Lifestyle: Der Hipster mit dem Jutebeutel – das neue Hassobjekt - WELT
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- ️Sat Mar 10 2012
Der Deutsche kann schon ein ganz schöner Hanswurst sein, wenn es um Kultursnobismus geht. Nehmen wir die Hauptstadt: In Berlin kann sich der Durchschnittsgrantler grad nicht entscheiden, ob er nun die überambitionierten Tigermütter vom Prenzlauer Berg oder die konservativen Schwaben in ihrer Wachsjacken-Gummistiefel-Uniform abscheulicher finden soll. Eigentlich würde man doch meinen, dass sich der Hauptstädter mit den bunten Subkulturen gern die Schultern reibt. Dit stimmt so nüscht.
Das nächste, nicht mehr ganz so neue Hassobjekt – der Hipster. Hipster, das sind diese jungen, modebewussten Leute, die sich in neonfarbene Röhrenjeans zwängen und asymmetrisch frisieren. Man erkennt sie an ihren Rausche- oder Schnauzbärten, an ihren bunten Ray-Ban-Sonnenbrillen. Sie haben den Jutebeutel, den sie sogar in der Disco schultern, wieder populär gemacht.
Und genau diese allenfalls lustig anzuschauenden, essenziell harmlosen Kreaturen sollen angeblich nicht mehr willkommen sein in gewissen Teilen der Hauptstadt? Im vergangenen Jahr fand sich im Schaufenster einer Galerie in Berlin-Neukölln eine krakelige Notiz: "Sorry, no entry for hipsters from the U.S." Und andere, den Amerikanern nacheifernde sowie spanische Hipster sollten, bitteschön, genauso draußen bleiben.
"Portugiesen willkommen", so der versöhnliche Schlusshalbsatz der Hipsterhasser. Wie zumeist jede Subkultur ist auch diese schwammig definiert. Seine Ursprünge findet das Hipstertum in den USA der 20er- und 30er-Jahre. Als hep cats wurden Leute bezeichnet, die sich mit der aufkeimenden Jazz-Kultur identifizierten. Aus hep, so eine Theorie, wurde Ende der 30er hip, bis der Begriff hipster weitreichende Popularität durch den Boogie-Pianisten Harry "The Hipster" Gibson erlangte.
1957 beschrieb Norman Mailer, in teils kruden Rassenansichten, das Phänomen in seinem Aufsatz "The White Negro. Superficial reflections on the hipster". Der Schriftsteller attestiert dem Hipster lediglich eine einzige, schale Moralvorstellung, nämlich nur das zu tun, wonach ihm gerade sei. Über die Hippie-Bewegung der 60er-Jahre hinweg wandelte sich der Ausdruck mehrfach. In der zeitgenössischen Reinkarnation taucht er erst Ende der 90er-Jahre auf.
Ein Hipster ist nicht gleich Bescheidwisser
Wer genau der moderne Hipster ist und warum er einen so schlechten Ruf hat, versucht derzeit ein Buch zu beantworten, das in den USA bereits vor zwei Jahren veröffentlicht und nun auch ins Deutsche übersetzt und um einige Beiträge erweitert wurde.
Der Untertitel von "Hipster – Eine transatlantische Diskussion" (Suhrkamp, 208 Seiten, 18 Euro) deutet schon daraufhin, dass der Phänotyp auch bei uns (längst) angekommen ist. Das Büchlein ist eine Sammlung von Vorträgen, Gesprächen und Essays, die bei einer Tagung der New Yorker Zeitschrift "n+1" zusammenkamen.
Mark Greif, Herausgeber des Buches und Mitgründer von "n+1", stellt gleich in seinem Vorwort fest, dass trotz aller Insignien die trennscharfe Definition des Hipsters schwerfällt. Niemand würde je von sich behaupten, einer zu sein. Im historischen Kontext hat der Hipster in den USA – Greif sieht ihn zuweilen mit reaktionärer Politik spielen – eine andere Stellung als die Bescheidwisser aus Berlin-Mitte oder dem Hamburger Schanzenviertel.
Was ihm aber hier wie dort beinah universelle Aversion einbringt, ist seine "ironisch ungebrochene Inbesitznahme vormals als uncool geltender kleinbürgerlicher Herkunftscodes", wie Tobias Rapp in der deutschen Ausgabe schreibt. Der moderne Hipster orientiert sich widersprüchlich an subkultureller Rebellion und an der Elite zugleich: "Er tut radikal, hängt aber an seinen Privilegien." Er besteht auf Herrschaftswissen, das ihn vom ahnungslosen Volk abgrenzt, hetzt oberflächlich von Objekt zu Objekt, bevor die Massenkultur es vereinnahmt.
Sein Geschmack entscheidet, was cool ist. Ein Beispiel: Anfang der Nuller-Jahre war es auf einmal ungemein angesagt, Truckerkappen zu tragen. Für die amerikanischen Hipster waren sie eine ironische Spielart mit der konservativen Wertvorstellung des Mittleren Westens. Hierzulande bloß ein Zeichen, dass man wusste, was gerade en vogue war. Ähnlich wird es wohl der dunklen Hornbrille, einem weiteren Hipster-Markenzeichen, ergehen, wenn sie inzwischen von Außenministern und CSU-Generalsekretären getragen wird.
Hipster sind keine Künstler
Ob es den weiblichen Hipster gibt, darüber sind sich die Autoren im Buch nicht einig. Die oft genannten Karen O, Beth Ditto oder Chloë Sevigny seien Künstler, keine Hipster, schreibt die Autorin Dayna Tortorici; Hipster seien keine Künstler, segelten vielmehr in deren Kielwasser. Außerdem hätten Frauen, im Gegensatz zum Mann, der sich zum Hipster stilisiert, ein Grundverständnis an Mode und Ästhetik.
Zur Zielscheibe wird das Hipstertum, weil es eine Subkultur ohne eine eindeutig zu benennende Ideologie ist. Politische Ambivalenz trifft auf rein ästhetischen Inhalt. Was den Hipster zur perfekten Projektionsfläche blitzgescheiter Marketingabteilungen verkommen lässt. Seine innere Haltung speist sich aus einem einfachen Dreiklang: "Abgrenzung, Narzissmus und einem Gefühl der Überlegenheit", analysiert Greif, dessen Magazin übrigens oft selbst als Hipster-Medium bezeichnet wird.
"Hipster zu sein ist eine Form, den Dingen zu begegnen, die viel mit Wachsamkeit und wenig mit Besinnung zu tun hat", fasst es der Journalist Jens-Christian Rabe in seinem Essay zusammen. Nur dass sein unbedingter Wille zur Distinktion inzwischen mächtig mit der Digitalisierung konkurriert.
Früher stach der Hipster heraus, weil er als einziger wusste – und durch sein Auftreten zeigte –, was gerade in New Yorks Lower East Side angesagt war. Heute laufen alle gleich rum, hören, sehen, lesen die gleichen Sachen, weil das Internet die letzten offenen Geschmacksfragen beantwortet.
Bliebe in der Debatte noch zu klären, welche Rolle der Hipster bei der Gentrifizierung spielt. Denn die Suche nach unverwechselbarer Identität stürzt ganze Stadtteile in Identitätskrisen: Erst entdecken die Hipster einen ehemals heruntergekommenen Bezirk (wie Neukölln) für sich, dann springen die Immobilienmakler auf und zum Schluss setzen die organisierten pub crawls den Genickschuss – hier geht nichts mehr.
Zu dem Zeitpunkt ist der Hipster längst weiter gezogen. Zurück bleiben genervte Anwohner, die über gestiegene Mieten klagen. Das ansonsten kluge Buch greift das Thema mehrfach auf, bleibt aber eine erhellende Antwort schuldig, wie das Hipstertum zum Struktur-Problem für den urbanen Raum wird. Sicher ist: Mit "Draußen-bleiben"-Schmierzetteln ist die Angelegenheit nicht gelöst.
Mark Greif: Hipster: Eine transatlantische Diskussion. (Suhrkamp, Berlin. 208 S.,18 Euro. ISBN: 978-3518061732) .