie nahe genug an die gegnerischen Maschinen herangeführt worden waren.

Mit der Zeit installierte Kammhuber schachbrettartig rund 1500 Funkmeßstationen in Deutschland und den besetzten Westgebieten.

Im Herbst 1941 hatte Josef Kammhuber neue Pläne: Er wollte damals neben der Nachtjagd über dem besetzten westeuropäischen Festland auch die Fernjagd verstärken, um die britischen Bomber schon auf ihren Absprungplätzen anzugreifen. Mit einzelnen Nachtjagdmaschinen zwang er so den Gegner, die Flugplatzbeleuchtungen abzuschalten und erschwerte dadurch schon den Start der Bomber ungemein.

Obwohl Göring die Fernnachtjagdpläne unterstützte, griff Hitler mit einem Verbot ein, das er mit abstruser Gauleiterlogik motivierte: »Die deutschen Volksgenossen verlangen, daß der abgeschossene feindliche Bomber neben dem Haus liegt, das er zerstört hat.« Tatsächlich waren die Gauleiter in diesem Sinne bei Hitler vorstellig geworden.

Die Briten fanden nach und nach die schwachen Stellen des »Kammhuber-Riegels« heraus. Der Abhörbereich der schachbrettartig aufgestellten Funkmeßgeräte war begrenzt und damit auch der Kampfbereich der an ihnen hängenden Jäger. Sie banden die Nachtjäger an bestimmte Räume. Das wurde in dem Augenblick verhängnisvoll, in dem die Engländer dazu übergingen, auf der ganzen Breite des »Kammhuber-Riegels« Entlastungsangriffe zu starten, an einer Stelle aber einen schmalen, stetigen Bomberstrom durchbrechen zu lassen.

Die Briten wandten diese Taktik zum erstenmal im Mai 1942 bei dem Angriff auf Köln an. Ihr Bombergeneral Harris setzte in dieser Nacht mehr als tausend Flugzeuge ein, von denen nur wenige abgeschossen werden konnten. Kammhuber, dessen Nachtjagddivisionen inzwischen zum XII. Fliegerkorps, dem einzigen deutschen Nachtjagdkorps, angewachsen waren, forderte neue Geräte mit größerer Reichweite und größerem Schwenkbereich, die »Panorama-Geräte«, und 2000 Flugzeuge.

Die mit Rüstungsaufträgen überlastete Industrie konnte diese Forderung nicht erfüllen. 700 verfügbare Flugzeuge blieben während des ganzen Krieges für die deutsche Nachtjagd das Höchste.

Schnaps-Trophäen bei Abschußfesten

Josef Kammhuber ließ sich einiges einfallen, um den Kampfgeist seiner. Nachtjäger wachzuhalten. Mit furchtlosem Geschmack dedizierte er seinen Männern für jeden Abschuß einen silbernen Schnapsbecher. Nach zwölf Abschüssen wurde ein passendes Tablett dazu geliefert. Die Trophäen überreichte er bei regelrechten »Abschußfesten«. Die Kammhuberschen Schnapsbecher zieren heute noch die Wandschränke überlebender Nachtjäger.

Im großen und ganzen aber endete die deutsche Nachtjagd des zweiten Weltkrieges als Mißerfolg.

Der Anfang vom Ende der deutschen Luftverteidigung kam im Sommer 1943. Am 24. Juli starteten die britischen Bombergeschwader zum mehrtägigen Großangriff auf Hamburg. Störsender und silberne Stanniolstreifen (sogenannte »Düppelstreifen") schalteten die Funkmeßgeräte der Flak und der Nachtjagd aus und machten die deutsche Abwehr blind.

»Düppel«, war eine deutsche Erfindung. General Martini, der Chef des Nachrichtenverbindungswesens der Luftwaffe, hatte den Reichsmarschall Hermann Göring frühzeitig davon unterrichtet. Aber der Reichsmarschall befahl, die Störfolien in den Panzerschrank zu legen und nicht weiter davon zu reden. Er lebte in dem Kinderglauben, daß so auch die Westmächte

vielleicht nicht darauf kommen würden. Er irrte.

Nach der Katastrophe von Hamburg verlangte Kammhuber von Göring und Hitler den Ausbau der Nachtjagd. Aber Hitler wollte Bombenflugzeuge haben, keine Jagdflugzeuge.

Da neues Material nicht beschafft werden konnte, mußten die Probleme der Nachtjagd auf andere Art gelöst werden. Am 15. November 1943 wurde Kammhuber von Göring abgesetzt. Der Reichsmarschall warf ihm vor, er habe an dem Prinzip der gebundenen Nachtjagd, dem »Kammhuber -Riegel«, zu starr festgehalten, statt alle Nachtjäger an den Einflugschwerpunkten des Gegners zu sammeln.

Dieses Argument hatte Göring von dem ersten aus der Nachtjagd kommenden Träger der Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern bezogen, dem jungen Fliegeroffizier Lent, der später als Oberstleutnant fiel. Verteidigt sich Kammhuber heute: »Ich hatte damals nicht die Geräte, um die Nachtjäger geschlossen an den Bomberstrom zu führen. Ich mußte deshalb an der Riegel-Verteidigung festhalten.«

Die jungen Jagdflieger-Helden hatten etwas gegen die Methode des Generals, sie von den Gefechtsständen aus zu führen. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit. Auch im Kampf wird dem Jäger von Elektronengehirnen auf den Jägerleitständen jede Kurve vorgeschrieben. Kammhuber macht sich da heute schon seine Gedanken: »Sollte es einmal zum Krieg kommen, wer wird dann der Held sein? Wem werden wir die Ritterkreuze verleihen? Dem Piloten oder dem Rechengerät?«

Nach seiner Entfernung aus Görings Nachtjagd wurde Kammhuber Oberbefehlshaber

der Luftflotte 5 in Finnland und Norwegen. Vom kalten Norden aus sah er zu, wie die amerikanische Luftmacht in den Kampf über Deutschland eingriff, nun auch am Tage, und wie die deutschen Jager Tag und Nacht einen Kampf kämpften, der immer hoffnungsloser wurde.

Im Februar 1945 erinnerte sich Hitler noch einmal des Josef Kammhuber. Er machte ihn zum »Sonderbeauftragten für Bekämpfung der viermotorigen Feindflugzeuge«. Es war eine hoffnungslose Mission. Zwar stand inzwischen ein schneller Düsenjäger, die Me 262, zur Verfügung, ein Flugzeug, das gute zweihundert Kilometer in der Stunde schneller flog als jede Feindmaschine. Aber der Treibstoff reichte nur noch für Wochen, die Produktionsstätten waren angeschlagen.

Am 29. März 1945 traf General Kammhuber zum letzten Mal mit seinem Obersten Befehlshaber Hitler zusammen. Es

ging um die Frage, ob die Jägerproduktion noch nach Süddeutschland verlegt werden sollte. Kammhuber fand das sinnlos. Er sagte zu Hitler: »Der Krieg ist sowieso verloren.« Der Führer nahm bedächtig seine Brille ab: »Das weiß ich auch, aber ich will bis zum Äußersten kämpfen.«

Soldat Kammhuber gehorchte. Er verlegte nach Süddeutschland, wo er von den Amerikanern gefangengenommen wurde. Die übliche Odyssee durch die Generalslager dauerte bis Weihnachten 1947. Als Vertreter für Frankenweine und Mitarbeiter der kriegsgeschichtlichen Abteilung der amerikanischen Armee verdiente er seinen Lebensunterhalt und einen Lloyd-Kleinwagen.

In der Einsamkeit der ersten Nachkriegsjahre, in denen sich Kammhuber mühsam in einen fremden Wirkungsbereich einarbeiten mußte, heiratete er seine Sekretärin aus der Nachtjägerzeit, Erika Benn,

die sich früher immer hinter die Stabsoffiziere gesteckt hatte, wenn der General zu lange Dienst machen wollte.

Es ist nun keineswegs so, daß der »Schöpfer der Nachtjagd« Favorit gewesen wäre, als es darum ging, für die neue westdeutsche Luftwaffe einen Chef zu finden. Die erste Wahl der Luftwaffenoffiziere, die in Theo Blanks Dienststelle jahrelang Schreibtischpläne verfertigt hatten, war der Jagdflieger-Heros Adolf Galland.

Aber die politischen Widerstände gegen diesen prominenten »Zögling Hitlers«, der allerdings wegen seiner scharfen Kritik an der Luftkriegführung Hitlers und Görings in Ungnade gefallen war, erwiesen sich als zu stark. Theo Blank traute sich nicht recht, Galland im Parlament durchzupauken, obwohl er ihn zweimal empfangen und seine Wiederverwendung mit ihm besprochen hatte.

Kammhuber, der von seinen bäuerlichen Vorfahren nicht nur das Chargen-Gesicht einer bayrischen Bauernbühne, sondern auch ein immer waches Mißtrauen geerbt hat, vermutet trotzdem noch heute, daß Galland im Luftwaffenführungsstab als Kammhuber-Nachfolger angesehen wird. Enge Offiziers-Freundschaften mit Galland im Stab gelten ihm als unerwünscht.

Die Generation der älteren Luftwaffengenerale, zu der auch Kammhuber gehört, hegt nämlich eine heftige Abneigung gegen den erfolgreichen Galland, der in Auftreten und Dienstauffassung als unsoldatisch gilt. Die Kritiker werfen Galland noch heute vor, daß in seinem Stab Schiebereien vorgekommen sind, gegen die er nicht scharf genug durchgegriffen habe, und begründeten damit ihren Widerstand gegen seine Reaktivierung.

Piano-Piecen im Gefechtsstand

Kammhubers Erfahrungen auf dem Gebiet der Luftverteidigung waren ausschlaggebend dafür, daß Theo Blank sich für ihn entschied, nachdem Galland nicht in Frage kam und der frühere Chef des Luftwaffen -Führungsstabes, General Meister, abgesagt hatte.

Theodor Blank mußte bald erkennen, daß er sich da einen höchst unbequemen und schwierigen Mann in sein Haus geholt hatte, der zudem enge Kontakte zu dein Blank-Rivalen Franz-Josef Strauß, einem bayrischen Landsmann, unterhielt.

Noch vor seinem Eintritt in die Bundeswehr hatte Kammhuber gefordert, daß auch die Flak, die damals ein Teil des Heeres war, weil man schwere Flak -Batterien wegen ihrer Wirkungslosigkeit gegen Düsenflugzeuge nicht aufstellen wollte, unter sein Kommando kommen müsse.

Im Krieg war es General Kammhuber wegen interner Luftwaffen-Eifersüchteleien nicht gelungen, auch die Flak in sein Nachtjagd-Luftverteidigungskommando einzubeziehen, obgleich sie zur Luftwaffe gehörte. Die Zusammenarbeit zwischen Jägern und Flak klappte damals nur sehr selten. Es kam immer wieder vor, daß eigene Jagdflugzeuge abgeschossen wurden, was die Jagdflieger zu dem bösen Wort veranlaßte, die Flak kenne, genau wie Wilhelm II., im Kriege keine Parteien. Oder aber die Flak schoß in dem Raum, in dem ein Jäger umherflog, überhaupt nicht. Es gelang nicht, ein reibungslos ineinandergreifendes Luftverteidigungssystem aufzustellen, das zentral vom Boden aus geführt wurde.

Diesmal wollte Kammhuber die Flak von vornherein unter sich haben. Theodor Blank erfüllte ihm diesen Wunsch nicht. Erst im November 1956 unterstellte der neuernannte Minister Strauß, der sich bei seinem Kampf um Blanks Stuhl auf

Landsmann Kammhuber hatte stützen können, die Flak der Luftwaffe. Die Offiziere und Mannschaften der Flak vertauschten die graue Heeresuniform mit dem neu eingeführten Blau der Luftwaffe. Nur die für den Truppenluftschutz vorgesehenen leichten Flakeinheiten sind ein Teil des Heeres geblieben.

Kaum hatte Kammhuber am 6. Juni 1956 sein Amt übernommen, da erklärte er schon dem Bundeskanzler und dem Verteidigungsminister, daß die bis dahin gültige Luftwaffenplanung umgestoßen werden müsse, damit das Schwergewicht auf die Luftverteidigung gelegt werden könne. Die vorgesehene Aufstellungszeit sei auch viel zu kurz, statt - wie der Nato versprochen - 1960 könne die westdeutsche Luftwaffe erst 1962 stehen. Mit derartigen Ansichten beeindruckte Kammhuber auch die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestagsausschusses für Verteidigung.

Nachdem er sich eine breite parlamentarische Rückendeckung verschafft hatte, begann er seine neuen Aufstellungspläne in die Tat umzusetzen: »Ich wollte die Erkenntnisse, die ich während des Krieges und vor dem Kriege gesammelt hatte, nicht in den Kamin schreiben.«

Diese Erkenntnisse beschränken sich nicht auf die Zeit von 1940 bis 1945, als Kammhuber nacheinander Chef der Nachtjagd, Oberbefehlshaber der Luftflotte 5 und Beauftragter für die Bekämpfung viermotoriger Feindflugzeuge war. Davor liegt ein Vierteljahrhundert Kammhuberschen Soldatenlebens; denn schon 1914, bei Ausbruch des ersten Weltkrieges, kam der bayrische Bauernsohn Josef Kammhuber zum Militär. Vor Verdun absolvierte er achtzehn Monate Grabenkrieg. Nach Kriegsende drillte der Leutnant Kammhuber - Beförderung 1917 mit Patent vom 1. September 1915 - in Lindau und Landshut Reichswehrrekruten. 1923 wurde er nach München versetzt.

Am 9. November 1923, als die Nationalsozialisten putschen wollten und an der Münchner Feldherrnhalle zusammengeschossen wurden, stand der Leutnant Kammhuber auf der Seite derjenigen Kompanieführer seines Regiments, die sich weigerten, dem Befehl der Regierung zu gehorchen und gegen Hitlers Kolonnen auszurücken. Erzählt Kammhuber: Durch einen Telephonanruf erfuhren wir, daß

auch General Ludendorff mitmarschierte. Da beschlossen wir, nicht auf Deutsche zu schießen, deren Parole es war, Deutschland vom Versailler Vertrag zu befreien. Für uns war das eine nationale Tat.«

Die Befehlsverweigerung schadete der Karriere nicht. 1926 legte Kammhuber die Wehrkreisprüfung ab, bei der sich entschied, wer aus der Masse der Troupiers einmal das aschgraue Kasernenhofmilieu mit dem Parkett des Generalstabes vertauschen sollte. Mit der Qualifikation »eins« meldete Josef Kammhuber seinen Anspruch auf die roten Streifen an.

Nach drei Jahren Ausbildung als Führergehilfe wurde Kammhuber in die Operationsabteilung des getarnten Generalstabes nach Berlin versetzt. Das wache Interesse des kleinen ehrgeizigen Offiziers für technische Neuerungen fiel der Personalabteilung bald auf: 1929 begann Kammhuber neben seinem Generalstabsdienst das Fliegen zu lernen.

Damals durfte die Reichswehr auf Geheiß der Siegermächte jedoch nur eine Handvoll Soldaten als Flugzeugführer ausbilden. Um diese Bestimmungen zu umgehen, hatte die Reichswehr im Einvernehmen mit der Reichsregierung ein Geheimabkommen mit der Sowjet-Union geschlossen, nach dem deutsche Flugzeugführer in der Sowjet-Union ausgebildet wurden.

Dieses Abkommen verhalf auch Kammhuber in den Sommern 1930 und 1931 zu dienstlichen Auslandsreisen. Unter falschem Namen fuhr der Generalstabszögling Kammhuber nach Lipetzk in Rußland, um sich in die Geheimnisse der Jagdfliegerei einweisen zu lassen. Solche frühen - friedlichen - Rußlanderfahrungen ließen den Hauptmann im Generalstab Kammhuber

in der Operationsabteilung zum Spezialisten für die Luftkriegführung avancieren.

Als Göring nach der Machtübernahme sein Reichsluftfahrtministerium bekommen hatte, wurde Kammhuber im September 1933 Gruppenleiter in der Organisationsabteilung. Er schloß sich eng an den ersten Generalstabschef der Luftwaffe, General Wever, an. Wie Wever befürwortete Kammhuber den Aufbau einer kleinen, weitreichenden strategischen Bomberflotte, die mit dem sogenannten »Uralbomber« ausgerüstet werden sollte. Der Uralbomber blieb ein Wunschtraum.

Die Zusammenarbeit zwischen Wever und Kammhuber dauerte drei Jahre. 1936 stürzte General Wever tödlich ab, weil das Querruder seiner Maschine blockiert war. Kammhuber, inzwischen zum Major befördert, erhielt das obligatorische Truppenkommando und übernahm eine Jagdfliegergruppe in Dortmund.

Seine Leutnants fanden die »Generalstabsallüren« des neuen Vorgesetzten ausgesprochen lästig. Der Kommandeur traktierte sie mit Planspielen und Vorträgen etwa über die Geologie der Eifel, während die jungen Freiwilligen sorglosere Vorstellungen vom Alltag eines Jagdfliegers hatten.

Ein wenig kamen sie aber doch auf ihre Kosten. Die Dortmunder Kasinogemeinschaft mit ihrem unverheirateten Kommandeur Kammhuber an der Spitze zählte damals zu den begehrten Attraktionen fröhlicher Abende an der Ruhr. Klubs und

Familien profitierten vom Schwung der Leutnants ebenso wie von den musischen Talenten des Majors Kammhuber, eines begabten Pianisten, der auch später im Großdeutschen Freiheitskampf immer seinen Steinway-Flügel mit sich führte. Seine Vorliebe für die Kompositionen Bruckners wie auch seine Neigungen zur Theosophie, der mystischen Lehre von Gott und der Welt, die durch visionäre Schau und Offenbarung gewonnen wird, zeugen für seine Gemütsverfassung. Besonderer Gunst erfreuten sich die Dortmunder im Hause Krupp, wo Major Kammhuber Gastgeber und Gäste bei festlichen Anlässen mit seinem Klavierspiel unterhielt.

In der Beurteilung, die dem Major Kammhuber von der Personalabteilung des Luftfahrtministeriums mit auf den Weg zu seinem Truppenkommando gegeben worden war, hatte gestanden: »Er ist für die höchsten Führungsaufgaben geeignet.« Es war also sicher, daß er nicht lange Kommandeur der Dortmunder Jagdgruppe bleiben würde. Schon 1937 wurde er als Abteilungsleiter ins Ministerium zurückgeholt und Anfang 1939 zum Oberst befördert.

Indes, so gut er mit dem Generalstabschef Wever zurechtgekommen war, so wenig verstand er sich mit General Jeschonnek, der - einige Zeit nach Wever - Generalstabschef geworden war. Während der Oberst Kammhuber in die Tiefe rüsten und sich auf einen langen Krieg vorbereiten wollte, war Jeschonnek Verfechter der Blitzkriegtheorie. Er ließ hauptsächlich Vormarschhilfen bauen, Sturzkampf-Flugzeuge und mittlere Bomberverbände. Vom »Uralbomber« wurde nicht mehr gesprochen.

Jeschonnek hielt an seinem Programm auch dann noch fest, als aus dem Blitzkrieg der Abwehrkampf geworden war und es überall an Jagdgeschwadern fehlte. Am 19. August 1943, vier Wochen nachdem Hamburg in Flammen aufgegangen war und zwei Tage nachdem englische Bomber die Raketenforschungsstätte in Peenemünde zerstört hatten, zog der Generalstabschef Jeschonnek die Konsequenz aus seinen Irrtümern: Erderschoß sich mit der Dienstpistole.

Kammhuber hatte sich wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten mit seinen Vorgesetzten schon am 1. Februar 1939 aus dem Ministerium zur Truppe versetzen lassen. Zunächst vertrieb er sich die Zeit auf einer Blindflugschule, zwei Wochen vor Kriegsbeginn wurde er zum Stabschef der Luftflotte 2 ernannt.

Vier Monate nach Kriegsbeginn geschah im Bereich der Luftflotte 2 dann etwas, was Kammhubers Karriere jäh unterbrach. Am 10. Januar 1940 gegen elf Uhr morgens war vom Flugplatz Loddenheide bei Münster in Westfalen der Horstkommandant Maior Hoenmanns zu einem Übungsflug nach Köln gestartet. Er hatte den Fallschirmjäger-Major Reinberger mitgenommen, der an den Plänen für den Luftlande -Einsatz in Belgien und Holland arbeitete und just nach Köln mußte.

Der Weltkriegsflieger Hoenmanns verflog sich infolge schlechten Wetters und legte die Me 108 samt dem Major Reinberger und seinen Feldzugsplänen auf einen belgischen Acker. Reinbergers Papiere konnten nur zum Teil verbrannt werden, der Rest fiel in die Hände des belgischen Abwehrdienstes, der sie dem französischen Generalstab übergab.

Hitler verfügte, der für diesen Leichtsinn verantwortliche Befehlshaber der Luftflotte 2, General Felmy, und sein Stabschef seien sofort abzusetzen. Der Führer brüllte: »Ich will den Kammhuber nicht mehr sehen.« Dem Adolf Hitler war entgangen, daß Kammhuber gar nicht mehr Stabschef war. Er war noch vor der peinlichen Notlandung zum V. Fliegerkorps versetzt worden.

Kammhuber reiste unterdessen dienstlich nach Berlin zu einer Kommandeursbesprechung, die mit einer Feier zu Görings Geburtstag beschlossen werden sollte. Der Oberst kam jedoch nicht dazu, seine Geburtstagsglückwünsche bei Göring anzubringen, denn »der Dicke« putzte ihn wie einen Rekruten herunter: »Halten Sie den Mund, ich lasse Sie erschießen.« Erschossen wurde Kammhuber nicht, aber er mußte seinen Stabsposten verlassen und ging als Kommodore zum Kampfgeschwader 51, dem »Edelweiß-Geschwader«, das zum Teil mit Ju 88, zum Teil mit He 111 ausgerüstet war.

Der Unstern über Kammhubers Weg durch die deutsche Militärfliegerei leuchtete weiter. Kammhubers Rolle als Geschwader-Kommodore war ebenso kurz wie unglücklich. An dem Tag, an dem der Westfeldzug begann - 10. Mai 1940, nachmittags 16 Uhr - erlebte die Stadt Freiburg den ersten größeren Luftangriff des zweiten Weltkrieges. Es gab 57 Tote und 101 Verletzte. Als Göring die Meldung über den Angriff bekam, schimpfte er: »Dieser Feldzug fängt ja gut an. Die Luftwaffe und ich haben sich schwer blamiert. Wie kann man dies vor dem deutschen Volk verantworten?« Göring war über das vermeintliche Versagen der Luftabwehr und des Flugmeldedienstes empört und ordnete eine strenge Untersuchung an.

Obwohl die ersten detaillierten Berichte des zuständigen Luftgaus bereits die Möglichkeit erkennen ließen, daß es keine französischen oder englischen, sondern deutsche Flugzeuge gewesen waren, die Bomben auf Freiburg geworfen hatten, wurde dieser Angriff von der Propagandamaschine des Dritten Reiches sogleich dem Feind in die Schuhe geschoben und später als der Beginn »der planmäßigen Überfälle auf offene Städte und Siedlungen« bezeichnet. Schon am Abend des 10. Mai ließ Goebbels die Drohung verbreiten: »Von jetzt ab wird jeder weitere planmäßige feindliche Bombenangriff auf die deutsche Bevölkerung durch die fünffache Anzahl von deutschen Flugzeugen auf eine englische oder französische Stadt erwidert werden.«

Die Untersuchungen verstärkten schnell den Verdacht, daß eine Kette von drei Maschinen aus Kammhubers Geschwader sich verflogen und versehentlich Freiburg angegriffen hatte. Die III. Gruppe des Geschwaders 51 sollte den Flugplatz von Dijon angreifen. Eine Kette - drei Maschinen vom Typ He 111 - verpaßte aber den Anschluß an den Verband und nahm Kurs auf das befohlene Ausweichziel, den Flugplatz von Dôle-Tavaux. Bei starker Bewölkung verloren die deutschen Kampfflieger die Orientierung und hielten Freiburg für ihren Zielort.

Der deutschen Führung schien es unmöglich, einen derartigen Fehlwurf öffentlich zuzugeben. Es blieb bei der Lesart, feindliche Flugzeuge hätten die Bomben geworfen. Nach dem Kriege hieß es, Göring habe mit Vorsatz eine deutsche Stadt von der Luftwaffe bombardieren fassen und die Tat dann den Alliierten in die Schuhe geschoben, um einen Vorwand für deutsche Luftangriffe auf Frankreich und England zu haben. Der Oberst Kammhuber bemühte sich damals nach Kräften, die Panne zu vertuschen. Er habe sich nur von dem Bestreben leiten lassen, für seine Soldaten einzutreten, an deren Einsatzbereitschaft er täglich appellierte, entschuldigt er das heute.

Bald nach dieser fatalen Fehlleistung,des

Kammhuber-Geschwaders, am 3. Juni 1940, startete Kommodore Kammhuber an der Spitze seines Verbandes in einem zweimotorigen Sturzkampfbomber Ju 88 zu einem Großangriff auf Flugplätze um Paris. Derartige Unternehmen firmierten in jenen siegreichen Blitzkrieg-Tagen im Luftwaffenjargon als »Parteitag«.

Bald nach dem Start merkte der Oberst, daß seine Ju 88 zu langsam flog. An den Instrumenten war der Fehler nicht festzustellen. Kammhuber war kein »Heimkehrer«. Er ließ sein Geschwader vorausfliegen und suchte sich einen kürzeren Anflugweg als den, der für seinen Verband vorgeschrieben war. Noch vor den anderen Maschinen traf er am Ziel ein. Als er sich ins Ziel stürzte, holte die Maschine unheimlich Fahrt auf. Die Sturzflugbremse war defekt. Beim Normalflug stand sie heraus und bremste, beim Sturz verschwand sie in den Tragflächen Kammhuber warf seine Bomben, fing die Maschine mit Mühe ab und wollte nach Hause fliegen.

Beim Rückflug wurde er von zwei englischen Jägern angegriffen. Einen davon schoß Kammhubers Bordschütze ab, der

andere schoß die Ju 88 zusammen. Der Oberst konnte seine Maschine hinter den alliierten Linien mit Mühe und Not auf den Bauch legen. Er geriet in französische Gefangenschaft, aus der er beim zügigen Vormarsch der deutschen Truppen allerdings bald wieder befreit wurde.

Hermann Göring - groß in Gesten - schickte dem Josef Kammhuber als Zeichen der Versöhnung eine Sondermaschine und holte ihn nach Karinhall. Der Kommodore traf dort in Strümpfen ein, weil ihm die Franzosen die Stiefel abgenommen hatten. Sozusagen als Wiedergutmachung erhielt er dann von Göring den Auftrag, den Raum über Deutschland zu schützen.

Der Aufbau eines integrierten Luftverteidigungssystems nach der Art, wie es Kammhuber damals für Großdeutschland vorschwebte, steht jetzt, vor Weihnachten 1957, auf der Tagesordnung der Nato -Konferenz. Die Planungs-Abteilung des Nato-Hauptquartiers hat dafür einen Plan entwickelt, der

- den Ausbau eines weitreichenden Frühwarn-Systems,

- die Einrichtung eines verzahnten Kontroll- und Übermittlungsnetzes,

- die Aufstellung von Raketenbatterien entlang des Eisernen Vorhangs und zum Objektschutz und

- den Aufbau einer schlagkräftigen Allwetter-Jagdwaffe

vorsieht.

Die riesigen Kosten für eine solche »Maginot-Linie der Luftverteidigung« sollen von allen westeuropäischen Nato-Staaten gemeinsam getragen werden. Die geographische Lage der Bundesrepublik würde es - sollte dieser Plan jemals verwirklicht werden - mit sich bringen, daß die Masse der Flak-Raketenbatterien in Westdeutschland aufgestellt würde. Vorerst ist dieser Plan allerdings - vor allem wegen der Kosten - reichlich utopisch.

Wie dem auch sei: General Kammhuber für seinen Teil hat damit begonnen, eine Art »Kammhuber-Riegel« neuer Art zu bauen. Gleich nachdem er 1956 die Führung der westdeutschen Luftwaffe übernahm, hatte er die Fliegerverbände in eine taktische Hälfte und eine Hälfte für die Luftverteidigung geteilt.

Er setzte das Verhältnis zwischen Angriffswaffe und Abwehrwaffe auf 50 zu 50 fest. Er erhöhte die Plan-Zahl der Jagdstaffeln auf Kosten der Jagdbomber-Staffeln. Er beschloß, diese Jäger ausschließlich für die Heimatverteidigung anzusetzen, weil die Jagdbomber voll luftkampftauglich sind und keinen Jagdschutz mehr brauchen.

Die taktische Hälfte der Luftwaffe - etwa zwölf Jagdbomber-Staffeln mit Aufklärer- und Transportstaffeln - wird nach den neuesten Nato-Plänen voll in die Luftflotten der Nato integriert werden.

Aus der anderen Hälfte sollen für die Heimatluftverteidigung zwei Korps aufgestellt werden, eins im Norden und ems im Süden Westdeutschlands, bestehend aus je zwei Luftverteidigungsdivisionen. Was Kammhuber im Kriege nicht schaffte, das wird nun wahr: Diesen Luftverteidigungsdivisionen sollen nicht nur - wie früher

- Jagdgeschwader und Luftnachrichtenregimenter, sondern auch Flak-Brigaden (mit Abwehrraketen) angehören. Für die Führung der Luftverteidigung läßt Kammhuber bereits Befehlsstellen einrichten, die noch von früher wegen ihrer kino-ähnlichen Inneneinrichtung »Kammhuber -Lichtspiele« heißen.

Nachdem Kammhuber alle Jagdflugzeugtypen, die bis zu seinem Amtsantritt für die Bundeswehr vorgesehen waren, kurzerhand von der Liste gestrichen hatte, will er bis Ende dieses Jahres einen Allwetter -Jäger auswählen, der für die Zeit von 1960 bis 1965 den deutschen Luftraum schützen soll. Um den Auftrag für diese rund dreihundert Maschinen im Gesamtwert von einer Milliarde Mark bewirbt sich in erbittertem Konkurrenzkampf die amerikanische, englische, französische und italienische Industrie. Auf den Schränken im Zimmer des Inspekteurs der Luftwaffe drängeln sich die maßstabgetreuen Modelle der angebotenen Flugzeuge.

Dazu gehören unter anderem

- der amerikanische Lockheed F-104 A »Starfighter« - Höchstgeschwindigkeit 2400 Stundenkilometer,

- der amerikanische Grumman F 11 F-1

»Tiger« - Höchstgeschwindigkeit 2150 Stundenkilometer;

- die französische Dassault M.D. 550 »Mirage« III - Höchstgeschwindigkeit 2200 Stundenkilometer;

- die englische Saunders-Roe S. R. 53

P 177 - Höchstgeschwindigkeit 2400 Stundenkilometer.

General Kammhuber hofft, daß seine Luftverteidigungsgeschwader 1960/61 mit einer dieser Maschinen voll ausgestattet sein werden. Dieser Typ soll dann nach drei bis vier Jahren durch einen Jäger ersetzt werden, der seinen Wünschen entspricht. Bis 1960/61 müssen die deutschen Jagdflieger mit der F-86 »Sabre« VI auskommen (Geschwindigkeit 1120 km), von der 225 Stück von Kanada an die Luftwaffe geliefert werden. Sie ist der MIG 17, die noch in den sowjetischen Frontverbänden geflogen wird, durchaus gewachsen. Die Maschinen sollen später als Jagdbomber verwendet werden.

Das ideale Flugzeug, das den Bedingungen des westdeutschen »Raumes« entspricht, hat Kammhuber noch nicht gefunden. Die schnellsten englischen und amerikanischen Jäger brauchen zum Start kilometerlange Betonpisten, die - zumal in »Feindnähe« wie in Westdeutschland - leicht verwundbar sind. Kammhuber verlangt von seinem »Traumflugzeug« Senkrecht-Start und -Landung sowie eine Geschwindigkeit von Mach zwei bis drei*. Dieses Flugzeug gibt es erst auf dem Reißbrett.

Hoffnung auf die Anti-Rakete

Es fehlt nicht an Stimmen, die meinen, der General Kammhuber habe mit seinen Luftverteidigungsplänen die Zeichen der Zeit, die von den Sputniks an den Himmel gemalt werden, nicht recht erkannt.

Der Einsatz von Jagdflugzeugen mit Überschallgeschwindigkeit gegen fast gleich schnelle Bomber werde im kleinen europäischen Luftraum die Jäger-Führung vor kaum lösbare Schwierigkeiten stellen. Der Fahrtüberschuß des Jägers gegenüber dem Bomber ist tatsächlich auf einen mageren Rest zusammengeschrumpft.

Die Abwehr der kontinentalen und interkontinentalen Waffen erscheint bis jetzt nur mit derart futuristischen Mitteln wie einer Anti-Rakete möglich, die in der Flugbahn der Feindrakete einen Atom -Sprengsatz zündet und das Geschoß des Gegners so zum Schmelzen bringt.

Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Röttiger, sähe gern, daß die Luftwaffe sich mehr darauf konzentrieren würde, dem Heer der Bundeswehr zu helfen. Er sagte kürzlich in einem vertraulichen Vortrag: »Der Schwerpunkt der Bundeswehr liegt im taktischen, nicht im strategischen Bereich. Wir stellen taktische Streitkräfte auf, die eine begrenzte Aufgabe haben. Dies bedingt ein Übergewicht der Erdstreitkräfte. Wenn kleine Raketen als Ersatz für die Artillerie und die Jagdbomber zur beherrschenden Waffe werden, dann müssen Heer und Luftwaffe enger zusammenrücken, ja vielleicht verschmelzen. Hier liegt die Problematik unserer neuen Luftwaffe.«

Die Luftwaffenführung der Nato wiederum - vor allem auch der aus der Luftwaffe kommende Nato-Oberbefehlshaber General Norstad - meint, die Luftverteidigung müsse offensiver werden. Die feindlichen Flugzeuge und Raketen sollen nicht erst über Westdeutschland, sondern schon

auf ihren Startplätzen und Abschußbasen angegriffen werden.

Kammhubers Vorgänger im Amt des Bonner Luftwaffeninspekteurs, Brigadegeneral Panitzki, der jetzt als Chef des Stabes beim Generalinspekteur Heusinger sitzt, hatte deshalb schon vor Jahren vorgeschlagen, die Jagdbomber-Verbände wieder zu verstärken, die nach seiner Ansicht, wenn sie mit kleinen Atombomben ausgerüstet würden, mehr für die Luftverteidigung erreichen könnten als Abfang-Versuche mit Jägern und Flak-Raketen à la Kammhuber.

Im Atlantischen Hauptquartier gibt es unter der Bezeichnung »counter air« bereits einen Plan für eine solche offensive Verteidigung. Auch die Stationierung von Boden-Raketen mittlerer Reichweite (bis 3000 Kilometer) in den Nato-Staaten wird vom Atlantischen Hauptquartier unter dem Blickwinkel des »counter air« gesehen. Je größer die Bedrohung des Westens nicht nur durch sowjetische Bomber, sondern auch durch sowjetische Raketen wird, desto notwendiger erscheint es den Nato-Generalen, in Europa Waffen verfügbar zu haben, die auch dem Gegenschlag dienen, gewissermaßen die alten, seinerzeit von Kammhuber geforderten »Uralbomber« in zeitgemäßer Form. Ob die amerikanischen Militärs ihre Abschußbasen aber ostwärts des Rheins auf dem schmalen Vorfeld namens Buhdesrepublik stationieren werden, ist noch ungewiß.

Dabei würde der Bundeswehr-Führungsstab solche Basen nicht ungern, in Westdeutschland sehen: Da derartige Abschußbasen gegen den Zugriff des Gegners verteidigt werden müssen, würden die Amerikaner an die Strategie der Vorwärts-Verteidigung gebunden und müßten alle Gedanken an einen hinhaltenden Widerstand in der Bundesrepublik aufgeben. Die deutschen Generalstäbler übersehen nicht, daß solche Abschußbasen interessante Angriffsziele für die Sowjets sind. Aber: »Solche Ziele gibt es in der Bundesrepublik ohnehin genug.«

Die vorsichtigen Amerikaner scheuen sich bislang noch, ihre Verbündeten in die Geheimnisse der Atomköpfe für die Raketen einzuweihen. Sie befürchten, daß die technischen Daten und Bedienungsanweisungen dann in kurzer Zeit bei den Sowjets landen werden. Die europäischen Regierungen aber wollen nicht, daß die Amerikaner allein über den Einsatz der in Europa stationierten Atomköpfe entscheiden, sondern möchten dabei ein Wort mitzureden haben.

Zur Überwindung dieses Dilemmas hat Nato-Generalsekretär Spaak für die Pariser Nato-Konferenz einen originellen Plan ausgeklügelt. Er hat vorgeschlagen, daß unter dem Befehl des amerikanischen Nato-Oberbefehlshabers Norstad eine Art Heerestruppe der Nato aufgestellt wird. Dieser Raketen-Einheit sollen nicht nur amerikanische, sondern auch europäische Soldaten angehören. Auf diese Weise wäre sichergestellt, daß nur eine beschränkte Zahl nicht-amerikanischer Soldaten mit den Raketen in Berührung kommt, daß aber die europäischen Regierungen über den Nato-Oberbefehlshaber theoretisch einen Einfluß auf den Einsatz dieser Waffen ausüben könnten.

General Kammhubers Bemühungen um die Eigenständigkeit seiner Luftwaffe, deren Waffenstolz er kürzlich vermittels neuer, einreihiger Uniformen mit den alten gelben Spiegeln zu stärken suchte, werden durch die neuen Fernraketen, die ihm unterstehen, kräftig gefördert. Er sagte: »Mit den Raketen wird die Luftwaffe ihre operative Bewegungsfreiheit zurückgewinnen.«

* Mach 1 = Schallgeschwindigkeit. Da die Schallgeschwindigkeit von der Lufttemperatur abhängig ist, entspricht eine Geschwindigkeit von Mach 1 bei +15° Celsius = 1220 km/h, bei -24° ist Mach 1 = 1130 km/h. Von Mach 0,8 an wächst der Luftwiderstand sehr schnell an, es entsteht dann die sogenannte »Schallmauer«.

Luftwaffeninspekteur Kammhuber: Wie breit ist Deutschland?

Bundeswehr-Fernlenkwaffe Matador

Nur mit Atomkopf rentabel

Bundeswehr-Flakrakete Nike-Hercules: Jeder Schuß 500 000 Mark

Kammhubers Stabschef Steinhoff

Erste Nachtjagdversuche bei Göring

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... zerbrach: Zerbombtes Hamburg

Göring, Stabschef Jeschonnek: »Kammhuber wird erschossen!«

Nachtjäger-As Lent*: »Kammhubers Taktik ist falsch«

Knabe Kammhuber

Musisch von Jugend an

»Kammhuber-Lichtspiele« 1944*. Kopie nach dreizehn Jahren

Vorwärts-Verteidiger Panitzki

Bomben aufs Hinterland

Strauß und Kammhuber: Hercules und Matador mit Atom-Köpfen?

* Im Leitwerk der Lentschen Maschine ist ein englischer Fliegerhandschuh verklemmt. Lent hatte einen viermotorigen britischen Bomber mit Bordwaffen angegriffen. Der Bomber explodierte. Dabei flog der Handschuh ins Leitwerk.

* Luftnachrichtenhelferinnen projizieren in einer Befehlsstelle durch Radar ermittelte Flugzeugpositionen auf eine überdimensionale Luftlagekarte.