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Das Marbacher Literaturmuseum baut seine Dauerschau um - WELT

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Literaturmuseum

Warum sollte das Digitale keine Seele haben?

Veröffentlicht am 03.06.2015Lesedauer: 6 Minuten

Hinter Glas: Die Totenmaske von Hermann Hesse im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar
Hinter Glas: Die Totenmaske von Hermann Hesse im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am NeckarQuelle: dpa

Neun Jahre hat die alte Dauerschau im „Literaturmuseum der Moderne“ gehalten. Jetzt zeigt sie sich konzentrierter und digital auf dem neuesten Stand. Die Seele der Dinge steht im Mittelpunkt.

Es geht ja um Marbach. Da bietet sich also der Einstieg mit einem Schillerzitat an. Wie sagte doch gleich der große Sohn der kleinen Stadt: „Spricht aber die Seele, spricht, ach, schon die Seele nicht mehr.“ Das im Hexameter-Versmaß geflügelte Wort fasst ein Paradox in Worte, das im Grunde auch für die Literatur gilt. Vor allem aber für die Ausstellung von Literatur. Geschriebenes lebt vom Akt des Lesens. Wird es, zu Darbietungszwecken, auf seine Materialität hin fixiert, um nicht zu sagen reduziert, gehen Genuss, Erkenntnis, Horizonterweiterung, also all das, was sich mit dem Erlebnis der Lektüre verbinden kann, den Bach runter. Auch wenn der Bach zufällig Neckar heißt, also selbst schon eine literarische Größe ist. Auch wenn wir uns im Olymp der deutschen Literatur-Artefakte befinden, nämlich im Schillernationalmuseum oder im Literaturmuseum der Moderne (LiMo).

Um diesen Widerspruch weiß man natürlich auf der Schillerhöhe. Doch nicht nur das: Man geht ganz offensiv mit ihm um, man stellt ihn heraus. Wenn jetzt die neu geordnete Dauerausstellung im „LiMo“ lapidar „Die Seele“ überschrieben wird, dann ist das ganz schön mutig. „Das unsichtbare Ding, das Seele heißt“, wie Karl Philipp Moritz es nannte, soll, dem Willen von Heike Gfrereis zufolge, der Museumsdirektorin, in den Dingen liegen. In den Manuskripten, Zetteln, Briefen und anderen Entstehungsdokumenten von Literatur. Aber eben auch in dem, was das Schreiben materiell gesehen überhaupt erst ermöglicht: Bleistifte, Federkiele sowie natürlich jede Menge Maschinen – bis hin zur elektronischen Herstellungstechnik unserer Tage.

Doch damit das alles spricht und Seele bekommt, braucht es vor allem den Beseeler. Nie ist die literaturtheoretische Position der Rezeptionsästhetik so poetisch in Worte gefasst worden wie von der Herrin des Schillerhügels. Mit geradezu sangbarer Beredsamkeit hat jetzt Heike Gfrereis vor der Presse erklärt, was das neugestaltete „LiMo“ will und erwartet: „Der Leser schenkt den Texten seine Seele. Diese Urszene, dieses Die-Seele-Schenken, ereignet sich hier an und in den Archivalien. Mit Fantasie sind unsere Exponate weiche Formen, ohne Fantasie sind sie allerdings hart, schroffe Medien der Distanz und Befremdung. Sie können eine Überforderung sein, sie können aber auch einfach fordern. Das, was ganz leicht zu bekommen ist, treibt und stachelt uns nicht an.“

Man sieht nur, was man weiß

Beseelter kann man ein selbstbewusstes Credo nicht zum Ausdruck bringen, das da lautet: Jetzt strengt euch mal ein bisschen an. Lasst euch was einfallen, wenn ihr unsere Ausstellung anschaut. Wir geben euch die Dinge, eine Jahreszahl und ein „dazu gesetztes Einwortgebilde“ als Erklärung. Und nun macht was draus! Natürlich gibt es auch noch Katalog und QR Codes. Wer die nicht mit seinem Smartphone knacken kann, kann sich ein Touchpad ausleihen. Aber man sieht nur, was man weiß. Und das ist auch gut so.

Gut so oder nicht: Man sieht auf diese Weise jedenfalls viel Neues. Die alte Dauerausstellung (was heißt alt, sie existierte ganze neun Jahre) hatte neben dem Problem, dass der multimediale Museumsführer dauernd kaputt war, vor allem den Hinkefuß, dass die gezeigten 1400 Objekte keinem roten Faden folgten, willkürlich ausgestreut in ihrer Schönheit (oder Kuriosität) kaum Orientierung boten im Hinblick auf das ohnehin schon reichlich verwirrende Phänomen literarische Moderne. Nun hat man also nachgebessert durch Entschlackung.

Nur 280 Objekte präsentiert die neue Dauerausstellung, und von ihnen sind tatsächlich 220 neu. Viel hat Marbach in den vergangenen Jahren hinzugewonnen. Das größte Literaturarchiv der Welt platzt aus allen Nähten. Ihm sind die gigantischen Verlagsarchive von Suhrkamp und Insel zugewachsen. Es hat die Nachlässe von teuren Toten erhalten, vom Erzähler Siegfried Lenz beispielsweise, aber aber auch von Gelehrten wie Friedrich Kittler oder Nicolai Hartmann. Hans Magnus Enzensberger wiederum hat seinen Vorlass ebenso hierher gegeben wie der Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Dank der Hinterlassenschaften großer Übersetzer haben sich die Bestände außerdem internationalisiert. Auch Briefe von Nabokov oder Borges, um nur zwei Namen zu nennen, gehören inzwischen zum Bestand.

Die Hausgötter sind Rilke, Hesse, Kafka

Klar, dass sich da die Frage stellt: Wie soll man das alles museal aufbereiten, zeigen? Zu den großen Vorteilen der neuen Schau gehört, dass man im Grunde bei den Hausgöttern geblieben ist. Sie schlagen die Schneisen durchs thematische Gestrüpp. Sie sind es, an die sich Komplexe wie das Reisen, die Zeit oder das Schreibgerät immer wieder ankristallisieren. Sie, das meint vor allem Rilke, Hesse, Kafka.

Am Anfang steht jedoch die Totenmaske Friedrich Nietzsches. Nicht die geschönte Version von Max Klinger. Sondern der Gipsabguss mit der abgebrochenen Nase. Der große Umwerter aller Werte, so konstitutiv für die Moderne mit ihrem Furor der Entmystifizierung und Dekonstruktion, selbst fragmentiert: Das ist ein geistreicher Introitus für einen Parcours, der durch ein Jahrhundert der Zerstörung führen muss.

Diese Zerstörung umspielen auch zwei neue Exponate, die in der Tat sehr viel erzählen, wenn man sich näher auf sie einlässt: Da ist einmal der Brief Martin Heideggers an seinen Bruder Fritz vom 4. Mai 1933. Darin rät der Meisterphilosoph dem Bruderherz, nun aber mal flugs in die NSDAP einzutreten und sich nicht beirren zu lassen von den „niedrigen und wenig erfreulichen Dingen“, die Deutschlands Erwachen mit sich bringe. Wo gehobelt wird, da fallen Späne! Aber der geistig höher stehende Mensch dürfe sich nicht von Kleinigkeiten den Blick auf das große Ganze verstellen lassen.

Das 21. Jahrhundert präsentiert sich rein digital

Das große Ganze: ein deutscher Topos oder, mit dem Spötter Gottfried Benn zu sprechen, ein beliebter deutscher Aufenthaltsort. Bei Stefan Zweig wird im Londoner Exil von 1939 noch einmal ein „Textgebirge“ draus. Riesige Folianten in schwerem Leder mit goldenen Prägedruck vereinen Reinschrift, Vorstudien und Materialien zu seinem Spätwerk, dem Roman „Ungeduld des Herzens“. Was aussieht, als sei es für die Ewigkeit von, sagen wir, die Schatzkammern des Deutschen Ordens oder wenigstens der Hanse geschaffen, bezeichnen die so absurden wie rührend trotzigen Bemühungen eines Schriftstellers, der sich drei Jahre später das Leben nehmen wird, noch ein allerletztes Mal „Welt von gestern“ zu spielen.

Welt von gestern, Welt von morgen: Im „LiMo“ macht man sich geradezu mit Wonne auf zu neuen Ufern. Am Ende des Tunnels, will sagen Dunkelraums des 20. Jahrhunderts, kommt mit dem Nebengelass zum 21. Jahrhundert auf einmal Tageslicht ins Spiel. Umso deutlicher sieht man: Man sieht nichts. Weder Ding noch Seele. Was von den Dichtern bleibt, stiftet die Digitalität. 24 QR Codes sind an die Wand gebannt. Apps erst offenbaren die gute alte Materialität. Lutz Seilers Bleistifte oder Kathrin Schmidts Strumpfhose sollen das gerade mal 15 Jahre alte neue Säkulum repräsentieren. Nun ja. Da geben wir unser Schicksal doch lieber in die Torwart-Handschuhe von Albert Ostermaier. Der hält. Hoffentlich. Noch eine Weile.