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David Bowie: Wie ich Ziggy Stardust erfand

Veröffentlicht am 08.01.2007Lesedauer: 4 Minuten

Der britische Musiker David Bowie feiert heute seinen 60. Geburtstag. Für ein Buch hat er aufgeschrieben, wie seine Figur Ziggy Stardust entstanden ist. Das androgyne, überirdische Clownswesen ist die Mutter aller künstlichen Popfiguren.

1972 begann der Fotograf Mick Rock, den jungen, allenfalls Eingeweihten bekannten Musiker David Bowie zu porträtieren. In den folgenden Monaten entstanden Bilder für Bowies Album „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“, begleitende Poster und Konzertfotos. Ziggy Stardust begründete den glamourösen Brauch des Rollenspiels im Rock 'n' Roll. Der Ikonenband „Moonage Daydream“ dokumentiert erhellend die gemeinsame Arbeit von Mick Rock und David Bowie an jener Ikone. Dem Buch entstammen Bild und Text.

Die Idee einer überlebensgroßen Rockfigur kam mir gegen Ende 1970. Die britischen Charts waren voll von Shirley Bassey und Lee Marvin. Der anständigste Versuch in diesem Jahr war wohl „All Right Now“ von Free. Es war generell ziemlich trostlos. Auf der seriöseren Seite des musikalischen Lebens ging es nur um Crosby, Stills & Nash oder James Taylor.

Zu diesem Zeitpunkt schien der Rock sich in eine Art Jeanshöhle verirrt zu haben. Angesagt waren lange Haare, aus den Sechzigern übrig gebliebene Perlen, und, Gott bewahre, auch Schlaghosen waren noch zu sehen (und weigerten sich auch in den nachfolgenden Jahren hartnäckig, von der Bildfläche zu verschwinden). Im Grunde handelte es sich um ein ödes Posertum, dem die feurigen Ideale der Sechziger abgingen.

Als ich im Januar 1971 in die USA reiste, um dort Werbung für mein Album zu machen, bot mir der Plattenproduzent Tom Ayers liebenswürdigerweise eine Übernachtungsmöglichkeit in seinem Haus an. Zu der Zeit produzierte Tom einen der größten Rockhelden der Welt, Gene Vincent. Eines Abend im Aufnahmestudio fragte mich Tom, ob ich nicht Lust hätte, mit Gene etwas zu jammen oder zu singen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits „Moonage Daydream“, „Ziggy Stardust“ und „Hang On To Yourself“ geschrieben. Wir einigten uns auf „Hang On To Yourself“ und nahmen eine grässliche Version von dem Song auf, die heute immer noch auf Ebay herumschwirrt, nehme ich an. Ich erklärte, dass Ziggy kein echter Rockstar sei und dass ich ihn nur spielen würde. Ich glaube, sie dachten alle, dass ich von einem Musical oder so sprach. Vielleicht tat ich das auch; es fällt mir mittlerweile schwer, mich daran zu erinnern, was ich damals für Erwartungen hatte. Zig entstand im Entstehen, wenn Sie wissen was ich meine.

Gene beeinflusste Ziggy jedoch auf andere Art. In den Sechzigern sollte Vincent zusammen mit Little Richard eine Blitztournee durch Großbritannien machen. Irgendwer vergaß aber, ihm eine Arbeitserlaubnis zu besorgen, so dass er nicht auf der Bühne singen durfte. Um dem zu entgehen, sang er von seinem Platz am Gang aus. Wahnwitzig, aber für uns Fans ausgesprochen aufregend. Damals trug Vincent als Folge eines Autounfalls eine Schiene am Bein. Um seine gewohnte Haltung am Mikro einnehmen zu können, musste er sein verletztes Bein hinter sich schieben, was meiner Meinung nach eine große theatralische Wirkung besaß. Diese Rockerpose wurde zur Lieblingsstellung des noch nicht ausgereiften Ziggy.

Für mich und einige meiner Freunde waren die Siebziger der Anfang des 21. Jahrhunderts. Das lag allein an Kubrick. Mit dem Erscheinen von zwei großartigen Filmen, „2001“ und „A Clockwork Orange“, innerhalb kürzester Zeit, knüpfte er alle vage vorhandenen losen Fäden der letzten fünf Jahre zu einem Aufbruch, der nicht aufzuhalten war. In beiden Filmen ging es um das gleiche Hauptthema: Es gibt im Leben keinen roten Faden, wir entwickeln uns nicht weiter, wir überleben nur. Außerdem waren die Klamotten fantastisch, die Jogginganzüge in „2001“ und „Clockwork“ mit seinen Droogs – todschick.

Autoren wie George Steiner verbreiteten den sexy Begriff Post-Culture, und es schien uns eine famose Idee zu sein, ihn auf den Rock auszuweiten. Es herrschte das allgemeine Gefühl, dass es keine „Wahrheit“ mehr gäbe und dass die Zukunft nicht so klar umrissen sei, wie man gedacht hatte. Die Vergangenheit übrigens auch nicht, daher war alles legitim, wenn wir nach Wahrheit suchten, konnten wir sie auch selbst erfinden.
Die Plattform dafür – mal abgesehen von den Schuhen – sollte lauten „We Are The Future, Now“, und die einzige Art, das zu feiern, bestand darin, die Zukunft mit den Mitteln zu gestalten, die uns zur Verfügung standen. Mit einer Rock?’n’?Roll-Band natürlich.

So sieht das alles heute aus der Ferne aus. Äußerst beeindruckend.

Mick Rock/David Bowie: Moonage Daydream – The Life And Times Of Ziggy Stardust (Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin. 320 S., 49,90 Euro)