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Frau Deutschland

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  • ️Sun Nov 26 1967

Das Ladenmädchen stand auf einer Leiter und ordnete Akten. Der Chef trat ein, außerdem »ein Herr von gewissem Alter mit einem komischen Bart«.

Die Verkäuferin: »Ich schiele zu ihnen herüber ... und merke, daß der Mann auf meine Beine schaut. Ich hatte gerade an dem Tag meinen Rock kürzer gemacht und fühlte mich nicht ganz wohl ...

Sie stieg herunter und wurde vorgestellt: »Herr Wolf -- unser braves, kleines Fräulein Eva.« Man holte Bier und Leberkäs.

Die Brotzeit fand im Oktober 1929 in München statt. Das Ladenmädchen hieß Eva Anna Paula Braun; ihr Chef war der Kunstphotograph Heinrich Hoffmann; der Herr mit dem komischen Bart, der sich Wolf nannte, war Adolf Hitler.

Die erste Begegnung zwischen Adolf und Eva schildert der amerikanische Schriftsteller Nerin E. Gun in dem jetzt erschienenen Buch »Eva Braun -- Hitler"*. Der ehemalige KZ-Häftling Gun, der über seine Zeit in Dachau das Buch »Die Stunde der Amerikaner« und über den Kennedy-Mord den Report »Die roten Rosen von Dallas« veröffentlicht hat, schreibt zu den Recherchen über das geheimste Verhältnis des Dritten Reiches: »Ich bin stolz darauf, daß es mir gelungen ist«, die Familie Braun »zu überreden, ihren Familienstolz der Geschichte zu opfern«.

* Nerin E. Gun: »Eva Braun -- Hitler«. blick + bild Verlag, Velbert; 210 Seiten; 80 Bilderseiten; 24,80 Mark.

Gun gelang es auch, die Brauns zu bewegen, bisher nicht bekannte Bilder aus Evas Photo-Album freizugeben (siehe Seite 106).

Für den Wolf im Braunhemd, 40, war die Eva mit Blondschopf, 17, »meine schönste Nixe«. Und die Tochter eines Münchner Gewerbelehrers« die gern in Hosenrollen auf der Laienbühne posierte, zeigte sich beglückt, wenn ihr Hitler gelbe Orchideen schenkte, Sie »stopfte ... ihren Büstenhalter mit Taschentüchern aus, um ihrer Brust die fehlenden Rundungen zu verleihen, auf die Hitler so versessen schien« -- so erzählte Hoffmanns Tochter Henriette.

Der Führer der Bewegung führte die bewegte Ex-Klosterschülerin ins Café Kino und Theater -- und auch Gun konnte nicht ermitteln, ob damals schon Eva Braun Hitlers Geliebte wurde. »Nach außen hin«, schrieb er, glichen die Beziehungen »denen von Vater und Tochter«.

Ein Verhältnis hatte Hitler mit seiner Nichte Angela ("Geli") Raubal, die 1931 Selbstmord verübte. Erst dann durfte Eva Braun in Hitlers Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz verkehren. 1938 sinnierte Eva, wenn jemand »die Geschichte dieses Sofas kennen würde ...«

Zu diesem Zeitpunkt erinnerte nur noch eine Narbe, daß auch Eva Braun sich Hitlers wegen das Leben hatte nehmen wollen. Am 1. November 1932, dem »Allerheiligen«-Fest« schoß sich die Katholikin mit einer 6,35er Pistole ihres Vaters in den Hals. Sie fühlte sich von dem auf Wahlreisen umherhetzenden Massenredner vernachlässigt. Hitler: »So etwas darf nicht noch einmal vorkommen.

Es kam noch einmal vor: Am 28. Mai 1935 schrieb Eva Braun in ihr Tagebuch: »Lieber Gott hilf mir, daß ich ihn heute noch sprechen kann, morgen ist es zu spät. Ich habe mich für 35 Stück entschlossen, es soll diesmal wirklich eine »totsichere« Angelegenheit werden.« Evas Schwester Ilse, eine medizinisch-technische Assistentin, rettete sie vor dem Tabletten-Tod.

Von da an -- so ermittelte Gun -- »verging kaum eine Nacht, in der Hitler nicht versuchte, seine Geliebte anzurufen oder ihr eine Botschaft zukommen zu lassen«. Eva Braun lebte in einer Villa in der Wasserburgerstraße 12 (heute Delpstraße) in Münchens vornehmem Stadtteil Bogenhausen -- ein Geschenk Hitlers (30 000 Reichsmark). Sie brauchte nicht mehr bei Hitlers Leibphotographen Hoffmann zu arbeiten; jedoch wurde sie auf dessen Lohnliste bis zum Kriegsende mit monatlich 450 Reichsmark geführt. Wenn Hitlers »Tschapperl« einmal ein gutes Photo geschossen hatte, sagte der NS-Chef mitunter zu Hoffmann: »Das ist ausgezeichnet, es ist seine 20 000 Mark wert«.

Gleichwohl war Eva Braun häufig knapp bei Kasse; Hitler zeigte sich als knauserig-korrekter Galan. Und an Heirat dachte er nicht.

»Ich bin verheiratet, meine Frau ist Deutschland«, pflegte er zu verkünden. Seinem Adjutanten jedoch flüsterte er einmal zu: »Es hat auch Vorteile. Und für die Liebe halte ich mir eben in München ein Mädchen.«

Als Propagandaminister Goebbels erklärte, daß der Führer »sich voll und ganz der Nation widmet und kein Privatleben hat ...« resignierte Eva: »Ich bin kein Privatleben.«

In Hitlers Refugium auf dem Obersalzberg aber wurde Eva Braun, die in Berlin an keinem offiziellen Empfang teilnehmen durfte und sich, wenn Besuch kam, verstecken mußte, die »Chefin« genannt.

Sie schminkte sich mit Lippenstiften aus Paris -- obwohl Rohköstler Hitler räsonierte, daß diese »aus dem Fett von Küchenabfällen« hergestellt würden; und sie rauchte -- obwohl Nichtraucher Hitler schwadronierte: »Bevor ich mich ins Privatleben zurückziehe« werde ich anordnen, daß jede Schachtel Zigaretten, die in Europa verkauft wird, die Aufschrift trägt: Gefahr, Tabakrauch ist tödlich, Krebsgefahr.«

Dazu kam es nicht mehr. Im Februar 1945 schlug sich Eva Braun entgegen Hitlers ausdrücklichem Befehl von Berchtesgaden nach Berlin durch. Der gerührte Diktator: »Ich bin stolz auf Fräulein Braun.« Und am 28. April diktierte Hitler seiner Sekretärin Traudl Junge: »Da ich in den Jahren des Kampfes glaubte, es nicht verantworten zu können, eine Ehe zu gründen, habe ich mich nunmehr vor Beendigung dieser irdischen Laufbahn entschlossen, jenes Mädchen zur Frau zu nehmen, das nach langen Jahren treuer Freundschaft aus freiem Willen in die schon fast belagerte Stadt hereinkam, um ihr Schicksal mit dem meinen zu teilen.«

Die Hochzeitsnacht verbrachten Herr und Frau Hitler vom 28. zum 29. April 1945 in Evas Kabine im Führerbunker; russische Artillerie hämmerte auf die meterdicken Decken. Am Nachmittag des 30. April, um 15.28 Uhr, zerbiß Eva die Zyankalikapsel« Adolf erschoß sich.

Hitlers erste Ehefrau, sein Deutschland, war ebenfalls dahin.