Dozenten als persönliche Berater - WELT
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- ️Sat Aug 09 2008
Was haben Mick Jagger, Monica Lewinsky und John F. Kennedy gemeinsam? - Sie alle haben an der London School of Economics (LSE) studiert.
Die LSE ist eine der renommiertesten Unis weltweit, die sich auf Sozialwissenschaften spezialisiert haben. Nur von Harvard wird die LSE in regelmäßigen Ranglisten noch übertroffen. Nicht nur in fachlicher Hinsicht ist die LSE etwas Besonderes. Studenten aus über 140 Ländern bevölkern den Campus, der mitten im Herzen Londons liegt. Mehr als 85 Prozent von ihnen kommen nicht aus Großbritannien, sondern unter anderem aus so exotischen Staaten wie La Réunion, Liechtenstein oder Kirgisien. Damit ist die LSE die internationalste Universität der Welt. Diese Atmosphäre bietet die Chance, vieles über andere Kulturen und Menschen zu lernen.
Seit ich 2003 mit meinem Bachelor-Studium der Politikwissenschaft in Bielefeld begonnen hatte, war es ein Traum, irgendwann einmal an der LSE zu studieren. Der Wunsch wurde dadurch genährt, dass Dozenten, die dort selbst studiert haben oder Kontakte zur LSE unterhielten, mir über ihre guten Erfahrungen berichteten.
Als ich etwa zehn Monate vor Studienbeginn meine Zusage von der LSE erhielt, konnte ich es zuerst kaum fassen. Denn ich hatte nicht unbedingt damit gerechnet angenommen zu werden, da das Auswahlverfahren als sehr anspruchsvoll gilt. Die Bewerbung für den Master in Global Politics musste bereits, ein Jahr bevor das Studium losging, eingereicht sein. Der Faktor Zeit spielte dabei eine zentrale Rolle, weil die Studienplätze - wenn der Rest der Bewerbung stimmt - nach dem Prinzip "first come first serve" vergeben werden. Dafür gibt es aber auch keine Bewerbungsfrist. Außerdem verzichtet die LSE auf Auswahlgespräche, so dass die Zulassung tatsächlich ausschließlich auf Grundlage der Bewerbungsunterlagen erfolgt.
Neben einem Motivationsschreiben muss auch ein Nachweis über bisher im Studium erbrachte Leistungen eingereicht werden. Mindestvoraussetzung für die Bewerbung um ein Masterstudium ist ein abgeschlossenes Bachelor-Studium oder ein zusätzliches Studienjahr zum Vordiplom beziehungsweise der Zwischenprüfung beim Magister. Außerdem müssen beim TOEFL-Test (alternativ IELTS) mindestens 90 Prozent der Gesamtpunkzahl erreicht werden. Damit soll sicher gestellt werden, dass die Englischkenntnisse ausreichen, um dem Studium in fremder Sprache folgen zu können. Zudem muss das Abschlusszeugnis als beglaubigte Übersetzung vorgelegt werden. Es war sehr hilfreich, dass ausnahmslos alle notwendigen Unterlagen online eingereicht werden konnten. Sogar die erforderlichen Gutachten zweier Dozenten wurden so an die LSE übermittelt. Einziger Haken: Es wird eine Bearbeitungsgebühr von umgerechnet 40 Euro für die Bewerbung verlangt. Aber dieser Betrag steht in keinem Verhältnis zu den Studiengebühren. Die LSE lässt sich ihren Ruf einiges kosten. Zwischen 11 500 und 17 000 Euro zahlen Studenten aus Großbritannien und der Europäischen Union für die meisten der einjährigen Masterprogramme. In ein paar Fällen sind es sogar über 27 000 Euro. Dank EU-Recht müssen die Unis Studenten aus Staaten der Europäischen Union gleich behandeln. Dagegen müssen Studenten aus dem Rest der Welt in vielen Fällen über 5 000 Euro zusätzlich bezahlen.
Weil London auch darüber hinaus ein teures Pflaster ist, lohnt sich die Suche nach Förderungsmöglichkeiten. Ich habe mich für ein Stipendium beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) beworben. Auch hier gilt: rechtzeitig bewerben, denn die Frist endet bereits am 31. Oktober des Vorjahres vor Studienbeginn. Ich musste mich also dort bewerben, ohne zu wissen, ob ich an der LSE angenommen werde. Nachdem ich die Vorauswahl überstanden hatte, fanden im Februar Auswahlgespräche in der DAAD-Zentrale in Bonn statt. Dort wurde ich von einer Auswahlkommission in Augenschein genommen, die aus Professoren, DAAD-Mitarbeitern und ehemaligen Stipendiaten besteht. Nachdem ich letztendlich als Stipendiat akzeptiert wurde, konnte ich nicht nur von der finanziellen Förderung profitieren. Der DAAD übernahm einen wesentlichen Anteil der Studiengebühren und zahlte außerdem eine monatliche Unterstützung zur Lebenshaltung. Zudem hatte ich jederzeit die Möglichkeit mich bei Fragen oder Problemen an einen Ansprechpartner beim DAAD zu wenden. Weitere Unterstützung erhielt ich von der British Chamber of Commerce in Germany (BCCG). Die Bewerbung für ein Stipendium verlief äußerst unkompliziert, da ich bloß ein Bewerbungsformular ausfüllen und bis zum 30. Juni per E-Mail zurücksenden musste. Darüber hinaus hatte ich das Glück, von der LSE einen Graduate Merit Award zu erhalten, durch den sich der Betrag der Studiengebühren verringerte. Dennoch war der Aufenthalt immer noch kostspielig genug.
Dies bekam ich zunächst bei der Wohnungssuche zu spüren. Ich hatte mich dafür entschieden, mich für einen Wohnheimsplatz zu bewerben, weil dies problemlos übers Internet möglich war. Ich konnte aus achtzehn Wohnheimen, die sich alle im Stadtzentrum befinden, auswählen. Ausschlaggebend für meine Entscheidung war letztlich vor allem die Nähe zur Uni. - Weniger als fünf Minuten zu Fuß sind einfach unschlagbar. Aber diese Lage hat ihren Preis. 209 Euro pro Woche kostet ein knapp 18 Quadratmeter großes Zimmer mit Küchenzeile und einem eigenen Bad im Stadtteil Covent Garden.
In London angekommen, erhielt ich zuerst eine unfreiwillige Lehrstunde über die Schattenseiten der Globalisierung. Denn die Tatsache, dass London ein Anziehungspunkt für Reisende und Geschäftsleute aus aller Welt ist, hat dazu geführt, dass sich Bettwanzen dort stark verbreiten. Von diesen Parasiten hatte ich vorher nie gehört, bekam aber schnell zu spüren, dass es sich um sehr unangenehme Mitbewohner handelt. Ich erfuhr, dass London von einer Bettwanzen-Pandemie heimgesucht wird und die Infektionen jährlich um die 500
Prozent zunehmen.
Eine besondere Umstellung war es, auf einmal mit meiner Freundin eine dauerhafte Fernbeziehung zu führen. Dies war nicht immer einfach, doch die Verständigung übers Internet, inklusive Webcam, konnte die gefühlte Distanz zwischen uns verringern. Die erste Woche in London bot die Möglichkeit, sich erst einmal einen Überblick über die neue Stadt und die neue Uni zu verschaffen. Ein guter Start war die Freshers Fair, bei der sich die Clubs der Studentenvertretung vorstellten und um neue Mitglieder warben. Es gibt über 170 Vereine, die sich mit so vielfältigen Themen wie englischem Biergenuss, orientalischen Speisen oder dem Börsenhandel beschäftigen.
Ein genereller Unterschied zum Studium in Deutschland ist die Struktur des akademischen Jahres. Die Vorlesungszeit ist in Trimester unterteilt: Der Michaelmas Term beginnt Anfang Oktober und endet Mitte Dezember. Anfang Januar startet der Lent Term, der bis Mitte März dauert. Ende April fängt der Summer Term an und geht bis Anfang Juli.
In meinem Studiengang konnte ich zusätzlich zu meinem Hauptkurs, der sich mit zahlreichen Aspekten der Globalisierung beschäftigte, aus über vierzig verschiedenen Veranstaltungen drei weitere auswählen. Das Angebot setzt sich unter anderem aus Kursen über Internationale Beziehungen, Entwicklungspolitik, politische Ökonomie, EU-Studien sowie Friedens- und Konfliktforschung zusammen. Jeder Kurs besteht aus einer einstündigen Vorlesung und einem 90-minütigen Seminar und wird mit einer Klausur abgeschlossen.
Es ging von Anfang an zur Sache. Das hohe Lesepensum von bis zu 1000 Seiten pro Woche war gewöhnungsbedürftig. Dafür waren die Diskussionen in Seminargruppen mit maximal 15 Teilnehmen sehr intensiv und lehrreich. Der größte Unterschied zum Studium in Deutschland ist die umfassende Betreuung. Jeder Student erhält einen Dozenten als persönlichen Berater. Mit ihm wird etwa der Stundenplan oder das Konzept der Abschlussarbeit besprochen.
Davon abgesehen unterscheidet sich das Studium aber nicht sonderlich von dem an einer deutschen Hochschule, und insgesamt fühlte ich mich in jeder Hinsicht gut auf die neuen Herausforderungen vorbereitet. Zeit zum Verschnaufen gab es jedoch nie. Eine Deadline für Essays, die jeweils 2 000 Wörter umfassten - reihte sich an die nächste. Dazu kamen regelmäßige Präsentationen in den Seminaren. Bemerkenswert am Hauptkurs war, dass in den Vorlesungen jede Woche ein anderer Dozent über sein jeweiliges Fachgebiet referierte.
Ungewohnt war es, dass sich die Abschlussnote zu 75 Prozent aus den Klausuren zusammensetzt. Diese fanden alle im Juni statt und zwei davon ausgerechnet am selben Tag. In den Klausuren müssen drei von zwölf Fragen innerhalb von drei Stunden beantwortet werden. Also kann man unliebsame Themen getrost weglassen. Dafür wird aber auch für jede Frage eine Antwort verlangt, die einem Kurzaufsatz entspricht. Die restlichen 25 Prozent der Abschlussnote ergeben sich aus der Abschlussarbeit, die mit 10 000 Wörtern deutlich kürzer als eine deutsche Magister- oder Diplomarbeit ausfällt. Da die Arbeit vom Umfang einem Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift entspricht, wird damit der Zweck verfolgt, die Studierenden auf das Verfassen solcher Artikel vorzubereiten. Sowohl die Klausuren als auch die Abschlussarbeit werden anonym eingereicht. So kann kein Student benachteiligt oder bevorzugt werden.
Alles in allem kann ich meinen einjährigen Auslandsaufenthalt in London in jeder Hinsicht positiv beurteilen. Es ist erstaunlich, wie viel Wissen man in einer so kurzen Zeit aufnehmen und verarbeiten kann. Außerdem war ich überrascht, wie schnell man die kleinen Feinheiten einer fremden Sprache zu beherrschen lernt. Zudem ist der Hochschulabschluss für die berufliche Zukunft sehr hilfreich, weil der Ruf der LSE weit verbreitet ist. Man zahlt also auch für den Markennamen. Mit Abstand am wichtigsten sind jedoch die Begegnungen mit Menschen aus aller Welt, die ich in dieser wunderbar aufregenden und bunten Stadt machen konnte. Es war sehr bereichernd, mit jungen Leuten aus den unterschiedlichsten kulturellen Kontexten zusammenzutreffen. Daraus sind einige wertvolle Freundschaften entstanden.