Premiers nur für ein Jahr
- ️Felix Lill
- ️Mon Dec 10 2012
Warum regiert ein japanischer Premier nur durchschnittlich zwölf Monate lang? Wissenschaftler streiten über den Verschleiß. Am Sonntag ist erneut Wahl.
10. Dezember 2012, 17:06 Uhr
Wie lange wird Shinzo Abe diesmal durchhalten? Wenn es so läuft, wie die Umfragen vorhersehen, wird der Chef der konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) nach dem 16. Dezember Japans neuer Premier . Vor vier Jahren besetzte Abe diesen Posten schon einmal, allerdings nur für 366 Tage. Dann erkrankte er schwer und trat zurück . Nach Abe übernahm dessen Parteifreund Yasuo Fukuda , der bloß 363 Tage Premierminister blieb. Der darauf nachfolgende Taro Aso, ein weiterer Liberaldemokrat, hielt sich noch kürzer – 358 Tage.
Die fatale Tendenz zu kurzen Regierungszeiten sollte sich 2009 eigentlich ändern, als die LDP, die zuvor rund ein halbes Jahrhundert fast ununterbrochen regiert hatte, eine historische Wahlniederlage erlitt. Doch es ging genauso weiter. Yukio Hatoyama von der Demokratischen Partei Japans (DPJ) hielt sich 266 Tage im Amt, sein Nachfolger und Parteigenosse Naoto Kan blieb 452 Tage. Der amtierende Yoshihiko Noda hat nun ein Jahr und drei Monate das Amt besetzt – und wird am Wochenende höchstwahrscheinlich abgewählt. Sechs verschiedene Regierungschefs durchlebte Japan in den letzten sechs Jahren. Warum wechselt das Amt so schnell seinen Träger?
Eine Erklärung liefert Benjamin Nyblade von der University of British Columbia in seinem Papier The 21st Century Japanese Prime Minister: An Unusually Precarious Perch . Nach Reformen in den letzten Jahren sei der hohe Verschleiß an Premierministern "eine perverse Konsequenz vom erhöhten politischen Einfluss des Amtes", so Nyblade. In den Jahrzehnten der LDP-Herrschaft hätten traditionell die Abgeordneten die Marschrichtung vorgegeben, der Premierminister spiele eine eher reagierende Rolle.
Korruptionsskandale haben das System verändert
Durch Japans Listenwahlsystem waren denn nicht so sehr Parteien, sondern eher deren Kandidaten in den Bezirken wahlentscheidend, sodass diese starken politischen Einfluss im Parlament hatten. Bei Unstimmigkeiten erlaubten es sich Politiker daher wiederholt, sich von der eigenen Partei abzuspalten und neue Fraktionen zu gründen. Auch bei den Wahlen 2012 finden sich unter den insgesamt zwölf Plattformen mehrere Splitterparteien.
Als in den 1990er Jahren jedoch gleich mehrere politische Korruptionsskandale ans Licht kamen, entschied sich Japans Politik dafür, die zentrale Führung im System zu verstärken, einfach, indem man das Personal im Kabinettsbüro, welches direkt dem Premierminister untersteht, verdreifachte. Auch das Wahlsystem änderte sich dahingehend, dass das politische Programm einer Partei künftig wichtiger werden sollte als die Beliebtheit einzelner Kandidaten. Das jedoch wiederum habe "zu einer Hypersensibilität der Öffentlichkeit geführt", beobachtet Nyblade. Weil plötzlich die Marke einer Partei wichtiger geworden ist, fürchteten diese nun ständig um ihr Ansehen, was auch zu kurzsichtigerer Politik geführt habe.
Gleichzeitig seien es die Wähler immer noch gewohnt, eher einzelnen Politikern zu folgen als den Parteien, für die diese gerade antreten, sagt Junko Kato von der Universität Tokyo. Das macht es in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation opportun, in politisch schwierigen Phasen den Regierungschef auszutauschen. Jeder Premierminister der letzten Jahre sei sein Amt mit hohen Beliebtheitswerten angetreten und habe es kurz danach mit kaum noch Zustimmung wieder verlassen, so Nyblade. Auch Shinzo Abe sei etwa nicht bloß wegen seiner Krankheit zurückgetreten, sondern nach öffentlicher Empörung: Als Japan sein Pensionssystem digitalisieren wollte, waren die Daten von 50 Millionen Versicherten verloren gegangen.