»Das ist nicht meine Unterschrift«
- ️@derspiegel
- ️Sun Jul 23 1972
Neugierig umdrängten christdemokratische Ostfriesen ihren Bundestagsabgeordneten Diedrich Schröder. Auf einer Kreisversammlung in Aurich wollten sie von dem Wilhelminenhof-Bauern wissen, ob denn Schiller wirklich in die CDU eintrete. Schröder zog die Stirn kraus: »Ich weiß davon nichts, ich hoffe aber, daß dieser Kelch an uns vorübergeht.
Des Ostfriesen Hoffnung kann trügen. Der Kelch ist noch nicht vorbei.
Karl Schiller, egomaner Ex-Wirtschafts- und Finanzminister des sozialliberalen Kabinetts, der seinen Genossen längst zum Kreuz wurde, schickt sich an, auch die Christdemokraten das Leiden zu lehren. Während seines Besinnungsurlaubs in der Casa Capello des Tessiner Fleckens Aranno geht der Schwierige mit sich und Frau Etta zu Rate. wie seine politische Zukunft aussehen soll.
Dem SPIEGEL gegenüber schloß er Ende letzter Woche nicht mehr aus, daß seine Wahl auf die Christlich- Demokratische Union fallen wird. Der Termin für den nächsten Eklat ist schon fixiert. Schiller: »Noch im August, ganz sicher vor der Wahl, fällt meine Entscheidung.«
Die leidgeprüften Sozialdemokraten fügen sich notgedrungen in ihr Schicksal. Zwar müssen sie damit rechnen, daß Plisch Schiller Arm in Arm mit dem alten Plum Strauß der Union Stimmen bringen kann. Aber sie können sich mit der Gewißheit trösten, daß auch die Union die Eskapaden des Solisten Schiller ebensowenig verkraften kann wie die Sozialdemokratie.
Ihnen erscheint es gar vorteilhafter, sich gegen einen -- durch sein Überlaufen lädierten -- CDU-Oppositionellen als gegen den Genossen Karl Schiller wehren zu müssen, der von der Union als Kronzeuge gegen die eigene Partei benutzt wird.
Welchen Wert der Sozialdemokrat Schiller für die Opposition hat, bewies er seit seinem Rücktritt Tag für Tag. Obwohl er sich vor Antritt seines Urlaubs bei SPD-Präside Heinz Kühn mit der beruhigenden Floskel verabschiedet hatte, »wenn Schiller aus dem Urlaub zurück ist, meldet er sich wieder«, ließen Interviews und Stellungnahmen aus dem Tessin den Fernen in Bonn nicht vergessen.
In schlechteste Erinnerung brachte ihn die Oppositions-Illustrierte »Quick«. die -- mit Vorabdruck in den Springer-Blättern »Bild« und »Welt« -- den Wortlaut jenes für die SPD peinlichen Schiller-Briefes an Kanzler Brandt veröffentlichte, mit dem der Ex-Minister gekündigt hatte: »Ich bin nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto: »Nach uns die Sintflut.«
Der Quick.-Schlag der letzten Woche bescherte Bonn ein neues Mysterium. Denn obwohl es nur ein Original und zwei Kopien des Papiers gegeben hat und obwohl Absender und Empfänger beteuern, ihre Exemplare streng unter Verschluß gehalten zu haben, konnte spätestens Mitte letzter Woche ein Millionenpublikum den streng vertraulichen Text mitlesen.
Noch beim frostigen Abschied Schillers am 6. Juli im Palais Schaumburg hatten sich der Kanzler und sein Ex-Minister zu absolutem Stillschweigen verpflichtet; Brandt selber gab das Dokument weder in die Aktenablage, noch ließ er -- wie sonst üblich -- Photokopien von dem Brief abziehen. Selbst dem FDP-Vizekanzler Walter Scheel sowie dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner will er das Schreiben nur zur kurzen Lektüre überlassen, aber nicht mitgegeben haben,
Brandt persönlich nahm es mit der Diskretion derart genau, daß er die Schiller-Epistel sicherheitshalber in seinen Urlaubskoffer steckte. Der Kanzler letzte Woche in seinem Feriendomizil beim norwegischen Hamar: »Die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen über die Quelle der Veröffentlichung kann jeder selbst ziehen.«
Der so verdächtigte Schiller will nicht minder penibel vorgegangen sein. Von seinem Kündigungsschreiben ließ er Ministersekretärin Bürger nur einen Durchschlag und den Leiter des Ministerbüros, Ministerialdirigent Dieter von Würzen, eigenhändig ebenfalls nur eine Photokopie anfertigen. Die Photokopie zeigte er zum Abschied Bundespräsident Gustav Heinemann und nahm sie dann im Koffer mit ins Tessin. Verdächtigungen, Ehefrau Etta habe hinter seinem Rücken »Quick« bedient, weist Haushaltsvorstand Karl resolut zurück: »Es ist ganz klar, sie hat es nicht gemacht. Sie weiß nicht, wo ich mein Exemplar habe.«
Das zweite Durchschlags-Exemplar hatte der Ex-Minister weniger unter Kontrolle; von Würzen deponierte es in einem dem Schiller-Nachlaß reservierten Panzerschrank im Wirtschaftsministerium, lieh es aber auf Schillers Anweisung drei Tage vor dem Minister-Rücktritt für einige Stunden an den Sprecher des Wirtschaftsministeriums, den Schiller-Vertrauten Dieter Vogel, aus. Der sollte es als Vorlage für den Entwurf eines Schiller-Briefes an die SPD-Fraktion benutzen, der freilich nie geschrieben wurde.
Schiller neigt denn auch mehr dazu, einen bewährten »Quick«-Helfer, den großen Unbekannten, zu verdächtigen und einen alten Feind zu höhnen. »Ich würde dem Kanzler zugute halten, daß er nicht daran beteiligt ist. Wenn ich eine Reiseschreibmaschine mit im Tessin hätte, dann würde ich dem Kanzleramtsminister dienstlich schreiben: »Ich rate Ihnen sehr, nochmals Recherchen anzustellen à la Bahr-Papier.«
Nachforschungen ergaben bislang zweifelsfrei, daß der in der »Quick« als »Dokument« gepriesene Schiller-Brief dem Inhalt nach zwar korrekt ist, in der Form aber nicht dem Original entspricht. So ist Ort- und Datumszeile in den Geschäftsbogen des Ministeriums vorgedruckt ("53 Bonn, den"), im Illustriertenbrief jedoch mitgetippt. Zudem sind die Schrifttypen nicht identisch mit denen der Ministermaschine.
Vor allem aber: Schillers »Quick«-Unterschrift ist nicht identisch mit seinem Original-Namenszug. Denn das »Quick«-Signum weist ein für den Ex-Minister untypisch zittriges »c« auf, und der Schriftzug ist hinter dem » unterbrochen. Der Urlauber identifizierte das Fabrikat anhand seiner Kopie: »Das ist nicht die Unterschrift, die ich an jenem Sonntag geleistet habe.«
Kanzler Willy Brandt interessieren die Unschuldsbeteuerungen und Ermittlungs-Erkenntnisse des Amateurdetektivs nicht mehr, den er inzwischen für die SPD und den Wahlkampf abgeschrieben hat. »Voll kalter Wut« (ein Kanzlerberater) gab er letzte Woche von Hamar aus Anweisung, die Suche nach einer lukrativen Auffangstellung -- etwa als Nachfolger des Währungsfonds-Generalsekretärs Pierre-Paul Schweitzer in Washington -- sofort einzustellen.
Karl Schiller hat die Hilfe seiner alten Freunde wahrscheinlich auch gar nicht mehr nötig. Nach Informationen aus der Finanzwelt soll der international renommierte Währungsexperte schon vor Absendung seines Kündigungsschreibens das Angebot erhalten haben. als Berater in ein westdeutsches Bankhaus einzutreten. Einzige Bedingung für den hochdotierten Job: Vor den Bundestagswahlen zur DDU zu konvertieren. Schiller dazu: »Kein Angebot, keine Kontakte.«