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Tiere kennen keine Demokratie
Veröffentlicht am 29.04.2005Lesedauer: 4 Minuten
"Making Things Public" im ZKM in Karlsruhe
Wer am späten Vormittag in Karlsruhe aus dem Zug steigt, wird erfaßt von einer gewissen Trägheit des Daseins. Es erscheint dann nur folgerichtig, den Bahnhofsplatz zu überqueren und, gegenüber im Tiergarten, in eines der Bötchen zu steigen, die von Zauberhand den Tiergartenteich hinauf und hinab gezogen werden. So, in vollkommener Passivität, genießt man die künstliche Natur des öffentlichen Parks, grüßt im Vorbeifahren die Giraffen und gibt sich der Illusion hin, das sei nicht politisch.
Man kann aber auch hinaus zum "Zentrum für Kunst und Medientechnologie" (ZKM) fahren und die Ausstellung "Making Things Public - Atmosphären der Demokratie" besuchen. Dort lassen die Kuratoren Bruno Latour und Peter Weibel die theoretische Sau raus wie man es nur in Karlsruhe erleben kann. Es flimmert und rauscht, und die Begriffe prasseln wie Platzregen auf den Besucher herab. Wie gern säße man da in einem Bötchen, das einen zuverlässig durch die mit Installationen zugerammelte Halle brächte.
Man muß sich aber seinen Weg selbst suchen. Vorher sollte man sich allen überkommenen Verständnisses von Politik, Demokratie und Öffentlichkeit entledigen. Das beschwert nämlich nur und ist, so die Ausgangsthese der Ausstellungsmacher, ohnehin nicht mehr viel wert. Weibel und Latour wollen nichts Geringeres als die Erneuerung der Demokratie aus dem Geist der Wissenschaft und der Kunst. Sie behaupten, die Krise der Demokratie könne nicht durch Reformen der Institutionen, sondern nur durch eine radikale Neudefinition des Politischen überwunden werden. Die repräsentative parlamentarische Demokratie sei zu erweitern um "Dinge und Sachverhalte" der Kunst und der Wissenschaft, weil Politik, Kunst und Wissenschaft drei "Arten der Repräsentation" seien, die eigentlich zusammengehörten - wie bei Thomas Hobbes, dessen Leviathan-Staat auch ein der Natur abgeschautes Kunstwerk sei.
Bedeutungsvoll liegen in Vitrinen also Leviathan-Ausgaben herum, während akustisch und in flimmerndem Doku-Schwarz-Weiß ein Maori-Palaver anzeigt, daß aus eigensinnigen Einzelnen von selbst kein Souverän wird und es Gesellschaften gibt, für die Politik nichts mit der Durchsetzung von Souveränität zu tun hat.
Auf erstaunlich vielen Monitoren ist das Sozialverhalten von Tieren zu beobachten, von Affen, von Schafen, von Wölfen, von Fischen. Der Karlsruher Politikbegriff ist denkbar weit, und er löst sich von so "überholten" Konzepten wie Vernunft, Freiheit, Verantwortung und Mündigkeit. Es regiert die Faszination, die von Figurationen, Mustern und formalen Analogien ausgeht. Auf mehreren Monitoren sind zum Beispiel Belgrader Demonstrationsszenen aus den Jahren 1991, 1996 und 2000 zu sehen, politische Choreographien des demokratischen Aufbruchs. Das Pathos der Demokratie wird zurückgeführt auf die Bewegung von Massen im Raum. Als Bewegungsstudien korrespondieren diese Szenen durchaus mit den Filmsequenzen einer Tito-Staatsparade, die vis à vis ablaufen. Soll eine demokratische und eine totalitäre Bewegungsweise der gesellschaftlichen Moleküle vorgeführt werden? Wir warten auf den tausendseitigen Katalog, der bald erscheinen soll, und geben einstweilen unser Unbehagen zu Protokoll über diesen Reagenzglas-Blick auf das Politische.
Die Belgrad-Bilder gehören zum sechsten Kapitel der Ausstellung, das sich mit unterschiedlichen Arten von Versammlungen befaßt. Insgesamt ist die Schau in 13 Abschnitte geteilt. Es gibt nichts, was unter einer dieser dreizehn Überschriften nicht ausgestellt wird oder ausgestellt werden könnte. Wer den "atmosphärischen" Bedingungen der Demokratie nachspürt, wird nämlich überall fündig - in alten Bibliotheken und in modernen Supermärkten, in wissenschaftlichen Labors und in Kuhställen, in den Fresken des Palazzo Pubblico in Siena und in völkerkundlichen Bildarchiven. Man wird den Verdacht nicht los, daß hinter all dem theoretischen Getöse nur eine Binsenwahrheit steckt: daß nämlich das wirkliche Leben unendlich viel bunter ist als sein fahler Widerschein in den Institutionen der "politischen Politik". Aber wir wollen jetzt noch kein endgültiges Urteil sprechen. Wir warten, wie gesagt, auf den Katalog. Vielleicht haben wir ja etwas Entscheidendes übersehen. Und dann setzen wir uns im Park in ein Bötchen und denken nach.
bis 7. August, Katalog folgt