Kastanienspaghetti
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- ️Fri Apr 13 2018
Süss und sündig sind die aus Kastanienpüree gepressten Vermicelles, die uns wieder zu verführen versuchen. Wir sind den braunen Würmchen auf den Grund gegangen, haben einen Abstecher ins Solothurnische gemacht und ein kalorienreiches Testessen absolviert.
Kalorienreiche Würmchen: Vermicelles gehören zum Herbst wie verfärbtes Laub. (Bild: Hanspeter Schiess)
Kinder lieben Vermicelles. Nicht wegen des Geschmacks – der ihnen nach zwei, drei Bissen verleidet –, sondern wegen ihrer Form. «Süsse Würmer» oder Zuckerspaghetti» nennen Kinder die Dessertspeise gerne und treffen trotz oder dank kindlicher Naivität voll ins Schwarze. Der Name Vermicelles leitet sich nämlich vom italienischen Wort Vermicelli ab und bedeutet schlicht Würmchen.
Wer hat's erfunden?
So viel zu Etymologie der süssen Speise. Viel wichtiger ist aber: Wer hat's erfunden? Die Schweizer natürlich! Zumindest der Duden unterstützt diese These: «Vermicelles, schweiz., eine Süssspeise aus Kastanienpüree», steht dort geschrieben. Exakter wäre, die Südschweizer, schliesslich wachsen im Tessin die stolzen Edelkastanien ohne deren Früchte nicht gut Würmchen essen wäre.
Aber auch die Franzosen könnten auf die Idee gekommen sein, Kastanienpüree durch ein Lochsieb zu pressen. Zumindest kennt «tous Paris» die legendären Vermicelles-Kugeln aus dem Salon du Thé an der Rue Rivoli. Dort bestellt man aber keine «Würmchen», sondern einen Coup «Mont Blanc» – weisse (Rahm-)Spitze, brauner (Kastanien-)Berg.
Künstliche Vermicelles-Saison
Nun aber genug um den süssen Brei herumschwadroniert. Fakt ist, die Schweizerinnen und Schweizer mögen Vermicelles: «Sehr sogar», betont Astrid Schwarz von der gleichnamigen Confiserie in Arbon. «Für manche Kunden kann die Saison nicht früh genug beginnen.» «Saison» haben Vermicelles üblicherweise von Ende September bis Mitte Februar. Allerdings nicht, weil es im Rest des Jahres an frischem Kastanienpüree mangeln würde – das Püree wir aus gefrorenen Kastanien hergestellt –, sondern schlicht, um Abwechslung in die Vitrine zu bringen. Und weil sich eine 200-Kalorien-Bombe (mit Rahm und Merengue) im Hochsommer nicht wirklich gut verkauft.
Schälen, kochen, pürieren
Also werden in den hiesigen Back-und Zuckerstuben nun fleissig Edelkastanien geschält? «Wo denken Sie hin», verwirft die Verkäuferin in der Confiserie Pfund in St.?Gallen die Hände. «Viel zu aufwendig», doppelt auch ihre Kollegin beim «Gschwend» um die Ecke nach. Kein Konditor würde sich heute das Schälen, Schneiden, Kochen, Pürieren und Passieren der Edelkastanien noch antun. Dafür gebe es spezialisierte Firmen.
130 Tonnen Kastanienpüree
Und so schwört dann jede Confiserie auf ihren Lieferanten. Denn da gebe es «riesige Unterschiede – auch preislich», wird einem in der Confiserie Pfund erklärt. «Im schlimmsten Fall erhalten Sie ein Püree, das des Preises wegen mit Kartoffelstärke gestreckt wurde.» Keine schöne Vorstellung. «Grauenhaft» findet das Andreas Häusl. Er führt in der dritten Generation die Solothurner Firma «Brand-Vermicelles». Einer der fünf Schweizer Hersteller von Kastanienpüree. Ein Geheimrezept dafür gebe es nicht. «Kastanien, Wasser, Zucker.» Der Kniff liege bei der Beschaffung des Rohmaterials. «Je besser die Kastanien, desto besser das Püree.» Wie kommt man eigentlich darauf, professionell Kastanienpüree zu produzieren? «Mein Grossvater war Conditor, irgendwann war er es wohl leid, jedes Jahr von Hand das klebrige Püree herzustellen, also professionalisierte er den Ablauf – heute verkaufen wir pro Jahr 130 Tonnen», erzählt Häusl.
Mit Kirsch oder Butter veredelt
Trotz vorgefertigtem Püree hat jede Confiserie ihr Geheimrezept. Damit Vermicelles nicht gleich Vermicelles sind (und vor allem nicht wie günstige Supermarkt-Vermicelles schmecken), wird in den hiesigen Backstuben munter mit Butter verfeinert, mit Schnaps Rasse ins Mus gebracht oder mit Rahm abgeschmeckt.
Mit erstaunlich unterschiedlichem Resultat, wie unser keines Testessen (siehe Kasten) zeigt. Die fünf verkosteten Vermicelles unterscheiden sich in Preis, Gewicht, Konsistenz und Geschmack zum Teil massiv.