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Psychotherapeuten klagen über Ausbeutung

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  • ️Tue Oct 02 2012

Honorarstreit mit Ärzten Psychotherapeuten klagen über Ausbeutung

Die Ärzte bekommen einen neuen Gegner im Honorarstreit. Nach den Krankenkassen gehen nun auch die Psychotherapeuten auf Konfliktkurs. Sie fühlen sich von den Medizinern abgezockt. Eine Therapeutin legt gegenüber SPIEGEL ONLINE ihren Verdienst offen.

02.10.2012, 14.50 Uhr

Psychotherapeutin Peper: Widerspruch gegen jede Honorarabrechnung

Psychotherapeutin Peper: Widerspruch gegen jede Honorarabrechnung

Foto: SPIEGEL ONLINE

Hamburg - Der Protest ist für Heike Peper schon zum Ritual geworden. Alle drei Monate legt sie Widerspruch gegen ihre Honorarabrechnung ein. "Das machen inzwischen fast alle Psychotherapeuten so", sagt Peper. "Unsere Berufsverbände raten dringend dazu." Der Protest richtet sich gegen die Kassenärztlichen Vereinigungen. Sie verteilen das Geld der Krankenkassen - und werden von Ärzten dominiert.

Pro Jahr kommen mittlerweile bis zu 80.000 Widersprüche von Psychotherapeuten zusammen. Immer wieder haben sie vor Gericht gesiegt: Die Kassenärztlichen Vereinigungen mussten Hunderte Millionen Euro nachzahlen. Doch die Prozesse ziehen sich häufig über Jahre.

Der ritualisierte Streit vor Gericht zeigt, wie schlecht es um das Verhältnis von Psychotherapeuten und Ärzten steht. Mitten im Honorarstreit mit den Kassen blasen die Therapeuten nun zum Angriff. Sie fühlen sich von den Medizinern abgezockt und fordern von allem mehr: mehr Respekt, mehr Eigenständigkeit, aber vor allem mehr Geld.

Psychotherapeuten, also studierte Psychologen mit therapeutischer Zusatzausbildung, genießen seit nun mehr 13 Jahren Facharztstatus. Der Gesetzgeber wollte das bis dahin herrschende Chaos bei der Behandlung psychischer Erkrankungen beheben und integrierte die Therapeuten in das System der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Ärzte waren davon wenig begeistert. Immerhin mussten sie die Kassenhonorare nun mit Leuten teilen, deren Arbeit sich auf Seelenklempnerei und Kaffeetrinken beschränkt. So zumindest das Vorurteil vieler Ärzte.

Weil die Therapeuten keine Medikamente verschreiben dürfen und bei der Diagnose auf Gespräche statt auf hochkomplexe Geräte setzen, werden sie von den Ärzten nicht ganz ernstgenommen. Darunter leiden die Psychotherapeuten, die Patienten zudem weder krankschreiben noch überweisen dürfen.

In den Gremien der Kassenärzte werden die Psychotherapeuten seitdem systematisch benachteiligt. Obwohl ihr Anteil an den Behandlern etwa 20 Prozent ausmacht, ist ihr Stimmrecht bei zehn Prozent gedeckelt. So zum Beispiel im erweiterten Bewertungsausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er bestimmt, wieviel Geld aus dem Fachärztetopf die einzelnen Berufsgruppen bekommen. Dabei ist der Topf für die Fachärzte gedeckelt. Logisch, dass die Mediziner dabei zunächst an sich selbst denken. Doch je mehr sie sich selbst zuweisen, desto weniger bleibt für die Psychotherapeuten.

Bei der Benachteiligung dürfte auch eine Rolle spielen, dass zwei Drittel der Psychotherapeuten Frauen sind. Zum einen arbeiten sie häufiger Teilzeit. Und zum anderen werden Berufsgruppen, in denen Frauen überrepräsentiert sind, in Deutschland meist schlechter bezahlt.

"Die nehmen uns gar nicht wahr"

Heike Peper ist nicht wütend auf die Ärzte. Aber sie fühlt sich ungerecht behandelt. Für exemplarisch hält sie den aktuellen Streit mit den Kassen. "Da verhandeln die Ärzte für uns mit. Wir werden aber nicht erwähnt, die nehmen uns gar nicht wahr." Häufig erlebe sie, wie Mediziner von "Psychologen" sprächen - eine bewusste Beleidigung, immerhin müssen die Therapeuten nach dem Psychologiestudium noch eine Extra-Ausbildung absolvieren. Dauer: vier bis fünf Jahre.

Im Schnitt kommt Peper auf 20 bis 25 Therapiestunden pro Woche. Für eine normale Sitzung bekommt sie 81 Euro, für Kennenlern-Stunden, sogenannte probatorische Sitzungen, gibt es 60 Euro. Dazu kommen Dokumentationen, Berichte, Telefonate - Leistungen, für die Peper so gut wie kein Geld bekommt. "Für einen Therapiebericht bekomme ich 50 Euro, da sitze ich aber drei bis vier Stunden dran", sagt Peper. Insgesamt investiere sie 18 bis 20 Stunden für Bürokratie, schätzt die Psychotherapeutin. Tendenz steigend.

Monatlich erhält Peper rund 5000 Euro für die Behandlung von Kassenpatienten. Dazu kommen noch Honorare für derzeit zwei Privatversicherte sowie Ausbildertätigkeiten. Damit kommt sie immerhin auf knapp das Doppelte des deutschen Durchschnittsverdieners. Doch von ihrem Umsatz gehen nicht nur Steuern und Abgaben ab - auch die Praxiskosten muss Peper davon bezahlen.

Ärzte wollen eigenes Budget für Psychotherapeuten

Das durchschnittliche Nettoeinkommen eines Psychotherapeuten liegt bei 2658 Euro. Das geht aus Berechnungen der KBV hervor. Ärzte verdienen im Schnitt deutlich mehr. In Hamburg kommt ein Hausarzt laut dem Verband der Ersatzkassen auf ein monatliches Nettoeinkommen von 5215 Euro, ein Radiologe sogar auf 16.641 Euro.

Natürlich müssen die Ärzte häufig teure Geräte finanzieren und ihr Personal bezahlen. Psychotherapeuten kommen dagegen in der Regel sogar ohne Sprechstundenhilfe aus. Doch diese Kosten sind beim Nettoeinkommen bereits abgezogen. Peper hält die aktuelle Situation für unfair. Der Satz für eine Therapiestunde müsse über hundert Euro steigen, fordert sie. Immerhin sei das Honorar seit 1993 gerademal um sechs Euro gestiegen - "das ist nicht mal ein Inflationsausgleich".

Die Ärzte weisen die Beschwerden der Psychotherapeuten zurück. Die Zusammenarbeit funktioniere immer besser, sagt Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Und einer Umfrage zufolge seien die meisten Therapeuten mit ihrem Beruf zufrieden. Allerdings, so Stahl, sei die Nachfrage nach psychotherapeutischen Behandlungen enorm gestiegen. Und das müsse aus dem Fachärztetopf bezahlt werden. Die KBV wolle deshalb bei den Verhandlungen mit den Kassen durchsetzen, dass die Nicht-Mediziner ein eigenes Budget bekommen.

Mehr Krankengeld als Therapiehonorar

Das wäre auch den Psychotherapeuten am liebsten. "Wir würden lieber direkt mit den Kassen verhandeln, als uns mit den Ärzten zu streiten", sagt Dieter Best, Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung.

Bei den Kassen stößt dieser Wunsch jedoch auf Widerstand. "Es ist eine Besonderheit in Deutschland, dass Psychotherapie von der Kasse bezahlt wird", sagt Thomas Uhlemann, Referatsleiter beim Spitzenverband der GKV. Da die Zahl der Psychotherapeuten ständig steige, könne nicht gleichzeitig das Honorar deutlich erhöht werden. Die Klagen hält er für übertrieben, "auch wenn die Ärzte sicherlich Möglichkeiten genutzt haben, den Psychotherapeuten Leistungen vorzuenthalten".

Die Sturheit der Kassen ärgert Peper. "Für das Krankengeld aufgrund von psychischen Störungen geben die mehr aus als für die ambulante Therapie." Mit der richtigen Therapie könnten viele ihren Job ganz normal ausüben, sagt Peper. "Und das spart dann richtig Geld."