Der Fall Meehan - Die Neue Südtiroler Tageszeitung
Drei Jahre lang war der aus den USA stammende Priester Timothy Meehan in mehreren Südtiroler Pfarreien tätig, obwohl er gestanden hatte, vor seiner Priesterweihe ein sexuelles Verhältnis mit einem Minderjährigen geführt zu haben.
Die Pressemitteilung der Diözese Bozen Brixen vom 27. August 2021 klingt nach kirchlichem Alltag. Bischof Ivo Muser teilt darin die Personalentscheidungen mit, die er im Laufe des Jahres getroffen hat. Eine Mitteilung lautet: „Timothy Meehan wird von seinem Auftrag als Pfarradministrator der Pfarrei zum hl. Pius X. in Bozen entpflichtet.“ Genau ein Jahr davor, am 1. September 2020, hatte der Bischof ihn von seinem Auftrag als Kooperator der Pfarrei Maria Himmelfahrt entpflichtet. Davor, 2019, war er Kooperator der Dompfarre Bozen und der Pfarrei Bozner Boden gewesen und noch ein Jahr davor Kooperator in den Pfarreien zum hl. Paul/Haslach und Unsere Liebe Frau vom hl. Rosenkranz/Bozen.
Wo der aus Boston in den USA stammende Geistliche, der dem Orden der Legionäre Christi angehörte, sich gegenwärtig aufhält, ist dem Generalvikar der Diözese Eugen Runggaldier nicht bekannt.
Die Geschichte ist für die Diözese mehr als unangenehm, denn Timothy Meehan hatte nach Ermittlungen in den USA gestanden, während seiner Zeit als Ausbilder im Noviziat der Kongregation für einige Monate eine homosexuelle Beziehung mit einem ihm schutzbefohlenen 17jährigen geführt zu haben. 2017 verließ er den erzkonservativen Orden, dessen Gründer Marcial Maciel Degollado mehrere uneheliche Kinder gezeugt und mindestens 60 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht hatte. Papst Johannes Paul II. hatte den „wohl perfektesten Kriminellen im Priesterkragen“, wie ihn die Webseite „katholisch.de“ nennt, stets gedeckt, erst als Joseph Ratzinger Papst wurde, kam die ganze Schreckensgeschichte ans Licht.
Meehan hat seinen Missbrauch vor seiner Priesterweihe gestanden und wurde trotzdem zum Priester geweiht. Jahre später wurde der Fall öffentlich. Dennoch hat die zuständige Glaubenskongregation in Rom keine Suspendierung verordnet, „weil“, Zitat, „die Tat geschah, als Meehan noch nicht Kleriker war und weil das Opfer nach damaligem Recht mit 17 Jahren kein Minderjähriger war“. Danach kam Meehan nach Italien und wirkte dort unter Einschränkungen seelsorglich.
Als er nach Bozen kam, hat er, so Generalvikar Eugen Runggaldier auf Anfrage der Tageszeitung „all dies dem Bischof und dem zuständigen Bischofsvikar mitgeteilt. Der Bischof hat Kontakt mit der Glaubenskongregation in Rom aufgenommen und die Bestätigung erhalten, Meehan könne rechtlich gesehen eingesetzt werden. Dies ist dann auch geschehen.“
Ganz wohl war dem Bischof mit der Geschichte aber offenbar doch nicht, auch wenn er mit der Anstellung „rechtlich gesehen“ in Ordnung war. Das wird aus den Ereignissen des Jahres 2021 ersichtlich, als Meehan bereits drei Jahre in mehreren Pfarreien seinen Dienst versehen hatte. Anfang 2021 gaben die Legionäre Christi auf ihrer Webseite bekannt, sämtliche Namen von Ordensmitgliedern zu veröffentlichen, die sich eines Missbrauchs schuldig gemacht hatten. Daraufhin, so Runggaldier, „wurde vereinbart, dass er die Diözese verlässt.“ Bis Ende August des Jahres blieb Meehan jedoch noch im Dienst.
Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Warum wurde Meehan nach der Veröffentlichung der Namen „entpflichtet“, wenn seine Einsetzung „rechtlich gesehen“ in Ordnung war? Warum war er plötzlich untragbar geworden, wenn seine Vorgeschichte bis zur Veröffentlichung von Meehans Namen kein Hindernis für eine Beschäftigung in der Diözese darstellte? Weil die Diözese nicht in die erdrutschartigen Enthüllungen zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche hineingezogen werden wollte?
Die Legionäre Christi waren nach ihrer großangelegten Aufarbeitung zum Schluss gekommen, dass Meehan sich eines sexuellen Missbrauchs mit einem Abhängigen schuldig gemacht hatte. Der Bischof der Diözese Bozen-Brixen Ivo Muser setzte sich mit Rückendeckung der römischen Glaubenskongregation über die Erkenntnisse der Legionäre einfach hinweg. Die Begründung, dass Meehan zum Tatzeitpunkt noch nicht Kleriker gewesen sei, klingt zumindest aus weltlicher Sicht nach einem üblen Witz. Als ob das seine Schuld und Verantwortung auslöschen würde, zumal es sich um einen Minderjährigen handelte, der ihm anvertraut war. Warum also wurde er zuerst eingestellt und dann eiligst wegschickt, als die Sache ruchbar wurde? Weil die Priesternot so groß ist? Weil Meehans homosexuelle „Sünde“ nicht so schlimm ist?
Wie intransparent Bischof Ivo Muser in der Angelegenheit vorging, erschließt sich auch daraus, dass außer ihm und dem zuständigen Bischofsvikar niemand in der Diözese von Meehans Vorgeschichte Bescheid wusste. Gottfried Ugolini, der Diözesanbeauftragte für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen, sowie Mitglied des Fachbeirates, hat die Geschichte erst Anfang Februar 2021 erfahren. Ugolini: „Ich habe mich daraufhin an die Diözese gewandt und erfahren, dass Meehan bereits seit drei Jahren in Südtiroler Pfarreien tätig ist.“ Weder die Dienststelle, noch der Fachbeirat und auch nicht die Pfarreien, wo Meehan eingesetzt wurde, wurden vom Bischof informiert. Ugolini: „Meehans Anstellung war zwar kirchenrechtlich korrekt, aber der Fachbeirat und die Dienststelle sowie die Pfarreien hätten informiert werden müssen. Denn es gibt über den rechtlichen Aspekt hinaus auch pastorale und ethische Bedenken gegen seine Anstellung. Schließlich war der 17jährige in den USA ein Schutzbefohlener und Meehan hat das Vertrauensverhältnis missbraucht.“
Erschwerend kommt hinzu: Meehan durfte nur mit Einschränkungen seelsorgerisch tätig sein, konkret, er durfte nicht in der Kinder- und Jugendseelsorge eingesetzt werden. Ugolini: „Der Bischof hätte das einfordern müssen und Meehan hätte sich diese Einschränkung auch selbst auferlegen müssen. Das ist nicht passiert. Meehan war hierzulande auch in der Kinder- und Jugendseelsorge tätig.“
Wie hat die diözesane Leitung auf Ugolinis Vorsprechen reagiert? Ugolini: „Man hat mit Meehan gesprochen. Er verbringt jetzt ein Sabbatjahr in den USA.“ Immerhin wurde eine neue interne Regelung beschlossen: Ab sofort müssen Personalentscheidungen der Dienststelle für sexuellen Missbrauch mitgeteilt werden.
Die Vorgangsweise der Diözese in der Meehan-Geschichte erinnert fatal an die Verschleierungs- und Vernebelungstaktik, die die Führungsverantwortlichen der Kirche in Sachen sexueller Missbrauch seit Jahren an den Tag legen. Nach dem Motto: solange es niemand weiß, ist es kein Problem, einen Missbrauchstäter zu beschäftigen, sobald die Öffentlichkeit davon Wind bekommt, schickt man ihn still und leise einfach weg. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits seit 7 Jahren in der Diözese eine Kommission zum Thema sexueller Missbrauch gibt, wird die Gemeinde nicht über die Gründe von Meehans „Entpflichtung“ informiert und ebenso wenig wird nachgeforscht, ob es in den hiesigen Pfarreien erneut ein missbräuchliches Verhalten seinerseits gegeben hat.
Ist das der offene und verantwortungsvolle Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch, wie er von der Diözesanleitung bei jeder Gelegenheit verkündet wird? Nach der großen Missbrauchsstudie von 2018 in Deutschland, die dazu geführt hat, dass sich die Kirche ernsthaft damit auseinandersetzt und auch große Namen nicht schont – siehe Ex-Papst Joseph Ratzinger, der sich genötigt sah, eine Falschaussage zuzugeben – wird man das nicht mehr behaupten können. Das Muster ist immer das gleiche: Man zeigt sich „erschüttert und betroffen“ über das Leid der Opfer und das Verhalten der Täter und Verantwortlichen, rechnet sexuellen Missbrauch „zu den schlimmsten Verbrechen überhaupt, weil er die Seele zerstört“ (Bischof Ivo Muser), aber von der klerikalen Haltung rückt man hierzulande deswegen noch lange nicht ab: Zuerst kommt die Institution Kirche, dann irgendwann, wenn überhaupt, deren Opfer.
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