Tag des Butterbrotes: Spiel mir das Lied vom Brot - WELT
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Tag des Butterbrotes
Spiel mir das Lied vom Brot
Veröffentlicht am 25.09.2015Lesedauer: 5 Minuten

Am 25. September ist der Tag des Butterbrotes. Der Happen hat ein etwas angeranztes Image. Ist das Kulturgut noch zu retten? Und was kann uns heute noch Bertoldus Botterbrodt (1349) dazu sagen?
„Das Butterbrot ist tot.“ Darf man so etwas sagen? Und damit eine Errungenschaft, die aus den Tiefen der deutschen Kulturgeschichte kommt, aus dem Mittelalter auch noch, einfach so zum Abgesang freigeben? Wer so etwas tut? Natürlich, McDonald’s hat den Spruch mit dem etwas gequälten Reim eine Zeit lang groß plakatiert, nur weil die da aus Amerika ihre Hamburger hier in Deutschland verkaufen wollen und keine Butterbrote (nur am Rande: die weiche Backware über und unter euren Hackscheiben ist nun auch nicht der Hit).
Aber ob wir es wollen oder nicht, ein bisschen Recht haben die Reklamefritzen des Fastfood-Konzerns wohl doch. Warum wäre sonst die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) – selbst fast so altehrwürdig wie das Butterbrot – 1997 auf die Idee gekommen, den jeweils letzten Freitag eines Septembers, also heute, zum jährlichen „Tag des Butterbrotes“ zu erklären? Eben. Tot ist es noch nicht, aber offenbar vom Aussterben bedroht, auf der Roten Liste. Vielleicht hätte die CMA das trotzdem lieber gelassen. Denn inzwischen, seit 2008, ist die Agentur selbst abgewickelt, tot also. Und was für einen Eindruck macht das jetzt erst auf die Überlebenschancen des Butterbrotes, das sie doch retten wollte?
Die Butterbrotschützer werden aktiv
Die Hoffnung stirbt zuletzt, will man da floskelhaft sagen, und ein paar Gründe dafür gibt es ja auch. Zum Beispiel, dass der Ehrentag auch weiterhin einfach so begangen wird, als wäre der CMA nichts geschehen, die Agenturen, die Zeitungen, das Internet – alle haben sie jetzt wieder den Tag angekündigt. Es geht eben auch ohne offizielle Schirmherrschaft, so ist das heute. Und es gibt inzwischen sogar so etwas wie eine Butterbrotschützer-Szene, mit einer Adresse: www.butterbrot.de.
Die Gedichte, die man dort findet, sind zwar nicht gerade angetan, das Butterbrot aus seinem etwas angeschimmelten Image zu erlösen, aber man kann da an Butterbrot-Petitionen teilnehmen, das Butterbrot in der Kunst bewundern, raffinierte Butterbrotrezepte studieren – und auch lernen, dass das mit dem zu viel an Butter und mit dem Cholesterin eine Lüge ist. Hier ist es sogar unter den großen Weltverschwörungstheorien eingereiht, neben Aids, dem 11. September, Prinzessin Diana und der Bielefeld-Verschwörung.
Wir sehen, das Butterbrot-Thema hat inzwischen internationale Dimensionen angenommen. Der Begriff selbst gehört, neben dem Kindergarten und dem Rucksack, zu der Handvoll Wörter, die man ins Englische nicht übersetzt, sondern einfach übernimmt. Auch der englische Wikipedia-Beitrag ist mit „Butterbrot“ überschrieben. Und das Thema hat auch seit Langem seinen Platz im US-amerikanische Diskurs.
Das „butterlose Butterbrot“, ein philosophischer Leckerbissen
Carl Barks, das Mastermind hinter dem zweiten großen Kulturereignis Amerikas neben McDonald’s, der Großfamilie um Donald Duck nämlich, hat bereits in seiner allerersten Geschichte mit Daniel Düsentrieb in den 50er-Jahren den Ingenieur zu einem Geniestreich gebracht: Er lies ihn das „butterlose Butterbrot“ erfinden. Ein Begriff, über den man lange nachdenken kann: Was macht das Wesen einer Sache aus? Der vordergründige Name etwa? Oder lebt ein Ding gerade von dem Antagonismus, der ihm innewohnt? Das „butterlose Butterbrot“ – ein philosophischer Leckerbissen.
In Teilen Norddeutschlands bezeichnet das Wort Butterbrot eine belegte Scheibe Brot, wobei Butter nicht zum Belag gehören muss.
Dabei griff Barks gleichzeitig der Jahrzehnte später einsetzenden Diskussion über fettfreie, zuckerfreie, glutamatfreie und alles-mögliche-freie Lebensmittel vor, die ja gerade in den USA ihre größten Kapriolen schlägt, damals eben mit dem Butterfreien. So klar wie es scheint, ist das Butterbrot sowieso nicht definiert. Ist ein Butterbrot nur dann ein Butterbrot, wenn es ausschließlich mit Butter beschmiert ist? Oder ist zusätzlich auch Käse oder Wurst erlaubt, ohne dass wir ein anderes Label finden müssen, gibt es eine enge Definition und eine erweiterte? Was soll man erst davon halten, wenn es bei Wikipedia heißt: „In Teilen Norddeutschlands bezeichnet das Wort Butterbrot eine belegte Scheibe Brot, wobei Butter nicht zum Belag gehören muss.“ Es müssen ganz besondere Teile Norddeutschlands sein. Wahrscheinlich war Daniel Düsentrieb einmal dort.
Das Butterbrot darf nicht sterben. Noch nicht. Es sind noch viel zu viele Fragen offen. Wer zum Teufel hat die dummen Sprüche erfunden, die das Butterbrot als Synonym für das Billige schlechthin hinstellen („… für ein Butterbrot gekauft“)? Soll man es lieber mit Messer und Gabel essen oder mit der Hand? Oder: Wo kommt der laut Internet-Telefonbuch durchaus verbreitete Familienname „Butterbrot“ – oder auch in leicht altertümlicher Version („Botterbrodt“) – her? Der erste urkundlich erwähnte war ein gewisser Bertoldus Botterbrodt im Jahre 1349, es war die Zeit, die von den Forschern in etwa als Geburtsstunde des Butterbrotes angesehen wird. Warum jener Bertoldus so hieß, weiß niemand.
Das mysteriöse Butterbrot auf Bruegels „Bauernhochzeit“
Selbst ein Professor aus Münster, Günter Wiegelmann, der das Standardwerk zur Geschichte des Butterbrotes („Frühgeschichte der Butterbrotspeisen“) verfasste, wagt nicht, die Herkunft jenes Nachnamens als gesichert zu erklären. Nur, dass er sich in der frühen Neuzeit in Ostwestfalen häufte. Gaben sich diejenigen, die Butterbrote herstellten, diesen Namen, die Bäcker?
Wiegelmann bezweifelt das, weil der Name zuerst in kleineren Dörfern auftauchte, wo jeder selbst sein Brot buk. Er vermutet deshalb, dass es wohl eher diejenigen waren, die den auf dem Land zuvor noch unbekannten Imbiss den Nachbarn schmackhaft machten, die Butterbrot-Pioniere, oder „First mover“, wie man heute sagen würde. Ob sie ahnten, was sie da ausgelöst hatten?
Eines wird wohl nie geklärt werden. Auf seinem Gemälde „Bauernhochzeit“ hat Pieter Bruegel d.Ä. einen Jungen abgebildet, der ein Butterbrot auf dem Schoß hat, die wohl prominenteste Darstellung des Butterbrotes in der Kunst. Nur ein einziges Mal aber hat der Junge in das Brot reingebissen, kehrt aber mit den Fingern die letzten Reste eines Breis aus dem Teller heraus, der offenbar besser schmeckte. Das Butterbrot lässt er links liegen. Es sieht fast so aus, als hätte auch damals, 1568, immerhin zweihundert Jahre nach Bertoldus Botterbrodt, das Butterbrot schon Imageprobleme gehabt. War es auch damals schon ein wenig tot?
Das würde Hoffnung geben. Totgesagte leben am längsten.