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"Nicht einmal ein Held volksdeutscher Art"

Veröffentlicht am 12.12.1998Lesedauer: 6 Minuten

Der "Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" im Sommer 1942 - aus bisher unbekannten Akten des SS-Sicherheitsdienstes

Von Wolfgang Dierker


Nicht erst seit dem Frankfurter Historikertag in diesem Jahr wird über die Rolle der Geschichtswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland gestritten. Schon in den 60ern diskutierten Fachvertreter und die interessierte Öffentlichkeit darüber, wie weit sich deutsche Hochschullehrer "gleichgeschaltet" und dem Geschichtsbild des Nationalsozialismus angepaßt hatten. Kaum jemand stellte in Frage, daß es ein viel zu hohes Maß an politischer Übereinstimmung gegeben habe.Heute wird vor allem darüber debattiert, welchen Anteil Historiker im "Dritten Reich" an Rassenpolitik und Völkermord hatten. Symptomatisch für diese Zuspitzung ist der Fall des späteren Vorsitzenden des Verbandes der Historiker Deutschlands, Theodor Schieder, der in einer Denkschrift von 1939 Über "Volkstumsfragen" im soeben eroberten Polen auch die Möglichkeit einer "Entjudung" eines Teils der Gebiete erörterte.Hinweise zum Verhältnis der deutschen Historiker zum Nationalsozialismus liefert ein neu aufgefundenes Dokument des Sicherheitsdienstes der SS (SD). Himmlers Nachrichtendienst bemühte sich mit allen Mitteln, seinen Einfluß auch in der Geschichtswissenschaft zu vergrößern. In die Hochschulen sollte der neue Typ des "politischen Historikers" einziehen, der seine Arbeit an der ideologischen Linie und den Machtinteressen der NS-Führung ausrichtete. Die Methoden und Standards der traditionellen Geschichtsschreibung - die Belegbarkeit aller Aussagen durch Quellen und die Verwendung zeitgenössischer Begriffe und Urteilskriterien - wurden als "reaktionär" verteufelt.Bei vielen etablierten Historikern stießen diese Vorstellungen auf Ablehnung. Sie billigten zwar die Politik des Regimes weitgehend, wollten die Identität ihres Faches aber nicht aufgeben. Die Folge waren wachsende Spannungen auch innerhalb der Professorenschaft. Diese traten im Sommer 1942 offen hervor, als sich in Weimar mehr als 50 Historiker und Völkerrechtler auf einer Tagung des "Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften" trafen. In dessen Arbeitskreisen wirkten seit 1940 Vertreter aller geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen mit, um "geistiges Rüstzeug" für die deutschen Kriegsanstrengungen zu liefern und zugleich ihre gesellschaftliche Relevanz zu unterstreichen.Auch der SD entsandte einen Vertreter. Am 24. Juli 1942 schrieb der SS-Sturmbannführer Hans Schick einen ausführlichen Bericht für seinen Vorgesetzten Franz Alfred Six, den Chef des für die Wissenschaftspolitik zuständigen Amtes VII des Reichssicherheitshauptamtes. Aus der Sicht des SD waren die meisten Historiker in politisch-ideologischer Hinsicht kaum zu gebrauchen. Als Ausnahme erwähnte Schick den "politisch orientierten Vortrag" des Neuzeithistorikers Wilhelm Schüssler über "Prinz Eugen und das Reich": "Aus dem politischen und militärischen Ringen um das Reich und eine gegenwärtige Neuordnung Europas", so heißt es im Bericht, "wertete Schüssler das Werk des Prinzen Eugen als einen ähnlichen Versuch unter anderen Verhältnissen und natürlich auch mit anderen Mitteln". Doch Schüsslers Versuch, Parallelen zwischen dem österreichischen Heerführer und der Politik Adolf Hitlers zu konstruieren, wurde von seinen Kollegen Gerhard Ritter und Rudolf Stadelmann "zerpflückt". Sie warfen ein, "dass über Prinz Eugen so gut wie gar keine Quellen vorhanden seien, daß bei ihm kein Reichspatriotismus, sondern nur dynastische Interessen mitgesprochen hätten, dass er seiner Abstammung nach nicht einmal ein Held volksdeutscher Art gewesen sei, sondern ein stark ,barocker' Mensch".Schick empfand - wie seine Gesinnungsgenossen - solche Methodenstrenge als anstößig. "Überhaupt ist während der ganzen Tagung das Wort Nationalsozialismus kein einziges Mal und das Wort ,der Führer' höchstens ein oder zwei Mal gefallen", klagte er. Zum Sprecher der "politischen Historiker" auf der Tagung machte sich schließlich am zweiten Sitzungstag der Straßburger Professor und SS-Untersturmführer Günther Franz. Voller Zorn nahm er Schüssler gegen seine Kritiker in Schutz, die "den Prinzen Eugen nicht nur vom Reichspatriotismus entdogmatisiert, sondern . . . fast zum Haudegen herabgewürdigt" hätten. Noch wütender griff Franz Kollegen an, die in ihrer abwägenden Beurteilung des Wiener Kongresses und des Versailler Friedens auch positive Momente entdeckt hatten. Viel zu selten sei zudem über "Volk" und "Volksordnung" gesprochen worden."Wie eine Bombe" platzten diese Ausfälle in den gelehrten Kreis - einige von Franz' Parteigängern begleiteten die Angriffe sogar mit lautem Händeklatschen. Unter den Teilnehmern wuchsen Unruhe und Widerspruch, zumal Franz "in der Form etwas ungestüm und auch im Vergleich zu der glatten Art der bis dahin zu Worte gekommenen Haupt- und Diskussionsredner zu wenig geschickt" vorgegangen war, wie Schick vermerkte. Erregt sprang der Leiter der Tagung, der Frankfurter Historiker Walter Platzhoff, auf, um sich gegen den Vorwurf zu verwahren, "als habe man bisher die deutsche Volksordnung bei der Bewertung der europäischen Ordnungsversuche der letzten Jahrhunderte nicht genügend berücksichtigt". Ein Wort ergab das andere, die Tagung drohte im Eklat zu enden.Die Streitigkeiten erreichten gerade ihren Höhepunkt, als sich zwei junge Königsberger Historiker, für die Franz zu sprechen vorgab, zu Wort meldeten. "In einer gründlichen und im Hinblick auf Franz vorteilhaft sich abhebenden diplomatisch geschickten Weise", so schien es dem SD-Berichterstatter, verteidigte zunächst Kurt von Raumer das Prinz-Eugen-Bild Schüsslers und grenzte sich von jenen Historikern ab, die "überhaupt den Einfluss von politischen Ideen und politischer Atmosphäre auf die Geschichtsdeutung ausgeschlossen sehen wollten". Dann sprach Theodor Schieder, der es gleichfalls vermied, die andere Seite durch hitzige Polemik herauszufordern. Er entschärfte den Streit, indem er eine eigene Studie über Prinz Eugen in Aussicht stellte, ließ aber nach Auffassung Schicks auch durchblikken, "dass er im Grunde doch auf der Seite der politischen Wissenschaft stände". Rasch ebbte die Erregung unter den Gelehrten wieder ab. Selbst Günther Franz "suchte durch ständigen Kontakt mit der Gegenseite immer wieder zu vermitteln".Am Ende der Tagung blieb die Gewichtsverteilung zwischen "politischen" und "unpolitischen Historikern" weitgehend unklar - viel zu komplex waren die Wechselbeziehungen von Geschichtswissenschaft und Politik. Aus der Perspektive des SD hingegen war die Lage eindeutig. Schick empfand es als "niederdrückend", daß selbst diese Tagung des von Geisteswissenschaftlern selbst begründeten "Kriegseinsatzes", "die dem militärischen und politischen Ringen der Gegenwart von der wissenschaftlichen Seite her Rüstzeug zu schmieden sucht, durchaus keine vom nationalsozialistischen Geiste erfüllte war". Als Verantwortliche machte Schick die traditionellen Fachvertreter aus. "Wortführend und tonangebend sind doch noch die mehr oder weniger reaktionären Elemente", so resümierte er. Nachwuchshistoriker seien in der Minderheit, und es komme hinzu, "daß von ihnen höchstens die SS-Angehörigen sich offen zu den Idealen einer politischen Historie bekennen, während einige andere es mit der Zunft gar nicht verderben wollen und sich deshalb sehr stark zurückhalten, sogar allzu großen persönlichen Kontakt mit den SS-Angehörigen vermeiden."Damit traf Schick einen wichtigen Aspekt des Verhältnisses jüngerer Historiker zum Nationalsozialismus. Jungakademiker wie Schieder und von Raumer (1900-1982) waren seit ihrer Studentenzeit völkisch geprägt und politisiert worden, wie der Berliner Historiker Ingo Haar unlängst gezeigt hat. In einem schwierigen beruflichen Umfeld boten ihnen die Institutionen des NS-Staates willkommene Betätigungsmöglichkeiten. Doch über akademische Karrieren entschieden immer auch die etablierten Professoren und Lehrstuhlinhaber, und diese verfochten zumeist die traditionellen Standards und Methoden des Faches. Der Zwiespalt zwischen den Anforderungen der "Zunft" und der Verführungskraft des Nationalsozialismus war für viele der damals jungen Historiker bestimmend. Solche Ambivalenzen müssen berücksichtigt werden, will man die Rolle der Geschichtswissenschaft im "Dritten Reich" angemessen einschätzen.