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Putzen unter Hochdruck
Veröffentlicht am 09.10.2006Lesedauer: 4 Minuten
Kärcher steht in Frankreich schon im Wörterbuch: Dort gilt der Name synonym für "reinigen". Der Reinigungsriese macht immer wieder mit spektakulären Putzaktionen auf sich aufmerksam, aber auch mit Innovationen.
Was den Deutschen der Duden, ist den Franzosen der "Petit Robert". Das Standardwörterbuch verzeichnet was gilt in der Sprache. Einer der neuesten Einträge in Frankreichs aktueller Wörterbuchausgabe steht auf Seite 1408: "karcher". Im Nachbarland ist aus einem umgangssprachlichen Wort ein offizielles Verb geworden. Frei übersetzt, bedeutet es reinigen. Deutsch könnte man auch "kärchern" sagen. "Ein besseres Kompliment kann es für eine Marke doch gar nicht geben", sagt Diplom-Ingenieur Hartmut Jenner stolz. Der 41-Jährige ist Sprecher der Geschäftsführung der Alfred Kärcher GmbH. Die Schwaben beherrschen nach eigenen Angaben rund 20 Prozent vom Markt für Hochdruckreiniger, Kehrmaschinen und ähnlichem.
Die haben Jenner zufolge einen Vorteil, der das Unternehmen unter Leistungsdruck setzt: "Ein Kärcher geht nicht kaputt. Es gibt quasi keinen Ersatzbedarf", sagt er. Also müsse über Innovationen die Zielgruppe vergrößert werden. Heute seien 80 Prozent der Geräte im Sortiment jünger als vier Jahre, berichtet der Geschäftsführer.
Allein dieses Jahr seien bereits 77 Neuheiten auf den Markt gekommen. Damit gibt es nun 2550 Einzelgeräte in 650 Produktfamilien wie Hochdruckreiniger, Kehrmaschinen, Autowaschanlagen, Nass-Trocken-Sauger oder Schiffreinigungsanlagen. "Wir setzen die Probleme unserer Kunden in Produkte um", sagt Jenner, demzufolge jährlich rund sechs Mio. der gelben Reiniger - die genaue Farbbezeichnung lautet RAL 1018 Zinkgelbmatt - verkauft werden.
Fast 50 Mio. Euro gibt Kärcher jedes Jahr für Forschung und Entwicklung aus, 500 der derzeit weltweit 6400 Mitarbeiter sind Ingenieure. Sie haben Kärcher zu inzwischen 329 Patenten verholfen, davon 41 Neuanmeldungen allein im vergangenen Jahr.
Die jüngsten Entwicklungen der Profi-Tüftler sind der RoboCleaner für den Haushalt, ein Druckreiniger mit Trockeneis-Pellets und eine mobile Trinkwasseraufbereitungsanlage. Die Geräte, bei denen Wasser mit Hochdruck durch einen Filter gejagt wird, schaffen je nach Größe bis zu 500 000 Liter pro Trag. Einsatzort sind Krisengebiete oder Regionen mit schlechter Infrastruktur.
Als nächstes soll die Produktpalette um Gartenpumpen erweitert werden. "Umfragen zufolge glaubt eine Mehrheit ohnehin schon, dass wir Gartenpumpen herstellen. Warum sollen wir es also nicht tatsächlich machen", erklärt Hartmut Jenner. Weitere Chancen sieht der Geschäftsführer in Lösungen für leichtere und schnellere Reinigung von Lampen, Heizungen und bakterienverseuchten Klimaanlagen. "Die Ideen werden uns nicht ausgehen. Und die Kunden damit auch nicht", sagt der Mann, der sein gesamtes Berufsleben bei Kärcher verbracht hat.
Der Manager hat ehrgeizige Wachstumsziele. Um wie bisher jährlich fast zehn Prozent soll Kärcher wachsen. Hauptsächlich organisch. "Wir planen derzeit keine Zukäufe", sagt Hartmut Jenner. Ohnehin hat Kärcher in seiner 71-jährigen Firmenhistorie erst zwei Unternehmen akquiriert: 2004 einen amerikanischen Hersteller für Hochdruckreiniger und 2006 den US-Marktführer für gewerbliche Teppichreinigung. "Weil man in den USA nicht mal eben einen eigenen Vertrieb aufbauen kann", begründet die Kärcher-Führung.
Im Hauptmarkt Europa sind die Strukturen über Jahre hinweg gewachsen. Gegründet wurde der Reinigungsriese 1935 vom schwäbischen Tüftler Alfred Kärcher. Der Ingenieur hatte einen so genannten Salzbadofen zum Kochen von Stahl entwickelt. Nach nur zwei Jahren verkaufte er das Patent an Degussa. Vom Erlös erwarb er anschließend das Werksgelände in der Ortsmitte von Winnenden bei Stuttgart, wo Kärcher noch heute seinen Hauptsitz hat. Den Industrieöfen folgten Kabinenheizungen für Flugzeuge. Den ersten Hochdruckreiniger - den KW 350 - dagegen entwickelte Alfred Kärcher erst nach dem 2. Weltkrieg, nachdem er für die Amerikaner Dampfstrahler zum Putzen der Panzer repariert hatte.
Nach und nach schaffte es der Hochdruckreiniger zum wichtigsten Produkt im lange unübersichtlichen Kärcher-Sortiment, das damals auch Bauschalungen, Spielzeug oder Doppelrumpfboote umfasste. 1974 schließlich folgt der Strategiewechsel: Kärcher konzentriert sich fortan auf den Markt für Reinigungsgeräte, den Hartmut Jenner auf rund sechs Mrd. Euro schätzt. 1,2 Mrd. davon wird allein Kärcher in diesem Jahr einnehmen. Vor zehn Jahren war der Umsatz gerade halb so hoch.
Fast 80 Prozent des Geldes stammt aus dem Ausland. Gründer-Witwe Irene Kärcher, früher Vorstandssekretärin bei Mercedes und ab 1959 für 30 Jahre an der Unternehmensspitze, hatte in den 60-er und 70-er Jahren die Expansion vorangetrieben. So gibt es heute Tochtergesellschaften und Servicestellen in mehr als 160 Ländern. Am bekanntesten sind die knallgelben Geräte mit dem schwarzen Schriftzug in Frankreich. Mehr noch als hierzulande. Kärcher gilt im Nachbarland als Gattungsbegriff für die Großflächenreinigung.
Allerdings wächst die Zahl der Konkurrenten, insbesondere bei Geräten für den Privatkunden, die bei Kärcher 50 Prozent des Umsatzes ausmachen. Rund 50 Mitbewerber gibt es derzeit. Aber keiner von ihnen ist auch nur annähernd so bekannt wie die Schwaben, die es mit einer Putzaktion im Vatikan sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft haben: für die größte Fassadenreinigung am Stück. Auch in dieser Branche drängen die Chinesen auf den Markt. Nicht immer mit legalen Mitteln. "Erst vor wenigen Wochen haben wir auf der Automechanika einen Stand schließen lassen", berichtet Jenner. Ein chinesischer Aussteller der Frankfurter Messe für Autozulieferer zeigte auf seinem Stand ausschließlich Kärcher-Imitate. Reinigung sei eben das Zukunftsthema, seufzt Jenner.