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Das erste Meer

  • ️Wolf Alexander Hanisch
  • ️Wed May 07 2008

Portugal: Das erste Meer

Luxus für die Eltern und Spaß fürs Kind im Baby Club kann man beides haben? Eine Woche mit einer Anderthalbjährigen im Club Med an der Algarve

7. Mai 2008 Quelle: DIE ZEIT Nr.25 vom 14.06.2007, S.65

Gleich am ersten Abend kommt es zum Äußersten. Ein Geburtstagskommando marschiert auf. Wild klatschend und mit Wunderkerzen bewaffnet, stampft es durch das Restaurant des Club Med. An der Spitze der Animateure in feuerroten Hemden erkenne ich Bruno, den Chef de Village. Gerade hat er uns noch ganz in Weiß auf der Eingangstreppe des Resorts willkommen geheißen. Jetzt trägt er einen ulkigen Frack und eine monumentale Torte. Er hält sie in die Höhe wie ein Priester die Monstranz. Mit jedem Schritt rückt die Kolonne näher. Plötzlich schießt mir ein fürchterlicher Gedanke durch den Kopf. Die meinen dich! Heute ist doch dein Geburtstag! Dann erhebt sich zwei Tische weiter schüchtern ein Greis. Binnen Sekunden verschwindet er in einer Brandung guter Laune und wird gefeiert wie der Olympiasieger eines Zwergstaats. Glück gehabt. Meine Muskeln entkrampfen sich, und auch meine Ehefrau guckt erlöst. Doch zwischen uns sitzt jemand mit weit aufgerissenen Augen. Jemand, dem es gefallen hätte, wäre die rhythmisch applaudierende Woge an unserem Tisch gestrandet: Viktoria. Die ist anderthalb Jahre alt und unsere Tochter. Und für sie gilt: Je bunter, lauter und turbulenter, desto schöner.

Der beste Weg, Kinder zu erziehen, besteht darin, sie glücklich zu machen. Das sagt nicht irgendwer, sondern immerhin Oscar Wilde, der gleichzeitig Hedonist und Vater zweier Söhne war. Vielleicht wäre er ja auch mit ihnen in einen Club gefahren. Denn dort verlegt man sich zunehmend auf generationenübergreifenden Frohsinn. Vielleicht ist das Ende des kinderlos-kühnen Reiselebens ja gar nicht so schmerzlich wie befürchtet. Also auf zu Animation und Kinderbetreuung in den portugiesischen Club Med in Da Balaia. Der repräsentiert mit seinen vier Dreizacken die höchste Komfortklasse des Unternehmens und steht für seine vor drei Jahren ins Leben gerufene Luxusstrategie. Bis Ende 2008 will Club Med zwei Drittel seiner Anlagen auf gehobenes Niveau trimmen. Und weil der französische Club-Mythos seit Kurzem auch die Familien stärker ins Visier nimmt, hat sich schon die Hälfte aller Resorts kinderfein gemacht. Da Balaia an der Algarve gehört dazu.

Als wir den Club betreten, staunen wir. Weit und breit ist nichts zu sehen von jener rabiaten Buntheit, wie wir sie in einer kindgerechten Ferienfestung erwartet haben. Keine Plastikmonster, keine lollibunten Rutschen, keine Hüpfburg. Noch nicht einmal ein Kinderbecken. Stattdessen fingergliedkurz gehaltener Rasen, ausladende Pinien und weiße Bänke in einem Park über dem Atlantik, durch den abends klassische Musik säuselt. Und in den Hotelräumen herrscht ambitionierter Kolonialschick. Indonesische Malereien und extravagante Leuchten, blau getünchte Wände und afrikanische Masken kontrastieren mit abstrakten Gemälden. Toll sieht das aus. Doch wenn Viktoria mit wirren Locken und windeldickem Hintern johlend durch diese Designwelt rast, meint man, eine Kleinkindversion von Shirley Temple hätte sich in einen David-Lynch-Film verirrt.

Inmitten all dieser Distinguiertheit wirkt die Kinderecke des Restaurants wie ein Reservat. Unter pastellfarbenen Mobiles stehen dort ewig bekleckerte Babyhochsitze und lustig gedeckte Tische. Einige von ihnen haben Zwergenmaß und werden von puppenstubengroßen Stühlchen gesäumt. Darauf sitzen jetzt Erwachsene wie Gullivers und balancieren Pampen in hin und wieder gnädig hingehaltene Mündchen. Viktoria aber ist nach dem Einsatz der Geburtstagsdelegation für so etwas nicht mehr zu haben. In der Mitte des Raums hat sie diesen riesigen Fischfriedhof entdeckt. Aufgebahrt auf Eiswürfelbetten, glotzen dort heute möbelstückgroße Thunfische aus glasigen Augen, grinsen tote Meeresungeheuer mit überbreiten Mäulern. Immer wieder muss sie hin und mit ihren Fingerchen staunend über die Zahnreihen der Fische fahren. Da kommt kein Zoo mit. Also sitzen wir in verkrampfter Jockeyhaltung am Tisch, um der Kleinen jederzeit hinterherspurten zu können. Denn wenn man nicht schnell genug ist, kann es passieren, dass sie durch die vielen Türen in die Küche verschwindet. Oder auf steile Treppen. Oder in den Pool.

Jetzt mal im Ernst: Das soll kinderfreundlich sein? " Aber ja", sagt der Clubchef Bruno Ibanez, den ich anderntags in seinem Büro treffe. Bruno ist ein nervöser Mittdreißiger mit pechschwarzen Haaren und merkwürdig scheuen Augen. Kleine Kinder und coole Eleganz für Erwachsene das zusammenzubringen sei ja gerade das Einmalige an diesem Konzept. Da Balaia gehört zu den vier Club-Med-Anlagen, die im vergangenen Jahr aufgerüstet haben, um auch den Ansprüchen der Allerjüngsten zu genügen. Damit unterhalten jetzt elf von insgesamt 80 Resorts einen Baby Club für Kinder von vier bis 23 Monaten. Außerdem gibt es hier wie in 28 weiteren Dörfern einen Petit Club für Zweibis Vierjährige. Der Erfolg spreche für sich, meint Bruno und zeigt das branchentypische Wellenreiterlächeln. " Die Resorts mit Kleinkinderbetreuung sind zu einem Drittel besser ausgelastet als vorher."

Das Zusammenbringen beider Welten ist aber eher ein Trennen. Entrückt in einem kleinen Wäldchen liegt die schneewittchenweiß getünchte Kinderburg, in der die beiden Clubs und ihre Betreuerinnen residieren. Die jungen Frauen kauern inmitten von Bergen nagelneu leuchtenden Spielzeugs und tragen Schildchen mit Nationalflaggen an ihren Trikots.  Jede Fahne steht für eine Sprache, die sie sprechen. Theoretisch. Um zum Beispiel das gehauchte Englisch von Elodie zu verstehen, braucht man das Gehör eines Klavierstimmers. Tatsächlich beherrschen die meisten nur Französisch. Schließlich ist der Club Med fest in gallischer Hand. 60 Prozent der Urlauber seien Franzosen, erzählt Bruno. Die gefühlte Quote liegt bei mindestens 90.