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Oh, James!

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Hotel: Oh, James!

Im Lake Palace residierten einst Maharadschahs. Ein Roger Moore konnte da kaum Eindruck schinden, als er "Octopussy" drehte. Aber in der Bar werden die Cocktails noch heute geschüttelt und nicht gerührt

3. November 2005, 13:00 Uhr Quelle: (c) DIE ZEIT 03.11.2005 Nr.45

Der Weg ins Paradies beginnt mit Fremdelei. Man sitzt im zahnpastaweiß ausgeschlagenen Fond einer Karosse und schaut linkisch drein. Warum nur? Weil man jetzt lieber einen Anzug trüge? Weil man schwitzt wie ein Bauarbeiter, während Jonathans lila Turban vornehm schimmert? Oder sind es seine feuchtkühlen Frotteetücher, die einen aus der Balance bringen? Gut möglich. In ihnen steckt so viel Ergebenheit. Viel zu viel, um ihr gleich entsprechen zu können.

Dabei sollte man die Fahrt durch Udaipur einfach genießen. Die Stadt im Süden Rajasthans ist eine Bilderfabrik. Hinter jeder Kurve produziert sie Sensationen, wie man sie nur in Indien zu sehen bekommt. Frauen gehen in papageienbunten Sariwolken. Kühe stromern herum. Männer halten Barbieren ihre eingeschäumten Wangen hin. Und vor Hindutempeln stehen halb nackte Sadhus auf einem Bein. Aber es hilft nichts. Der elefantengraue Oldtimer ist eine Schleusenkammer. Gnadenlos trennt er die Sphären. Auf der einen Seite herrscht indisches Bilderbuchchaos, auf der anderen Attitüde. Zum Beispiel die des Chauffeurs. Er zelebriert sein Fahren wie ein Hochamt. Und weil es in dem 57 Jahre alten Chrysler keine Klimaanlage gibt, zieht Jonathan immer wieder neue, zu Stangen gerollte Frotteetücher aus einer Kühlbox. Der junge Butler reicht sie mit einer elfenbeinernen Zange und einem Lächeln voll orientalischer Zartheit. Jedes Tuch ist eine neue Gelegenheit, sich im stilvollen Empfangen von Wohltaten zu üben. Die Pose ist schwieriger, als man denkt. Doch man wird sie brauchen.

Kammerdiener Jonathan und Fahrer Presingh sind im Auftrag des Lake-Palace-Hotels unterwegs. Wer in dieser berühmtesten aller Palastherbergen Indiens eine Suite gebucht hat, wird von seinem persönlichen Butler in einem »Vintage Luxury Car« vom Flughafen abgeholt. Nach 45-minütiger Fahrt erhebt sie sich inmitten eines Sees. Ganz aus perlweißem Marmor gebaut, glitzert das Wasserschloss wie eine Bollywood-Fantasie in den Wellen. Maharadscha Jagat Singh II. errichtete es 1746 als seinen Sommerpalast. Der Bau ist eine Orgie des Filigranen mit Pavillons und Erkern, mit Nischen und Bögen und zu Sternenfeldern durchbrochenen Ausblicken. 1963 wurde der Palast zum Hotel umgebaut. Seitdem residierten hier die Königin von England und der Schah von Persien, Henry Kissinger und Paul McCartney. Doch wirklich berühmt gemacht hat das Hotel Lake Palace ein anderer. Einer, der jederzeit die passende Garderobe trug. Einer, der nie schwitzte. Einer, der über jeden sozialdemokratischen Affekt erhaben war und der nicht nur Frotteetücher wie ein Weltmann zu nehmen wusste: James Bond.

Das Lake Palace gilt als »Octopussy- Hotel«. Das Paradebeispiel rajputisch-mogulischer Baukunst diente dem 13. Bond-Abenteuer mit dem schlüpfrigen Namen als Angelpunkt. 1983 kam der Film mit Roger Moore als Agent 007 in die deutschen Kinos. Sein knapp einstündiges Herzstück entstand ein Jahr zuvor in Udaipur. Die Macher waren sich damals schnell einig, dass die romantische Stadt zu Füßen des Arawalli-Gebirges der Ort gewesen sein musste, den Drehbuchautor George MacDonald Fraser beim Schreiben im Sinn gehabt hatte. Und schon beim ersten Blick auf das funkelnde Traumschiff des Lake Palace im Pichola-See wusste Bond-Regisseur John Glen, dass nur hier die Titelheldin ihr Hauptquartier würde haben können.

Im Film herrscht die Amazonenkönigin Octopussy in ihrem Wasserpalast über ein Heer weiblicher Wesen. Mit ihnen betreibt sie einen weltweiten Juwelenschmuggel. Als Vehikel dient ihr ein Wanderzirkus. Die wahren Schurken aber sind ihre Partner. Als Oberschuft tritt ein sowjetischer General auf, der mit Octopussys Zirkus eine Atombombe auf eine amerikanische Militärbasis in Westdeutschland bringen und dort detonieren lassen will. Die Katastrophe soll wie ein Unfall aussehen und den Westen zu einer einseitigen Abrüstung nötigen. Am Ende kommt natürlich alles so, wie es kommen muss: 007 vereitelt den Plan, und die Amazonenkönigin haucht »Oh, James!« in seinen Armen.

Wie immer tut die Handlung nichts zur Sache. Denn auch Octopussy verliert sich in Umständlichkeit, sobald der Film seine Abenteuer zu begründen versucht. Schließlich kennen James-Bond-Produkte nur ein Gebot: den Zuschauer nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Sie geben vor, eine Geschichte zu erzählen. Doch in Wahrheit herrscht die Dramaturgie des Vorwands, um eine Verfolgungsjagd an die nächste zu schneiden. Auch die Nähe zur Politik des Kalten Kriegs im vorletzten Bond-Film mit Roger Moore ist nur die graue Wand, von der sich die Blüten der Fantasie umso farbenprächtiger abheben sollen. Und an keiner Stelle des Reißers tun sie dies üppiger als in den Indiensequenzen von Udaipur.

Das sehen John und Geoffrey ähnlich. Und darum sind sie hier. Beide stehen in weißen Jacketts auf einer der vielen Terrassen des Lake Palace. Die Abendsonne illuminiert ihre Drinks, als handle es sich um einen kinematografischen Effekt. Bei jedem Schluck blecken sie kurz die Zähne und spüren versonnen dem Feuerstoß hinterher, mit dem der Alkohol ihre Speiseröhren hinablodert. Ihr erstes James-Bond-Abenteuer haben sie in den siebziger Jahren gesehen. »Wir gingen als Jungen ins Kino hinein und kamen als Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten wieder heraus«, bekennen die beiden Freunde aus London, die seitdem jeden Bond-Film mitsprechen können. Ihre Reise nach Indien sei eine Expedition, sagen sie. Eine Reise in ein Reich, in dem sie das zu finden hofften, was ihr Held wie kein anderer verkörpere: Stil.

Wer das Distinguierte sucht, ist im Lake Palace richtig. Hier haben zahllose dienstbare Geister den ganzen Tag nichts anderes im Sinn, als aus jeder Sekunde reinen Genuss zu destillieren. Der Schriftsteller Rudyard Kipling schrieb einmal, die Maharadschas seien vom Schicksal einzig dazu auserkoren, der Menschheit ein Spektakel zu bieten. Es ist ein Spektakel, das sich nicht zuletzt in einer atemberaubenden Gastfreundschaft äußert. Die Angestellten der Taj-Gruppe, die das Palasthotel 1971 vom damaligen König Bhagwat Singh pachtete, führen diese Bestimmung fort. Weiß gewandete Riesen schützen die Gäste mit Baldachinen vor der Sonne. Stühle werden untergeschoben, Servietten auf Schößen drapiert, Speisekarten mit formvollendeten Verbeugungen überreicht. Und unter jedem Turban leuchtet dieses Märchenlächeln. Es kündet von einer vorbehaltlosen Hingabe an die Idee des Dienens, einer Leidenschaft, die man nicht lernen kann.