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»Für Schweine ungeeignet«

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  • ️Sun Sep 02 1973

In seinem Buch »The Indian Wars of the West« vergleicht Paul Wellman das Massaker an den Roten mit dem Völkermord der Nazis. 1890 hatten es die Weißen fast geschafft. Nur noch 250 000 von ursprünglich einer Million Indianer waren übriggeblieben, und ihr Boden war wohlfeil.

Für drei Millionen Acres fruchtbarsten Ackerlandes im Ohio-Tal bezahlten die Weißen beispielsweise nicht einmal ein Drittel Cent pro Acre. Aber die Regel war, daß sie überhaupt nicht zahlten. Und daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Lediglich die Methoden sind subtiler geworden.

Mitte Juni veröffentlichte die Federal Trade Commission (FTC) einen Untersuchungsbericht über die Kredit- und Handelsgewohnheiten der Handelsposten im Navajo-Reservat, dem größten Indianer-Reservat der USA. Nach diesem Bericht müssen die 135 000 Navajos für alle Waren 27 Prozent höhere Preise zahlen als die Durchschnitts-Amerikaner. Die 116 Trading Posts machen einen Umsatz von 20 Millionen Dollar im Jahr -- meist aus Kreditgeschäften mit den Navajos. Die Zinsen für diese Krämerei liegen für die Indianer bei 60 Prozent pro Jahr -- »und höher« stellt die ETC fest.

In vielen Orten sind die Händler gleichzeitig Leiter der Poststelle -- und öffnen in dieser Eigenschaft die Wohlfahrtsschecks vom BIA. Sie lassen die Schecks von ihren oft analphabetischen Kunden unterschreiben, ohne ihnen überhaupt zu sagen, wieviel Geld überwiesen wurde. Weigert sich ein Indianer, dies zu tun, kündigt der Handelsposten jeden weiteren Kredit.

Es gibt noch schlimmere Ausbeutung, etwa durch Alkohol, dessen Ausschank in den Reservaten verboten ist. Die Stadt Gallup nahe der Navajo-Reservation hat in José Garcia einen Bürgermeister, der gleichzeitig Vorsitzender der »Vereinigung zum Schutz der Indianer vor Alkohol« ist -- und Besitzer mehrerer Kneipen im Städtchen, die ausschließlich vom Ausschank an Indianer leben. Gallup, das zu 80 Prozent vom Handel mit den Indianern und dem Alkoholausschank an sie existiert, hat 39 Kneipen, obschon das gültige Gesetz nach der Einwohnerzahl nur 7 erlaubt.

Ansonsten aber werden Indianer erfolgreich trockengelegt. Ohnmächtig mußten etwa die Apachen und die Pima-Maricopas im San-Carlos-Reservat von Arizona zusehen, wie die Weißen auf Reservat-nahem Land das Wasser des Gila-Flusses abgruben, das den Indianern vertraglich garantiert ist, »so lange die Sonne scheint«. Die kalifornischen La-Jolla-Indianer wurden nach einem Plan der Bundes-Energiebehörde ihres Wassers an der San-Luis-Rey-Scheide beraubt. Ihre Felder trockneten aus.

Der Raubbau indianischer Bodenschätze hat mittlerweile die »Dimension eines massiven Angriffs« der weißen Konzerne auf die Reservate erreicht ("The New York Times"). Und die Methoden dabei unterscheiden sich kaum von jenen zur Zeit der Indianerkriege:

Zunächst worden Geschenke gemacht, man nimmt die gutgläubigen Indianer für sich ein, überzeugt sie davon. daß der Stamm die Mittel zum Abbau von Kohle oder Erz ohnehin nicht hat und daß geringe, aber regelmäßige Pachtzahlungen das Budget des Stammes erheblich aufbessern würden.

So geschehen, als die Peabody Coal Company das große Kohlevorkommen auf dem »Black Mesa«-Bergrücken im Hopi-Reservat (Arizona) an sich brachte. Die wenigsten Hopis wußten überhaupt davon, daß der Stammesrat die Black Mesa, dem Volk als Göttin heilig, zur Ausbeutung verpachten wollte. Bis heute ist ihnen unklar, wieviel die Gesellschaft für ihre Schürfrechte zahlt und was der Stammesrat mit den Geldern macht.

Erleichtert wird die Taktik der Weißen dadurch, daß die Mehrheit der Reservats-Indianer die Stammesrats-Verfassung ablehnt. Jede Rats-Entscheidung kann durch Veto des BIA aufgehoben werden. Überdies halten nicht gerade die fähigsten. sondern oft die korruptesten Indianer Posten in der Stammes-Hierarchie. Sie werden von den AIM-Leuten »Appies« genannt -- Äpfel, die außen rot, innen aber weiß sind.

Besonders nützlich sind der Regierung die »Apples« von der »National Tribal Chairmen's Association« (NTCA), dem Nationalbund der Stam-

* Auf den Stufen des BIA-Hauptquartiers in Washington. 1972.

mesvorsitzenden. Durch regelmäßige Morgengaben (1971 zum Beispiel 50 000 Dollar für die Finanzierung ihres Jahreskonvents) und großzügige Stellendotierung für Sekretäre der Stammesführer hat sich die Regierung die NTCA hörig gemacht.

Richard Wilson etwa, Stammesrats-Vorsitzender der Ogiala-Sioux in Süd-Dakota, gegen den AIM-Leute schon zwei vergebliche Amtsenthebungsverfahren wegen Unterschlagung eingeleitet haben, hält sich nur mit Hilfe einer Privatmiliz an der Macht, die im Stamm für »Zucht und Ordnung« sorgt.

Die »Apples« wiederum konnten nur dank einer offiziellen Indianer-Politik gedeihen, die erst Richard Nixon ändern wollte. Im Juli 1970 bekannte er sich in einer Botschaft an den Kongreß als erster Präsident der USA zu einer Art Kollektivschuld der Weißen gegenüber den Roten und kündigte die Vorlage von sieben Gesetzen an, die den Indianern Schutz vor weiterer Ausbeutung, Selbstbestimmung in ihren Reservaten und Überprüfung der Verträge bringen sollten.

Nixon erhöhte auch das Budget des BIA von 243 Millionen Dollar 1968 auf 533 Millionen Dollar für 1973 und stockte die Gesamtausgaben für die Indianer sogar von 455 Millionen Dollar auf 925 Millionen Dollar auf.

Goodwill-Demonstrationen sollten den neuen Start der Indianerpolitik glaubwürdig machen. So mußte die staatliche Forstverwaltung auf Befehl von Nixon 20 000 Acres Waldland zurückgeben, die den Yakimas im Staate Washington »versehentlich« vor 65 Jahren weggenommen worden waren.

Auch die Gerichte nahmen sich der Indianer an, etwa eines Papago, der auf Arbeitslosenunterstützung geklagt hatte, obschon er nicht in einem Reservat wohnt. Ein Berufungs-Gericht verurteilte das BIA zur Zahlung. Wird dieses Urteil durch das Oberste Bundesgericht bestätigt, muß das BIA in Zukunft nicht nur an die anerkannten Stammes-Indianer in den Reservaten, sondern an alle zahlen.

Prominente Amerikaner setzten sich für die Indianer ein. Marion Brando lehnte den Oscar für seine schauspielerische Leistung als »Pate« aus Protest gegen die Behandlung der Indianer ab, Jane Fonda marschierte in Demonstrationszügen mit.

»Meine Zeit ist mir zu schade.«

Dennoch geriet Nixons neue Politik ins Zwielicht. Die Gesetze blieben ml Kongreß liegen, nach den Wahlen pfiff der Präsident seine Reformer zurück: Jetzt brauchte er die Stimmen der Roten nicht mehr, wohl aber, für den Kampf gegen die Inflation, das Wohlwollen jener Industrieller, die nach den Bodenschätzen der Indianer gieren.

BIA-Chef Louis R. Bruce, der sich mit jungen progressiven Indianer-Technokraten umgeben hatte und das BIA zu einer wirklichen Hilfsorganisation für Indianer machen wollte, wurde gefeuert und durch den farblosen Marwin L. Franklin ersetzt.

Typisch für die neuerdings wieder härtere Linie ist Richard Hellstem, stellvertretender Abteilungsleiter im Justizministerium und vom Weißen Haus wochenlang als Unterhändler zu den Besatzern nach Wounded Knee delegiert. Hellstem zum SPIEGEL: »Ich bin nicht bereit, 30 Minuten mit denen rumzupalavern, nur damit fünf Minuten Fortschritte gemacht werden. Dazu ist mir meine Zeit zu schade.«

Nicht nur Hellstem hat keine Zeit für die Indianer. Auch das Big Business hat keine, es will schnell an die Kohlen. Die Aktivisten von AIM wiederum kündigten weitere »Wounded Knees« an. In den kommenden Monaten wollen sie Ähnliches in den Bundesstaaten Oklahoma, Utah, Arizona und New Mexico unternehmen.

Ob der Kreuzzug von Vernon Bellecourt und seinem American Indian Movement schließlich zum Erfolg führen wird, ist freilich noch nicht abzusehen. John Well-off-Man, ein Winnebago aus Nebraska, ist jedenfalls skeptisch. Auf die Frage, ob er mit wirkungsvoller Hilfe für die Indianer rechne, antwortete er erst eine Weile gar nicht. Dann fing er an, ein eigentümlich melancholisches Lied zu singen. Dann übersetzte er: »Nichts lebt lange, nur die Erde und die Berge.«

Es war das Todeslied der Cheyennes. Häuptling White Antelope sang es, als er und sein Stamm 1864 von der US-Kavallerie am Sand Creek niedergemetzelt wurden.